Erlebnisse des frischgebackenen Doktors der Naturwissenschaften Markus Pristovsek in Tsukuba-Japan.

Also: Seit dem 1.11. bin ich Dr., bestanden mit "magna cum laude" (sehr gut, ohne Auszeichnung). Und am 4.11. ging es per Flieger nach Japan, wo ich für mindestens 1,5 Jahre als Post-Doc arbeiten werde.

5.11. Ankunft

Tag(Nacht) der Ankunft, nach einigen Schwierigkeiten am Flughafen Tegel (Übergepäck u. ä.) ging es über Paris nach Tokyo (und der Flieger noch weiter nach Noumea, Neu-Kaledonien) eben nach Japan.

Der Zollbeamte in Narita war diesmal sehr höflich, als er mein Researcher-Visum sah. (Beim letzten Mal, mit dem großen Rucksack musste ich den wegen möglichen Drogenschmuggels ganz ausleeren ... ) Fazit: Better be doctor! Am Flughafen wurde ich dann von Shiro (meinem neuen Chef) und Tateno (einem Studenten) abgeholt.

Wir mussten unterwegs noch tanken, da gab es dann mein "Back to Future"-Erlebnis: Nachdem uns der Tankwart eingewiesen hatte (und den Diesel tankte), kamen noch zwei weitere Tankwarte diensteifrig angerannt und putzten unaufgefordert alle Scheiben. Dazu brauchten sie bei dem Kleinbus sogar eine Leiter! Dann wurde der Sprit bezahlt und wir sind wieder weggefahren. Ohne Trinkgeld!! Sonntags um 22h!!!

Kommentar von Shiro: "They don't do it for the tip, but for their company." (Tja, Lenin und Genossen wären stolz gewesen, wenn die Leute einfach für den Sozialismus gearbeitet hätten ... )

6.11. Wohnungssuche

Bin um 4h früh endgültig wach gewesen ...

Morgens gegen 8h bin ich dann zum Institut, um aus den Koffern dort etwas gegen meinen Husten zu nehmen - nur war der Raum nicht mehr zu finden, wo wir sie am Abend abgelegt hatten. Musste also auf Hilfe warten.

Dann kam der formelle Kram. Ich glaube, ich habe seit meiner Zeit als Tutor im Anfängerpraktikum nicht mehr so viele Unterschriften geleistet. Daran erkennt man dann auch den Wert der "Siegel". Jeder Japaner hat ein registriertes Siegel, einen Stempel mit seinen Schriftzeichen. Dieser gilt als Unterschrift, und da schnell gestempelt ist, macht es auch nichts, auf diese Weise fünf Durchschläge zu unterschreiben. Trotzdem kommt das einem Mitteleuropäer sehr nach Mittelalter vor.

Irgendwann nach erster Registratur, Bank, Stadtverwaltung und zweiter Registratur wurde mir dann ein sehr übersichtliches Papier überreicht, mein Arbeitsvertrag. Da steht eigentlich nur, dass ich vom 6.11. bis 30.3. als "COE special researcher" (= 1 zu 1 Übersetzung, keine Ahnung was das sein soll, Post-Doc auf Japanisch, vermutlich ... [Es heißt: Center Of Exellence Fellow]) mit täglich 20.720 Yen beschäftigt bin. Ich muss auch jeden Tag einen Anwesenheitszettel unterschreiben (bzw. sobald ich mein Siegel habe eben Stempeln) um ihn dann am Ende des Monats zur Gehaltsstelle zu faxen ... Die Japaner lieben es eben schwarz auf weiß. Den Zeitpunkt, an dem ich einen "richtigen" Vertrag unterschrieben hatte (falls überhaupt), der ist leider an mir vorbeigegangen.

Danach bin ich mit einem vom Institut gestelltem Leihfahrad (Typ keuchende Schwalbe, vermutlich chinesischer Produktion, ohne Schnellventile, Größe 25-26er, mit Bremsen, die vor allem Lärm machen und [wie hier üblich] ohne Rücklicht ...) über sehr kleine Sträßchen durch Reisfelder und an Bambuswäldchen vorbei zurück zum Hauptinstitut gefahren. Als leichte Einführung in den Linksverkehr habe ich wirklich nur nahezu menschen(auto)leere Straßen gewählt, von denen es hier sehr viele gibt, und praktisch alle sind geteert. Praktisch zum Radeln. Und es ist wirklich hübsch hier, und Mittags ist es immer noch 20 Grad warm.

Nachmittags war dann Wohnungssuche angesagt. Der Makler kam in seinem Sportwagen, der Dienstwagen wäre kaputt. Ich passte gerade so zusammengefaltet durch die Tür, und hinten fand es die nette Sekretärin Katayama, die mir schon den ganzen Tag dolmetschte, es auch reichlich eng. Vielleicht gut so, so wirkten die Wohnungen größer ...

Eigentlich hatten alle bis auf eine einen entscheidenden Nachteil: Haus vorm Kopf. Nur eine hatte einen nahezu ungehinderten Blick nach Südwesten, und die hatte es mir auch gleich angetan. War auch eine der billigeren, und heruntergekommen und nach einem Anstrich schreiend sahen alle Wohnungen von außen aus. Nur Gasherd und Klimaanlage waren in dieser Wohnung nicht enthalten. [Wie ich jetzt weiß, war es trotzdem ein Fehler, mich für diese Wohnung zu entscheiden! Ich werde mir bis März eine neue suchen, mit echten Reisstrohmatten (Tatamis), zwei Zimmern und Klimaanlage. Ein Blick auf die Hauswand ist nicht so wichtig, man kommt hier meist eh erst im Dunkeln nach Hause. Selbst im Sommer, denn es wird um 18h dunkel.]

Wer schon mal ein zweistöckiges Motel 6 gesehen hatte, der wird das Layout vertraut finden: Im Osten ist die Treppe, sechs Wohnungen sind nebeneinander. In der oberen Etage, zweite Tür, ist meine Wohnung. Gleich neben dem Eingang, hinter der Schuhabstellversenkung (keine Schuhe in einer japanischen Wohnung!) ist ein Küchenflur mit Gasherd. Gegenüber ist das "Bad", eine kastenförmige ca. 1x1x1 Meter große Wanne mit einer Dusche und einem Klo - kein Waschbecken, kein Spiegel. Dahinter ist dann der "große" Raum 6 Tatamis (Reismatten) oder eben 9 Quadratmeter klein. Zwei Drittel der Rückseite sind Fenster bis zum Boden mit Fensterläden und dahinter ein ein Meter tiefer Balkon (siehe Skizze). Besucher sind in dieser Wohnung auf wohl einen begrenzt, der am besten noch 'nen Schlafsack mitbringt. Und da keine Heizung installiert ist (eigentlich in keiner Wohnung) ist vom Winter als Besuchszeit eher abzuraten.

Nachdem ich ein paarmal geschluckt hatte, und mir mehr mehrmals "du bist in Japan" zugeraunt hatte, so war diese Wohnung doch eine der schöneren, auch wenn sie nur (Plastik-)Parkett und keine an der den Füßen angenehmeren Reismatten als Boden hatte. Es war schwer, überhaupt etwas zu finden, da die Japaner nur im Ende März und Ende September umziehen.

Einziehen kann ich erst am Freitag, da vorher noch zwei in der Wohnung herumliegende Ziegelsteine entfernt werden müssen (ich hielt sie für hässliche Türstopper ... ) Solange wohne ich hier im Institut, wo es 5 Nachtarbeitsräume gibt (faktisch Hotelzimmer).

Achso, der Eingang meiner Wohnung ist genau gegenüber von dem Gebäude, in dem die NASDA (Japanische Nasa) ihre Satelliten baut und testet, sowie die Raketen endmontiert. So nahe ist man dem Weltraum wohl nur selten.

7.11. Gedanken und Flüche über japanische Rechner

Endlich ein Windows am laufen, diese Rechner sind eine Krankheit. Leider ist es das japanische Windows. Ach und für alle, die über die Windowstaste schimpfen, eine japanische Tastatur hat in der untersten Reihe 11 Tasten, Space ist so breit wie "Alt Gr" und die Tasten daneben dienen leider der Umschaltung Kanji/Kana/Ascii, das heißt, man tippt leider sehr schnell sinnentleertes Japanisch, was dann auch nicht umgewandelt, sondern einfach verworfen wird. Dazu eine halb amerikanische Tastenbelegung und keine Möglichkeit auf eine einem japanischem Windows eine internationale Tastaturunterstützung zu installieren. Also, ich habe eine deutsche Tastatur und ein deutsches Windows 98 dabei. Aber: Japanisches Windows ist nicht von deutscher Tastatur zu überzeugen, und deutsches Windows kennt so ziemlich alle Tastaturtypen außer Japan. Grrr! Und schickt mir bitte auch keine Emails mit Umlauten, die werden hier zu sinnlosen Kanji gewandelt.

Aus dem Fundus des Institutes (auch Rumpelkammer von Eingeweihten genannt) besitze ich nun auch einen Futon ("Fton"), einige Überdecken und etwas Geschirr. Man wollte mir auch einen beheizten Tisch (als Raumheizung) andrehen, aber diese Elektrik war (wie die meisten anderen Teile aus dem Lager) eher was fuer's Museum oder noch besser gleich Sperrmüll. Aus einem der Second-Hand Laeden werde ich mir wohl noch Gasherd und Kühlschrank besorgen.

A propos Müll. Hier gibt es einen Zeitplan, an welchem Tag was abgeholt wird, dreitäglich Brennbares, usw. Einen Kalender dazu braucht man wirklich (kannte ich bisher nur aus der Schweiz). Sowieso, wenn ich sagen müsste, welches Europäische Land den Japanern am meisten ähnelt, dann ist es die Schweiz: Sei es in punkto Service, Preise und Qualität, politische Entscheidungen immer im großen Konsens, merkwürdige Tastaturbelegungen und der gleichen Dinge mehr.

10.11. Einzug, mit Hilfe von Mano (PhD Stud.) und Takeno (dipl. Stud.)

Wir nahmen Tatenos Auto, das wäre größer ... Nun gut, länger war es, fast der gleiche Sportwagen, wie das Auto des Maklers - allerdings eine entscheidende Idee größer.

Zuerst musste ein Gasherd besorgt werden. Bei der Gelegenheit will ich mal kurz einen typischen Einkauf schildern:

Beim Eintreten wird einem (außer in sehr großen Märkten) ein vermutlich sehr höflicher Gruß entgegengeschmettert (fast gebrüllt). Niemand scheint jedoch eine Reaktion darauf zu erwarten. Dann haben wir z.B. den Herd ausgesucht (2-flammig, mit Minifischgrill). Der Verkäufer trägt dann das Stück zur Kasse. Die Kassen befinden sich übrigens nicht notwendigerweise am Ausgang, sondern oft ein gutes Stück davor. Oder es ist wie im Kaufhaus, mehrere kleine separate Kassen. Auch trägt man dann seine evt. bezahlten Sachen zum Ausgang. Ladendiebe gibt's hier nicht?

Nach vielem Hinundher bin ich nun in meinen eigenen 4 Wänden, mit Gas (Herd und warmer Dusche) und Strom (mit 60 W Lampe - aber kein Neon-UFO an der Decke, wie es die Japaner lieben, sondern eine echte Glühbirne).

So ein paar Merkwürdigkeiten hat diese japanische Wohnung schon. In der Küche gibt es z.B. nur kaltes Wasser, obwohl es für das Bad einen Gas-Durchlauferhitzer gibt. Dafür gibt es im Bad kein Waschbecken. Very strange, indeed.

Ich habe mich auch meinem Nachbarn zur Rechten vorgestellt, die Wohnung links (203) scheint unbewohnt. Ein pflichtbewusster Hund - dem Aussehen nach eher ein Fuchs mit zu langen Beinen - bewacht das Anwesen. Mit dem Hausmeister konnte ich leider noch nicht sprechen.

Am Abend war ich dann noch Einkaufen. Es gibt hier einfach ALLES! Von französischem Käse bis zu besserer italienischer Pasta als in meinem Berliner Supermarkt, alles in bester Qualität. Und, verglichen mit japanischen Produkten, zu fairen Preisen (halt doppelt so teuer). Und das war hier ein ganz normaler Supermarkt, so ich das beurteilen kann.

Noch was Lustiges: An der nächsten Ecke ist eine Wiener(?) Bäckerei namens "Frisches Brot". Soll authentisch, gut und recht teuer sein: Werde ich mal ausprobieren. (Aber das Toastbrot ist auch Ok, und wozu habe ich sonst den Toaster gekauft?)

