Springen von Markus Pristovsek


Er hatte sich eine ruhigere Ecke ausgesucht auf dem Lagerdeck 04 ausgesucht. Zwischen zwei Aufzügen saß er auf einem Container und las die Stellenangebote. Zumindest versuchte er es, aber in dem hier herrschenden Lokalpatriotismus hatte man die Texte nur in der einheimischen Schrift mit kurzen Erläuterungen in galaktisch abgelegt. Jedesmal wenn ein Aufzug vorbeifuhr vibrierte es so, dass die Schrift verschwamm. Dazu war die Benutzerführung ganz und gar kryptisch.

Jedes zweite Wort musste er selber entziffern und dann nachschlagen lassen. Noch dazu war für das Audiointerface seine Stimme zu hoch und zu leise: Die Cobasianer hatte einen dröhnenden Bass. Das Dröhnen des eines vorbeirauschenden Schleppers löste den soundsovielten Reset aus. Er war kurz davor, das Ganze in die Ecke zu feuern und zu zertreten. Sie wussten schon, warum sie von ihm 10 Credits Pfand verlangt hatten.

Abgelenkt starrte er in das Deck hinein. Weiter hinten waren ziemlich viele mit einem ziemlich großen Käfig beschäftigt. Aus dem drang plötzlich ein dumpfes Grollen. Mechanisch schaute er kurz auf den Katalog. Wieder ein Reset ... Davor stapelten sie kleine Stückgutcontainer in den Bauch eines Schiffes. Er hielt sie für gelb, doch bei dem hiesigen grellen Licht, konnten sie ebensogut weiß oder grün sein.

Endlich hatte die Karte fertig initialisiert. Fast schon automatisch drückte er die Felder, die ihn in das Hauptmenü und dann in die Unterabteilung für Sprungingenieure brachten. Acht mal drückte er weiter, dann wandte er seine Aufmerksamkeit der Anzeige zu. Raumhafenbau, warum mussten das bloß alle bisherigen Anzeigen als erforderlich nennen?

«Hallo, du bist von der Erde.» Es war keine Frage, eine Feststellung.

«Hallo, du» Er sah auf und stockte. Es gab allerlei Wesen, bei den meisten hätte er nicht mit der Wimper gezuckt. Nur dieses sah sehr menschlich aus. Sie war fast genauso groß wie er, hatte grasgrünes Haar und tiefgelbe Augen. «Du bist auch Mensch? Ich bin Marik Sewastopol, von Fallerian.» Er streckte seine Hand aus.

«Ich bin Jerka. Ich komme in einem gewissen Sinn auch von der Erde. Du suchst Arbeit?»

Seine Augen blitzten auf. Er sprang vom Container, auf dem er saß. «Jerka, hast du welche?»

«Bezahlen könnte ich dich nicht, du siehst, ich habe kein Geld bei mir.»

«Schade. Jerka, vielleicht finde ich ja Arbeit, dann kannst du etwas abhaben. Oder eine Passage bekommen, weißt du, ich bin Sprungpilot.» Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: «Jerka, leider bin ich nur C3, aber ich bin ja auch erst siebzehn Jahre Realzeit, so ungefähr.»

«Rede bitte nicht mit mir, wie mit einem Computer. Ich weiß schon, wann ich gemeint bin.»

«Jerka, äh, tut mir Leid. Ich bin lange auf Schiffen unterwegs, ich werde versuchen, es nicht mehr zu tun.»

«Schon gut. Lass mich mal auf deine Arbeitsbörse schauen. Geh mal eine Seite weiter. Warum bist du unter den Architekten?»

«Hier steht doch Sprungingenieur

«Ja, nur das ist nichts anderes, als ein Architekt. Du musst unter Sprungführer nachsehen. Geh mal in den Index. Siehst du, da ganz unten rechts, ziemlich unscheinbar: Sprungführer, C. 4 Angebote.»

Ganz aufgeregt bediente er die winzigen Eingabeflächen. «Ist ja toll, da hätte ich noch lange suchen können. Sprungführer nach Ji-ben-tar-us.»

«Nein, das ist nichts. Glaubst du, sie würden dir ein so großes Schiff geben? Der da ist eher was für dich: Ribbentoa, Materialfrachter, One-way. Wird doch meist gut bezahlt. Auf Ribbentoa kannte ich mal jemanden, da könnte ich dir bestimmt einen Job besorgen.»

«Ich weiß noch nicht mal, wo das liegt. Warte mal.» Er starrte kurz auf seinen günstig erworbenen Taschenatlas der Galaxie. Es war ein sehr günstiger Kauf, dafür war er entsprechend langsam. «Das ist ja tierisch weit draußen.»

«Die Erde liegt auch nicht weiter drinnen. Außerdem ist so eine weite Wegstrecke positiv, wenn du nach B aufsteigen willst. Vielleicht ist es sogar für die anderen zu weit, dann müssen sie dich nehmen.»

Er sah zweifelnd auf das Angebot. «Ich werde es probieren. Wenn es klappt, hast du einen Wunsch frei.» Er sah auf. «He, wo bist du hin?» Doch Jerka war wie vom Erdboden verschluckt. Also machte er sich auf nach 38om-22al.

Es war keine besonders reiche Gegend. Im Gegenteil, Grafitty und Schmutz hatten die Korridore fest im Griff. In der Luft lag ein leichter Verwesungsgeruch, wie von zu lange benutzten Filtern. Einige Beleuchtungskörper waren blind, manche Abschnitte waren zu warm, dort hörte man das Lebenserhaltungssystem der Station förmlich röcheln. Dies waren genau die Gegenden, die er zu genüge kannte, aus denen er endlich heraus wollte. Immerhin ein Heimspiel.

38om-22al war ein Büro mit einem echten Angestellten. Natürlich kein Cobasianer, die würden sicher nie hierher kommen. Leider kannte er nicht die Welt, von der der Alian kam, sodass er nur die Standarderöffnung machen konnte.

«Hallo, ich würde gerne den Job nach Ribbentoa antreten.»

«Von mir aus. Zeig mir die Lizenz.» Der(die) Fremde sprach mit scharrender Stimme.

Er reichte die Lizenz dem Fremden. Dieser betrachtete sie lange, prüfte das Hologramm und rief die Nummer aus dem Computer ab. Dann reichte er sie zurück.

«Sie ist in Ordnung. Genauso gut wie das Schiff. Die Hälfte ist schon überwiesen. Lebensmittel für 300 Credits stehen dir zu. Hier ist der Systemschlüssel, Passwort ist Ribbentoa, viel Glück.»

«Danke.» Dann ging er hinaus, noch seine Freude unterdrückend. Draußen Jauchzte er einmal laut und rannte kurz den Gang entlang.

«Du hattest Erfolg, das freut mich.» Abrupt blieb er stehen.

«Jerka! Schleich dich bitte nicht so an! Ja, ich habe den Flug. Ohne dich hätte ich das nicht so schnell geschafft. Wenn überhaupt. Du hast einen Gefallen gut.»

