Auf der Station

von Markus Pristovsek


Mit einem Krachen begann diese Geschichte, ein neuer Lebensabschnitt für mich. Ich habe davon nie ein Wort erwähnt und Zeugen gibt es keine, nur Indizien. Aber hört mich erst an, mehr will ich nicht. Urteilt wie ihr wollt.

Wir hatten an der Saturnstation angedockt, die in ungefähr 800.000 km um den Saturn kreiste. Hier sollte ich die nächsten drei Jahre als Astrophysiker arbeiten, einen Kometen beobachten, der in den Saturn stürzen würde, ein Jahrhundertereignis, ihr kennt sicher die Geschichte. Ja, ich war wirklich auf dieser Station zusammen mit 85 anderen.

Es war der der dritte Abend in der Aussichtskantine, es war um Mitternacht Stationszeit, das war GMT. Die äußere Umgebung war natürlich immer dieselbe, aber von 22:00 bis 6:00 GMT wurde das Licht der Station gedämpft. Als ich die Kantine betrat, war sie fast leer, eine Frau saß noch an einem der Tische. Nur ein leerer Sternenhimmel war draußen zu sehen. Ich holte mein Essen und setzte mich zu ihr.

«Stört es dich, wenn ich mich zu dir setze?»

«Nein. Du bist der Neue?»

«Ja, Kevin, frisch von der Erde.»

«Ich bin Feran, ein parkistanischer Name.»

Sie hatte pechschwarzes langes Haar, das sie als Pferdeschwanz trug. Den hatte sie über ihre linke Schulter hängen, was ihr ein etwas verwegenes und leicht asiatisches Aussehen verlieh. Ihre harten Gesichtszüge strahlten Entschlossenheit aus, jedoch war ihr Äußeres keinesfalls brutal, im Gegenteil, sie war hübsch. Aber auf einer Station musste man vorsichtig sein, besonders als Neuling, bis man das Sozialgefüge kannte. Ich hatte da meine eigenen schmerzvollen Erinnerungen.

Auch sie musterte mich kritisch. «Was gibt es denn so zur Zeit auf der Erde?»

«Ihr seid darüber sicher besser informiert als ich, mehr als die Häfte des Fluges waren wir hinter der Sonne. Worüber spricht man denn hier?»

«Über dich, denn du bist ja ein Gespenst: Vom ersten Tag voller Nachtdienst.»

«Du wirst es nicht glauben, aber ich habe mich vom ersten Moment an wieder nach Arbeit gesehnt, diese Station ist brodelndes Leben, gegenüber dem, was auf dem Schiff los war. Ich werde diese Raumschiffer nie verstehen.»

«Das gleiche sagt man über die Astrophysiker.»

«Wahrscheinlich hat jeder recht. Vielleicht sollte ich mal einen Tag wach bleiben, damit ich als existent angesehen werde.»

«Nein, tu das nicht. Behalte deine geheimnissvolle Aura, denn dann haben wir mehr Gesprächsstoff. Hier ist nie viel los, und so sorgen wir eben selber für Gerüchte.»

«Du meinst die Geschichte mit der Außerirdischen, die hier getarnt auf der Station sein soll.» Natürlich hatte ich diese Gerüchte auch schon gehört und für Schwachsinn gehalten, Seemannsgarn, oder eher Raumschiffergarn. «Aber das ist doch kompletter Blödsinn!»

«Sag das nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist zwar verschwindend klein, aber doch größer als Null. Immer. Je weiter ein Außenposten entfernt ist, desto hartnäckiger werden solche Gerüchte.»

«Und wir sind hier ganz weit draußen.»

Sie trank ihren Becker aus. «Ok, wir sehen uns bestimmt nochmal, ich muss wieder an die Arbeit. Tschüss.» Sie ging hinaus, dabei bewegte sie sich so grazil und elegant. Ich schmiss mein Tablett auf die Ablage und ging zurück an den Rechner. Feran wurde nicht von finger gefunden, aber vielleicht hatte sie ihre Kennung verändert.