11.11. Wahlkampf auf japanisch:

Über diese erste Nacht in meiner Wohnung will ich nicht viel reden. So viel: Es war kalt und ich war gegen die alte Wollfüllung der warmen Überdecke derart allergisch, dass ich auch noch Stunden später (nachdem ich sie wieder im Schrank in einer vakuumdichten Plastiktüte verstaut hatte) vor Husten kaum zum Frieren geschweige denn Schlafen kam ...

Die "Nacht" war dann auch spätestens um 8h zu Ende, denn es ist Wahlkampfzeit. Lautsprecherwagen fahren von 8 bis 8 durch die Straßen und preisen sich selbst sehr lautstark an (finde ich eher unjapanisch). Auf den Wagen ist auch immer eine Bühne. An strategischen Stellen (=Einkaufszentren) bleiben sie dann stehen und halten längere Reden. Trotzdem geht alles sehr japanisch zu, am Rand stehen immer die Wahlkampfhelferinnen und rufen jedem einen höflichen Gruß zu und natürlich "sumimasen" (=Entschuldigung, Universalwort Nummer 1). Und heute, im Zentrum von Tsukuba, da standen die Wagen Schlange. Nur der Wagen, der gerade unter der Brücke stand, hatte seine Lautsprecher an, der/die Kandidat(in) stand auf seiner/ihrer Bühne und redete ziemlich genau 5 Minuten. Dann klatschten die Passanten mehr oder weniger viel Beifall und der nächste Wagen parkte unter der Brücke. Manch Kandidat war danach hörbar verlegen - eher Politiklaien, wie es scheint. Ach ja, es sind im wesentlich Bürgermeisterwahlen, wenn ich das recht verstanden habe. Plakate sieht man übrigens kaum. Zum Glück ist morgen (Sonntag) Wahltag, danach könnte man wohl endlich ausschlafen, wenn da nicht das Institut wäre.

Also, nach der verkorksten Nacht lachte die Sonne (und ab 10h auch auf meinen Balkon). Aber es war draußen noch unter 10°C, also heiß duschen. Gegen 12h kam dann zum Glück Shiro und wir sind eine Baumwolldecke und eine Heizung kaufen gefahren. Da seine drei Kinder mit dabei waren, liefen, um sie ruhig zu stimmen, "denchi-mon" u.a. mir unbekannte Zeichentrickfilme auf einem kleinen LCD-Bildschirm. (Fernsehen & GPS hat hier wohl fast jedes Auto.) Da die Zielgruppe der Filme wohl ab 3 oder so ist, konnte ich manchen Dialogen sogar halbwegs folgen. Aber für's tägliche Leben ist es noch viel zu wenig.

Gekauft haben wir dann neben Baumwolldecke und elektrischem Ölradiator (made in Portugal ... ) auch noch Elektrozahnbürste, Pinnwand, Miniregal usw. Es fehlt nur noch ein Kühlschrank, aber zwischen Gardine und Vorhang ist es auch so kalt genug für die Butter.

Es wird wirklich rasant dunkel. Um 16:30h geht die Sonne unter, um 17h ist es finster. Nur eine kurze Zeit, um mit meinem "film with lens" (Einwegkamera, man beachte die Einzahl, Linse ... ) ein paar stimmungsvolle Herbstbilder zu machen, wenn sie denn was werden [wurden sie nicht]. Auf dem Rückweg von der kurzen Radtour war dann schon ein voller Herbstmond zu bewundern.

12.11. Mein erstes Erdbeben

Die neue Decke und die Heizung haben sich deutlich bewährt. Jetzt ist es ganz angenehm. Trotzdem frage ich mich, wie man ein Haus derartig schlecht isolieren kann, ohne dass es zieht oder durch die Decke regnet ...

Eine englischsprachigen Zeitung aufzutreiben ist im Moment echt schwierig. In dem Hotel, wo man sie normalerweise kauft, ist internationaler Kongress - keine Zeitungen mehr. Immerhin kann ich sie dafür in der (gut geheizten) Lobby lesen. Hier steht, sie haben gerade den Gründer der "japanese red army" nach 30 Jahren im Untergrund verhaftet. Die anderen 3 (DREI!) Mitglieder sind auch schon länger gefasst. Sie waren übrigens nie in Japan aktiv gewesen, zum letzten Mal wohl 1974 in Den Haag. Und noch was am Rande: Man kann in Seattle ein Diplom in "non-profit leadership" (für NPO) machen. Morgen ist eh "Newspaper Holiday". Und der einzige Buchladen mit englischen Büchern ist mies sortiert. Werde also Harry Potter mal lesen.

Heute Mittag gab es hier wohl ein leichtes Erdbeben. Wenn ich mich so recht an die Richter-Skala erinnere, muss es so um 4-5 gewesen sein. Erst rumpelte das Haus, als ob draußen schwere Lastwagen vorbeifahren würden. Dann gab es einen Rumms, als ob ein Tiefflieger 20 m über dem Haus die Schallmauer durchbräche (natürlich ohne den Lärm) und alle Krähen flogen auf. Es rumpelte dann noch eine gute Minute mal stärker, mal fast nicht. Draußen haben die Kinder einfach weiter gespielt und auch sonst schien das keiner richtig wahrgenommen zu haben.

Vanillekipferl im Fischgrill des Herdes (mangels echter Backröhre) scheiterten sowohl am Grill, wie auch an brauchbarer Magarine. Ich werde es weiter versuchen.

Um Mitternacht gab es noch ein Erdbeben, etwas schwächer, und am Morgen ein ganz schwaches. Scheint hier wirklich normal zu sein.

Ihr könnt mir jetzt auch direkt schreiben an, meine japanisch E-Mail Adresse lautet:

prissi@nrim.go.jp

Telefon: ++81 298 59 2828, Fax ++81 298 59 2801

Zeitunterschied sind 8h, d.h. von 1h nachts bis ca. 10h morgens bin ich dort zu erreichen, wenn ich nicht im Labor bin.

Institutsadresse ab 1.1.2001

Markus Pristovsek
NIMS
Sengen 1-2-1, Tsukuba-Shi
Ibaraki 305-0047
Japan

13.11. Salut für Markus

Ich komme morgens immer etwas spät, nach japanischen Maßstäben: 8h30 ist eigentlich Arbeitsbeginn. Da es aber ein staatliches Institut ist, kommen die meisten Wissenschaftler nicht vor 9. Jedenfalls gibt es hier immer einen Pförtner (natürlich mit weißer Mütze und ebensolchen Handschuhe) der jeden eintreffenden Wissenschaftler mit militärischem Gruß (Hand an Mütze eben) begrüßt. Bei Regen trägt er übrigens eine weiße Regenjacke. Sehr gewöhnungsbedürftig. Aber auch die Werbung eines Hotel "Founded 1938" wäre in Deutschland wohl eher mit negativem Erfolg gesegnet ... Dann schon lieber japanischen Camembert, "farmed since 1891". Wow!

14 ... 17.11. Öfter mal Schauer

Mal wieder ein paar Worte zum Wetter. Das ändert sich hier nämlich rasant von Tag zu Tag, allerdings ziemlich genau nach Wettervorhersage. Die sagt sogar für Vormittag und Nachmittag getrennt voraus und stimmt meist für 3-4 Tage im Voraus. Da es allerdings im Winter fast immer heiter und sonnig ist, ist das auch kein zu große Kunst.

Dienstag war's recht frisch, kaum 10 Grad. Mittwoch war es dann wie ein Frühlingstag, mehr als 17 Grad! Dann gab es abends ein Gewitter. Wenn es regnet, dann klingt es in der Wohnung, als säße ich im Freien in einer BVG-Wartehalle oder in einem Zelt, so laut prasselt es aufs Dach. Scheint einfach nur dünnstes Blech zu sein. Das erklärt dann auch die praktisch nicht vorhandene Wärmeisolierung. Sowieso, Schweinchen Schlau hat dieses Holzhäuschen bestimmt nicht gebaut: Am Samstag war Sturm (so um 8-9 rum) und die ganz Bude wackelte wie bei einem Erdbeben. Davon gab es übrigens bisher mehr als zehn ... Drei Mal im Jahr gibt es dann sogar 100x stärkere, weswegen man diese lächerlichen Zuckungen nicht weiter ernst nimmt. Aber ein Beben im 8. Stock ist schon was sehr, hmm, mit "Chill-Faktor", würde ich Neudeutsch sagen.

Wegen dem wechselnden Wetter ist es morgens mal saukalt und dann wieder viel zu warm. Bei der Gelegenheit gleich noch ein Nachtrag: Japaner heizen ihre Wohnungen meist mit 3 Dingen: Einem Kotatsu (elektrischer Heizstrahler unter dem 30 cm hohem Tisch), einem "electrical carpet" (=Heizdecke) und meist der rückwärts laufenden Klimaanlage als Wärmepumpe. Ich dagegen werde mir eine Heizdecke demnächst zulegen ...

Mittlerweile habe ich erfahren, dass in Mallorca genauso geheizt wird, wie in Japan, ein großer Tisch mit einer Decke darüber und alle sitzen mit den Füßen drum herum. Sehr interessant, ob das am Holzmangel liegt, wenn man auf solche Ideen kommt?

(Danke Uli, für den Hinweis) Auf Mallorca ist das Feuer wohl aus Schalen der geernteten Mandeln. In Japan benutzt man dazu Glut einer Art Holzkohle.

18.11. "Party"

Am Samstag waren dann alle Ausländer (zur Zeit sind außer mir noch ein Italiener mit seiner Frau [Stefano und Tina] und ein Koreaner [Lee] zu Gast) und der Rest der Gruppe (Gruppenchef Shiro und den PhD-Studenten Mano & Watanabe sowie Diplomant Tateno) zu Gast bei Koguchi (dem Leiter der "extremly high vacuum research station", einer der Chefs der 6 oder so Abteilungen des Institutes. Wenn ich das richtig interpretiere, ist Koguchi 2 Ebenen höher als Shiro, aber der Mensch dazwischen hat wohl nichts zu sagen ... Über meinen eigenen Status bin ich mir auch nicht ganz klar, aber er scheint etwas höher zu liegen als der der anderen Gäste und nur knapp unterhalb von Shiro.

"Extremly high vacuum" schreibt sich übrigens mit den Kanjis die hoch/viel, wahr/wirklich und Himmel/Leere bedeuten, "high real sky" = UHV. Ist doch etwas poetischer ...

Wie gesagt, wir waren zum Brunch eingeladen (eine "Party"; für die Japaner ist alles eine Party). Koguchis Haus war zumindest für japanische Verhältnisse riesig. Eine 18-jährige(!) Katze gab es dort auch noch als Bewohnerin. Koguchi hatte Udong(?) gekocht und seine Frau hatte home-made Sushi vorbereitet. (Reis mit rohem Fisch dazu zum Selberwickeln in Algenblaetter) Ich hatte Bouletten mitgebracht und Stefano & Tina feinsten Wein aus (natürlich) Italien. Im Laufe des Tages haben dann Shiro, Koguchi, Stefano, Lee und Tateno drei "one shot" getrunken: ein Schnapsglas Sake (typ. 14 %) auf Ex. Speziell der arme Lee war danach ziemlich fertig (Koreaner gelten bei Japanern als besonders trinkfest, so wurde er dazu geradezu genötigt, der Arme).

19.11. Buddah ist groß?

Seit gestern gibt es hier immer gegen 18:30 eine Art Muezzin, nur das der scheinbar traditionelle japanische Meditationsgesänge abspielt, zusammen mit einem Trommelschlag nach jedem Satz. Klingt wie ein Muezzin auf Schallplatte mit nur 16 Umdrehungen pro Minute, wenn ihr euch das vorstellen könnt. Im Gegensatz zum Muezzin in Marokko dauerte der Spuk aber nicht länger als fünf Minuten.

Da Sonntag schönes Wetter war, habe ich auch eine Radtour gemacht. Es gibt hier wirklich schöne Ecken, ziemlich anders als das übliche Japan, was Touristen eben kennen lernen. Zum Beispiel ein kleines Flusstal (so zehn Meter tief) mit nichts als Reisfeldern und Wäldern am Rand. Und da der japanische Herbst von September bis Ende Dezember dauert (zur Zeit sind gerade die Ginkobäume mit Gelbfärbung dran), gibt es immer neues Varienten zum Thema Herbstwald. Sehr hübsch machen sich auch die orangenen Kaki-Früchte auf kahlen Bäumen vor grünen Nadelbäumen. Naja, mal sehen, wie die Bilder meiner Einwegkamera werden. (Kakis gibt es in Deutschland aus Israel, sie heißen Ben-Gurions oder so ähnlich.)