«Nimm mich mit. Ich müsste in die Gegend. Ich werde mich dann auch für dich dort einsetzen.»

«Klar, wenn auf dem Schiff genug Platz ist. Das möchte ich mir schon vorher ansehen. Wir haben 300 Credits für alle Vorbereitungen. Komm mit, es liegt bei 17/18al.»

«Ich sehe dich am Schiff. Du brauchst keinen Proviant für mich zu kaufen, ich kümmere mich selber darum.»

«Wir fahren mindestens zwei Wochen und ... He, wo bist du denn schon wieder hin?» Doch sie war weg, musste in irgend einem Seitengang verschwunden sein. Sie musste gute Kenntnisse der Station haben. Egal, viel langweilige Arbeit war zu tun: Er musste die Arbeitsbörse zurückgeben und seine Sachen holen, seinen Spind auflösen und seine Papiere in Ordnung bringen lassen.

 

Das Schiff lag an 17/18al. Wie erwartet war es in einem schlechten Zustand. Immerhin war der Computer voller Optimismus, so eine KI dies überhaupt sein konnte. Dafür hatte er dann aber eine recht lange Liste für Ersatzteile, weit mehr, als 300 Credits reichen konnten. Da es ein One-Way Flug sein sollte, nahm er nur die Teile, die zum Überleben unabdingbar waren. Meist ging das länger so, war vielleicht am billigsten für die Reeder. So waren Schiffe, die kurz vor der Stillegung waren: Auf solchen Schiffen hatte er gelernt, das würde schon werden. Mit dem Rest musste er noch Verpflegung für eine Monat kaufen. Die 300 reichten natürlich vorne und hinten nicht, aber das war durchaus nichts Unerwartetes. Zähneknirschend legte er einen Teil des schon überwiesenen Lohnes dazu.

Alles war schnell in den recht kleinen Mannschaftteil des Schiffes verstaut. Vorgesehen waren ganz zu Anfang wohl drei Piloten, weshalb einigermaßen Platz war. Dann ließ er den Computer eine Diagnose alle Systeme machen, während er den Kern der Krümmungsspule inspizierte. Alles war alt, schmutzig und leistungsschwach, sah aber nicht danach aus, als ob es bald zusammenbrechen würde. Indes, solche Schiffe kannte er, auf solchen hatte er gelernt. Irgendwie würde er selbst so alte Spulen zum Zünden bringen.

Zurück im Cockpit war der Computer immer noch beschäftigt. Also machte er ein wenig sauber und ersetzte einen Bildschirm. Auch probierte er die ungewohnte Konsole aus: sie funktionierte einigermaßen.

«Marik: Diagnose beendet, das Ergebnis liegt auf dem Schirm.»

Es war eine lange Liste, nach Wichtigkeiten geordnet. Ganz oben stand: ,,Spulen 248 %, Rollen Backbord 40 %", ganz unten: ,,Beleuchtung Tunnel 2 auf 10 %". «Computer, hole Startfreigabe um 0300.»

«Marik: Startfreigabe wird eingefordert.»

Jetzt fehlte nur noch Jerka. Er überlegte, wie er sie rufen sollte. Dabei döste er etwas ein.

«Ich bin doch da. Welche Kabine soll ich nehmen?»

«Wie bist du reingekommen? Egal, hast du dir das Schiff wirklich angesehen? Willst du wirklich mitkommen? Es gibt eine 0,04 Prozentchance, dass wir im Limbo landen oder wo missglückte Sprünge sonst enden.»

«Du fliegst doch auch.»

Er lächelte schief. «Immerhin habe ich dich gewarnt. Computer, haben wir Freigabe?»

«Marik: Moment bitte, die Freigabe muss noch bestätigt werden.»

«Computer, Koordinaten für den ersten Sprung sind +7.228745, -44.23466, +34.67865, +5.777867e+19, Katalognummer Ross 334231.»

«Marik: Wird geprüft, wird bestätigt. Freigabe jetzt gültig um 0300. Haben bestätigten Kurs erhalten. Dedocking um 0280. Bestätigen?»

«Computer, bestätigen! Jerka, vielleicht gehst du besser nach 3 und schnallst dich an und » Doch Jerka war nicht mehr im Cockpit. Wie leise sie sich nur bewegen konnte! Egal, er sah weiter durch die Checkliste und suchte den Kurs von der Station auf Fehler ab.

«Computer, hast du einen Namen?»

«Marik. 437. Soll ein neuer hinzugefügt werden?»

«Computer, menschliche Namen?»

«Marik, meine menschlichen Namen waren Simon, Luise, Kjarelle, Öthzu.»

«Computer, du heißt jetzt Simon.»

«Marik, ich bestätige Simon.»

«Simon, hast du in dem Kurs Fehler entdeckt?»

«Marik, es ist alles in Ordnung, keine Hindernisse, Sprung 1 mit Stationsenergie. Es kann losgehen.»

«Simon, wir haben einen Passagier. Sie heißt Jerka. Hallo Simon?»

«Marik: Moment bitte, ich rechne.»

Scheinbar hatte Simon den letzte Satz nicht verstanden. Egal, sollte er ruhig ein wenig daran knabbern, es waren keine lebenswichtigen Schlüsselwörter in dem Satz. «Simon, weck mich um 0270.»

«Marik, Bestätigt: Wecken um 0270.»

Er lehnte sich zurück. Zum Glück waren die ersten Piloten dieses Schiffes so groß, dass der Sessel gleichzeitig eine bequeme Liege abgab. Und er ließ sich um alle sechs Achsen bewegen.

 

«Marik, wir wollen los, es ist 0275. Ich brauche eine Anfrage von dir!» Nach wenigen Augenblicken war er wach.

«Simon, an Station. Station für Stern von Ribbentoa. Beantrage endgültige Freigabe um 0280 wie bewilligt.»

«Ribbentoa von Station. Noch 0005, warten sie bis 0310 bevor Zündung. Ende.»

Sehr gesprächig waren sie nicht, nicht hier. «Simon, umschalten auf Bordenergie. Sag Jerka, wo immer sie sein mag, dass es in 0004 keine Schwerkraft mehr geben wird!»

«Marik: Jerka ist nicht an Bord.»

Blödsinn. Schnell sah er sich die Aufzeichnungen durch. Jerka war an Bord, nie war die Luke geöffnet worden. Also brüllte er nach hinten: «Jerka wir starten gleich. Das heißt, keine Schwerkraft. Außerdem schließen sich alle Schotten.»

«Ok, sage mir vor Sprung bescheid, ich bin in der Kabine hinter dir.»

Das 0001-Signal dröhnte durch das Schiff. Gleichzeitig begannen sich die Schotten zu schließen. Das Cockpitschott war nicht gerade schnell, doch alles war noch innerhalb der Toleranzen.

