Sklaven von Markus Pristovsek


Shiela lag zusammengerollt, den Kopf über die Beine gelegt, auf der Abdeckung des Hilfkonverters der Lebenserhaltung. Mit je einer Vorder- und Hinterhand hielt sie sich an zwei Trägern fest und schlief, während das Schiff bockend beschleunigte. Plötzlich wachte sie auf.

Doch alles war in Ordnung, sie hatte nur von ihrem Meister geträumt. Sie fluchte über die verdammten Instinkte und Gene und nahm eine Tablette aus der Brusttasche ihres Overalls. Sie schüttelte sich kurz und sank dann wieder in das Reich der Träume zurück. Das Zucken ihrer Schwanzspitze zeigte aber, daß es kein tiefer, ruhiger Schlaf war.

 

Auch in dem Bett in der einzigen Kabine des Schiffes war dem Schläfer kein ruhiger Schlaf beschert, unabhängig ob er nun Meister war oder nicht. Das Rütteln des Schiffes ließ seinen Kopf immer wieder zur Wand gleiten, bis er dagegen schlug, wovon er geweckt wurde. Dazu kamen quälende Bauchschmerzen. Er konnte seine Eltern förmlich schimpfen hören: ,,Wir haben es doch immer gesagt." Doch um nichts wollte er tauschen, er tat -- anders als die vier Generationen vor ihm -- wieder etwas: Er verdiente Geld mit eigener Hand, er war unabhängiger Spediteur. Er hatte mehr unmittelbare Verantwortung als der ganze andere träge Haufen, weil ein für Sheila mit sorgen musste. Die meisten sahen in ihr nur eine Sklavin. Das machte ihn traurig, denn sie war genauso intelligent wie er; nur war sie halt von ihm körperlich abhängig, wie es das Gesetz verlangte.

Auch sah sie natürlich anders aus, wie es das Gesetz verlangte. Und da seine Eltern sehr reich und einflußreich waren, war Sheila etwas Besonderes. Sie hatte sehr langes, weiches, weißgrau getigertes Fell, etwas was sie selbst immer verfluchte. Wie er heute fand, war ihre Figur atemberaubend, wenn man sich das Fell wegdachte. Dazu war sie auch noch kräftig, er würde es nie mit ihr aufnehmen können. Natürlich hatte sie wie alle Sklaven einen Kopf, der wie eine Mischung aus Mensch und Löwe aussah, doch auch hier waren die Proportionen sehr ausgewogen. Ihre Katzenaugen waren purpurn, spitze Ohren folgten unwillkürlich jedem Laut. Und schließlich hatten alle Sklaven einen Schwanz und statt Füßen Hände. Ihm war der Sinn dessen schleierhaft, es sei denn, Sklaven sollten optisch mehr Tiere als Menschen sein.

Als Kind hatte er den Sinn des Wortes Sklave nicht recht verstanden, Sheila war nur eine Spielgefährtin, auch seine Freunde hatten Sklaven; Sklave war für ihn ständiger Spielgefährte. Sie hatte langes Fell, damit er sie als Kind schön kuschelig finden sollte. Seit er zehn Jahren alt war, war Sheila an ihn gekettet. Der Vater eines seiner Freunde hatte ihm das System der Sklaverei erklärt, als er elf war, doch da war es zu spät; seine Eltern hätten Sheila eher beseitigt denn freigegeben (was ja auch unmöglich war). Er fand es herabwürdigend, dass sie von seiner Spucke oder sonstigen Körpersäften abhängig war. Was waren das nur für Menschen, die solche Gesetze gemacht hatten und machten?

Sheila war klug, sie hätte als Freie einen Studienabschluß machen können. Er respektierte sie wie einen anderen Menschen. Und er liebte sie, nicht nur körperlich, wie es für einen Meister durchaus normal war; nein, er liebte alles an ihr. Sie wußte es genau, auch ohne daß je eine Bemerkung seinerseits gefallen war. Leider war alles nicht so einfach, denn sie war von ihm abhängig, aber das hat so wenig mit Liebe zu tun, wie Hunger mit Feinschmeckertum.

Sie verstanden sich dabei gut ohne viele Worte. Er respektierte ihre Meinung, wohl wissend, dass sie ihm auf manchen Gebieten überlegen war. Gerade die Wartung des Schiffes lag ganz in ihrer Hand. Aber selbst dort, wo er sich auskannte, hörte er gerne ihren Rat.