Eine weitere Merkwürdkeit ist mir heute aufgefallen: Lichtschalter zeigen fast dasselbe Verhalten wie japanische Touristen: Sie treten hier mindestens zu zweit auf. Außerdem sind sie bevorzugt außerhalb des Zimmers montiert.

21.11. Leistungskurs by prissi

Heute habe ich eine Vorlesung zusammen mit Shiro an der Tokyoter Universität gehalten.

Hingefahren sind wir mit der JR (Japan Rail) und in Tokyo ging es dann mit der U-Bahn weiter. Die war aber nicht sehr voll, eher so wie in Berlin um 9h30 auch. Die Szenen mit den nachdrückenden Bahnbeamten spielen sich nur von 8-8h30 an zwei Umsteigebahnhöfen ab. Da es aber jedes Jahr reichlich Todesfälle gibt von Leuten, die auf die abfahrende U-Bahnen aufspringen, hat man nun auch die Bahnsteige mit Türen ausgerüstet. Diese öffnen sich erst, wenn der Zug steht und schließen sich vor der Abfahrt. Das ist in Japan kein Problem, weil sich überall auf den Bahnsteigen eh Markierungen befinden, wo exakt die Tür sein wird. So kann man sich schon vorher anstellen, sollte es denn nötig sein.

Im Bahnhof an der Uni gab es eine "fureaide corner" (etwa Begegnungsecke): Dort stand ein Tisch, zwei Stühle und ein Bücherbord - ganz wie ein gewöhnliches Wohnzimmer und genauso sauber und gepflegt wie mein Zimmer zur Zeit (nicht ironisch), aber mit deutlich mehr Möbeln eben. Shiro meinte, das wäre so eine Art Treffpunkt, wo man ins Gespräch kommen kann. Allerdings war diese 3*3 m2 große Nische noch vor der Sperre, das heißt nur erreichbar für Leute mit Fahrschein.

Dann waren wir also in der Uni. Undergraduates (ca. Abiturniveau) sollten was über Oberflächenpysik lernen. Dazu bekommen sie aber alle 2 Wochen einen neuen Dozenten, so dass sie scheinbar das "Elektron-Counting Modell" vor den Millerindizes beigebracht bekommen. Und ich sollte was über RAS erzählen. Und natürlich beherrschten sie kaum Englisch. Ach ja, in der Klasse war 60 Schüler; es war wirklich wie Schule. Hätte ich das gewußt, hätte ich noch VIEL einfacher angefangen. Trotzdem war Shiro ganz zufrieden: "Not everyone slept. Some were listen quite intensively, even asking some questions to me." Aber mehr als zehn schliefen tief und fest; die Hälfte schlief allerdings auch schon vorher. Noch dazu kam von meinem Englisch fast nichts rüber, da hier viele wissenschaftliche Fremdwörter aus dem Chinesischen stammen und damit mit dem Englischen nichts zu tun haben.

Aber wie ich erfahren habe, reicht für ein Diplom hier die Anwesenheit aus, denn nur die wird notiert. Die Prüfungsfragen sind seit fast 30 Jahren im Wortlaut(!) die selben! Kein Wunder, dass so viele schlafen.

Essen waren wir zusammen mit Mano (Doktorant von Shiro) und dem ihn betreuenden Professor in einer (Professoren-?)Mensa. Aber was für einer: Kaum setzt man sich, werden weiße Tellerunterleger (die rechteckigen Dinger eben, auf die man unter Teller und Besteck packt). Dazu gab es dann Besteck und alsgleich wurde der erste Gang, die Suppe, aufgetragen. Dann gab es noch eine Art Wiener Hähnchenschnitzel mit Nudeln als Beilage und Reis (obligatorisch; vermutlich kommt selbst Pizza mit Reis. Die Lasange letzte Woche war jedenfalls ebenfalls mit Reis. Der ist hier übrigens ziemlich teuer, 2 kg ca. 18 DM!) Danach noch ein Espresso. Ziemlich nobel, fand ich, sehr westlich natürlich auch, aber billig.

Der Prof, Shiro und Mano sprechen alle sehr gut Englisch, so haben wir uns gut unterhalten. Der Prof war ein lustiger Typ, vielleicht der humorvollste Japaner bis jetzt. Ich glaube, er gibt bestimmt gute Vorlesungen. Jedenfalls besser als mein erster Versuch.

Danach sind Mano und ich nach Akihabara gefahren, ein Stadtteil von Tokyo, wo es alle möglichen Elektroartikel gibt, um Fischer-Stecker aufzutreiben. So wie dort stellt sich ein Ausländer vermutlich japanische Großstädte vor, Neonreklamen und Lärm und Gewusel ohne Ende. Aber unsere Stecker gab es dort trotzdem nicht, also bin ich mit dem Expressbus wieder zurück nach Tsukuba. Immerhin mit einer Heizdecke zum Unterlegen unter den Futon bewaffnet.

Da wir gerade beim Einkaufen sind. Elektronik und Anziehsachen sind hier wohl das einzige, was noch billiger als in Deutschland ist. (Japan ist halt näher dran an Malaysia, Indien oder wo die Klamotten sonst herkommen.) Aber auch in dem besten und preiswertesten Kaufhaus kann ich mich nicht viel länger als eine halbe Stunde aushalten: Dort laufen an mindestens drei Stellen Zeit versetzt elektronische Jingle-Bells Melodien in Endlosschleifen. Elektronische Kriegsführung. Wobei, noch unsäglicher fand ich zwei weibliche lebensgroße elektrische Weihanchtsfrauschaufensterpuppen, die geswingt haben. Urgl!

Morgen ist hier übrigens Feiertag. Und der jährliche Test der Elektrik-Isolierungen steht an, es müssen alle Geräte von der Wand abgesteckt werden. Auch Vakuumpumpen und anderes delikates Equipment. Da wünsche ich mir doch glatt den fünfjährigen Test der Geräte an der TU zurück.

Folgendes schrieb mir meine Tante Gudrun aus Helsinki zum Vergleich Finnland-Japan, welches ich euch nicht vorenthalten wollte:

> Unsere Ikebanalehrerin meint und das hab ich auch von hiesigen
> Olympiasportlern gehört, dass die beiden Länder sehr vieles gemeinsam
> haben. Liebe zu Natur, Einfachheit, klare klassische Linien und natürlich
> Sibeliusmusik, die man angeblich in Japan überall hören kann.

Sibeliusmusik, muss ich zugeben, kenne ich kaum. Aber die Japaner kennen und schätzen wirklich jede Art von Musik. Ich glaube, ich habe auch noch nie eine 45 Jahre alte Schallplatte gehört; aber auf der "Party" letzten Sonntag, da wurde ein uralter italienischer Schlager "volare" abgespielt. Und dann sollte der Italien zu Neapolitanischen Gesängen mitsingen, und sofort hat auch der Student Mano mitgesungen. Wow. Und natürlich erkennt ein Japaner praktisch jedes Musikstück nach maximal 3 Takten ...

Liebe zur Natur ist bei Japanern etwas seltsam ausgeprägt. Die geht durchaus dahin, aus Liebe zur Natur sie "Naturgetreu" in Plastik zu gießen. Sehr häufig sieht man hier zum Beispiel Absperrungen, die wie Holz aussehen, aber gemaserter Beton sind. Dass würden Finnen wohl nie tun.

> Japaner lieben Lappland, d.h. sie kommen her, um Nordlicht zu sehen,
> denn in jenen Nächten werden mit Sicherheit männliche Nachkommen
> gezeugt! Ich hab herrliche Situationen erlebt: Japaner bei -30 Grad im
> Hotelhof zusammengekauert in den Himmel starrend ... man hat nun einen
> neuen Studentenjob erfunden: sie wachen, um gegebenfalls Japaner zu
> wecken, damit sie diese so sichere Möglichkeit der Empfängnis nicht zu
> versäumen brauchen. Man kann sich jetzt dazu in Glashäuschen legen,
> leider ungeheizt, denn sonst beschlagen die Glasdächer ...
> Wir haben auch erlebt, dass Japaner mit Begeisterung aufsteigenden Rauch
> fotografieren, den sie für Nordlicht halten ...

Ah, ich kann mir das lebhaft vorstellen. Ein schönes Nordlicht, das würde ich auch mal gerne sehen, Erdbeben hatte ich jetzt genug ...

24.11. Beswingt durch den Tag

Ich hatte es noch nicht erwähnt, aber es gibt hier ein doch recht häufig genutztes Lautsprechersystem, welches bevorzugt während Vorträgen aktiviert wird, für "Der Halter des roten Mizubishi ... " bis "Heute ist Mittwoch. Wir möchten alle erinnern, dass die Regierung empfiehlt, Mittwochs nur bis fünf Uhr zu arbeiten. Es ist jetzt fünf.". (Letzteres musste ich mir übersetzen lassen, roter Mitsubishi war auch so verständlich. Und natürlich für den Beginn um 12h und Ende um 1h der Mittagspause, dann mit Big Ben voraus (Wir gehen aber meist früher, damit wir noch etwas Auswahl haben). Naja, heute Morgen kam wieder eine mir unverständliche Ansage und danach rieselte leise Musik aus dem Lautsprechern. Nach einer halben Stunde kam dann jemand und hielt ein Mikrofon an einer langen Stange davor. Scheinbar stellten sie die Lautstärke auf diese Weise ein.

Heute scheint eh der Tag der Geräusche zu werden. Jetzt ist es kurz nach 19h und auf einmal heulen diverse Sirenen auf. Erbebenalarm oder Fehlzündung eines Triebwerk eines Satelliten in gegenüberliegendem NASDA-Gebäude oder ein Feuer; schießen mir durch den Kopf. Aber außer dass ziemlich viele Wagen mit Sirenen durch die Straßen fahren, ist nichts zu erkennen. Allerdings kann bei 43 Forschungsinstituten auch mal was so richtig schief gehen ...

Wenn mal keine Sirene zu hören ist, dann heult der Hund den Neumond hinter den Wolken an. Immerhin passt das zu Tsukuba gut: So ländlich, dass des Nachts noch Wölfe heulen (auch wenn die Hunde hier mehr wie Füchse aussehen, so dackellang etwa [und die Größe eines Hundes ist ja bekanntlich entgegengesezt zum möglich Lärm des Tieres]).

Da wir gerade bei Tieren sind: Überall in Japan, sei es in einer Gebrauchsanweisung, einer Stromrechnung oder auf einem Warnschild: Überall sind niedliche Tierchen, wie zum Beispiel auf einem "Angel verboten" Schild. Dort springt ein Fisch aus dem Wasser und macht dem angelndem Jungen an Land ein "Stopp"-Zeichen mit der Hand. Ich habe es natürlich fotografiert. Ist kein Tier zu sehen, dann ist zumindest ein kleines Männlein dort, welches die zu tuende oder zu unterlassende Handlung mehr als deutlich darstellt (und sei es ein elektischer Schlag). Für den "Gaijin" d.h. Ausländer natürlich sehr praktisch. Die Japaner brauchen das selbst übrigens nicht, die Analphabetenquote ist kleiner als in den meisten Industrieländern, trotz der chinesischen Schriftzeichen!

25.11. Faulenzen

Ich stelle gerade fest, dass ich neben einem wunderschönen Park wohne. Dort gibt es einen See, so dass das Auge mal ein Bisschen "Weite" spürt und natürlich gibt es in dem Park auch viel "exotische" Bäume. Höhepunkt ist zur Zeit sicherlich die leuchtend gelbe Ginko-Allee, denn es ist die Woche der hell-gelben Ginkos. Leider dauert das Spektakel genau eine Woche, dann sind sie kahl (überall, nicht nur im Park). Dafür hat der japanische Rotahorn fast drei Monate lang wirklich dunkelrot bis tief-violette Blätter.

Sowieso mal wieder kurz etwas zum Wetter: Wir haben jetzt typisches Winterwetter. Es ist hier Mittags fast immer wolkenlos und 15-17 Grad, nur morgens kann es sehr frisch sein, mit Rauhreif. Die Luft ist aber immer wärmer als 5 Grad. Und seit der Elektroheizkörper von mir mit einer Schaltuhr ergänzt wurde, ist das abendliche Eintreffen deutlich angenehmer geworden.