Pünktlich um 0280 verschwand die Pseudoschwerkraft: Sie rotierten nicht mehr mit der Station. Sehr langsam entfernten sie sich aus der Dockingbucht. Simon begann mit der Rollsequenz, damit sie um 0310 in Position für die Haupttriebwerkszündung waren.

«Simon, die Antriebe nacheinander hochfahren. Das schont die Reaktoren.»

«Marik: Wir sollten nicht alle nutzen, nur so viele, wie nötig.»

«Simon, genehmigt. Gebe bitte Countdown, wenn Antriebe bereit.»

Er schaltete von einer Kamera auf die nächste. Von den zwölf gingen noch zehn. Auf vieren war die Station zu sehen, wie sie sich langsam aus dem Blickfeld bewegte. Er schaltete eine Kamera weiter. Langsam konnte man die Station ganz überblicken. Wieder musste er eine Kamera weiterschalten. Die Station lag jetzt fast querab und Simon begann mit dem Countdown.

Der Countdown war unnötig, nur sehr langsam baute sich der Schub auf. Eines der Triebwerke nach dem anderen erwachte zu seinem fahlweißen Leuchten, wenn das Quecksilberplasma (oder fuhren sie Rubidium?) herausschoss.

«Computer, am Sprungpunkt wäre es gut, alle Energie für die Spulen zu haben.»

«Mensch: Wolltest du mich nicht Simon nennen? Aber ich werde die Triebwerke kurz vorher herunterfahren. Du weißt, dass es ein langer Sprung ist, willst du dich nicht betäuben?»

«Simon, Nicht sofort. Ich habe schon einen ganzen Sprung, in einem Tunnel eingeklemmt, überstanden. Ich meine, anfangs eingeklemmt, ich habe mich natürlich befreit. Oh Mann, hatte ich eine Angst, mich nach dem Sprung draußen wiederzufinden. 4D ist ja so verwirrend. Für einen Mensch.» Er hatte es mehr zu sich geredet, und Simon schien es folgerichtig auch korrekt ignoriert zu haben. Also: «Simon, gib mir ein Pflaster, dass ich selber ankleben kann. Damit ich zur Not mit der Spule arbeiten kann. Audiodämpfung aktiv dazu, aber nur, wenn es laut wird. Egal, solltest du ja wissen. Für Jerka gleich ein Pflaster.»

«Marik: Ein Pflaster für sie? Das hätte ich gerne.»

«Simon, gib mir Jerkas Kabine, die hinter mir. Jerka, auf deiner Konsole ist der Sprungcountdown zu sehen. Vorher wird der Schub kurz nachlassen. Leider hat der Computer keine Drogen für dich.»

«Drogen, für den Sprung, für mich?» Es klang fast wie lachen. «Nein, die brauche ich zum Glück nicht.»

«Simon, beenden.»

Simon schwieg. Langsam wurde die Station kleiner. Dieser Planet lag recht weit draußen, die Sonne war nur ein heller Stern. Dafür war aber der Sprungpunkt schön nah, sie würden bald springen können. «Simon, könnten wir noch zwei Triebwerke fertigmachen. Je kürzer wir im Limbo bleiben, desto lieber ist es mir.»

Sofort wurden zwei weitere Punkte grün. Er bestand nicht weiter auf einer Antwort, wahrscheinlich war Simon gerade dabei, den Kurs durch den Sprungraum zu optimieren. Dazu durfte er sich ruhig Zeit lassen.

«Marik, die Rückkopplung steht. Noch 0010, ich zähle zurück.»

Er legte sich das Pflaster auf die Hand und probte noch einmal kurz die nötige Bewegung. Er war bereit.

Eins nach dem anderen gingen die Plasmen in den Triebwerken aus. Gleichermaßen ließ der Schub nach. Das Diagramm der Spule erschien. Vorsichtig baute Simon die Feldstärke auf und lud sämtliche Zündspulen. Vorsichtshalber schloss Marik die Gurte.

Bei 0000 verschwand das dunkle Cockpit, d.h. es öffnete sich optisch. Irgendwie unbeschreiblich, alles faltet sich auf. Das hieß gleichzeitig, es hatte geklappt und so drückte er sich blind das Pflaster auf die Wange. Hätte er sich dabei zugesehen, würde es kaum klappen. Auf den Trick war er immer stolz, nur wenige kannten es und noch weniger wagten es. Nachdem er einen Sprung ohne Drogen überstanden hatte, hatte er ein ganz klein wenig ein Gefühl für 4D entwickelt. Einmal musste er noch einen kurzen Sprung durchstehen, weil er die Wange verfehlt hatte. Da sich im 4D Wellen nicht völlig auslaufen, war gegen Ende das Licht der Triebwerke so hell und das Rauschen und sein Herzschlag so laut, dass er Angst hatte, er würde erblinden und das Trommelfell platzen.

 

Er erwachte wieder im Normalraum. Von dem Pflaster hatte er schreckliche Kopfschmerzen, er hasste die Dinger. «Simon, alles klar?»

«Marik, ja, wir treiben im Moment. Wann willst du den nächsten Sprung machen?»

«Simon, wieviel sind denn mindestens noch nötig?»

«Marik Drei.»

«Simon, machen wir vier daraus. Ich gehe jetzt essen.»

«Marik, ruh dich aus.»

Er zog sich aus dem Sitz und trieb Richtung Kombüse. «Simon, 0,1g bitte!»

Langsam beschleunigten sie wieder und er schwebte zu Boden. Er schob einen Beutel fallerianischen Krantanz in den Grill. Bald zerlief der Kranta obendrauf und färbte sich grün. Ein verführerischer Duft trieb aus der Mikrowelle.

Jerka betrat die Küche. «Na, du machst ja kein glückliches Gesicht.»

«Ich habe Kopfschmerzen von den Drogen. Etwas zu essen und ein wenig Schlaf und morgen springen wir wieder.»

«Was würde passieren, wenn du keine Drogen nimmst? Drehst du durch?»

«Manche sagen das, doch ich habe schon einen Sprung ohne Drogen gemacht. Weißt du, die Geräusche sammeln sich und das Licht wird immer greller. Am Ende habe ich wieder Kopfschmerzen, nur aus anderen Gründen. Außerdem kann man nur vom Anblick des 4D-Raumes mit 3D-Augen ausreichend Kopfschmerzen bekommen. Wenn man sich bewegt, ist da die Angst, dass man außerhalb des Schiffes kommt, ohne es zu merken und einfach nach dem 3D-Übergang erstickt. Oder man steckt halb in einer Wand. Es gibt viele Geschichten darüber, auch wenn die wenigsten je 4D erlebt haben. Was siehst du eigentlich?»

«Ich döse. Meine Augenlider schließen auch in 4D völlig dicht, da brauche ich keine Drogen.»

«Du hast echt Glück. Willst du was abhaben?»

«Nein, danke, ich habe mich selbst schon darum gekümmert. Iss nur. Wieviel Sprünge noch?»