 

Sheila stand abrupt auf. Sie konnte nicht mehr schlafen, drei Stunden waren genug. Das Rütteln ging ihr auch auf die Nerven und natürlich spürte sie wieder das Verlangen nach Rhon. Sie wäre jederzeit mit ihm ins Bett gegangen, zumindest körperlich. Lieben tat sie ihn nicht; er stand so hoch in ihrer persönlichen Wertschätzung, dass sie nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt lieben konnte.

Sie machte je fünfundzwanzig Klimmzüge, erst mit den Armen, dann mit den Beinen, um wach zu werden. Als sie ihr Werkzeug endlich gefunden hatte, kroch sie wieder in die Maschine, nach der Ursache der Schubsprünge suchend.

 

Rhon war wieder mit dem Kopf an der Wand angelangt. Gerade hatte es einen mächtigen Ruck gegeben. Sein Kopf schmerzte mit seinem Bauch um die Wette. Er nahm eine Tablette, sah auf die Uhr und wurde schnell munter. Drei Tropfen Wasser benetzten das Gesicht, dann war Schluß: Das Wasser war zu Ende. Egal, heute würden sie eh docken.

Das Schiff machte noch einen zweiten Satz, so daß er über den Korridor taumelte. Dann flog es merklich ruhiger. Die relative Stille war eine Offenbarung, er hatte gar nicht gemerkt, wieviel Teile um ihn geklappert hatten. Freudig strebte er dem Maschinenraum entgegen. Sheila war in der Maschine halb versteckt, nur eine Fußhand tastete nach einem Schraubenzieher. Doch als sie ihn hörte, kam sie sofort heraus.

«Schön, das die den Fehler endlich gefunden hast.»

«Ich bin ein Esel. Das hätte ich schon viel früher finden können. Es war Dreck in der Vorpumpe, ein ganz erbärmlicher Druck. Der Druckregler kann natürlich nicht regeln, wenn der Vordruck über dem in der differentiellen Pumpstufe steigt.»

«Welcher Vordruck?», fragte er interessiert.

«Natürlich der Vorpumpe. Welcher sollte es sonst» Sie biss sich auf die Zunge. Dann senkte sie den Kopf und legte die Ohren nach vorne. Er kannte diese Geste.

«Ich bin nicht gut darin, deswegen bin ich froh, daß du das machst. Eigentlich habe ich genauer betrachtet sogar weniger geleistet.» Doch als er ihr Gesicht sah, verstummte er.

,Verdammt', dachte Sheila. Ihr Körper begann zu zittern. Sie verfluchte ihn, dieses Produkt der Designer, doch es half nichts, jetzt beherrschte wieder ihr Körper ihren Geist. Ihre Augen hatten sich verengt, sie konnte nur noch ihn anblicken. Natürlich hatte er es längst bemerkt.

«Na gut», sagte er, «bringen wir es hinter uns.»

Ihr Körper hüpfte förmlich. Sie zwang sich langsam zu gehen, um die Maske der Zivilisation nicht ganz fallen zu lassen. Dabei hätte sie jetzt sogar für ihn gemordet. Sehr sanft umarmte sie ihn. Er öffnete seinen Mund, wie sie den ihren. Wie zum Zungenkuss preßten sie sich aneinander, doch es war wenig Genuss dabei. Ihre lange Zunge kroch aus ihrem Mund zwischen ihren spitzen Schneidezähnen hindurch hinaus und leckte seinen Mund aus. Es war der reine Genuss für sie, das reine Wohlgefühl. Es war ein billiger Trip, sie wussten es beide. Nur konnte sie ohne nicht überleben. Es dauerte dann immer fünf bis zehn Minuten, bis sie sich wieder gefasst hatte. Danach bereute sie, was sinnlos war, wenn es denn schon nötig war, könnte sie es ja wenigstens genießen.

Gerade meldete sich der Schiffscomputer. Die Erde hatte ihnen Station sieben zugewiesen. Sheila fluchte. Station 7 war der Ort, wo alle Sklaven herkamen, ob sie nun verurteilte Straftäter waren oder extra geschaffen wurden. Auch Rhon war nicht erfreut: Treibstoff war dort teuer und richtige Aufträge gab es dort auch nicht. Nur einen Unabhängigen, der keine Firma im Rücken hatte, konnte man dorthin schicken. Hätte er nicht diese verdammten Bauchschmerzen, wäre er in Warteposition gegangen.