Die nächsten Abende aß ich immer zur selben Zeit. Aber ich war immer allein. Seltsamerweise war nachts nur Notpersonal wach, obwohl auf einer Raumstation die Nacht vollkommen willkürlich ist. Es wird draußen nie heller oder dunkler, jedenfalls nicht im 24-Stundenrhythmus. Der große Vorteil der ,,Nacht" war, dass ich ungestört arbeiten konnte, die volle Computerkapazität für mich hatte.

 

Heute war zur Abwechslung wieder mal jemand in der Kantine. «Hallo, ich bin der Neue, Kevin.»

«Aha, das Gespenst. Ich bin Kelly Mc Pherson, Wartung, genannt der Schotte. Wie geht es dir?»

«Sehr gute Arbeitsbedingungen, aber sehr wenig los. Ich hätte gedacht, dass nachts noch ein paar mehr wach sind.»

«Wir sind zur Zeit 85. 25 sind nachts, 40 tagsüber aktiv und der Rest, so wie ich, nur dann, wenn man uns braucht. Die Station ist für 250 Leute gebaut worden, doch hat man dann festgestellt , dass es viel zu teuer wäre, Nachschub und Versorgung für soviel Leute heranzukarren. Seit der ,,Titanasteroid" entdeckt wurde, will man hier am liebsten alles dicht machen.»

«Ein Fall von Fehlplanung also.»

«Vielleicht wird es ja noch. Mehr Forschung, kein Titanabbau mehr. Jedenfalls gibt es mehr unbekannte und ungenutzte Räume und Korridore als je ein schottisches Spukschloss hatte. Du hast sicher die Geschichte von der Außerirdischen gehört.»

«Und nicht geglaubt. Wieso soll sie eigentlich weiblich sein?»

«Alle sagen das, sogar die Frauen.»

«Hat man sie denn gesehen?»

«Naja, das übliche: Schatten, Stimmen, Sachen, die so nicht sein sollten. Angeblich hat sie sogar einmal ein Unglück verhindert.»

«Und wie sieht sie nun genau aus?»

«Hast du das Loch Ness Ungeheuer gesehen? Einige sagen, sie sei wie Stationspersonal gekleidet. Andere sagen, sie habe grüne Haut, wie ein Reptil. Und ihre Haut soll kalt sein, sagt einer, der sogar mit ihr geschlafen haben will. Ach ja, ihr würden Daumen fehlen.»

«Da ist aber 'ne Menge Blödsinn darunter.»

«Das sage ich auch. In Schottland ist man mit Geistern groß geworden, aber hier ist kein Geist gewesen, niemals, das sage ich dir. Und ich muss es wissen, ich muss ja all die Sachen ausbügeln, die diese Außerirdische angerichtet haben soll.»

Ich nahm gerade einen Schluck frischen Tee aus dem Automaten, aber der schmeckte wie Maschinenöl.

«Da war bestimmt die Außerirdische an der Maschine.» Der Schotte lachte und ging herüber. Dann öffnete er den Automaten und holte einen unförmigen Klumpen heraus. «Der Küchendienst hat den Filter nicht gewechselt. Bei dem Druck ist dann einer der Schläuche geplatzt. Scheißkiste.» Er hantierte etwas herum und setzte einen neuen Schlauch ein.

«Ok, dann probieren wir das Gesöff mal wieder.» Es schmeckte deutlich besser. Trotzdem war es nicht mit echtem Tee zu vergleichen.

Danach wieder arbeiten, denn der Komet rückte unerbitterlich näher und ließ sich auf dem Zeitplan auch nicht nach hinten schieben. Und für den Aufschlag, oder besser das Eintauchen in die Atmosphäre, waren wir der beste Beobachtungsposten, denn wir umkreisten ja den Saturn selber. Allerdings wurde als Sicherheitsmaßnahme beschlossen, die Station zum Zeitpunkt des Encounters hinter den Saturn zu bringen, indem wir in den nächsten Tagen die Umlaufbahn leicht verändern würden. Das war aber nicht mein Problem. Ich hatte noch ein halbes Jahr Zeit, um alle Beobachtungsgeräte zu überprüfen und wenn möglich alle Stationssensoren nutzbar zu machen. Nachts waren die meisten Sensoren abkömmlich, vor allem konnte ich, ohne jemanden zu belästigen, meine Zusatzprogramme zum Steuerprogramm der Station testen. Also musste ich weiter die Nächte durcharbeiten. Sowieso ist mir dieses halbe Jahr auch als das anstrengenste meines Lebens in Erinnerung geblieben.