«Vier, je zwei Tage real und fast vier in 4D. Die beste Abmagerungskur, die es gibt.» Es lächelte schief und wandte dann seine volle Aufmerksamkeit dem Essen zu. Jerka ging wieder hinaus. Schnell war die Portion verschlungen. Als Nachtisch holte er sich kandierte Jibaswürmer aus dem Kühlschrank. Sie waren herrlich knusprig und so lecker süß-sauer.

«Simon, nur dringende Alarme bis 9800.»

Dann räumte er ab und stellte Teller und Besteck in die Maschine, verriegelte alles ordnungsgemäß und ging dann unter die Dusche. Endlich versank er in den bei 0,1g herrlich weichen Kissen und schlief sofort ein.

7433 zeigte das Display, als er wieder bereit war, aufzustehen und sich um das Schiff zu kümmern. Besser gesagt, sich um Jerka und Simon zu kümmern. Doch ein paar Momente wollte er noch die Wärme im Bett genießen.

«Simon, welche Neuigkeiten?»

«Marik, es gibt ein Problem: Die Feldverstärker von zwei Zündspulen sind bei 37 % und 21 %. Ich habe einige Parityfehler beim Speichercheck entdeckt, die entsprechenden Bereiche sind gesperrt. Das bedeutet einen kleineren Scanbereich in 4D.»

«Verdammt. Simon, kann ich wegen der Feldverstärker etwas tun?»

«Marik, du kannst die Sicherungen der beiden anderen Spulen gegen stärkere wechseln. Das Ausfallrisiko auf drei Sprüngen ist unter 30 %.»

«Simon, versuche die nächsten Sprungpunkte nahe bei Orten zu legen, die wir zur Not konventionell erreichen können.»

«Marik, dann müssen wir vielleicht fünfmal springen.»

Er sprang aus dem Bett. «Simon, knobel noch ein bisschen an der Route, ich werde dasselbe tun.»

Simon schwieg, also hatte er verstanden. Nach dem Klo ging er in die Küche. Diesmal war fallerianische Kratiden, geröstet an der Reihe. Er verstand nicht, warum andere Leute bei diesen leckeren vielfüßigen gepanzerten schlanken Körpern Ekel und Übelkeit überkam. Sowieso, er mochte das fallerianische Essen, es war sehr gut und billig; genau das, was Sprungpiloten oft bekamen, zumindest wenn sie so billige Flüge machten. Genüßlich kratzte er sich mit einem Bein die letzten Reste aus den Zähnen.

«Simon, eine Karte in die Messe, Siedlungen rot, Notstützpunkte gelb. Maximalen Sprungradius für drei, vier und fünf Sprünge.»

Das 3D-Bild der Galaxie flackerte über dem Tisch auf. Er markierte mögliche Routen in dem Plan, zoomte und verkleinerte.

«Marik, es ist 9800, Sprung in 0200. Welches Ziel nehmen wir?»

«Simon, vier Sprünge, am Kern vorbei. Wahrscheinlichkeit?»

«Marik, ich bin noch nie soweit in das Zentrum gesprungen, daher sind die Wahrscheinlichkeiten unzuverlässig. Das Ergebnis liegt bei größer 75 % und kleiner 99,9983 %.»

«Simon, wir springen, wenn du fertig bist.»

Jerka kam herein und sah auf die Karte. «Nicht gerade bescheiden dein Kurs.»

«Zwei Zündspulen sind fast fertig. Vielleicht schaffen sie noch zwei Sprünge, vielleicht drei, vielleicht sogar vier. Da nehme ich das Risiko gerne in Kauf. Du wolltest ja mitkommen, was ich dir hoch anrechne. Aber es wird schon schiefgehen. Wir springen um 0200, mach dich bereit. Oder setzt dich in das Cockpit, ich werde zu den Spulen gehen, um sie zu kitzeln.»

Gerade wollte er sich an Jerka vorbeidrängen, als der Schub nachließ und sie in 4D waren. Er schrie erschreckt auf und bereute es sofort, seine Trommelfelle schienen zu platzen. Das Licht der Küche verstärkte sich mehr und mehr und schien durch seine geschlossenen Augenlider einfach hindurch. Da spürte er einen Ruck und mit einem Mal war Stille.

 
Die Schwerkraft war bei einem g, das warf ihn hin. Mühsam rappelte er sich auf. Es sah aus, wie auf einem Planeten: Es war dunkel, Nachtphase vermutlich. Vor ihm lag ein See, links und rechts waren ganz unterschiedliche Pflanzen, dort, wo er hingefallen war, waren sie sogar besonders weich gewesen. «Wo sind wir? Was ist geschehen? Ist das das Limbo?»

«Nein. Wir springen gerade.» Jerka stand neben ihm und hatte geantwortet.

«Ich habe schon zwei Sprünge ohne Drogen gemacht. Das ist noch nie passiert; auch ist das 3D, ganz eindeutig. Ich verstehe es nicht.» Er sah sich noch ein wenig um. «Es könnte die Erde sein?»

«Himmel nein, die Erde kann es nicht sein: Seit wann sind die Pflanzen dort orange oder blau? Aber komm, mach schon.»

Obwohl sie eigentlich schrecklich langsam gingen, kam es ihm vor, als würden sie mit unglaublicher Geschwindigkeit dahinrasen. Recht und links flogen nur so die Halme der Pflanzen dahin. Dann wurden sie langsamer.

In einer Senke vor ihnen war Feuer. Sie hielten darauf zu. Es war eine keglige Pyramide aus getrockneten Pflanzenresten, die brannte. Ein aromatischer würziger, durchaus angenehmer Duft wurde vom Feuer verströmt. Dieses war kein zufälliges Feuer, jemand hatte es mit Bedacht angelegt. Die Steine, die am Rand lagen, verhinderten, dass sich die Flammen weiterausbreiten konnten -- sehr umsichtig, da es hier ja kein Vakuum zum Löschen gab. Keinesfalls war das Feuer also angelegt worden, um jemanden oder etwas zu schaden.

Primitive Kulturen brannten Feuer für die Nahrungsmittelzubereitung. Außerdem konnte so Wasser desinfiziert werden, es konnte als Waffe dienen und bei Kälte wärmen. Nur waren hier kaum solche Bedingungen nötig. «Ist das ein Planet mit primitiver Kultur?»

«Primitiv?» Jerka schnaubte. «Was soll denn primitiv heißen? Nur weil ihr mit Raumschiffen durch die Gegend gondelt, seid ihr nicht weniger primitiv als Delphine oder Gargudas!»

Er schwieg, den Zusammenhang mit diesen Würmer, die ein gigantisches Gängenetz unter Fallerian errichtet hatten, verstand er nicht. Er hielt sie für Tiere, alle hielten sie für Tiere. «Delphine, was sind das?»