Also machten sie alles klar für den Anleger. Alle Listen und Formulare hatte er vorbereitet und ausgefüllt, soweit er es schon konnte. Das war seine Domäne, Verwaltung hatte er gelernt. Sheila betrat die Kabine.

«Deine Schmerzen haben mich geweckt heute Nacht.» Es war nicht anklagend gemeint, er wusste es. «Du musst sofort zum Arzt. Aber ich bitte dich, mich nicht zu erwähnen, halt mich ganz heraus, auch aus den Schiffspapieren, bitte.»

«Ganz.» Er zog die Augenbrauen hoch. Ihr Körper erschrak. Sie hatte ihn doch nicht verärgert? «Wird aufwendig. Muss das wirklich sein?» Im selben Moment bedauerte er es schon wieder

«Ja, ich bitte dich. Du kennst nicht annähernd so viel wie ich von diesem Platz.» Sie spürte seine Zustimmung, noch bevor er antwortete. Also füllte er einen Teil der Formulare erneut aus.

Zwei Stunden später ließ der sanfte Bremsschub kurz nach. Dann setzten erneut rauhe Schubstöße ein. Auch ohne auf die Instrumente zu sehen, wußte Sheila, dass die Station übernommen hatte. Der Computer führte sie wie einen Massengutfrachter. Ein Grund mehr, diese Station zu hassen, die soviel toleriertes, nein, sogar gewolltes Leiden und Elend produzierte. Sie verkroch sich in der Maschine und wartete auf das Krachen der Klammern. Sie brauchte nicht lange zu warten. Mit einen Seitenruck setzte die Schwerkraft wieder ein.

Rhon fluchte und hielt sich seine schmerzende Seite. Ihn hatte das Andocken im Gang erwischt und er war hingefallen. Zur Zeit lag sein Kopf im Wettkampf um den meisten Schmerz vor. Er wankte zur vorderen Schleuse und aktivierte die Testsysteme. Alles war in Ordnung. Also wankte er in die Station, holte sich noch eine Erfrierung an der Hand von den Schleusenwänden. Er spürte sie nicht einmal. Draußen standen drei Sklaven bereit.

«Willkommen auf 7, Sir.»

«Hier die Papiere. Die Systeme brauchen dringend Wasser, so zweitausend Liter. Vielleicht auch zweitausend Liter Wasserstoff und genauso viel Sauerstoff. Das Konto wurde bereits im Anflug freigegeben.»

«Das ist richtig, Sir.»

Der Sklave sah ruhig die Papiere durch.

«Stimmt etwas nicht?», fragte Rhon ungeduldig.

Doch der Sklave ließ sich nicht beeindrucken. «Es scheint zu stimmen, Sir. Fangt an!» Die beiden Sklaven waren offensichtlich seine eigenen. Sklaven, die Sklaven hatten. Wenn es ihm besser gegangen wäre, hätte er das bestimmt lustig gefunden.

«Ich hätte mich gerne behandelt.»

«Gehen sie zu 7-42a, dort wird man sie versorgen, Sir.»

Er murmelte ärgerlich. Nicht mal einen Transporter hatte der Sklave geholt. Es war zwar nicht weit, aber trotzdem. Seine Laune war auf dem Tiefpunkt, als er ankam. Der Arzt dort erkannte sofort seine Schmerzen als eine fortgeschrittene Blinddarmentzündung. Rhon schrieb von dem Terminal in der Praxis eine kurze Nachricht an seine Standardverteilerliste. Dann begab er sich in die Hände des Arztes.

 

Shiela saß in der Maschine und wartete. Doch er hatte ihrem Wunsch entsprochen und den Code nicht weitergegeben, denn niemand kam an Bord. Nur die Vorräte, um die er gefragt hatte, flossen an Bord. Sie schraubte wieder an der verdammten Pumpe, denn auf dieser Station wären alle Teile so teuer, wie woanders die vergoldete Ausführung. Sonst war wenig zu tun.

Sie las die Nachricht von ihm: Blinddarm also, sie hätten wirklich nicht länger warten dürfen. Auch seine Verwandtschaft würde die Nachricht erhalten und würden sich wieder Sorgen machen. Sie konnten nicht wissen, wie Rhon dies hasste, und wie auch sie die ganze Verwandtschaft anstank. Für diese Unpersonen war sie nur ein Haustier oder ein Möbelstück. Und sie hatten Sklaven, die sich genauso benahmen, als seinen sie eines.