Um übriges dem Image der Japaner als Ökoschweine etwas entgegenzuwirken: Die Japaner sind durchaus aktive Energiesparer. Waschmaschinen hängen hierzulande zum Beispiel an einem Gasboiler (für das heiße Waschwasser), es gibt eigentlich nur Gasherde und eine normale Glühlampe ist fast nicht aufzutreiben. Dazu kommt, das japanische Elektrogeräte meist deutlich kleiner ausfallen, als ihre europäischen (oder gar amerikanischen) Gegenstücke. Und auch das Heizen mit einer rückwärts laufenden Klimaanlage ist nicht nur laut, sondern energetisch durchaus vernünftig, sowas nennt sich auf deutsch halt Wärmepumpe. Nur eben diese Holzbauweise muss noch in Sachen Isolierung überarbeitetet werden. Dass die Japaner sich auf dem Gipfel in Den Haag so sehr für die Einbeziehung von Wäldern in die CO2 Reduzierung eingesetzt haben, hat einen ganz anderen Grund. Ohne dies werden sie ihr Ziel nie erreichen (die Deutschen übrigens mit ziemlicher Sicherheit auch nicht.) Was für uns jedoch ziemlicher Ansporn ist, ist für Japaner ein Problem: Kurz vor dem Ziel scheitern heißt das Gesicht zu verlieren, so ziemlich das Schlimmste, was einem Japaner passieren könnte. Dann besser nicht anfangen.

26.11. Marathon

Heute ist wieder einer dieser hier so häufigen wolkenlosen Sonnentage, die einen eher an Frühling denn an Herbst denken lassen. Die Sonne lacht im azurblau, die Vögel zwitschert laut, Libellen und Schmetterlinge flattern vorbei. Natürlich habe ich mich bei diesem Wetter aufs Rad geschwungen, um durch bunte Laubbäume, blühende Hecken und solche mit roten Blättern und Blumengärtern (und den nicht erwähnten Hässlichkeiten dazwischen) die Gegend weiter zu erkunden. Zuerst zum Dai-Ichi (=Nr.1) Hotel, dem ersten Haus am Platze. Dort gibt es nämlich die "Japan Times - All the news without fear or favor", wenn sie nicht schon aus ist. Wenn es sie gibt, ist sie dafür umsonst?!

Immerhin kann man ein paar recht interessante Dinge erfahren, die den meisten von euch entgangen sein dürften: Zum Beispiel hat der Vatikan eine neue Exorzistenverordnung erlassen. Diese ersetzt die alte von 1614 ... Yeah, ich meine Amen. Übrigens, die Kurilen heißen hier "Islands near Hokkaido", da Japan sie für sein Territorium hält. Und der japanische Ministerpräsident ist ungefähr so beliebt wie Windpocken. Seiner Popularität hilft auch kaum, dass er selbst Spickzettel (z.B. mit seinen politischen Zielen) nicht fehlerfrei ablesen kann!

Außerdem machen sich die Japaner über eine Müllpolizei in drei Käffern in Deutschland lustig (Inspektion von gelben Tonnen). Dabei ist die Entsorgung hier auch nicht soo einfach: Mo & Fr alles Brennbare (Immerhin, die Japaner stehen dazu: Alles außer PET {s.u.} & PVC wird verbrannt.), Mi alles was nicht brennt, den 2. und 4. Di im Monat Altpapier und Altkleider, den 1. und 3. Sperrmüll, den 1. und 3. Do im Monat Dosen, den 2. Do Glasflaschen und endlich den 4. Do PET-Flaschen. Gibt es einen 5. Donnerstag, dann haben die Müllmänner frei. Alles klar? Zum Glück gibt's 'nen Kalender. Da man den Müll aber eh nur zu einem Sammelplatz bringt, macht es nicht so viel aus, wenn man sich irrt, außer im Sommer ... Bleibt der Müll halt ein paar Tage dort liegen.

Doch bei den Wetter kein Wort mehr vom Müll. Ich bin vom Hotel weiter nach Norden geradelt, Richtung Berg. Tsukuba hat ein wirklich hervorragendes Netz an Radwegen, die meist sogar die großen Straßen (alle fünf) und ein paar kleinere mit Brücken überqueren. Nur die Natur ruiniert das Pflaster hier zu schnell.

Außerhalb gibt es unzählige Sträßchen, alle glatt geteert, und auf vielen fährt wohl kaum mehr als ein Auto pro Tag. Dazu flach. Ideal. Es ist halt sehr ländlich hier, was sich auch darin zeigt, dass fast jedes Haus einen Hund oder eine Katze hat.

An einer Kreuzung zu einer größeren Straße stand dann ein Polizist und ein paar Leute mit bunten Fähnchen. Des Rätsels Lösung ließ nur eine halbe Minute auf sich warten, dann kam der Führungswagen und ein einzelner Marathonike. Eine Minute später kam dann das restlich Feld. Da ich nun natürlich nicht mehr über die Straße konnte, bin ich eben dem Start entgegen geradelt. Es waren mindestens 10000 Läufer. Als ich sehr gemütlich endlich am Start war, so sechs Kilometer weiter, da starteten gerade die Letzten. Es ist DAS Ereignis im Herbst hier, was ja auch einiges über die Stadt sagt.

Leider wusste ich nicht, wo das Ziel war, also bin ich zum Zentrum (sentaa) geradelt. Dort war leider nichts zu sehen. Aber es gibt dort im Kaufhaus die Bäckerei "lenôtre", wo ich mir - genau wie in der Schweiz - noch ein "Pain aux Chocolat" und ein Apfelplunder als Wegzehrung gekauft habe. Mit zusammen ca. 7,- DM waren sie gar nicht so viel teurer als die 5,- SFr in Lausanne ...

Übrigens verbringen japanische Kinder auch häufig den Sonntag in der Schule (Samstag ist eh Unterricht), mit AGs, auf dem Schulhof oder einfach nur so. Früh wird hier die japanishe Arbeitsethik trainiert. Kein Wunder, dass sie später dann höchsten den halben Urlaub nehmen und am Wochenende arbeiten. Deshalb hat hier jeder Laden offen, nur Banken haben hier definitiv am Wochenende zu. Ihren Urlaub brauchen auch Bankangestellte und Elektrizitätswerker mit 80% auf meisten auf, am wenigsten (nur 20%) Ladeninhaber und -mitarbeiter.

Nebenbei, ich habe noch nicht herausfinden können, ob hier rechts vor links oder umgekehrt gilt; ist aber auch nicht nötig, denn am jeder Ecke steht meist ein Schild oder "tomore" (stoppen!) ist auf die Straße gepinselt, oder es gibt zumindest einen weißen Strich (wer den hat verliert ...) Oder die Straße gehört zu jenen, auf denen ein Auto pro Tag fährt.

Eben sah ich eine Hightech-Vogelscheuche: eine CD, die schwingend an zwei Fäden über dem Beet aufgehangen war. Das Glitzern scheint die Vögel tatsächlich zu vertreiben.

Die Flusstäler, halt zehn Meter als der Rest, sind wirklich sehr hübsch. Man braucht auch nicht so unbedigt eine Karte, nur für die Siedlungen, aber da reicht selbst 1:10000 nicht aus. Verfahren in den Siedlungen habe ich mich öfters, aber zum Glück hatte ich ja nie ein Ziel. Ein bestimmtes Haus zu finden, muss aber ein Albtraum sein: Es gibt keine Straßennamen, nur Bezirke.

Ein Beispiel: Ich wohne noch in:

2-11-8-202

oder in lateinischen Buchstaben:

Sengen 2-11-8-202, Tsukuba-Shi
Ibaraki 305-0047

Ibaraki ist die Präfektur, in etwa einem Bundesland vergleichbar. 305 ist die Postleitzahl von Tsukuba (Shi heißt Stand/Gemeinde) und Umgebung. 0047 die von Sengen. Das war der einfachere Teil der Übung.

Sengen wiederum ist ein Teil von Tsukuba (der Gemeinde, es gibt hier auch noch eine Stadt). Sozusagen Dorf Sengen. Naja, Sengen wiederum ist in zwei Teile unterteilt. Diese wiederum sind in Carrees, amerikanisch wohl "Block", japanisch "Chome" genannt, unterteilt. So ein Carree (Straßenviereck) ist typisch 100*50m2 groß. Mein Chome ist also 11. Jetzt kommt die Hausnummer, die nach Baujahr vergeben wird. Mein Haus war also das Achte, das in diesem 11. Chome gebaut wurde. 202, gelesen zwei-null-zwei ist die Nummer meines Apartments, also zweiter Stock, zweites von links. Sengen 2-11 kann man zur Not noch auf einer Karte finden, aber die Hausnummer muss man einfach suchen (oft steht nur der Hausname dran).

Hier ist mal eine schlechte Karte so 8*8 km2, mein Institut ist die mittlere (untere) rote Fläche. Meine Wohnung ist von dem Institut nach Südwesten, genau da, wo das Grüne die Ost-West verlaufenden Straße schneidet (der gekreuzte Kreis).


Und rechts eine Karte der Präfektur Ibaraki und Umgebung einschließlich Tokyo. Wenn ihr noch gröber haben wollt, dann nehmt einen Atlas aus dem Schrank und orientiert euch an dem See (der ist der zweitgrößte in Japan).

Nochmal was zu Computer, japanischem Windows und Umlauten:

Eingabe von Umlauten hier geht nur per ALT+0228 (für ä) oder eben auf dem Palm. Da ich meine Berichte meist vor Ort schreibe (also auf dem Palm) habe ich dort nicht so viel Probleme. Auf japanischen Systemen gibt es zwei Probleme. Zuerst, es gibt zweimal ASCII-Zeichen, weswegen E-Mail-Attachments vom japanischem System in unleserliche Zeichenkombinationen ausarten. Und dann bedeutet im normalen ASCII ein Zeichen mit dem Wert größer 127 und kleiner 160, dass dies nun ein zusammengesetztes japanisches (oder kyrillisches) Schriftzeichen ist (der nächste Buchstabe gehört auch dazu). Warum die Japaner zwar kyrillische Buchstaben in ihren Zeichensatz aufgenommen haben, aber keine Akzentzeichen wird mir ewig ein Rätsel bleiben (wie hier so manches andere auch ... )

> betreib doch mal Fernsehfeldforschung (von Hendrik)

Was die Fernsehshows angeht, so kann ich Dir nur etwas aus der ersten Woche berichten. Da war in nämlich in einem Gästehaus mit "telebi" untergebracht. Meine jetzige Wohnung ist bar desgleichen, da ich mein erstes richtiges Gehalt erst am 17.12. bekommen werde. Da bin ich aber fast wieder in Berlin, also eigener Fernseher wird wohl nichts mehr vor Januar.

Allerdings, sehr anders ist es schon (das Programm). Die Japaner lieben schreiende Begrüßungen (wörtlich und übertragen). Und wie gesagt, da gibt es dann Sendungen für unterbeschäftigte Hausfrauen zum Basteln von allerlei Kitsch. Und auch die Kleinsten werden von den Zeichentrickserien ziemlich deutlich vorgeprägt, dort wird genau das vorgelebt, was später auch gefordert wird, Anpassung, Mut, Gruppengeist. Hey, der DDR & Co haben halt nur das Geld (und die Idee) dafür gefehlt. Oder sie waren zu ernsthaft ...

Ach, Mangas (japanische Comics). Die sind hier wirklich extrem populär, werden sogar bei Rad fahren gelesen! Die Manga-Abteilung eines Buchladens ist meist der halbe Laden selbst. Gleiches gilt für Manga-Video (bzw. DVD) Abteilung, was ich allerding auch nur deshalb weiß, weil Japaner Einkaufen als eine ehrenswerte Freizeitbeschäftigung erachten (schauder) und deshalb der ehrenwerte Gast (meine Wenigkeit) gleich beim ersten Besuch im März durch ziemlich viele Läden geschleppt wurde. Und immer kam, wenn meine Begeisterung nachließ, sofort die Drohung, in Tokyo gäbe es noch viel mehr, viel größer ...

Fall man übrigens meint, die Deutschen würden zuviel jammern, so kann ich eine "Rezession" in Japan beim besten Willen nicht nachvollziehen. Eher scheint es mir, als würden die Japaner nach fast dreißig Jahren schwindelerregenden Wachstumsraten einfach nicht mit der Normalität der letzten zehn Jahre fertig zu werden. So gibt es hier eine Arbeitslosigkeit irgendwo unter 4%, der Spitzensteuersatz beträgt unter 20 Prozent und für einen Kredit zahle ich pro Jahr weniger als zwei(!) Prozent Zinsen! Allerdings gibt es hier auch kaum ein soziales Netz außerhalb der Familie.