Ich war in meinem Labor, es war drei Uhr oder so. Ich zerlegte gerade ein Magnetometer, das neu kalibriert werden musste, eigentlich ein Fall für die Wartung. Doch die könnte es frühestens in einem Monat erledigen, und weil mein Verhältnis mit der Werkstatt mies war, hatte ich keine Priorität. Da betrat jemand das Labor, der erste Besuch des Nachts seit meiner Ankunft vor fünfeinhalb Wochen. Das heißt, ich arbeitete ruhig vor mich hin und bemerkte erst, dass Feran, jene schwarzhaarige Schöne, über meine Schulter schaute, als sie mich ansprach.

«Hallo, Kevin. Ich hatte gerade etwas Zeit und da wollte ich mal vorbeischauen, es ist ja sonst alles ruhig. Störe ich dich?»

Ich hätte fast das Magnetometer durch den Raum geworfen, so hatte sie mich erschreckt. Ich atmete tief durch, bis ich mich etwas gefangen hatte. «Eine Schönheit kann gar nicht stören», schmeichelte ich.

Sie lachte. «Danke. Ist das da ein Magnetometer?»

«Ja. Aber leider spinnt die Elektronik. Ich muss wohl einen neuen Verstärker löten.»

«Das klingt nicht sehr enthusiastisch.»

«Das ist nicht meine Welt. Aber es wird schon gehen.»

«Lass mich das machen. Bei uns ist zur Zeit nichts los.»

«Wo arbeitest du eigentlich?»

«Vor allem bin ich Pilot. Aber Elektronik ist mein Hobby. Ich kann doch alles hier benutzen?»

«Natürlich, kein Problem. Danke.»

«Kein Problem.» Sie lächelte.

Ich konnte sich jetzt nicht mehr konzentrieren. Ich zauderte, wie ich nun am besten herausbekommen konnte, ob sie einen Freund hatte. Und die ganze Zeit starrte ich nur auf meinen Monitor, wieder ein Fehler, in dieser langen Kette. Fast eine Stunde saß ich so im blauen Monitorlicht und hatte kaum fünf Zeilen eingegeben.

«Kevin, hier, es sollte es wieder tun.» Vorsichtig legte sie das Magnetometer auf den Tisch.

Ich hatte für die Reperatur rund eine Woche veranschlagt. Ich holte tief Luft. «Danke, Du, Feran, ich finde dich schön.»

«Für wie dumm hältst du mich, dass ich sowas nicht merken würde? Aber es geht nicht. Noch eine gute Nacht.»

Damit war sie auch schon zur Tür hinaus. Also begrub ich Feran im Geiste, zumindest hatte ich es zwei Minuten lang ernsthaft probiert. Dann stürzte ich mich wieder in die Arbeit und verbrachte den Rest der Nacht mit dem Einbau des Magnetometers. Gegen Morgen war das Gerät schon wieder einsatzbereit, so verbissen war ich.

Obwohl ich damit eigentlich etwas Zeit gewonnen hätte, hatte ich auch die folgenden Nächte wie ein Verbissener gearbeitet. Diese Anstrengungen wurden zur Abwechslung aber im nachhinein gerechtfertigt: Die Astrophysikabteilung, also ich, hatte den Auftrag bekommen, aus einem Reservetriebwerk und etlichen Sensoren eine Sonde zu stricken. Die Technikabteilung schickte mir Baupläne hoch; einige Sachen durfte ich sogar in der Werkstatt anfertigen lassen. Bald hatte ,,ich im Auftrag der Erde" sämtliches Personal der Nachtschicht kennengelernt, nur Feran traf ich nicht. Vielleicht war sie ja gar nicht bei der Nachtschicht oder sie machte Schichtdienst.