Um ihren Ärger zu dämpfen und sich abzulenken, schalte sie sich in das Nachrichtennetz. Viel Schund oder Rauschen, wie sie zu sagen pflegte, wenig Substanz, ganz wenige Juwelen. Aber dafür ziemlich anonym. Rhon hatte einen ganz normalen Nutzerzugang für sie beantragt und bekommen. Es war damals nicht legal und heute erst recht nicht. Die Welt wurde immer konservativer.

Dennoch gab es zumindest einige, die wie Rhon dachten. Das war die Rubrik, die sie am liebsten las. Sie postete auch und hätten gerne gewußt, was die Leute, die ihre Nachrichten lasen, sich für Vorstellungen von ihr machten. Ihrerseits glaubte sie zu merken, wann eine Nachricht von einem Sklaven geschrieben worden war. Doch eigentlich war es egal, der Inhalt zählte.

Wenig interessantes gab es. Für die hohe Politik war Rhon zuständig. Aber das Gerücht, die Strafe zum Sklaven gemacht zu werden, würde bereits bei schwerer Beleidigung gegeben, um die Nachfrage zu befriedigen, erschütterte sie doch.

Da Rhon etwas von drei Tagen geschrieben hatte, die die Operation dauern sollte, beschloss sie, diese Zeit durchzuschlafen. Sonst gab es nichts zu tun und so würde sie dann auch nicht ständig an ihn denken müssen und die Entzugserscheinungen ausleiden müssen. Also holte sie die Medikamente.

 

«Antworten Sie!»

Es war ein Dämmerzustand. Mehr als sein Geist war nicht wach. Sein Körper schien ruhig zu schlafen und auch sein Geist war benebelt. Endlich war er soweit, dass er antworten konnte. «Ja?», hauchte er.

«Wir brauchen den Code ihres Schiffes.»

«Sheila...»

«Was ist mit Sheila?»

Doch er war schon wieder weggesunken.

 

Nach dem Aufwachen verlangte ihr Körper nach Rhon. Aber er war nicht im Schiff, das roch sie sofort. Mit zittrigen Fingern nahm sie eine Tablette aus ihrem Brustbeutel. Sie enthielt gefriergetrocknete Spucke, Rhons Erfindung. Noch vier hatte sie. Dann sah sie die Post durch.

Es war eine Nachricht an die Liste von Rhon da. Sie würde von dort an alle Verwandten geschickt werden. Dort stand wörtlich, daß Rhon ein fortgeschrittenes Krebsgeschwür hätte. Keine Sekunde glaubte sie das. Aber warum sollte Station 7 lügen?

Selbst in ihrem Hass fiel ihr kein guter Grund ein. Es konnte kein Krebs sein, da dies Jahre brauchte, um in das fortgeschrittene Stadium zu kommen und sie hatten sich erst kurz vorher durchchecken lassen. Was sie zusätzlich verwirrte, war das Fehlen jeglicher privaten Nachricht von ihm. Mehr als drei Tage war bestimmt niemand in Narkose. Sie versuchte, sich tiefer in die Station einzuhacken, doch dazu waren ihre Kenntnisse zu gering. Immerhin galt das alte Universalpasswort immer noch für die einfachen allgemeinen Systeme.

Es blieb nur warten.

 

Etwas stimmte nicht. Das spürte er deutlich, vom pelzigen Geschmack auf der Zunge bis zum Ziehen in allen Körperteilen, nur nicht im Bauch. Der Bauch war eigentlich die einzige Region, die Ok war. Aber genau konnte er das nicht sagen, denn sein Körper war nur ein schwaches Echo seiner selbst. Seine Befehle an ihn kamen nie an. Nicht einmal die Augen konnte er öffnen. Und sein Gehör lieferte auch nichts Brauchbares.

Er versuchte mit aller Kraft die er aufbringen konnte, sich zu bewegen, aber das Ergebnis war nur ein seltsames Gefühl, eine Art Kitzeln an unbekannter Stelle. Es wurde wieder dunkel um ihn.

 

Eine Woche hatte sie gewartet. Die letzte Tablette hatte sie genommen. Doch sie musste jetzt einfach zu ihm, selbst wenn sie nicht abhängig gewesen wäre, sie wollte auch zu ihm. Etwas stank hier zum Himmel, sie wusste bloß nicht, was denn eigentlich.