«Wassertiere auf der Erde. Man vermutet, dass sie intelligent sind, kann es aber nicht so recht beweisen. Jede Rasse hält vermutlich alle anderen für primitiv.» Sie setzte sich im Schneidersitz an das Feuer. Er tat es ihr nach. Der Boden war recht kalt und feucht. Bald kam die Feuchte durch seine Hosen. Vorne schwitzte er, hinten fror er.

«Jerka, was soll das? Das kann doch kein Sprung sein! Ich bin doch der Pilot. Wahrscheinlich ist es nur eine Halluzination. Simon soll andere Drogen für mich herstellen. Am besten ich lege mich hin und träume, ich schlafe.»

Sie schwieg, also legte er sich nahe an das Feuer in die Nässe. Er konnte tatsächlich einschlafen.

 
Er landete unsanft auf dem Küchenboden, als der Schub wieder einsetzte. Es war der erste Sprung gewesen, wo er geträumt hatte.

«Simon, keine Sprünge, wenn ich nicht in der Kanzel bin, Nie! Bestätigen!»

«Marik, du sagtest doch, sofort springen wenn bereit. Bestätigte: Keine weiteren Sprünge, wenn du nicht in der Kanzel bist.»

Er rieb sich seinen Nacken. Sein Hosenboden war außerdem nass. War er in der Küche in einer Pfütze gelandet, hatte er in die Hose gepinkelt? Doch es war einfach Wasser. Er zuckte mit den Achseln. «Simon, wie war der Sprung?»

«Marik, innerhalb der Toleranzen, eigentlich sogar auf dem Punkt, obwohl die Massenverteilung unsicher ist. Wohin ging euer Sprung?»

Marik hielt inne. «Simon, wiederholen?»

«Marik, ihr seid gesprungen. Jerka ist gesprungen und hat dich mitgenommen.»

«Simon, soll ich dich abschalten? Wir sind nicht gesprungen, oder?»

«Marik, die Daten reichen dazu nicht aus. Die Wahrscheinlichkeit dazu ist jedoch deutlich größer als 90 %. Ich schlage vor, Jerka zu fragen.»

Er musste unwillkürlich lachen über Simons absolut trockene Antwort. Aber das übertünchte nur seine Besorgnis: Sie beide sollten autonom irgendwohin gesprungen sein? Besser, er wechselte das Thema: «Simon, wie geht es den Spulen?»

«Marik, eine war überlastet, ich musste sie stilllegen, die anderen scheinen wieder stabil. Weitere Fehlermeldungen erwünscht?»

«Simon, alle wichtigen! Immer, wenn sie kommen!»

«Marik, Speicher: 10 % kaputt. Feldverstärker Zündspulen 89 %, 78 %, 31 % und stillgelegt. Ionentriebwerk 11: Filament durchgebrannt. Filter 4 (Kohlendioxid) müsste bald gewechselt werden. Plattform zwei, Kreisel z-Achse verliert an Drehzahl. Kamera 6 mit Wackelkontakt. Mir ging es schon mal besser.»

«Ach Simon, ich bin bisher nur mit Schiffen gesprungen, denen es genauso schlecht ging. He, wie alt bist du eigentlich?»

«Marik, Dreihundertzweiundzwanzig Erdenjahre.»

«Simon, du bist dafür gut in Schuss. Dir stehen bestimmt noch mal fünfzig Jahre bevor. Jetzt werden wir deine ganze Erfahrung brauchen.»

«Marik, die Rechnungen sind noch nicht abgeschlossen.»

«Simon, melde dich dann.» Er ging zur Kabine. Nach einer Dusche und mit neuen Kleidern fühlte er sich schon besser. Aber jetzt meldete sich wieder der Hunger. Ein Energieriegel musste reichen, dann warf er sich in das Bett.

Er erwachte abrupt aus einem traumlosen Schlaf. Doch alles war in Ordnung. Jerka war schon in der Küche. Sie reichte ihm eine Schüssel mit einem dampfenden Gericht entgegen. «Danke, was ist das?»

«Segetichkraut, mit Kirmakäse überbacken, dazu gekochte Santinaflocken. Eines meiner vielen Lieblingsgerichte.»

Er probierte vorsichtig. Es war ein ungewohnter Geschmack, aber sehr lecker. Er nahm noch eine zweite Portion. Dann holte sie zum Nachtisch noch zwei Portionen Grikakompott. Das kannte sogar er. «Jerka, ist das nicht irrsinnig teuer?»

«Ich habe es von Sibek, dort wachsen die Grika. Außerdem wollte ich mich mit diesem Essen von dir vorerst verabschieden.»

Er wusste nicht, was sie sagen wollte. Verabschieden? «Der Sprung wird schon gutgehen. Alle drei intakten Spulen sind noch bei fast zweihundert. Das hat immer geklappt.»

«Du verstehst mich nicht richtig. Ich werde dich im Sprung verlassen. Ich werde abgeholt, wenn wir dem Zentrum am nächsten sind.»

Entsetzen malte sich auf seinem Gesicht ab. «Ein Schiff will in 4D docken?»

«Hast du nie etwas von den verlorenen Göttern, den Sprungreitern oder wie sie auf Fallerian heißen, die Kibanderi und Kibandire gehört?»

«Natürlich, aber Kindergeschichten, das erzählen sich Raumfahrer an der Bar, ich meine, du bist doch nicht, oder?» Er geriet ins Stocken: «Wieso warst du dann dabei, ich verstehe nicht.»

«Es war Urlaub, sozusagen. Außerdem wollte ich unauffällig verschwinden, auf einer Passage sieht keiner richtig nach. Du wirst sehen, Simon wird mich löschen. Ein sehr alter Raumschiffkodex. Den wahren Grund, warum ich hier war, wirst du schon noch erfahren, ich darf ihn dir nicht sagen.» Sie drückte ihm etwas in die Hand. Er war ein kurzes blauschillerndes Röhrchen an einer Halskette.

Sie sah ihm in die Augen. «Du hast bestimmt schon davon gehört: Es ist ein SI-OP. Du wirst ihn bestimmt brauchen. Sag nichts, es war nett, mal wieder normal zu fliegen.»

Betäubt nickte er. Ein SI-OP! Wieder eines der Raumfahrermärchen. Angeblich konnte man damit wie mit einer Spule Schiffe aus oder in das 4D ziehen. Jerka war inzwischen gegangen und noch immer stand er starr mit dem SI-OP in der Hand in der Küche. Vorsichtig legte er es an. Der SI-OP war leicht und fühlte sich eher wie ein Stück Plastik an.

«Marik, ich bin sprungbereit.»

«Simon, ich komme.»

Er schaute nocheinmal kurz in Jerkas Kabine. Sie tat gerade ihre Sachen in einen Rucksack. Er schüttelte den Kopf. Sie war einfach nur verrückt, wahrscheinlich von den Sprüngen ohne Drogen. Wenn das immer solche Halluzinationen wie bei ihren letzten gab, dann wunderte ihn das kaum mehr. Doch er beschloss, ihr Spiel mitzuspielen: «Du verlässt uns tatsächlich? Dann danke ich dir. Mir fehlen die richtigen Worte.»