Aber ich hatte wenig Zeit, mich im irgend etwas anderes als die Sonde zu kümmen, da vier Wochen nicht gerade viel Zeit waren, um eine Sonde zu bauen und rechtzeitg zu starten. Und so war alles provisorischer als es eigentlich sein sollte, obwohl die halbe Station mir iregendwie zuarbeitete. Schon bald hatte ich auch äußerlich die Gestalt eines Gespenstes, wie um meinen Spitznamen weiter zu rechtfertigen.

Endlich verließ die Sonde die Station. Ich war zum Feiern zu müde und schlief die folgende Schicht durch. Nach zwei Tagen war wieder Routine eingekehrt. Und bald war ich wieder im Zeitplan und ließ die Sache langsamer angehen. Jetzt hatte ich hin und wieder mal Zeit mit dem Teleskop von der Beobachtungskanzel, einem kleinen Raum mit einer Glaskuppel, das Saturnsystem zu erforschen, wenn der Computer mal wieder eine halbe Stunde vor sich hin rechnete.

Die Beobachtungskanzel war mein ureigenes Territorium, als Astrophysiker hatte ich Hausrecht. Nur war nachts eh wenig los und so war ich auch hier meist allein, lediglich Jim, ein Techniker, war auch manchmal mit am Teleskop. Die Ringe des Saturns aus der Nähe waren großartig und gigantisch; so gigantisch, man kann es einfach nicht beschreiben, man muss es gesehen haben. Dabei sahen wir sie nur von der Seite. Wenn der Saturn ungünstig stand, so war bestimmt Titan oder ein anderer Mond nahe. Jupiter war auch ein lohnender Anblick. Selten war gar nichts zu sehen, weder Sonne, noch Planeten. Dann konnte man ja zur Kantine gehen, die lag genau gegenüber. Nach einer halben Stunde lag dann wieder der Saturn im Blick. Groß, anfangs etwas blässlich, doch mit der Zeit kannte man jede feine Struktur.

Die Beobachtungskanzel ist auch das Leibesnest der Station, der mit Abstand romantischte Platz jedenfalls, in Ermangelung einer Blumenwiese. Nachts jedoch war in dieser Hinsicht nur wenig zu Befürchten, gab es doch auch genug ungenutzte Kabinen. Und Abschließen ließ sich die Kanzel auch nicht.

«Na, geistig auf den Weg zu den Sternen?»

Ich hatte mich mal wieder ziemlich erschreckt. «Feran!» Sie schien es zu genießen. Nach ein paar Moment hatte ich mit wieder gefangen. «Verdammt Feran, ich freu mich ja, dich zu sehen. Aber bitte schleich dich nicht so heran.»

«Tut mir Leid, ich wollte dich nicht stören.»

Na, nicht stören, das war wirklich komisch. «Du bist bei mir jederzeit willkommen. Wo warst du eigentlich, du warst fast die einzige, die ich in den letzten Wochen nicht gesehen habe.»

«Es war ja auch viel los.»

«Komm, ich will dich anfassen, ob du wirklich bist.»

Sie lachte und trat neben mich an die Fenster. «Ich habe beide Shuttles komplett überholt. Es war viel Arbeit, sonst waren ja alle bei der Sonde eingespannt.»

Das Schott hinter ihnen begann sich zu öffnen. Feran sprang herum, aber auf ihre seltsame Weise, dass ihre Bewegung abrupt und gleichzeitig fließend wie in Zeitlupe aussahen, unbeschreiblich elegant. Das Liebespaar auf der anderen Seite vom Schott sah uns überrascht an. «Oh, Entschuldigung.» Knirschend schloss sich das Schott wieder.

«Tja, Kevin, du hälst also nächtelang die Liebeslaube besetzt, anstatt zu arbeiten? Sag mal, was hälst du von einem Tee?»

«Hä, ja.»

«Ok, ich muss nur kurz weg. Wir treffen und gleich im Labor. Nimm für mich Vanille ohne Zucker.»