Sie kramte in der Kiste, wo sie alle ihre Sachen aufbewahrte. Sie hatte noch eine Standardsklavenbekleidung. Natürlich hasste sie sie, aber da draußen wollte sie nicht auffallen.

Niemand sah zu ihr, als sie das Dock betrat. Sofort lief sie festen unbeirrbaren Schrittes zu 7-42a. Niemand hielt sie auf, so zielbewusst, wie sie war. Sie begegnete aber auch nur zwei Menschen, alles andere waren Sklaven. Sie pflügte ruhig durch sie hindurch.

 

Diesmal waren die Schmerzen fast verschwunden, auch gehorchte sein Gesicht wenigstens ihm. Doch es war zu grell, als er die Augen öffnete.

«Gut, daß sie endlich aufwachen. Wir brauchen ihren Schiffscode. Sheila war falsch.»

Es dauerte einige Zeit, bis er es verarbeitet hatte. «Warum?»

«Wir brauchen medizinische Unterlagen über ihre Vorgeschichte.»

«Keine, elektronisch, med/qua. 1-6.»

«Wir brauchen ihr Kennwort!»

«Sheila hat ... »

«Was hat Sheila. Und wer» Jemand flüsterte dem Sprecher ins Ohr. Dann erlosch das Licht und sie ließen ihn in Ruhe.

 

Station 7-42a war leer. Jedenfalls für sie, denn Rhon war nicht da, ein kaum merklicher Geruch von ihm war alles. Sie ging zum Terminal an der Wand. Der Computer fragte nach einem Kennwort. Der erste Versuch mit dem Universalkennwort schlug fehl. Da betrat ein anderer Sklave den Raum.

«Der Rechner mag mich mal wieder nicht. Kannst du mal kurz nachsehen, wo der Patient hier ist? Der Name müsste Rhon Kestrin sein.»

Der Andere nickte. «Mich haben sie schon zweimal versehentlich heruntergestuft. Da ist einfach zu viel Bürokratie, wenn man mich fragen würde. Ah ja, wenn das der Mensch mit Blinddarmentzündung ist, dann liegt er jetzt auf 7-99c. Das ist der 0 Aus irgendeinem Grund ist der Rest gesperrt. Fast wie bei einem Neuzugang.»

«Besten Dank, wie heißt du eigentlich? Ich bin Sheila.»

«Jenkins van der Merde. Wegen dem Passwort kannst du ja nachher noch einmal zu mir kommen. Ich kann vielleicht einem Freund Bescheid sagen, dass er dich ohne Bürokratie reaktiviert.»

«Danke, ich muß jetzt erst mal weiter, tschüss.»

Sie musste sich beherrschen, nicht zu rennen oder zu hüpfen und das Zittern so gut es ging zu unterdrücken. Sie war stolz, denn die anderen Sklaven mit denen sie aufgewachsen war, würden schon heulende Wracks sein. Sieben Tage Entzug! Stattdessen konnte sie Rhon vielleicht sogar das Leben retten.

Sie konnte Rhon schon riechen, bevor sie die Tür zu 7-99c durchschritten hatte. Ihr Glück war, dass der Raum völlig leer war. Ihre Augen hatten sich so verengt, daß sie nichts sehen konnte. Zwei oder drei Minuten saugte sie ihn fast aus, bis sie ihre Beherrschung wiederfand und es bemerkte. Fast hätte sie aufgeschrien. Die Schweine hatten aus Rhon einen Sklaven gemacht. Wäre sie nicht auf ihn fixiert gewesen, hätte sie ihn kaum erkannt. Sein Haar war zwar immer noch so grau, doch das war fast alles, seine Hände waren noch ähnlich, aber wer kennt schon die Hände eines Menschen, wenn es nicht die des Meisters sind.

Sie schlug die Decke zurück. Er war ganz und gar Sklave, mit Schwanz, Fell und Hinterhänden statt Füßen. Einige Sekunden stritten ganz und gar widersprüchliche Gefühle in ihr. Eine Welt war in ihr zusammengebrochen, eine biologisch programmierte Welt. Hätte Rhon nicht schon früher versucht, sie von ihm zu lösen, wäre sie wohl verrückt geworden.