«Wir sehen uns wieder, sei beruhigt. Bis dann.»

«Bis dann», murmelte er. Bis dann? Simon hatte im Cockpit schon alles vorbereitet. Er schnallte sich an und bereitete das Pflaster vor. Dann sprangen sie. Alle klappte, bevor er wieder im Drogennebel verschwand.

 
«Marik, wir haben ein Problem!»

Simons Stimme dröhnte durch seine Kopfschmerzen. «Simon, leiser. Ich höre.»

«Marik, es gab einen Kurzschluss beim Wiedereintritt in der ersten Spule. Die Sicherung kam nicht heraus. Wir haben noch 2 und 3 mit 78 % und 30 %.»

«Simon, ist Jerka noch da?»

«Marik. Jerka: Ich kann 34 Personen mit diesem Namen aufführen.»

Ok, er hatte sie tatsächlich gelöscht. «Simon, wurden Schotten während des Sprunges geöffnet?»

«Marik, nichts wurde geöffnet.»

Egal, die Wahrheit würde er bald herausfinden. «Ach, Simon, vergiss es. Vorschläge zur Spulen?»

«Marik ich habe keine Reparaturvorschläge für die Spulen.»

«Super, spitzenmäßig. Ich auch nicht. Simon, weißt du etwas über ein SI-OP?»

«Marik: Ein SI-OP ist ein legendärer Gegenstand, der Sprünge ermöglichen soll. Es gibt eine zweifelhafte Analyse eines SI-OP von Zrstly-Institut, wonach es eine miniaturisierte Spule ist, wobei die Frage nach Steuerung und Energiequelle unbeantwortet geblieben war. In der Sage von Jedendig erhält der erste Raumfahrer von den verlorenen Göttern ein SI-OP für sein Schiff. In anderen Kulturen gibt es ähnliche Geschichten. Der Fluch ,,Kann man ja gleich mit einen SI-OP springen!" für ausweglose Situationen stammt aus diesen Hintergründen.»

«Simon, hast du Hinweise zu Bedienung?»

«Marik, nein.» Simon klang fast belustigt. «Ich schlage für den nächsten Sprung einen Fly-by vor. Vier Tage Anlauf. Vielleicht willst du ein paar Filamente wechseln, es sind ausreichend da.»

«Simon, erst mal ruhe ich mich aus. Erinnere mich dran.»

Er schlief lange, gönnte sich eine lange Dusche und ein fürstliches Frühstück. Dann stieg er in den Raumanzug und wechselte fast alle kaputten Teile aus den Ionentriebwerken aus. Fast sechs Stunden verbrachte er im Anzug. Völlig geschafft erholte er sich bei einem Film. Danach lag er einfach im Bett.

«Simon, was sagen die Triebwerke?»

«Marik, sie arbeiten so gut, wie schon lange nicht mehr. Unter den Umständen ist es eine hervorragende Arbeit.»

«Simon, weißt du, wie eine Zündspule aufgebaut ist?»

«Marik, ich werde die Informationen zusammenstellen.»

«Simon, Morgen sehe ich mir die Überhitzte an. Vielleicht kann man entweder beide auf 100 % bringen; oder eine dritte aus den beiden kaputten basteln.»

«Marik, Ich werde versuchen, eine Diagnose zu laufen.»

Zwei Sprünge waren es noch. Und jetzt waren sie nahe am Kern. Draußen standen mindestens drei Sterne so nahe, dass sie heller als der Stern bei der Station waren. Auch die Strahlenbelastung da draußen war reichlich hoch, mit den sechs Stunden waren fünfzig Prozent der zulässigen Jahresdosis überschritten. Dabei hatte er schon etwas manipuliert.

«Simon, kannst du die Ansicht einer neuen intakten Spule projizieren?»

Die Ansicht kam sofort.

«Simon, kaputte Bereiche markieren.»

«Marik, ich kenne die Bereiche leider nicht. Du müsstest hingehen und selbst nachsehen.»

«Simon, weck mich, wenn etwas wichtiges passiert.»

Es wurde dunkel in der Kabine. Von Zeit zu Zeit knackte das kalte Metall. In einer Leitung neben seiner Kabine gluckste eine Flüssigkeit. Die Lüftung gab ein fast unhörbares Zischen von sich. Von Zeit zu Zeit rollte das Schiff für eine kleine Kurskorrektur. Endlich dämmerte er in den Schlaf herüber.

 

Er erwachte von selber, von Schreckensbilder geweckt, was passieren könnte. 108 %, so knapp war es noch nie. Zwei Sprünge standen noch bevor. Mit vielen Ideen stand er auf, bereit etwas zu tun, bevor er sie wieder vergaß. Mühsam robbte er zu der zentralen Kammerspule.

Die erste Spule war völlig hinüber, nur noch eine verkohlte Einheit hing an der Wand. Bei der ersten vorsichtigen Berührung zerfiel sie zu Asche und Kohlestückchen. Die überlastete Spule vier war teilweise blau angelaufen. Simon musste sie bis zum allerletzten ausgereizt haben. Immerhin, auf diesen alten Schiffen war wenigstens der Computer ein Experte. Wenn sie es überhaupt schaffen würden, dann war Simon dafür genau richtig.

Mit wenigen Handgriffen entfernte er die Reste von Spule eins und nahm auch drei und vier heraus und kroch den engen Wartungsschacht zurück.

«Simon, lebst du noch?»

«Marik, sicher.»

«Simon, wieviel weißt du über Spulen?»

«Marik, es sind unabhängige Subsysteme. Ich besitze das Programm zum Zünden und kann ein modifiziertes überspielen. Maximale Erhöhung der Leistung um zwei Prozent pro Spule.»

«Simon, welcher Hersteller baute die hier?»

«Marik, folgende Daten habe ich: Spule 1 gebaut 4713 von JRG, 2 4783 von JRG, 3 4465 von IIT und 4 4466 von ITT. Betriebsstunden: 784624, 784624, 1438712 und 1511789. Ein Ausfall ist bei mehr als 1000000 Stunden mit mehr als 50 % zu erwarten; die Bauteile sind soweit innerhalb der Spezifikation.»

«Simon, vier hängt an der Diagnose. Welche Schäden?»

«Marik, eine Komplettdiagnose dauert eine halbe Stunde.»

Also holte er sein Frühstück nach. Danach hängte er drei an die Diagnose und wendete sich Kleinkram zu. Endlich war Simon fertig: Es war nicht sehr ermutigend. Der ziemlich kaputte Feldverstärker von vier könnte gegen den von drei ausgetauscht werden. Viel Arbeit, nur wenig Verbesserung: Drei würde den nächsten Sprung kaum überleben. Den restlichen Tag und Nachtzyklus verbrachte er in dem Tunnel im Anzug, um die Spulen anzuschließen und optimal auszurichten. Außerdem schloss er die manuelle Zündung an, einen Trick, den ihm Llandren, sein Ziehvater, sein erster Lehrer von Fallerian gelehrt hatte. Kostete dafür aber garantiert die Spule.