Mit ihrer seltsamen Art, sich zu bewegen, ließ sie mich zurück. Ich war gutgelaunt und schnell waren aus der Kantine zwei Tee und etwas Teegebäck aus dem Automaten geholt. So schnell es mir mit dem Tee möglich war, ging ich zum Labor. Sie war schon da.

«Danke. Sag mal, was hast du hier denn an Instrumenten zur Verfügung, für die Kometenbeobachtung?»

Ich zeigte ihr die wenigen Geräte, die ich für die Beobachtung brauchbar befand. Es war eigentlich nur die Magnetometer und Kurzwellenempfänger, vielleicht noch das Radar. Gerne hätte ich das zehnfache Arsenal vorweisen können. Doch anstatt ruhig zu staunen, wollte sie zu allem jede Menge technische Daten hören, vieles wusste ich selbst nicht so genau. Doch wenig kann einen Wissenschaftler mehr erfreuen, als jemand, der zumindest Ahnung von den Spezialgebiet hat, wie ihr auch wisst und so stiegen wir tiefer und tiefer in die Materie ein.

«Warum wird denn noch keine Singulett-Standard-Komprimierung verwendet?»

«Kenne ich ehrlich gesagt nicht. Ich wollte JPEG6 nehmen.»

«Seit vier Monaten offiziell funktionsfähig. Ich dachte, bei der beschränkten Ausrüstung an Bord der Sonde, hättet ihr das eh verwendet. Zumal endlich ein neues Verfahren im alpha-Test ist, das halbiert noch einmal, mit weniger Rauschen bei Kontrasten. Das wäre für den Aufschlag wohl am besten geeignet.»

«Aber jetzt ist die Erde hinter der Sonne. Nur für Notsignale würde man eine Barke losschicken. Und in einem Monat ist es schon etwas spät, denn in zwei Wochen schreibt man kein fehlerfreies Programm und macht gleichzeitig alles einsatzbereit.»

«Ich habe die Quellen hier.»

«Auf der Station?»

«Ja, aber leider fremdsprachig. Ich kann dir aber ein kommentiertes Listing erstellen. Leider habe ich relativ wenig Rechenzeit für sowas.»

«Kein Problem, die Wissenschaft hat keine Beschränkung, zumindest nachts. Leider kenne ich mich hier im System schlecht aus, aber du kannst meinen Zugriff nutzen. Mein Paßwort ist ,,startdust7".»

Sie verzog das Gesicht. «Wie einfallsreich. Ok, ich mach mich gleich an die Arbeit. Du bekommst es spätestens in zwei Wochen. Bis dann.»

Und wieder war sie weg. Ihr Interresse an mir schien leider rein wissenschaftlicher Natur zu sein. Ich seufzte kurz, dann wandte ich mich wieder dem Terminal zu.

 

Es hätte mich stutzig machen sollen, denn woher sollte jemand in diesen Tage soviel Freizeit haben, um faktisch das Betriebssystem der Sonde umzuarbeiten; ich selber hätte dafür zwei Wochen Vollzeit gebraucht. Anderseits wäre natürlich auch möglich gewesen, dass die Besatzung der Shuttleabteilung groß war und im Moment wirklich nichts los war. Zumindest hatte ich es mir damals so erklärt.

Die nächsten Wochen beobachtete ich den Programmumbau und natürlich war nebenher noch eine Menge Kram zu erledigen. Da besuchte mich eines Nachts McPherson, der Schotte.

«Hallo, Gespenst, na spukst du durch die Terminals?»

«Na alter Schotte. Ist euch das Material ausgegangen?»

«Hast du mal eine halbe Stunde Zeit. Weißt du, es ist etwas Unheimliches passiert. Ich habe es gerade erst bemerkt. Ich habe die Automaten in der Kantine wieder mal neu gestartet. Die Versorgungseinheit des Computers war abgestürzt. Plötzlich behauptete der Computer, jemand mehr füttern zu müssen. Er behauptetet, dass plötzlich 86 Leute an Bord wären.»

«Da hat sich jemand einen schlechten Scherz erlaubt.»