Doch plötzlich erwachte sie aus ihrer Starre und sah sich im Zimmer genauer um. In dem einem Wandfach war schon Sklavenkleidung für ihn. Selbst seinen richtigen Namen hatten sie aufgestickt. Sie waren entweder dumm oder gerissen, sie hoffte mehr ersteres. Papiere für ihn gab es auch, sogar ein Passwort gab es in einem Umschlag. Aber es war zum Glück noch kein neuer Besitzer eingetragen.

Sie zögerte kurz, ob sie ihn vom Tropf abnehmen sollte. Aber wenn die ganzen Unterlagen hier waren, dann würde er sicher bald entlassen werden. Oder eher den Rest seines Lebens in Unfreiheit antreten. Sie zog ihn so vorsichtig wie möglich an, um den Herzsensor nicht auszulösen. Dann deckte sie ihn wieder zu. Es fehlte noch etwas.

Nebenan war ein Lagerraum, genau was sie suchte. Eine Rollbahre gab es dort. Schnell hatte sie Rhon umgeschnallt. Dann sah sie sich kurz den Monitor für die Herzfunktionen an. Unten stand eine Anweisung zum Wechseln der Elektroden. Sie befolgte sie bis zu dem Punkt, wo sie eine neue hätte einstöpseln sollen. Hoffentlich war der Apparat für langsame Zeitgenossen gebaut, die dann drei Minuten Zeit zum Wechseln der Elektroden hätten, bis ein Alarm ausgelöst wurde. Dann schob sie ihn ganz ruhig aus dem Zimmer.

Niemand beachtete sie. Auch das Rhon noch betäubt war, kam ihrer Flucht entgegen, denn er wäre sicher geschockt.

Es ging kinderleicht. Sie standen an der Schiffsschleuse. Im selben Moment, wie sie den Code eingegeben hatte, summte am Dockingport ein Alarm. Doch die Schleuse öffnete sich gehorsam und schloss sich wie befohlen. Noch in der Schleuse änderte sie schnell das Kennwort. Die Station hatte gehorsam das Schiff, das sie wohl übernehmen wollte, mit Treibstoff und Vorräten gefüllt. Sogar randvoll und nicht nur die bezahlten zweitausend Liter. Das brachte sie auf eine Idee.

Zur Drohung ließ sie die Kathoden der Ionentriebwerke auf Temperatur bringen und minimale Beschleunigung aufbauen. Die war weder für sie, noch für die Station eine echte Bedrohung, zeigte aber, daß sie durchaus gewillt und fähig war, die Station erheblich zu beschädigen. Dann sank sie an Ort und Stelle zusammen, die Ruhe von sieben Tagen hatte der Stress der letzten drei Stunden gekostet. Sie erwachte aber kurz darauf wieder, als Rhon leise stöhnte.

 

Es war ein seltsames Erwachen. Er spürte immer noch ein leichtes Ziehen, als hätte er in jedem Muskel einen leichten Muskelkater. Dazu kam ein Jucken. Als nächstes erwachte der Geruchsinn, ein merkwürdiger, sehr erfreulicher Geruch lag in der Luft. Dann kamen die Geräusche. Er war an Bord des Schiffes, er hörte das Knacken der Antriebe. Nur waren sie zu leise, so schwer, wie er sich fühlte, hätten sie dröhnen müssen. Endlich erwachten nun die Augen.

Er war tatsächlich im Schiff. Sheila lag beim Pilotensessel. Er wollte sie rufen, doch ihm entfuhr nur ein Stöhnen. Das weckte sie, sie hatte nur leicht geschlafen. Dann versuchte er, seinen Kopf zu bewegen. Protestierend erwachten die Halsmuskeln, doch sie gehorchten. Er lag bis obenhin zugedeckt auf einer Bahre festgeschnallt. Die Arme gehorchten widerwillig, und die Decke fiel herunter. Er erstarrte. Die Hände waren zwar seine, aber mit weißgrau getigertem Fell bedeckt, ähnlich wie Sheila.

«Die Schweine haben aus dir einen Sklaven gemacht.» Sheila legte ihren Kopf in seinen Schoß. Dann begann sie zu schluchzen. Vorsichtig hob er sie und wollte sie küssen. Da merkte er, daß nicht einmal sein Mund mehr der alte war. Er stand auf, war aber so schwach, daß er sofort wieder zusammenbrach. Sie trug ihn in seine Kabine. Nur am Rande bekam er das Gespräch von der Station und Sheila mit.

Die Station war wütend und wahrscheinlich auch verwirrt. «Wir rufen Kataster. Bitte schalten sie ihre Antriebe aus. Dies ist ein unfreundlicher Akt.»