Was dem Staat wirklich fehlt wäre ein charismatischer Führer, mit einer Regierung, deren Altersstruktur nicht mit der UdSSR unter Andropow wetteifert (12 Minister sind hier über 70, man sollte mal eine japanische Variante von dem Kremlspiel entwerfen!) Die Halbwertszeiten von Regierungen sind eher italienisch, was auch nicht gerade durch die Tatsache erleichtert wird, das die viele Regierungsmitglieder schon scheintot sind (Tatsächlich: Der letzte Ministerpräsident hatte im März einen Gehirnschlag und lag lange im Koma) und sich in wechselnden Positionen seit 45 Jahren an die Macht klammern. Naja, und der Staat ist jederzeit bereit, Probleme mit mehr Geld zu lösen (wenn es hilft), Geld was er nicht besitzt. (Oder die Probleme irgendwie anders loszuwerden, aber das ist erst zweite Option.) Allerdings hat Japan seine Schulden weitgehend bei sich selbst, d.h. bei dem japanischen Volk in Form von Schatzbriefen. Nun, solange der Staat mir noch mein Gehalt überweist ...

Eine engere Begegnung mit demselben hatte ich dann am

30.11. Tokyo (mal wieder)

Heute, noch auf dem Weg zum Institut, kam mir Stefano (Sanguetti, einer anderen Ausländischen Gäste hier, Assistenzprofessor in Italien) auf dem Rad entgegen. "Du brauchst doch auch ein Re-Entry Permit?", meinte er. Er müsse heute eh nach Tokyo und hätte sich mit ein paar anderen Leuten, die ebenfalls eines bräuchten, verabredet. Also schnell zurück zur Bude, den Pass holen und dann zu Stefanos Haus (hundert Meter). Natürlich waren sie nicht ganz pünktlich. Im Wagen waren noch zwei Italiener (der Fahrer und "Demolition Man" mit der kaputten Faust und der schwarzen Sonnenbrille ... ) und ein Argentiner. Und zum Ausgleich für die Verspätung wurde dann italienisch zum Bahnhof gefahren. Von dort ist es dann eine Stunde nach Tokyo und eine halbe durch die Stadt zum Hauptbahnhof.

Die Ausstellung der Permits war nur eine Sache von 5 Minuten (aber Demolition Man wusste auch genau, was man tun musste, besorgte Stempelmarken usw.). Das längste war die Wartezeit, aber das war auch nur eine halbe Stunde. Im Tokyo Foreign Registration Office lief - wie hier in Warteräumen üblich - Werbung oder ein Fernsehprogramm.

Da lief auch Werbung für den Industrieschmelzkäse, den ich gestern im Supermarkt erstanden hatte, ihr wisst schon, à la la vache qui rit, bloß halt vollständig japanische Produktion. Laut Aufdruck "gut zum Wein" ... schauder. Da fällt mir ein, auf der Party haben die Japaner tatsächlich solchen Käse zu dem 5 Jahre alten edlen Rotwein "gereicht". Zum Glück hat es Stefano nicht richtig wahrgenommen. Da wir gerade bei dem Käse sind, ein solches einzelnes stanniolverpacktes Käsesechstel heißt auf Japanisch "Kantan". Wie das Wort aus Deutschland (von Kanten) hierher gekommen ist wissen die Götter.

Dann waren wir noch in der Nähe am Bahnhof etwas essen. (Unser Fahrer musste noch sein Visum verlängern und hatte das Ausfüllen des Formulars nicht bis 12h00 geschafft. Dann wurden aber die Türen geschlossen - Mittagspause.) Hier gab es in dem Restaurant Rindfleisch hauchdünn, kurz angebraten mit Zwiebeln und Paprika auf Reis. Lecker, aber keine Ahnung, wie das hieß.

Zurück bin ich dann alleine wieder mit dem Highway-Bus. Die Autobahnen sollten hier statt Highways eher Skyways genannt werden, die Ausfallstraße von Tokyo geht direkt am Fluss in vielleicht 40 Meter Höhe (ca. 10. - 15. Stockwerk) entlang. Wenn man auf der linken Seite im Bus sitzt, dann kann man direkt die 40 Meter heruntersehen, denn einen Standstreifen gibt es nicht und die Leitplanke ist ein 5 cm dickes und 30 cm hohes Betonmäuerchen ... Nur, wenn drunten einen Straße durchführt, haben sie ein Fangnetz angebracht. Aber bei diesen wagemutigen Autobahnkonstruktionen ist der Fahrer hoffentlich schwindelfrei.

Ach ja, auf dem Nachhauseweg und in Tokyo habe ich dann zum ersten Mal doch Hausnummern entdeckt. Nur sind die scheinbar häufig Bestandteil des Türschildes und außerdem dunkelbrau (als hiesige seit 15 Jahren immer noch aktuelle Modefarbe neben hell-pink und hell-türkis [die Fatben meiner ID]). Jedenfalls ist die Farbgestaltung der Hausnummern nun, sagen wir mal, nicht Kontrast optimiert. Feuerwehr ohne GPS und Datenbank muss hier ein Alptraum sein. Kein Job für mich jedenfalls ...

Feuerwehr ist übrigens ein exzellentes Stichwort, denn es gab am

1.12. Takeshi's Castle "light"

Takeshi‘s Castle ist eine japanische Fernsehspielshow, wo man geschmacklosen japanischen Humor bewundern kann.

Heute gab es ein Ereignis, dass mir (und dem Koreaner, der auch mit mir im Raum sitzt) einen tiefen und lustigen Einblick in die japanische Mentalität verschafft. Es war Fire-Drill (Feueralarmprobe).

Das wurde gestern zweimal angekündigt (über das Lautsprechersystem im Institut, erst japanisch dann englisch) und heute kam auch noch mal Koguchi (der Direktor der Arbeitsgruppe) herein und kündigte das ganz für ungefähr 1:30 an. Naja, sie waren nur eine Minute zu spät. Dann heulten aus den Lautsprechern eine Sirene (wie in Amerika). Schon alleine des Lärms wegen machten wir uns sofort auf den Weg. Dazwischen kamen dann immer wieder Ansagen, wie etwas "Im 6. Stock ist ein Feuer ausgebrochen und verbreitet sich schnell. Danke für die Beachtung aller Sicherheitsvorschriften" und so ...

Hektisch rannten die Leute hin und her, alle (außer vielleicht einer Sekretärin) mit NRIM-(Bauerarbeiter)Helm und offiziellen khakifarbenen NRIM-Overall. Alternativ auch mit silberner Feuerschutzkleidung und Gummistiefeln. (Wahrscheinlich besitze ich sowas auch, weiß bloß nichts davon.) [Wie wir erst nach ein paar Tagen festgestellten, wurden extra für die Feuerschutzübung in einer Ecke vier NRIM-Helme für uns deponiert.] Überall standen dann nach einiger Zeit Leute mit den obligatorischen roten Leuchtstäbchen, die uns den Weg wiesen.

Dann hatten sich endlich alle vor dem "Material Evaluation Building" versammelt, und eine recht wichtige Persönlichkeit hielt erst mal eine Rede. Dann wurde auf einer Bahre ein "Opfer" herangetragen und recht lange verarztet.

Nun wurde der Chef der lokalen Feuerwache vorgestellt, der auch 15 Minuten (oder noch länger) erzählte, wie man einen Feuerlöscher zu bedienen hat. Dann endlich wurde ein Übungfeuer in eine Blechnapf entzündet und Freiwillige(?) sollten nacheinander ihrer Kunst des Löschen unter Beweis stellen. Und das ging folgendermaßen:

Man nehme den Feuerlöscher, schreie laut (keine Ahnung was, vielleicht Kaki! = Feuer!), nimmt Anlauf und sprüht dann das Pulver halb in der Gegend herum, weil man nicht vorne am Schlauch angefasst hat (also alles schon vergessen?). Das Benzin in der Blechschale geht natürlich trotzdem aus. Wenn sich die rosa Pulverwolke verzogen hat, das Feuer aus ist, dreht sich der Kandidat stolz um und verbeugt sich, während andere höflich applaudieren. Arrg! Wir mussten uns heftig zusammenreißen, um nicht brüllend loszulachen (der Koreaner und ich).

Nach dem dritten Löschen musste das Feuerwehrauto (knallrot und jede Menge Messing) zu einem echten Einsatz ... Und nach dem der achte Löscher nach exakt der gleichen Methode wie (schreien, Anlauf, löschen, verbeugen, Beifall) geleert wurde, kam als nächstes - richtig - wieder eine lange Rede.

So gegen halb vier, wir waren schon seit einer Stunde wieder im Gebäude, kam dann nochmal eine Durchsage. "Die Feuerschutzübung zusammen mit der Feuerwache von ... war ein voller Erfolg. Wir danken für ihre Mitarbeit."

In diesem Sinne:
Danke, dass ich euch mit diesem Text belästigen darf.

2.12. Tag der Musik

Weihnachten ist hier vermutlich noch kommerzieller als in Amerika, da ja viele Leute gar nicht wissen, warum überhaupt Weihnachten stattfindet. Und so gibt es immer wieder grausame Entgleisungen, wie in Akihabara zwei 2m hohe swingende (mechanische) Weihnachtsfrauen. Brr!

Eine deshalb gute Nachricht (für mich): Sie haben in den (allen? Scheint so, obwohl es doch verschiedene Ketten sind) Kaufhäusern von "Jingle Bells" auf "I wish you a merry christmas" umgestellt. Hoffentlich spielen die das nicht auch wieder zwei Wochen ... Aber zur Erholung der Ohren war heute am "senta" eine geniale a capella Gruppe. Und die war wirklich gut! Vielleicht 15 bis 20 sangen sie alles Mögliche. Zu fünft brachten sie einen Disco-Song mit Percussion (d.h. schnipsen u.ä.) unglaublich. Aber auch ein fünfstimmiger Satz war sehr gut. Ja, singen können sie, die Japaner. (Ein Grund mehr, bei meiner Stimme Karaoke zu meiden.) Gerade gibt es Stille Nacht auf japanisch - leider an die verhunzte amerikanische Version angelehnt. Textlich kommen zumindest ein paar Schlagwörter des Originals vor ... Aber 90% der Japanern wird der Sinn vermutlich entgehen, schließlich sind sie auch nie mit dem Christentum in Berührung gekommen. Nachdem die gesummte Strophen eher altjapanisch klang, kommt jetzt japanisch und englisch bei 16 Umdrehungen durcheinander. Ich sage nur Polnischer Reggae ... (wenn die wüssten, dass das Lied "Stille Nacht" vom Jodeln kommt).

Gerade kommt die nächste Gruppe auf die Bühne, diesmal sind sie vielleicht 14 Jahre oder so. Scheint eine ganze Schule zu sein, den auf den Treppenstufen sitzen Gleichaltrige und füllen eifrig Zettel aus. Es ist übrigens kälter geworden, nur noch 10 Grad am Mittag und morgens nur noch ein einziges. Ich habe einen sehr aufschlussreichen Guide zu Tsukuba bekommen, der schreibt dazu: "Selbst wenn sie schon -30°C erlebt haben, bereiten sie sich auf den Winter nach Tsukuba-Art vor! [...] Speziell das Aufwachen am Morgen wird sie an Camping erinnern. [...] Aufzuwachen bei 3-5°C am Morgen ist nichts Ungewöhnliches." Dr. Pristovsek sagt dazu: Stimmt! Es ist wirklich wie eine Winterfahrt. Auch ein Futon ist relativ hart (nur etwa 3cm dick), und fast wünschte ich mir, ich könnte hier drinnen ein Lagerfeuer machen; eine praktikablere Alternative wäre ein Ölofen, der hier hauptsächlich Strahlungswärme produziert. Sozusagen ein technisches Lagerfeuer.

Auf der Radtour am Sakurafluss (=Kirschblüte) muss ich meine Meinung zur thermischen Verwertung des Abfalls revidieren. Hust! Der Müll wird hier nämlich im Anlagen verbrannt, die etwa die Größe eines Einfamilienhauses und den technischen Standard eines aufgesägten Ölfasses haben. Dabei würde sich bei dem Plastik- und Papieranteil im Müll ein größeres Müllkraftwerk anbieten, so könnte man auch effektiv filtern. So wie hier führt es aber wohl nur zur höchsten Dioxinbelastung aller Industrieländer, wie ich hörte.