«Dachte ich auch. Aber dann habe ich alles überprüft, nirgendwo ein Hinweis, dass wir hier noch vor einer halben Stunde offiziell 85 waren.»

«Aber das ist doch unmöglich. Hier, nicht einmal von einem Absturz weiß ich etwas, dabei lief ein Monitor mit Operator-Priorität.»

«Du hast Operator-Status?»

«Ich darf ihn nur im Notfall benutzen. Außerdem kenne ich mich im System nur schlecht aus. Aber wir können gleich mal nachsehen, von wo sich root als letztes eingelogt hat. Wer sollte sonst das alles ändern können!»

«Computer, hier ist Kevin Sherzac als Root. Bitte das letzte Einloggen des Operators.»

«Warnung, Checksumme falsch. Letztes Einloggen erfolgte um 23:41 GMT von Port sieben.»

«Computer, wo ist Port sieben.»

«Port sieben ist die Bezeichnung für das Einloggen per Funk von außerhalb. Das normale Einloggen von dort braucht eine persönliche Identifizierung.»

«Computer, wer hat sich von dort eingeloggt?»

«Kevin Sherzac»

Wir starrten uns an. Das war alles Blödsinn. «Unmöglich, ich habe die ganze Zeit hier getippt. Computer, wo war Kevin zum Zeitpunkt des Einloggens?»

«Im Astrophysiklabor seit 22:05 GMT bis zum jetzigen Zeitpunkt.»

«Computer, von wo genau kam das Signal?»

«Vom der X-Band Antenne 7. Keine bekannte nährere Objektkennung aufgezeichnet.»

«Computer, war Flugverkehr verzeichnet?»

«Warnung, Checksumme falsch. Negativ, kein Verkehr.»

«Computer, waren Objekte auf Radar?»

«Negativ, Radar zur Zeit offline.»

Wir sahen uns an. Ich wusste nichts, auch McPherson war ebenfalls mit seinem Latein am Ende. Also gingen wir zur Zentrale, denn dort musste sich ja einer mit dem System auskennen. Kahn, der Administrator, war da. Schnell berichteten wir, dass der der Computer spinnen würde, viele Dateien vielleicht schon defekt seien.

Kahn legte das System still. Schritt für Schritt fuhr er die einzelnen Systeme wieder hoch, nachdem wir alle dazu nötigen Dateien geprüft hatten. Es dauerte lange. Zuerst war die Stabilisierung der Sation, die Lageregelung, an der Reihe. Danach kümmerte Kahn sich um die Lebenserhaltung. Doch bis diese wieder lief, war es heiß und stickig geworden. Der Raum stank nach Schweiß und Elektrik.

Nach zehn Stunden war alles wieder in Ordnung. In den zehn Stunden hatten wir jede interessante Datei angesehen und repariert. Nur waren keine Spuren des Hackers zu finden, nicht einmal Reste des Stimmusters zur Identifikation. Es war absurd, dort irgendwo in den Tiefen des Sonnensystems sollte ein Hacker mit intimen Kenntnissen des Computers und seiner Spezialprogramme sitzen und per Richtstrahl in jeweils einigen tausendstel Sekunden pro Umdrehung die kompletten Kommandosequenzen eingegeben haben.

Aber ich konnte auch nicht weiterhelfen, so ging ich zu Bett. Das einzige, was die Untersuchung später noch hervorbrachte, war die Tatsache, dass Port 7 tatsächlich sechs Stunden aktiv war. Wer auch immer unsere Systeme gestört hatte, musste zumindest einen Satelliten da draußen haben, auch wenn wir diesen nicht orten konnten. Das hatte natürlich die Gerüchte über Alians nicht gerade zum Verstummen gebracht, im Gegenteil, jetzt war schon ein ganzes Raumschiff auf der anderen Seite vom Saturn, bereit die Lichtjahre zu verschlingen und in den nahezu unendlichen Weiten des Alls zu verschwinden.