Sie lachte. «Geben sie uns frei. Ich verdoppele die Leistung jede Minute.»

Am anderen Ende war herrschte Schweigen, nur Rauschen war zu hören. Dann wurde die Leitung unterbrochen. Sie verdoppelte schon mal auf 4 % Hoffentlich kamen sie rechtzeitig zu einer Entscheidung. Vielleicht sollte sie einen zusätzlichen Bluff versuchen. Verdammt, dafür war eigentlich Rhon zuständig.

Er auf seinem Bett, als Sheila wieder hereinkam. Sie half ihm auf, so dass er sich im Spiegel ansehen konnte. Er atmete tief durch, musste es akzeptieren. Probeweise zwickte er sich in seine Fußhand. Der Schmerz erreichte durchaus sein Gehirn, auch konnte er die Finger an der Fußhand mühsam bewegen. Selbst der Schwanz gehorchte ihm widerwillig.

«Du wirst dich schnell daran gewöhnen. Ich kann dir helfen.»

«Komm her, Oh meine Sheila. Ich bin dir so verpflichtet.» Dann küssten sie sich, während er fast unbewusst seine lange Zunge auch in ihren Gaumen streckte. Es war unbeschreiblich, so hatte er es vorher noch nie erlebt. Erst als wieder der Summer ertönte, ließen sie voneinander ab.

«Die Station will mit uns reden.»

«Übernimm du, sie sollen über mich ruhig unklar sein. Erzähle etwas von Sprengstoff, drohe, bluffe. Du kannst das schon.»

Sie öffnete eine Tonverbindung. «Hier Sheila auf der Kataster.»

Die Erwähnung dieses Namens führte zu einer Pause. Sie wiederholte die Meldung. «Sie erhalten keine Freigabe, schalten sie ihre Antriebe aus.»

«Mein Meister ist auf ihrer Station. Meine Tabletten sind zu Ende, ich habe nichts zu verlieren. Entweder liefern sie ihn aus oder sie bestätigen mir seinen Tod und geben mir seine Leiche oder sie geben mich frei, damit ich mir Tabletten besorgen kann, sonst zerreiße ich die Station. Ende.»

Der Antrieb begann jetzt langsam zu grollen, als sie auf 10 % ging.

«Sheila, du hast so gut geschmeckt wie noch nie. Komm her, ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir bin.»

Statt dessen spuckte sie auf ihre Hand und hielt sie ihm hin. «Lecke dies.»

Verwirrt folgte er ihr. Sie schmeckte wirklich großartig. Als er mit genießerischem Blick wieder aufsah, da lachte Sheila plötzlich so heftig, dass sich aufstützen mußte. Genauso plötzlich hatte sie sich wieder gefaßt: «Du bist jetzt von mir abhängig. Diese Schweine!» Dann brach sie wieder in Tränen aus und verließ abrupt die Kabine.

Das Dröhnen der Antriebe wurde sehr deutlich, sie mussten jetzt rund 25 % Gesamtschub haben. Das Schiff ächzte. Die Station sollte langsam Probleme mit der Lagereglung bekommen, lange würde weder das Schiff noch die Station das durchhalten können.

Mühsam stand er auf und wankte in das Cockpit. Die Schwerkraft kam jetzt nicht mehr genau von unten sondern schwankte etwas. Die Station hatte jetzt wirklich ernste Probleme, wenn sie nicht bald freikamen. Erst als der Gurt auf dem Navigationssitz klickte, bemerkte Sheila ihn: «Es war unklug, sie hätten jeden Moment die Klammern lösen können.»

«Sie haben es nicht getan. Sie müssen es sehr bald tun, die Lagereglung kann uns nur noch schwer ausgleichen. Sie können die Klammern bei einem solchen Druck auch kaum mehr lösen.»

Sheila sagte nichts, gab jedoch 50 % Die Schwerkraft durch die Rotation der Station war jetzt schon merklich gestört. Wie ein Kreisel, der nicht umkippen kann, begann die gequälte Station zur Seite auszuweichen. Es fühlte sich an, als wäre unten irgendwo rechts in der Ecke. Die Station würde Wochen brauchen, um wieder richtig in das Gleichgewicht zu kommen. Vielleicht brach schon eine Panik aus, es täte ihm leid. Warum antworteten sie nicht?