Und auch wenn Japan die höchste Quote an Recyclingpaper (65%) hat, so täte den Japanern, bei aller Liebe zu ingeniöser Verpackung, doch ein Grüner Punkt gut. Ein Beispiel: Magarine kauft man hierzulande in einer Pappschachtel, in der sich die in Plastik eingeschweißte Plastikdose mit der Magarine befindet. Bevor man jedoch an den Inhalt gelangt, muss man noch die Plastikschutzfolie abziehen. Die Verpackung dürfte der Brennwert der 125g Magarine bei weitem überschreiten.

3.12. Doho-Pool: Changing of the Guard

Heute war ich schwimmen, in dem Schwimmbad im Park nebenan. Das Schwimmbad ist noch ein kleines Bisschen näher als und mein altes in Lankwitz und die Wassertemperaturen sind die selben (29°C). Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch auf. Zum einen ist in den Duschen die Benutzung von Seife und Shampoo verboten(!), man braucht eine Badekappe und das Wasser im 50 m Becken ist nur 1,30 m tief. Aber das beste war der Bademeisterwechsel:

Als ich fünf vor vier mich in die Fluten, nun, begeben wollte, da kam eine unverständliche Durchsage und Trillerpfeifen ertönen. Da alle anderen das Wasser verließen, tat ich das auch, setzte mich an den Beckenrand und wartete. Die drei Bademeister(innen) verließen ihre Tennisschiedsrichterstühle und verschwanden. Brav warteten alle Japaner außerhalb - erstaunlich. Vermutlich liegt das daran, dass sie es explizit gesagt bekamen, denn ansonsten betrachten Japaner einen Zaun nur als freundliche Erinnerung, das jetzt der Eigentümer wechselt und das Schild, das wegen Tulpenzwiebeln das Betreten eines Rasenbeetes verhindern soll, ist nach allgemeiner Auffassung wohl nur mäßig hübsche Kalligrafie. Aber hier, wie gesagt, warteten alle brav auf Bänken am Rand.

Punkt vier erschienen die Bademeisterinnen wieder, aber erst nach einer Durchsage begeben sich die Leute wieder in Becken. Da das Schwimmbad um zehn vor fünf schließt (und ich in dem warmen Wasser auch nicht mehr als 1600m geschafft habe) kann ich euch leider nicht berichten, ob sich das hier stündlich abspielt. (Tut es wohl. Lee, der Koreaner hat berichtet, dass das in Korea genauso ist. Die tun in diesen fünf Minuten dann was ins Wasser; Chlor war es jedenfalls nicht. Für so eine veraltete Wasseraufbereitungsanlage spricht auch die Badekappenpficht.)

4.12. Alles Käse oder was?

Zum Abendessen habe ich mir mal wieder was Edleres geleistet. "Blue in Brie" der Firma Edelweiss - ein Blauschimmelcamembert. Nach deutschem Rezept (verm.; das Kanji ist jedenfalls Bestandteil der Worte: Herkunft, Gynäkologe und Eier legen ... ). Die deutschen Nationalfarben waren auch drauf. Das ganze wird aber produziert von Tokyo Dairies. Und es muss ein japanisches Produkt sein, denn ein Deutscher denkt bei Edelweiß an die Schweiz. Aber in Japan ist Edelweiß fest mit Deutschland verbunden, das Wort ist auch gut bekannt. Die Geschichte dazu ist einfach: In Tokyo gab es eine Studentenkneipe, "Edelweiss" eben. Dort trafen sich wohl die Anführer der hiesigen 68er Bewegung. Die Bewegung hat von dem Edelweiss ihren (Spitz-)Namen bekommen. Und da Berlin neben Paris einer der Brennpunkte war, ist eben Edelweiss mit Deutschland verbunden. Das Cafe wurde übrigens nach einem hier unheimlich populären deutschen Heimatfilm benannt ...

In der Zeitung gibt es übrigens eine Rubrik namens "Ms. Manner", als deutsch etwas "Fragen an Herrn Knigge". Dort werden dann so weltbewegende Sachen diskutiert wie: "Als ich bei meinen Großeltern war, gab es morgens zum Müsli saure Milch. Ich habe es trotzdem gegessen. Wäre es sehr unhöflich gewesen, sie darauf hinzuweisen?" Die Antwort darauf will ich euch nicht vorenthalten: "Selbstverständlich nicht, wenn sie etwa sagen würden, 'Die Milch ist wohl sauer. Soll ich neue holen gehen?'" (Etwas verkürzt.) ...

Heute nacht gab es übrigens ein mächtig gewaltiges Erdbeben. Das ganze Haus hüpfte mehrere Zentimeter hinundher, als würde mein Futon auf der Pritsche eines LKWs mit 80 zwischen Biesenthal und Ruhlsdorf die Straße entlangreiten. Aber so stark, dass man nicht mehr stehen kann, war es noch nicht. Shiro allerdings hat abgewunken: Er hat nichts gespürt und es sei auch nichts aus dem Regal gefallen. Wow, ich bin ja mal auch ein richtiges Erdbeben gespannt. (Ein deutsches Haus hätte das Beben aber wohl kaum überstanden.)

Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass es im Institut Waschmaschinen und Duschen gibt? Ja, auch ein Friseur ist vorhanden, ebenso wie die Nachtarbeiterbetten und größere Sporthallen mit Tischtennis, Tennis und einer (sehr kleinen) Driving Range (Golf also). Restaurant natürlich auch. Ok, jetzt habe ich es jedenfalls.

5.12. Tag der deutschen Küche

Es gibt im "senta" ein deutsches Restaurant namens Elbe. Obwohl ich mich lange und heftig gewehrt habe, dorthin zu gehen, hat Shiro mich überrumpelt und vor mehr oder weniger vollendete Tatsachen gestellt. Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass es das einzige deutsche Lokal ist, das er je gesehen hatte, und dass er noch nie deutsche Küche probiert hatte. Nun denn ...

Die Inneneinrichtung des Lokals "Elbe" spräche aber mehr für "Donau": schwarzes Holz, Maßkrüge und auch der Spruch an der Decke in Schnörkelschift: "Alter Wein und junges Weib sind der schönste Zeitvertreib". Und so sollte ich dann das Katakana auf der Speisekarte nach "Was ist das" übersetzen. Schließlich haben wir uns auf iegashinitsuelu (= Jägerschnitzel, hätten sie's gewusst?) geeinigt. Abgesehen von den Schitake-Pilzen war das Schnitzel ziemlich authentisch. Nur mit den Bratkartoffeln hatte der oder die Köchin dasselbe Problem wie meine Wenigkeit: Geschält zerfallen die Dinger schon nach zehn Minuten; schälen nach dem Kochen ist auch recht anspruchsvoll und krümelig. Und genauso schnell zerfallen sie beim Braten. Ultra-mehlig kochende Kartoffeln. Ob das am Sumpf liegt, in dem die wachsen müssen? Auch ja, zum Essen als Beilage gibt es natürlich Reis. Aber wenn es selbst zu Lasagne Reis gibt ...

Bier hat übrigens keiner getrunken, dabei gab es neben Löwenbräu (der wohl hier eh aus Japan kommt), Jever und so auch Köstrizer (das hätte ich zur Not noch mitgetrunken). Zusammen mit dem Restaurantnamen "Elbe" werde ich den Verdacht nicht los, der Koch kommt aus dem mittleren bis südlichen Osten Deutschlands.

Nach dem Essen hat Shiro von seiner schweren Kindheit erzählt. Er ist als Einzelkind bei seiner Mutter aufgewachsen. Das klingt nicht weiter schlimm, aber ER WAR DAS EINZIGE EINZELKIND AUF DER SCHULE (von mehr als 1000 Schülern). Deswegen war er der Spott der ganzen Schule. (Das ist auch heutzutage kaum besser, Selbstmorde auch von Grundschülern sind hier ein großes Problem! Denn wenn erst einmal eine Gruppe gegen einen steht, hat man hier kaum eine Chance mehr.) Da seine Mutter arbeiten musste, ist Shiro nicht nach Hause gegangen, sondern hat sich zwischen den Häusern in Tokyo versteckt und geweint. So hat er auch zum Christlichen Glauben gefunden. Es war wirklich herzerreißend, und Stefano und ich (als Europäer) waren irgendwo zwischen Schock und Sprachlosigkeit. Mir fehlen immer noch die rechten Worte dazu.

Besser zurück zum Essen, denn wie es das Schicksal so will, hatte ich, wahrer Freund der deutscher Küche noch eine zweite kulinarische Konfrontation. Diesmal in unserer Kantine, am Abend, in Form von Hähnchenschnitzel Wiener Art mit Bratkartoffeln ... Natürlich dazu Reis und Mizosuppe.

6.12. Messe und Yakuza

Für einen Außenstehenden mögen diese beiden Worte nichts, aber auch gar nicht gemeinsam haben. Aber, es sind beides japanische Worte. Messe, zusammen mit Kanten, Seil, Hütte und Arbeit (hat im Japanischen die Bedeutung "Jobben") in genau der deutschen Aussprache sind einige der wenige deutschstämmigen Fremdwörter im Japanischen. Auf "Yakuza" komme ich später zurück.

Heute sind wie nach "Hanematsu Messe" (oder so ähnlich) gefahren. Das Messegelände ist futuristisch, eher wie man sich Japan vorstellt. (Wolkenkratzer, Beton, funkelnde Fenster, gewagte Architektur) Zweck unseres Besuchs war eine Besprechung mit Horiba, einer Firma, die unser Spektrometer hergestellt hat. Da das einige Macken hat, und hier einer der Programmierer aus Frankreich anwesend wäre, wurden wir dazu eingeladen. Es war schon recht beeindruckend, 9 Hallen, die ausschließlich dem Verkauf von Maschine und Anlagen zur Verarbeitung von riesigen Siliziumwafern gewidmet waren. Für uns Forscher war aber nur wenig Interressantes zu sehen. Und die Rede, die der Chef von Nokia hielt, war derartig uninnovativ, brr. Im Jahre 2003 werden dann Mobiltelefone so schnell sein, dass man dann mit einem Mobiltelefon über's Internet telefonieren kann, toll.

Hatte ich schon erwähnt, für die 35 km von der Autobahn zur Messe haben wir mehr als zwei Stunden gebraucht? Zurück ging es nicht viel besser, aber wir sind dann vor der Autobahn eingekehrt, in ein heißes Bad. Zuerst zieht man die Schuhe an dem Eingang zu einer sehr kleinen Einkaufspassage aus und schließt sie in einen Schrank. Dann geht man zur Kasse und zahlt 20,- DM. Dafür bekommt man einen Bademantel, eine Art Schlafanzughose (so wie eine weite Türkenhose) ein großes und ein kleines Handtuch. Das kleine Handtuch ersetzt die Badehose, und die Bäder von Männer und Frauen sind strikt getrennt.

Nach dem Eintreten in das Bad wäscht man sich erst einmal, bevor man in das heiße Wasser steigt (O'Furo, ca. 40-41°C). Dann gibt es da noch eine Fußmassage, die auf den Magen wirkt, heißen Wasserfall, ein Schwefelbad (onzen) und ein chinesisches Medizinbad. Wem es zu warm ist, der kann sich in einem kalten Bad (18°C, nicht wirklich kalt) oder draußen abkühlen. Wem es nicht warm genug ist, der kann natürlich auch noch eine Dampf und eine normale Sauna besuchen. Achja, auch Seife, Shampoo, Föhn, Kamm, Rasierer ... werden gestellt. Vor dem Bad (das man mit seinen Schlafanzagsachen verIässt) ist die kleine Passage. Und im ersten Stock kann man dann noch Essen, oder sich eine Massage verpassen lassen. Auch gibt es Ruheräume, und einige Leute nuzten das Bad auch als billiges Hotel für Übernachtungen. Das Essen kann man mit seinem Schlüsselanhänger bezahlen.

Und wo bleibt die Yakuza (spricht sich übrigens Jakuhsa)? (Yakuza ist die japanische Mafia; sie betreibt Geschäfte mit Grundstücksspekulation, Schutzgelderpressung, Drogen u.ä. Ihre Mitglieder sind alle großflächig tätowiert.) Im Bad war deswegen ein Hinweis, keine Leute mit Tätowierungen. Shiro erzählte, das einmal sein kleiner Sohn auf jemanden gezeigt hatte, der trotzdem in dieses Bad gegangen war und "Papa, der darf doch nicht!" gekräht hatte. Shiro hat freundlich gelächelt und der Gangster lächelte freundlich zurück. In den Bergen (also etwas weiter nördlich und im Landesinneren) gibt es Bäder, wo die Yakuza nicht verboten ist. Dort treffen sie sich dann am Wochenende.