Es gab aber noch genug anderes zu tun. Die Komprimierungsroutinen von Feran waren fertig, ich fand eines Nachts eine email. Sie mussten integriert und getestet werden. Doch eine Woche vor dem Aufschlag war ich endlich mit allem fertig. Gern hätte ich Feran persönlich gedankt, aber leider ließ sie sich nicht blicken und beantwortete auch meine emails nicht. Am Tag vor dem Encounter, dem Zusammentreffen, hatte sie endlich einen Nachricht hinterlassen: ,,Hoffentlich geht alles gut. Bis später, Feran", mehr nicht.

Es war T-8h, nun war ich beileibe nicht allein im Labor, im Gegenteil, fast die ganze Station war da. Feran sah ich noch nicht.

Für die Bilder der Sonde hatten ich extra noch zwei Monitore besorgt. Von der Station würden wir nur die ersten zwei Minuten etwas sehen, bevor sich der Saturn dazwischenschieben würde. Da wir andererseits auch sehr nahe dran waren, war dies eine notwendige Vorsichtsmaßnahme, denn die freigesetzte Energie könnte leicht das Zehnfache der gesamten Strahlungsleistung der Sonne in der Erdumlaufbahn sein; hier draußen war die Sonne eh nur eine trübe Funzel.

Der Aufschlag war im ersten Moment recht unspektakulär. Obwohl der Kometenkern sich mit über siebzig Kilometern in der Sekunde relativ zum Saturn bewegte, sah es aus, als versinke der Kern nur ganz ganz langsam in der dichter werdenden Saturnatmosphäre. Nicht einmal Rotglut war erreicht, als der Saturn endgültig die Sicht verdeckte.

Nun waren da nur noch die Bilder der Sonde. Sie wurden eindrucksvoll. Jeder kannte das sanfte Khaki des abgeflachten Balls, täglich begegnete einem dieser Anblick aus der Kantine. Doch jetzt begann ein immer heller werdender Punkt nahe dem Terminator aufzuleuchten. Die Helligkeit nahm immer weiter zu. In dem Maße, wie der Kometenkern tiefer eindrang, wurden die Strömungen und Winde im Saturn immer mehr gestört, das Magnetometer begann wild zu flackern, es gab einige Störungen in der Elektronik.

Inzwischen war die Nachtseite des Saturn heller als der Vollmond, ein wahrhaft grelles Licht hier draußen. Man sah seinen Widerschein auf den Monden, außer Titan, dessen Atmosphäre alles Licht verschluckte. Noch immer funktionierte die Sondenkamera und deren Elektronik. Die Temperatur der heißesten Stelle der Satrunathmosphäre betrug jetzt 7000 Kelvin. Wenn wir in sechs Tagen wieder über dieser Stelle sein würden, dann wäre nach der Prognose die Temperatur auf 1500 Kelvin abgesunken, ungefährlich für uns.

Inzwischen, bei T+11h wurde die Verbindung mit der Sonde immer schlechter, sie bekam Hitzeprobleme; kein Wunder, denn die Sonde hatte sich auf 500 Kelvin aufgeheizt und hatte kein Kühlsystem. Zwei Minuten später brach der Kontakt endgültig ab, nachdem sie fast 17h Daten und Bilder übertragen hatte. Müde zerstreute sich das Publikum, als ich mit dem letzten Check fast fertig war, allein, wie ich dachte. Ungeniert gähnte ich.

«Na, hat doch gut funktioniert?»

Sie konnte scheinbar nicht anders, als mich zu erschrecken. Diesmal bekam ich sogar einen Hustananfall. «Feran, ich hatte dich gar nicht bemerkt!»

«Ich bin auch eben erst gekommen. Es war doch erfolgreich?»

«Ja, alles dekomprimiert und an die Erde überspielt, in Echtzeit. Daten für zehn Jahre Auswertung, plus das, was jetzt noch läuft.» Ich drehte mich um, weil ich ihre Hand von hinten auf meiner Schulter spürte. Sie war eiskalt. «Deine Hand ist ja eiskalt.» Ich sah sie mir genauer an. «Du hast ja keinen Daumen. Warum, und was ist mit deinen Augen, es»

«Du bist blind gewesen. Ich bin die Außerirdische.»

