Press any key von Markus Pristovsek


Es war zwanzig nach vier, wie ihm die vielen Uhren verrieten, die als riesige Digitalziffern die Wand hinter ihm füllten. Eine kurze Handbewegung und schon sah er die für das Netz verfügbare Rechenleistung als 3D-Grafik. Er liebte es in diesen künstlichen Gebilden spazierenzufliegen. Manche dieser Gebirge waren sanfte Hügelketten. Doch bald würden die Leute nach Hause kommen und dann würden diese Hügel in die Höhe wachsen.

Jetzt war gerade die ruhigste Zeit des Tages, die Zeit zwischen Arbeit und dem Konsum zu Hause. Und es war diese Zeit, an der er am liebsten im Leitstand saß, den Helm auf dem Kopf, mit den Handschuhen die Gigaflops dirigierend.

Bald würde wieder das sanfte Hintergrundgeräusch, das die mittlere Auslastung anzeigte, wie eine Turbine zu immer höheren Tönen klettern und dazu würden sich die Gebirge wie bei der Genesis auffalten, je wütender das Brüllen, desto gewaltiger und zerklüfteter würden sie sein.

Und dann auf dem Höhepunkt würde sein neues Programm starten. Es war ein Musikprogramm, es würde nur ein paar Takte aus der neunten Sinfonie donnern und danach wieder still und heimlich verschwinden, zusammen mit den langsam wieder sinkenden Hügelketten. Dies wäre ein wahrlich ein würdiger Abschied des Tages.

Gerade hatte sich Programm #17 an das Netz geschaltet. Es war ein VR-Remake nach dem berühmten Klassiker Solaris, von Lem. Würde aber wahrscheinlich eh nicht groß nachgefragt werden, war viel zu philosophisch und für den Konsum völlig ungeeignet, wenn er sich richtig an die Kritik erinnerte. Und so schmolz auch diese Eingangszene zu einen 3D-Icon vor der Wand zusammen.

Jetzt verfärbten die ersten Hügelspitzen weiß. Damit war das Netz aus dem Bereich der Grundlast heraus, die ersten Reserveeinheiten schalteten sich dazu. Noch dazu gab es den Ausfall des Rechenzentrums Manhattan. Aber sie hatten Rechenzeit vor der Industrie gemietet, jetzt wurde ja kaum mehr gearbeitet; in einer halben Stunde würden alle verfügbaren Rechner für das Netz arbeiten.

Soeben hatte sich Kanal 22 zugeschaltet. Heute hatte er Premiere, der erste Cyberkanal, der direkt vom Pentagon finanziert und geleitet wurde. Angeblich könne der Rechner mit bis zu 100 Gigabit/s mit den Rechenzentren kommunizieren, auf siebenundzwanzig Links gleichzeitig.

Doch auch dieser Kanal schmolz zu einen weiteren Häufchen Icon dahin, zu den 21 weiteren, die wie Hundescheiße unregelmäßig vor der Wand lagen.

Die erste Spitze war soeben rosa geworden. Das Schrillen des Hintergrundes wurde stärker. Er wartet gespannt auf die Aktivierung seines Programmes. Doch noch höher türmten sich die Berge, so dass der Computer erneut eine Anpassung des Maßstabs vornehmen mußte.

Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, um die Bildfrequenz herunterzusetzen. Er schob den Regler hinein bis auf das absolute Minimum von 61 Hz. Warum warten die nicht eine Viertelstunde? Die, die sich in einer halben Stunde dazugeschalteten würden, bekamen volle Rechenleistung und konnten sie normalerweise die ganze Zeit bis zum Schluß halten.

Noch immer stieg die Rechenleistung. Da schickte New Jersey II eine Bombe herüber, also hatten sie dort einen Programmabsturz, und sofort waren die ersten Spitzen rosa. Jetzt waren alle auf Minimumfrequenz, selbst die Farbigkeit hatte er etwas zurücknehmen müssen. Aber die Anstiegskurve wurde zunehmend flacher und er dachte, es könnte gerade so klappen, als die Luft orange wurde.

Sofort drehte er das virtuelle Handrad der Sicherung zum Anschlag und schob den Regler der Wiederholung ganz hinein. Er war bei 25 Hz, bis sie aus dem rosa Bereich hinaus waren. Jetzt ruckelte das Bild sichtbar. Und auch die Farben waren blasser, künstlich. Die Berge wirkten glatt.

Erlösend war es, als sich sein Programm aktivierte und mit der Musik begann. Da schickte Pentagon I eine Bombe, kaum das ein Takt gespielt war. Plötzlich stand das Bild still und wurde sofort durch Balken ersetzt. Doch diese schrumpften immer mehr und statt der Lissajousfiguren der Koordination war nur noch wirres Gekritzel zu sehen.

Als der letzte Balken zu Null geschrumpft war, es war noch keine Viertelsekunde vergangen, da verschwand das Bild und wurde durch eine grünblinkende Schrift ersetzt:

Protokollviolation at PC 538A92062D85E62FE77

Press any key to recover

Die Schrift war nicht für 3D gedacht. Sie schmerzte vor seinen Augen und so nahm er den Helm ab. Er war wieder in dem dreckigen dunklen Leitstand. Es stank nach ihm, dass ihm fast schlecht wurde. Was sollte er machen, stand da?

Press any key to recover

Er sah keinen Schlüssel, das VR war tot ...


Zurück zum Inhaltsverzeichnis oder zur Homepage.