Aber auch in Tskuba gibt es die Yakuza. Ein Forscher hat auf einem Campus vor einiger Zeit die Freundin eines Yakuzas angefahren oder überfahren, jedenfalls erschien am nächsten Tag der Yakuza in dem Büro und hat den Forscher ermordert! Es gibt also doch "echtes" Verbrechen in Tsukuba. Naja, und Freitags und Samstags gibt es hier "Denn sie wissen nicht was sie tun", bloß life. Motoradrennen (zumindest dem Klang nach) und keine Polizei ist zu hören, so zwischen 22h und Mitternacht. Auch "Downhillraces" am Berg Tsukuba sind beliebt, einer unserer Studenten (Tateno) hat wohl bis vor kurzem selbst daran teilgenommen.

Wem das merkwürdig erscheint: In Japan studiert man hart vor der Universität, um einen Zulassung zu bekommen. Da viele Kurse durch reine Anwesenheit bestanden werden, ist schlafen und quatschen in den Vorlesungen nichts Ungewöhnliches. (Das Lachen in meiner Vorlesung bedeutete dann also wohl, dass ich die meisten tatsächlich gefesselt hatte?!) Die Prüfungsfragen in den anderen Kursen sind oft seit 30 Jahren unverändert geblieben. Also arbeitet hier kaum jemand und es ist sehr schwierig die Studenten zu motivieren. Sozusagen Frontalunterricht ohne Schülerbeteiligung. Die Professoren haben mein Mitleid. Dafür müssen die Kinder bis zur Universität schuften wie wild, eine 50 Stunden Woche ist für sie völlig normal. Selbst für die Aufnahme in eine gute Vorschule "=Kindergarten" gibt es Prüfungen!

Wir sind nach einem Essen wieder nach Tsukuba gefahren (mittlerweile war es 22h) und nach einem Besuch in einer Videothek dann in eine Computerspielhalle gegangen. (auch eine Premiere für mich) Dort gibt es eine Autorennkonsole, die sich mit drei anderen verbinden lässt; allerdings nicht an diesem Abend. Und so sind wir an diesem Abend nur zweimal Autorennen gefahren ...

Gedanken zu einem elektrischen Brotröster - oder Weitwurftechnik aus China.

Mein Toaster (denn um diesen handelt es sich) ist aus Metall, die Seitenteile sind aus neonblauen Kuststoff "made in china". Seine auffälligste Eigenschaft ist seine beträchtliche Schnellkraft. Ausgeworfene Toastscheiben (die Scheiben sind hier so groß, dass man sie nacheinander toasten muss, sonst ist die zweite Scheibe eiskalt; aber mit dem Eintritt in Japan war ja eh die Zwangsmitgliedschaft bei den Freunden der Entropie verbunden ... ) - wo war ich - ach ja, ausgeworfene Toastscheiben fliegen bis zu 30 cm weit. Den Vogel hat aber die Scheibe eben abgeschossen: Raus aus dem rechten Schlitz, Salto (oder was immer) und rein in den linken Schlitz. Gestanden 10 Punkte. Aber der Toaster hat noch eine zweite Besonderheit, es ist ein elektronischer Toaster. Wenn man den Toastknopf mal heruntergedrückt hat, dann kann man ihn nicht mehr hochdrücken. Man kann stattdessen den Stecker ziehen, oder, noch besser, man drückt eine kleines sehr unscheinbares Knöpfchen mit der Aufschrift "resetto". Das ist also der Fortschritt, bald braucht man auch für Toaster 'ne Gebrauchsanleitung.

Und dann noch was zum Linksverkehr. Hier sind nämlich auch Treppenhäuser andersherum gewickelt, und besonders fatal, auch Regler. Zum Glück hat das RHEED eine Strombegrenzung und es ist nur die Sicherung angesprochen, als ich nach alter Gewohnheit den Strom abstellen wollte. Linksrum ist aus. Gilt allerdings immer nur für die Hälfte der Sachen ...

9.12. Tokyo again

Heute, es ist Samstag, waren wir in Tokyo. Wir, das sind Camellio, Hitomi (Freundin von C.), Stefano und der Chronist. Die Verabredung lautete auf 9h (italienischer Zeitrechnung). Und so war dann auch gegen zehn das Auto von Camellio samt Insassen vor der Hofeinfahrt. Mit dem Auto ging es bis zum nächsten Bahnhof, wo wir ein Wochenendticket lösten (soviel Fahrten, wie man will an einem Sa oder So im Großraum Tokyo). Am Bahnhof trafen wir dann noch einen Australier aus Tsukuba. In der Bahn erwies sich dieser zusammen mit Camellio als extrem peinlich, wie diese sich quer durch den Zug über Unzulänglichkeiten in Japan und der Japaner im speziellen unterhielt. (über Hochziehen und Schmatzen, aber sehr unappetitlich das Gespräch) Da kommt also der Ruf der Gaijin her!

In Tokyo sind wir zuerst zum Meiji-Schrein gefahren. Schrein ist ein Tempel des Shintoismus, einer Religion, die Naturgottheiten verehrt, sehr ähnlich zum Schamanismus. Ein Shintogebet läuft folgendermaßen ab: Man tritt an den Kasten, klimper, 100 Yen verschwinden darin, man presst die Handflächen aneinander und verbeugt sich, fertig. ("Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele gegen Himmel springt." Luther dürfte im Grabe rotieren.)

Ein besonderes Kennzeichen von Schreinen ist, das diese alle 20 Jahre abgerissen und neu aufgebaut werden sollen. Dies soll das Werden und Vergehen in der Natur verdeutlichen. Heutzutage gibt es aber nur noch zwei Schreine, wo dies üblich ist, den in Nara und diesen hier in Tokyo. Deswegen wird dieser Schrein auch immer in der Neujahrsnacht gezeigt (wobei christliches Neujahr und Shinto eigentlich nichts, wirklich gar nichts gemeinsam haben dürften. Aber Shinto ist sehr flexibel: z.B. es gibt dort spezielle Parkplätze, wo man sein Auto segnen lassen kann.) Da dieser Schrein so beliebt ist, konnten wir zwei Hochzeitsprozessionen und (von außen, da wir keinen Eintritt zahlen wollten) einer Messe beiwohnen. Der Schrein ist wunderschön in einem Park gelegen; die Bäume dort sind zur Hälfte immergrün, aber es gibt auch ein paar rotblättrige Herbstbäume, Schmetterlinge flatterten vorbei, ein Großstadtparadies. Dann gab es eine Art Dampfnudeln mit einer süßen Füllung, die nur wie Pflaumenmus aussah. So gestärkt ging es dann ins pralle reizüberflutete japanische (Einkaufs-)Leben in Shibuya.

Von Zeit zu Zeit und hier in Shibuya häufiger sieht man Frauen, die so verrückte Sachen anhaben, wie man sie sonst nur vom Laufsteg kennt. Von den 15 cm hohen Plateauschuhen rede ich nicht, die trägt hier jeder. Außerdem gab es hier wohl nie Pippi Langstrupf, sonst würden bestimmt nicht so viele mit rotbraunen Haaren und Pippi-Zöpfen herumlaufen (vermutlich sollen das blonde Haare sein, aber alle Japaner haben nun mal pechschwarzes Haar). Nun, und jetzt waren wir in der zur Zeit angesagten Trendstraße in Shibuya.

So hatte ich mir Japan immer vorgestellt, Neonreklamen, riesige Bildschirme, Menschenmassen. Am Bahnhof standen auch die japanische Faschisten und machten lautstark Werbung für ihre Partei. Immerhin konnte ich hier in einem der besser sortierten Buchläden den neusten Terry Pratchett bekommen, und das Cafe dort hatte einen Preis beim letztjährigen Weltcup der Konditoreien gewonnen. (Sowieso, man glaubt es kaum, aber die Japaner verstehen durchaus zu backen. Man muss bloß hinter die Weißbrotscheiben gucken [und genug Geld mitnehmen]).

Aber die wahre Dröhnung stand noch aus: Akihabara - Tokyo elektric town. 1000 kleiner und großer Läden, unzählige Musiken und Neoreklamen wetteifern um die Gunst der Käufer. Einzelne Angebote sind herausragend, hier ein TFT-Bildschirmm für 1000,-, dort eine Videokamera, die auf Mini-CDs DVD-Videos schreibt (brennt). Kassettenrekorder gibt es praktisch nicht mehr, nur noch CD und Minidisc, oft gleich als Wechsler. Camellio wollte eine Stereoanlage und einen tragbaren Minidiscplayer kaufen - auf in den Kampf.

Eine Stunde später war ein Modell in der näheren Auswahl. Dann begann das Feilschen! Ich hätte nie gedacht, dass dies in einem Kaufhaus möglich wäre; aber dank Japanerin ging es. Das Modell der Ministereoanlage mit "High-Speed Mini-CD dubbing" hatte vor allem einen guten Sound. Und es lies sich von 79000,- ohne Steuern in zwei Stunden auf 76000,- mit Steuern runterhandeln, 1520,- 140,- weniger! Dann ging das Gefeilsche beim Mini-CD Rekorder aufs Neue los. Eine weitere Stunde verstrich.

Endlich(!!!) saßen wir wieder im Zug und rüttelten der Heimat entgegen. Hilfe für die knurrenden Mägen war gefragt, und wurde mit "ranran", einem Studentenrestaurant beantwortet. Es gibt dort Essen in klein, normal und groß. Hikomi, die eher zierliche Japanerin, hatte früher große Schüsseln gegessen. Unglaublich, selbst gestandene Bayern dürften eine normale Portion kaum verschlingen. Ganz zu schweigen von mir (obwohl wirklich hungrig) oder gar einem durschnittlichen Japaner. Noch jetzt fühle ich mich, als fehlt nur das Mintplätzchen zur Explosion. Nach dem Essen kam dann auch prompt ein verschmustes Katerchen an und maunzte nach Resten ... Der gehörte wohl zum Restaurant, und nach drei Bissen Fleisch machte er sich auf Hitomis Schoß breit.

10.12. Der "Gai-jin", das unbekannte Unwesen?

Das Verhältnis der Japaner zu den hier lebenden Ausländern (gai-jin) mag folgende Geschichte illustrieren. Ein Auto wurde so schlecht geparkt, dass es mehrere andere blockiert. Erster in der Schlange ist in diesem Fall ein Italiener, dahinter noch sieben weitere Japaner. Nach einer dreiviertel Stunde kommt endlich der Besitzer. Unser Italiener, aufbrausend wie sie häufig nun mal sind, geht auf das Auto zu. Da fährt der Fahrer los, vorwärts, über eine zwanzig Zentimeter hohe Betonmauer. Es krachte, und der verschwindende Wagen zieht eine Öl- und Kühlwasserspur hinter sich her. Vielleicht ist sogar die Spur kaputt, mehrere hundert Mark Schaden jedenfalls. Der Italiener bleibt verdutzt stehen und fragt einen der wartenden Japaner, warum der Parkende diesen Irrsinn gemacht hat. "Aus Angst", war die Antwort. Panische Angst vor dem Ausländer, dem Tier? (Shiro konnte die Motivation des Japaners aber nicht im geringsten nachvollziehen, es sein denn derjenige wäre Autodieb oder Mitglied der Mafia ... ) Die Sache mit der Angst kann übrigens noch auf eine zweite Weise interpretiert zu werden: Die Angst bloßgestellt zu werden, wegen dem Ausländer sein Gesicht zu verlieren. (Ein Japaner in der Warteschlange hätte bestimmt nichts gesagt, sondern den Ärger still in sich hineingefressen. Deswegen trinken hier auch so viele Leute nach der Arbeit.)

Zu "Tier" noch eine zweite Sache: Es gibt hier Wohnungen, für die ausdrücklich Haustiere und Ausländer verboten sind! In dieser Reihenfolge, schließlich sind Haustiere hier häufiger als Ausländer ...