 

Er hatte im Wartungstunnel geschlafen. Der Anzug klebte auf seiner Haut, der Fäkalientank war voll und er musste dringend, als er aufschreckte ohne sein Einschlafen bemerkt zu haben. Schnell machte er den Check zuende und kroch zurück und legte sich richtig hin.

Es stank nach Schweiß aus dem Anzug und dem Overall. Er hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Schnell trank er etwas Orangensaft, um ihm wegzuspülen. «Simon, ich habe nachgedacht. Für diesen Sprung nehmen wir nur Spule drei. Ich werde manuell zünden, so haben wir den Rest für den letzten Sprung.»

«Marik, ich bestätige. Noch 1350, ist kritisch wegen Fly-by.»

Die nächste Zeit kümmerte er sich um seinen Anzug, leerte und füllte Tanks, dichtete das kleine Leck und wusch ihn genauso wie den Overall aus. Noch einmal eine große Portion von seinem Lieblingsessen. Dann präparierte er den Helm innen mit dem Drogenpflaster und zog ihn an, robbte wieder in den Wartungstunnel hinein. «Simon?»

«Marik, ich bin bereit. Noch 140»

«Simon, ich bin an der Spule. Wenn es kritisch wird und nichts passiert, dann zündest du, sage mir aber vorher Bescheid. Gibt mir ab 1,0 Countdown.»

«Marik, bestätige.»

Er legte sich bequemer hin und regelte langsam die Spannung in den roten Bereich. Doch noch war die Heizung kalt. Die Rückkopplung musste auch vorsichtig nachgeregelt werden. Der dazu missbrauchte Verstärker hing ebenso wie das Poti in der Regelleitung und der Zuleitung zur kaputten Spule eins in dem Kabelbaum knapp über seinem Kopf.

«Simon, rechne mit jederzeitigem Ausfall der Zündung. Wir brauchen auch mehr Strom als sonst. Bereite drei und eins und zwei für die Zündung vor, zünde aber erst nur drei und eins.»

Simon schwieg. Die Heizungsstrombegrenzung drehte er auf die vorher ermittelte Position, drei und eine halbe Umdrehung. Sein Finger war an dem Schalter für die Heizung.

«1,0 ,9»

«Simon, zünde drei um ,3 immer weiter bis -1, dann muss es eben eins schaffen!»

«,7 ,6 ,5 ,4 ,3»

Die LED wurde gelb. Er hörte das schwache Geräusch der leerlaufenden Zündung. Mit einer Handbewegung erwachte die Heizung zum Leben. Es qualmte kurz aus dem Photoverstärker, ein Lichtbogen blendete ihn, dann öffnete sich der Raum: Sie hatten gezündet. Er ruckte mit Kopf nach links und spürte das Pflaster. Der Raum verschwand in Schwärze.

 

Er wachte auf. Dröhnende Kopfschmerzen und ein schrecklicher Lärm. Dann kamen die Bilder, obwohl seine Augen noch immer geschlossen waren: Sie waren immer noch in 4D. «Simon!», rief er, sofort wieder bereuend, während sich die Echos des Schreis zu den übrigen Geräuschen gesellten. Einige Ewigkeiten später, welche Zeit gab es eigentlich im 4D, lag er wieder in 3D im Wartungstunnel.

«Marik, wie geht es dir?»

«Simon, was hast du gemacht?»

«Marik, drei hat gezündet, war aber instabil. Habe mit der Spulenspannung kompensiert. Solange es ging ließ ich drei laufen, habe vier aber in Bereitschaft gehalten. Als drei auszugehen drohte, hat vier übernommen. Wir sind direkt vor dem letzten Sprung, gerade ein viertel Parsec vom Ziel. Zwei weitere Sprünge hätten die beiden Spulen nicht durchgehalten.»

«Simon, du hast mich fast umgebracht. Ich bin im 4D erwacht.»

«Marik, das habe ich befürchtet. Ich habe jedoch keinen anderen Weg gesehen und bin froh, dass es dir gut geht.»

«Scheiße Simon.» Er sah auf die fast nicht mehr vorhandenen Überreste der Spule drei. Sie musste regelrecht verdampft sein. Überall hatte sich der Ruß verteilt. Seine Sichtscheibe war auch benebelt.

«Marik, du solltest heraus, dein Sauerstoff müsste bald zuende sein.»

«Simon, ich werde dich stilllegen, wenn wir da sind!» Wütend kroch er zurück.

«Marik, bitte nicht. Es war die einzige realistische Möglichkeit.»

«Simon, warum hattest du nichts gesagt.»

«Marik, ich nahm an, die manuelle Zündung würde erfolgreicher sein.»

«Simon, du hast noch nie eine manuelle Zündung miterlebt, oder? Das war die bisher erfolgreichste Zündung, nur mit einer einzigen, noch dazu einer kaputten, Spule sind wir gesprungen. Du bist echt undankbar.» Simon antwortete nicht. Er schloss das Schott und stand endlich wieder in der Messe. Endlich konnte er den Helm abnehmen: Er hätte noch Luft für 0020 gehabt.

Die Luft war kalt und abgestanden. Jetzt erst sah er den Reif an manchen Kanten. Es stank nach verbrannter Elektronik, dass ihm übel wurde. «Simon, was ist mit der Lebenserhaltung los?»

«Marik, ich habe für den Sprung alles an Reserven gegeben, was da war. Du warst im Anzug, wozu war die Lebenserhaltung gut? Außerdem hat der Sprung bis zum Ausbrennen die primäre Energieversorgung stark überlastet. Aber die Lebenserhaltung ist nicht gefährdet. Noch 0010, dann ist wieder alles innerhalb der Toleranzen.»

«Simon, weitere Schäden und Sprungleistung?»

«Marik: Sprungleistung 106 % theoretisch. Primäre Energieversorgung kollabiert, es laufen nur die Sekundärsysteme. Du wirst die Primärversorgung reparieren müssen, um noch mal zu springen. Keine weiteren wichtige Schäden, die reparierten Ionentriebwerke arbeiten, so es der Hilfsreaktor hergibt, mit voller Bremsleistung. Du hast zwar nicht gefragt: vor dem nächsten Sprung müssen wir ungefähr sieben Tage bremsen.» Nach einem Moment fügte die KI noch hinzu: «Marik, ich möchte dir gratulieren. Es war der weiteste Sprung, den ich je gemacht habe, noch dazu mit einer kaputten Spule. Wenn der Reaktor ausgebrannt wäre, meine Versorgung wäre bestimmt noch 600 Jahre gewährleistet, ich hätte auch mit Ionenantrieb die nächste Basis erreichen können.»