Sheila ging auf Maximalschub. Jetzt begann das ganze Schiff zu vibrieren. Die Schubstöße ließen sekundenlang das Bild vor seinen Augen verschwimmen. «117 % schrie Sheila ihm zu.

Sie hatte wirklich ganze Arbeit geleistet, soviel hatten die Schiffstriebwerke schon lange nicht mehr hergegeben. Eine Sektion der Station wurde dunkel, als sich die Kollektorflächen aus der Sonne drehten. Ein Wärmetauscher neben ihnen begann sich von der Station zu lösen.

Endlich meldete sich die Station. «An Kataster. Hören sie auf und verhandeln. Wir können den Tod bestätigen, da ihr Meister verbrannt wurde, gibt es keine Genspuren. Er hat sie illegalerweise nicht erwähnt, sonst hätten wir uns ihnen angenommen. Wir können sie neu konditionieren.»

«Lieber sterbe ich. Geben sie mich frei, oder ich gehe auf 50 % Dieses Schiff kann Atmosphärenstarts vornehmen. Ich habe noch chemische Zusatztriebwerke. Ihre Station wird zerfetzen. Geben sie mich frei.»

«Nehmen sie Schub weg, dann lösen wir die Klammern. Bitte nehmen sie Schub weg.» Die Station flehte förmlich.

Sheila griff nach dem Schalter, doch Rhon hielt sie zurück. Mit einem Krachen taumelte die große Fläche des Wärmetauschers an ihnen vorbei in das All. «Kataster. Nehmen sie Schub weg. Die Klammern werden gelöst. Kataster, bitte nehmen sie Schub weg. Wir gehen auf ihre Forderungen ein. Kataster, bitte!»

Rhon schaltete abrupt auf Standby. Die Klammern fuhren zurück, es wurde mit einem Mal still. Doch die Station hatte große Probleme. Durch die ungleichmäßige Rotation rissen sie los, bevor die Klammern ganz zurückgefahren waren. Aus der äußeren Schleusenkammer der Station entwich Atmosphäre als glitzernde Wolke. Sofort beschleunigten sie und gingen dann in die von Sheila vorberechnete Bahn.

Ein Heckschirm zeigte die Station. Sie taumelte, in unregelmäßigen Abständen blitzten auf dem ganzen Gebilde Korrekturtriebwerke auf. Eine ganze Sektion war völlig dunkel. Die Parabolantennen der Richtfunkverbindungen versuchten vergebens, die Zielpositionen auf der Erde zu erreichen, das Taumeln war zu schnell, sie drehten sich hilflos hin und her. Eine Rettungskapsel löste sich aus der dunklen Sektion.

Rhon betrachtete das Chaos mit Grausen. «Hoffentlich schaffen sie es. Ich möchte nicht den Tod von vielen tausend Menschen auf mich laden, seien es nun Sklaven oder Meister. Genug Treibstoff müssten sie haben, um wieder zu bremsen. Hoffentlich reichen die Wärmetauscher und Solarzellen, wenn sie sich ganz aus der Position weggedreht haben.»

«Die nächste Woche kann dort kaum ein Schiff andocken. Eine Woche, in denen es keine neuen Sklaven gibt.» Sheila schnallte sich ab. «Vielleicht bewirkt das sogar, daß ein paar nicht richtig konditioniert werden können.»

«Man sollte den Schweinen das Handwerk legen. Kein Mensch ist schlecht genug, um eines anderen Eigentums zu sein. Aber erst einmal müssen wir uns um uns selber kümmern. Ich übernehme.»

Er hackte auf Tastatur und Trackball herum. «Wir fliegen zum Mond. 17 Stunden Pause bis zur ersten Korrektur.» Er schwebte sich aus dem Sitz.

Sheila sah seine unsicheren Bewegungen. «Ich zeige dir, wie du deine Hände besser einsetzen kannst.»

Es war ungewohnt, sehr ungewohnt, fast wie gehen lernen. Anstrengend, weil er alle möglichen und unmöglichen Muskeln verkrampfte. Danach belohnten sie sich gebührend. «Willst du mich heiraten?», flüsterte er in ihr Ohr.

«Du spinnst!»

«Bei Mendelejew gibt es die kommunistische Enklave. Dort gibt es keine Sklaven, nur freie Genossen. Dort wollte ich landen, Tabletten machen lassen und so.»

Sie konnte darauf nichts mehr erwidern. Also zerwuschelte sie seine noch kurze Mähne.


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