Mal wieder was von der japanischen Politik: Vermutlich wussten zumindest einige, dass Japan das letzte Land ist, das noch an einem "Schnellen Brüter" einem riskanten Modell eines Atomreaktors arbeitet. Der ist zwar zur Zeit nach einem Brand von 12 t Natrium 1995 stillgelegt worden, soll aber repariert und wieder angefahren werden. 1995 wurde der Brand wohl ziemlich lange nicht gemeldet, mehrere Wochen nicht, woraufhin die Präfektur die Anlage schließen ließ. Da auch in Japan der Widerstand gegen Atomkraft langsam wächst (bei den Lokalpolitikern, das Volk wird eh nicht gefragt), hat die Regierung ein Programm zur Förderung von Präfekturen und Gemeinden mit Kernkraftwerken gestartet. Und auf unwillige Gemeinden wird ziemlich offen Druck ausgeübt. So ist in der unwilligen Gemeinde mit dem Brutreaktor plötzlich der Flughafenausbau aus dem Haushalt für das nächste Jahr verschwunden ... Immerhin gesellt sich zu den zahllosen Ministerien nun endlich auch ein Umweltministerium, zusammen mit 12(!) anderen neuen Ministerien in der vorgestrigen Kabinettsumbildung.

11.12. 1-2-3 Der Kaiser kam vorbei

Heute wurden wir eher zufällig Zeugen eines Ereignisses, dass sich schon seit einigen Tagen in Form von Polizisten mit Maßbändern und überall aufgefrischten Straßenmarkierungen ankündigte: Der Kaiser kommt nach Tsukuba, um hier irgendeine Konferenz (Umwelt vermutlich) zu eröffnen. Die Vorbereitungen sind aber eher wie in einer Diktatur, wo würde man sonst frische Straßenmarkierungen aufbringen? Dabei hat der Kaiser hier weniger zu sagen als der deutsche Bundespräsident, und Adel gibt es außer der großen königlichen Familie schon fast 130 Jahre nicht mehr. Trotzdem gab es in der hiesigen Regenbogenpresse einen großen Skandal, als der Kronprinz die Tochter eines einfachen Professors heiraten wollte, erzählte man mir.

Wir wollten eigentlich zur Bank fahren, doch ein Auto vor uns wurde die Ausfahrt aus dem Institut gesperrt. Am Straßenrand standen ziemlich genau zwei Reihen Leute, die brav japanische Fähnlein schwenkten (freiwillig). Shiro machte derweil Witze. "You know, this is a poor guy. He has no family name. He is not even japanese, because he has no passport."

Dann kamen die Limousinen und die Fähnchen wurden heftiger geschwenkt. Der Wagen mit dem Kaiser hatte übrigens eine seltsame Fahne, rot mit gelben Kreis. Mit denselben Wagen fährt in Nordkorea sicher Kim Jong Il durchs Land. Dem Deutschen dürften diese Fahrzeuge aus Billy Wilders Film "1, 2, 3" bekannt sein. (Der russische bzw. hier japanische Nachbau eines Ami-Schlittens aus den 50ern.) Ich frage mich häufiger, ob Japan nicht heimlich ein kommunistisches Land ist. Auch der Lautsprecherwagen der Faschisten, mit seiner weißen Textwand auf der nur die sowjetische (!) und die amerikanische Flagge zu sehen waren, erinnerte mich stark an die Pamphlete der Marxistisch-Leninistischen Hochschulgruppe an der TU. Und dass Parlamentsabgeordnete meist schon in 2. Generation das Volk vertreten, dass der Vorsitzende der LDP immer auch nach einer Wahl Ministerpräsident wird (Ok, mit einer Ausnahme), das alles sollte doch zu denken geben.

Ein gutes Beispiel, wie anders doch ein japanischer Verstand arbeitet, bietet sich im März. Dann gibt es hier nämlich eine Konferenz zu Quantendots und Nanostrukturen. Dazu muss man wissen, dass Koguchi (der Direktor der "extremly high vakuum research station") 1990 die ersten Halbleiterquantenpunkte durch Selbstorganisation hergestellt hatte. Die hatte er dann im gleichen Jahr auch auf einer MBE Konferenz in San Diego vorgestellt und in einem schönen Zeitschriftenartikel veröffentlicht. (Für Phyisiker: JCG 1990 - Nichtphysiker sollten trotzdem weiterlesen, die Fachwörter sind zum Verständnis nicht wirklich wichtig!) Dort traf er auch einen Prof. Petroff. Der war sehr interessiert und ließ sich die Methode "droplet pitaxy" sehr genau erklären. Gute zwei Jahre später veröffentlicht er dann eine eigene Arbeit über selbstorganisierte Quantenpunkte, mit einer etwas anderen Methode und etwas anderen Materialien. In der Veröffentlichung von Petroff findet sich zwar die Arbeiten, die vor zwei Jahren Koguchi auch zitiert hatte. Die Arbeit von Koguchi, die Petroff erst zu den Quantenpunkten gebracht hatte, wurde darin aber mit keinem Wort erwähnt. Petroff streicht den Ruhm als "Erfinder" der selbstorganisierten Quantenpunkte (wichtig für Laser für Glasfaserkommunikation, High-Speed Internet usw.) und Koguchi kennt keiner.

Soweit, so mies. Natürlich ist Koguchi sauer. Doch zuerst ist er Japaner, also zeigt er seinen Ärger nicht, sondern frisst ihn in sich hinein. Ein westlicher Forscher würde in dieser Situation vermutlich einen bösen Brief an das wissenschaftliche Journal schreiben, in dem Petroffs Arbeit zuerst erschien.

Nun, heute, zehn Jahre Halleiterquanenpunkte später, ist Koguchi ein recht einflusreicher Direktor einer größeren Abteilung des Forschungsinstituts (Tschuldigung, aber genauer habe ich es bisher nicht herausfinden können). Nun kann er also seine Rache nehmen, auf japanische Art. Dazu organisiert er eine Konferenz, die zu großen Teilen aus eingeladenen Vorträgen besteht, zu allererst Petroff. Warum denn das, fragt ihr zu recht. Nun, so kann er vor allen anderen erzählen, wie er die Quantenpunktselbstorganisation fand, und Petroff wird im Saal sitzen und zuhören. Ich fürchte bloß, dass Petroff die Einladung von Koguchi eher als Anerkennung seines "Sieges" ansieht, zumal ihn Koguchi natürlich freundlich und höflich behandeln (aber eben auf subtil-japanische Art als Persona non grata darstellen) wird. Immerhin, danach dürften beide Seiten sich als "Sieger" fühlen ...

Eine solch "höfliche" Behandlung besteht dann im Supermarkt zum Beispiel im Wechselgeld zählen. So hat sich der ungehobelte Australier beschwert, dass immer so oft gezählt würde, oft vier Mal. Nun, am Anfang war das auch beim mir der Fall, aber jetzt nicke ich scheinbar im richtigen Moment oder lächle genug - weiß der Geier, jedenfalls zählen sie die Scheine nur noch einmal ... Mein Japanisch ist es jedenfalls nicht (s.u.).

15.12. Heute war Zahltag

Das erste Gehalt nach einem Abschluss (in diesem Falle eben der Doktor) ist in Japan ein wichtiger Grund zum Feiern. Dieser Tag lässt sich auch sehr genau bestimmen. Der Zahltag steht im Kalender im Sekretariat, und wenn hier eine Überweisung am Freitag eintrifft, dann befindet sich auch das Geld am gleichen Tag auf dem Konto. Wir sind dazu in eines der besseren italienischen Restaurants gefahren. Besser meint hier ein Essen für 24,-, aber so angerichtet wie in feinsten französischen Restaurants. Wirklich sehr gut!

Leider hatte der Abend danach ein abruptes Ende, als Stephano erfuhr, dass das Kind (seine Frau ist seit ca. drei Monaten schwanger und deshalb vor zwei Wochen nach Italien gereist), dass das Kind keinen Herzschlag mehr hat.

16.12. Ausflug

Heute ist wieder Samstag und Mittags sollen es auch wieder 15°C und mehr werden, also aufs Rad geschwungen und ein weiteres Flusstälchen erkundet. Beim Picknick einem kleinen Dorf gegenüber hörte ich wieder den Muezzin rufen. Diesmal wusste ich aber, was seine Funktion ist: Er preist damit in einem Stein gebackene Süßkartoffeln an "yakiimo", ein typisches Wintergericht (neben gegrillten Maronen). Diese liegen hier an meinem Rastplatz unter einigen scheinbar aufgegebenen alten Esskastianienbäumen.

17.12. Japanisch: Traurig mit einzelnen Auf(Er)heiterungen

Gemeint ist mein mündliches Japanisch. Es gibt nämlich zwei Probleme. Zum einen hat Japanisch nur recht wenig Silben, so dass viele kurze Wörter sehr ähnlich klingen; von den Anhängen, die nicht zu den Wörtern gehören und den langen Wörtern wie dem nicht zu merkendem Namen unseres Institutes mit 14 Silben u.ä. mal ganz abgesehen. Und zweitens gibt es hier für die meisten Alltagsausdrücke Formeln. Zusammensetzungen aus den offiziellen Wörter werden zwar verstanden, nur die Rückfragen an mich sind natürlich verloren. Und als heute Morgen zwei Frauen vor der Tür standen - wie ich später anhand der Kanji herausfand, waren sie von der Grundstücksverwaltungsgesellschaft - da verstand ich wieder einmal Bahnhof. Irgendein Bankeinzug klappte nicht, vermutlich weil ich noch kein registriertes Siegel habe. Jedenfalls sollte ich beiligenden "aplas" ausfüllen. Nun, Wörter in Katakana geschrieben sind meist englischen Ursprung. Dieses Wort jedoch ist mir mehr aus der Zeit der Reformation bekannt. Und da ich Atheist bin (und außerdem die Miete für diesen Monat bar bezahlt hatte), sah ich keinen Grund dieses Papier auszufüllen. Da das beiderseitige Gespräch aber nur Unverständliches hervorbrachte, kicherten die beiden mehr oder minder höflich und ich lächelte ebenso höflich wie unverbindlich zurück. Gegenüber den sonntäglichen Zeitungsabonnomentverkäufer ("Achso gaijin desu" und Kehrtwende) trotzdem eine erfreuliche Abwechslung.

Eine Perle der zeitgenössischen Architektur fand ich heute auf dem Weg vom Schwimmbad. Ein Haus, dessen Vorderfront ein senkrecht stehendes weiß-gekacheltes Spaceshuttle darstellt, der Eingang ist in den Triebwerkstutzen.

18.12. Große Ereignisse werfen ihre Schuhe voraus ...

Mir schwante schon Schlimmes als ich an einem Nebeneingang zum Labor schön aufgereit 15 Paar Hausschuhe sah. (Am Eingang zum Laborgebäude wechselt man hier die Schuhe, ob Kaiser, Gastwissenschaftler oder nur Putzfrau. Das Modell hier ist einheitsbraun aus Plastik und - grob geschätzt - Größe 40.) Der Kaiser war es dann doch nicht, aber der neue Minister bzw. jetzige Staatssekretär für Forschung und Technik mit seinem Tross sollte kommen. Allerdings hat der auch nicht viel mehr Ahnung von der Materie als der allseits unbeliebte Ministerpräsident, der gerne IC und IT verwechselt.

(Falls sich jemand fragt, wie dann überhaupt Forschungspolitik zustande kommt: Eine Vorlage "macht doch mal was zu IT [oder IC ... ] wird die Hierarchie immer weiter nach unten gereicht, bis sie bei Leuten wie Shiro (Post-Docs und Assistenten) angekommen ist. Die machen nun wiederum konkrete Vorschläge und das Ganze geht den Dienstweg zurück. Was dabei dann hinten herauskommt, ist ungefähr genauso unverfälscht wie bei "stille Post" ... )

Wichtige Herren verspäten sich auch hier fast immer. Gegen zwei nahm dann aber die Dichte der Männlein in Black im Hauptgebäude rasch zu. Also verzog ich mich lieber ins Labor. Dort sollten sie dann gegen drei vorbeischauen. Derweil half ich, als hektisch an der großen Riber-MBE geschraubt wurde. Gerade waren die Ultrasauberen Metalle in die Kammer geladen und gerade noch zugeschraubt, da öffnete sich der Hintereingang des Reinraumes und die 15 Herren in Institutslatschen und Kravatte stürmten hinein, machten ein paar Fotos von den Forschern in ihren lustigen blauen Reinraumanzügen und gingen wieder. Zum Glück hatten wir die MBE vorher zugeschraubt, und für morgen ist eh traditionelles Jahresendputzen angesagt. Aber diese Hirnis hatten reichlich Staub hinterlassen. Shiro meinte schlicht: "Politics is obviously a dirty buissness".