Besten Dank. Wortlos ging Marik in seine Kabine und stellte sich mit dem geschlossenen Anzug unter die Dusche. Schwarzer Ruß sammelte sich im Abfluss. Dann, mit warmen Wasser und in warmer Kabine wiederholte er die Prozedur für sich selber.

«Marik, du musst etwas essen! Krantaz wartet im Ofen!»

«Simon, ich will schlafen», murmelte er.

«Marik, du hast fast sechs Tage nichts gegessen oder getrunken.»

Die Worte erreichten ihn durch den warmen Nebel der Dusche. Plötzlich kam es eiskalt aus den Leitungen. «Simon, was soll das? Dusche aus!» Dann erst kam der Rest von Simons Rede bei ihm an. Verführerisch duftete es nach zerlaufenen Kranta. Würde er halt erst etwas essen.

Während er aß, erwachte sein Hunger erst so richtig. So aß er noch eine zweite Portion und trank reichlich. Je mehr jedoch diese grundlegenden Bedürfnisse gestillt waren, desto mehr machten sich die Drogen und die Wachzeit in 4D bemerkbar, zusammen mit den Druck- und Scheuerstellen von dem Anzug. Von der Müdigkeit und dem guten Essen überwältigt, sank er bald in tiefen Schlaf.

Fast zwei Tage hatte er geschlafen und als er aufwachte, waren die meisten blauen Flecken schon wieder am verblassen und die Kopfschmerzen erträglich. Simon hatte auch keine weiteren wichtigen Meldungen mehr für ihn, so dass er in Ruhe ein ausgiebiges Frühstück essen konnte.

 

Seit drei Tagen frickelte er an diesem schrottigen Fusionsreaktor herum. Es war ein trauriger Anblick: Der ganze Raum war dunkel von Staub und dem Ruß verkohlter Leitungen. Und da Kohlenstoff bekanntlich leitet, musste er als erstes eine Generalreinigung im Vakuum bei nahezu Schwerelosigkeit vornehmen. Und länger als sechs oder sieben Stunden wollte er nicht in dem Anzug bleiben; vorgeschrieben waren eh maximal vier Stunden.

Langsam ging es voran. Immerhin hatten die robusten thermoelektrischen Wandler und die MHD-Generatorstufe es überlebt. Das Problem war der Verteiler: Eine etwas lockere Verbindung hatte sich bis zum Verdampfen überhitzt.

Doch die war schnell geflickt. Und der Raum war jetzt so sauber, dass man die Warnung: ,,Fusionsgenerator: Betreten nur nach 10 Tagen Abklingzeit!" an dem Reaktor deutlich entziffern konnte.

Aber er hatte ja schon fast 5 Tage gestanden, bevor er hier das erste Mal war. Nur mit einer Helmlampe bastelte er nun den neuen provisorischen Verteiler. Zum Glück gab es reichlich Ersatzteile für die Elektrik, scheinbar hatten die letzten Piloten schon viel früher mit einem Ausfall der Elektrik gerechnet. Diese neue Verteilerschiene wirkte fremd, so blitzsauber und neu war sie. Das gute Stück würde mehr Jahre halten, als Simon noch zu erwarten hatte, soviel war sicher.

Er sprach in sein Funkgerät: «Simon, teste man den Hauptverteiler.»

Es wurde hell. «Marik, hervorragend. Schade, dass du keine Spulen bauen kannst. So gut war ich lange nicht mehr in Schuss.»

«Simon, dass muss auch noch ein bisschen halten, es gibt praktisch keine Ersatzteile mehr. Starte den Hauptreaktor in 0100.» Damit zog er sich heraus und schloss das Sicherungsschott. Mittlerweile kannte er die Wartungsschächte von Simon wie seine Westentasche und achtete kaum mehr auf die blinkenden Lichter, die den Weg markierten. Endlich war er wieder in der Messe.

«Simon, wie stehts?»

«Marik, er startet noch. Schließlich war er 8 Tage kalt gewesen. Auch das Vakuum hat gelitten. Bis 71 Millionen Kelvin dauert es. Wir sind er bei 52 Millionen. Ich sag dir dann bescheid.»

«Simon, ich dusche.»

«Marik, nicht. Ich kann dir keinen Schub geben, ich brauche wirklich alles für die 71 Millionen Kelvin. Und bei Schwerelosigkeit erstickst du.»

Er seufzte und wartete. Das Licht wurde trübe. Er ließ sich sehr langsam in Richtung Cockpit treiben. Er musste an Jerka denken. War er verrückt geworden? Hatte er sich selbst im 4D im Delirium den SI-OP angefertigt? Er hatte mal so eine Geschichte gehört. Das Licht ging jetzt ganz aus, nur durch die Cockpitscheiben sah er ein paar Sterne. Selbst das zerschundene Display war dunkel.

Mit einem Mal wurde es hell, der Schub setzte langsam ein und das Display, bzw. die noch funktionierende untere Hälfte wurde hell. «Marik, wir haben wieder Power.»

«Simon, genug zum duschen?»

«Marik, wenn du willst bei 1,0 Schub»

«Simon, mach es.»

Eine warme Dusche, ein Essen, und dann schlafen.

 

«Simon, heute geht es auf zum letzten Sprung. Wie geht es dir so?»

Die Stimme klang fast freudig erregt: «Marik, der Reaktor schnurrt, die Triebwerke schieben, dass es eine Freude ist.»

«Simon, Status!»

«Marik: Reaktor 110 %, Triebwerke 105 %, Spulen 106,4 %.»

«Simon, Eine weitere manuelle Zündung willst du sicher nicht.»

«Marik, du bist der Pilot. Ich hatte vorher nie unter 247 %.» Plötzlich klang die Stimme traurig. «Ich werde wahrscheinlich in den Innersystemdienst gehen müssen, wenn wir ankommen.»

«Simon, werd' nicht auch noch depressiv. So gut, wie du dich jetzt fühlst wird man bestimmt noch eine Spule auswechseln. Ehrlich, ich finde es ganz nett, mit dir zu fliegen. Du bist einer der besten Computer, die ich hatte.» Auch wenn es erst vierzehn waren.

«Marik: Sprung in 0017.»

«Simon: bestätigt.» Er hob das SI-OP hoch, das um den Copilotenknüppel hing. Hoffentlich brachte es wenigstens Glück, wenn es sonst schon zu nichts taugte. Der Raum verschwand und er haute sich das Pflaster auf die Wange.

 

Er erwachte. Vor den Scheiben lag ein Planet und in der Nähe eine Station. «Simon!» Er trommelte auf die Cockpitverkleidung «Wir haben es geschafft!»

«Marik, ja! Sprungleistung noch 105,2 %. Wir können noch weiter.»

«Simon, himmel, nein! Andocken, ausladen und reparieren. Ich werde diverse gute Worte für dich einlegen. Gib mir die Station.»


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