«Aber» In meinem Kopf war ein Chaos, Tausende von Frage wirbelten durcheinander. «Du bist wirklich hier, ich meine, wie machst du das? Kannst du mir beweisen, das du fremd bist?»

Sie lachte. «Klar, wenn dir meine Augen kein Beweis sind.» Sie streifte das Oberteil ihrer Kombination ab. Unter dem Hals waren auf der rosa Haut immer mehr grüne Sprenkel, bis sie dann dort, wo normalerweise der Bauchnabel war, in eine glatte grünliche Haut überging. Ihr Oberkörper hatte weder Rippen noch ein Brustbein, keine Brüste. Völlig andere Muskeln arbeiteten dort. Wieso hatte ich bloß gedacht, dass sie weiblich war?

«Welches Geschlecht hast du wirklich?»

«Nach euren Maßstäben weiblich. Deswegen habe ich mich für diese Tarnung entschieden. So war es auch leichter den Zopf zu behalten; immerhin brauchte er 241 Erdenjahre, bis er so lang war.»

Ich hatte, glaube ich, die ganze Zeit mit dem Kopf geschüttelt. «Wissen die anderen, ich meine, äh, hast du dich so offen anderen gezeigt?»

«Nein, so offen, wie du sagst, nur dir. Weißt du, ich finde dich auch ganz nett. Wie du weißt, gibt es viele unfertige Teile der Station; dort habe ich mein Quartier. Und wenn alles ruhig ist, kann ich herauskommen.»

«Wenn du wirklich nicht von hier bist, wie bist du hergekommen? Und warum bist du so menschenähnlich? Und»

«Langsam. Seltsamerweise ähnelt unser Gesicht euch am meisten. Und in Kleidung sehen wir euch ähnlich. Warum, kann ich genauso wenig sagen wie du. Aber innerlich unterscheiden wir uns erheblich. Und ich bin von diesem Stern dort gekommen.» Sie tippte an der Konsole. «Hier, Entfernung 7pc, Spektraltyp G1, sieben Planeten.»

Ich wollte gerade die nächste Frage stellen, als der Kollisionsalarm losging. Ein kurzer Check bestätigte: Ein Komtenteil war durchgekommen und so abgelenkt worden, dass es in zwanzig Minuten die Station treffen würde, obwohl die Chancen dazu eigentlich unter eins zu einigen Billionen standen. Sofort entfaltete sich auf der Station Leben. Ich überspielte alle Aufzeichnungen auf meine Karte, was sechs Minuten in Anspruch nahm und sorgte währenddessen für die Übertragung von allen wichtigen Daten an die Erde. Feran unterstützte mich.

Nach sieben Minuten war alles getan. «Komm, wir gehen zum Shuttle.»

«Ich kann nicht! Ich brauche meine Spezialverpflegung, auf eurem Shuttle würde ich in zwei Tagen sterben, um dann eure Neugier als Leiche zu befriedigen. Nein, kümmere dich nicht um mich, geh!»

«Nimm dein Essen mit, komm.»

Sie holte aus ihrer Kombination eine Waffe hervor, es musste eine sein. Sie drückte mir die Waffe in den Rücken. «Es geht nicht, es tut mir leid. Geh, leb wohl, ich kann mich schon um mich kümmern.»

Ich war unentschlossen, aber die Waffe nahm mir den Entscheidung ab. Kaum war ich im Gang, da war sie verschwunden. Ich suchte kurz nach ihr, doch dann rannte ich zum Shuttlehangar. Ich war der Vorletzte.

Fünf Minuten vor dem Aufschlag legten wir ab und beschleunigten, um den Trümmern zu entkommen. Eine Minute vor dem Aufschlag drehte sich die große Parabolantenne. Ich war sicher, dass Feran das tat. Eine letzte Nachricht ging an ihr Heimatsystem, die Richtung hatte ungefähr gestimmt.

Im offiziellen Bericht werden keine menschliche Verluste erwähnt. Damit mag der Bericht recht gehabt haben; doch nicht nur einer neuen Station, die dort errichtet werden soll, fehlt Feran.


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