Für Volk und Vaterland von Markus Pristovsek


Ein bekanntes weißes Gebäude, klassizistisch. An einem Schreibtisch sitzt ein Mann vor einem großen Wappen. Der Präsident. Ihm gegenüber steht, von einem Bein auf das andere tretend Jenkins W. Howard, sein Militärberater seit Beginn seiner Amtszeit.

«Was soll das? Projekt C, Ausgaben von knapp 400 Millionen jährlich! Seit mindestens zehn Jahren. Und ich darf also nicht erfahren, wofür wir bisher vier Milliarden Dollar ausgegeben haben?»

«Herr, Präsident»

«Hier steht, ein privates Projekt, ehemals HB Inc., für 100 Millionen aufgekauft, seitdem unter strengster Geheimhaltung. Verdammt, ich will wissen, wofür man Geld ausgibt! Immerhin bin ich der Präsident. Ober haben sie das vergessen, Jenkins?»

«Nun, nicht, aber»

«Und dann ist das auch noch eines vor noch drei Projekten zur biologischen Kriegsführung. Und das einzige, dessen Kosten noch zunehmen. Alle anderen werden abgewickelt. Sollten wir ja auch. Und ich bin durchaus dafür, für die Unschädlichmachung von einigen Überbleibseln Geld locker zu machen. Aber verdammt, die Ausgaben steigen! Was erforschen sie dort!»

«Ich weiß nicht, vielleicht suchen»

«Schweigen sie Jenkins! finden sie heraus, wo sich C befindet! Ich möchte das Labor übermorgen besichtigen. Keine Ausflüche!»

 

Irgendwo 200 Meter tief in einem Felsentunnel in den Wüstenregionen, Isolationslabor 4. Ferris legte gerade auf und sah belämmert in die Runde. «Es war von G Der Präsident will Project C besichtigen.»

Katy schüttelte sich. «Verdammt. Das ist die Katastrophe.»

«Könnten wir nicht irgendein anderes Projekt präsentieren?», frage Eric.

«Dem Präsidenten?» Ferris lachte höhnisch. «Er weiß, dass es ein Biowaffenprojekt ist. Und er war mehr als fünfzehn Jahre beim Militär gewesen, war sogar Testpilot. Ich glaube nicht, dass man ihm eine Rakete zeigen kann.»

«Und er ist doch zur Taube geworden. Ihr wisst doch, das Ein-Viertel-Programm. Alle A-Waffen nur noch ein Viertel, BC-Waffen werden vernichtet.» Katy war den Tränen nahe.

«Und? Soll er doch kommen und es mit eigenen Augen ansehen.» Eric seufzte. «Vielleicht ist es gut, dass die Farce endlich vorbei ist.»

«Und was wir aus uns?»

Ferris schnaubte. «In den Fleischwolf wird man uns dafür kaum stecken können, oder?»

«Ach, dein Galgenhumor kann mir gestohlen bleiben!»

 

Jenny begleitete heute zum ersten Mal den Präsidenten. Eigentlich war sie ja nur Praktikantin. Der Präsident hatte jedoch auf einer Zeugin aus dem weiteren Kreis bestanden, zur Besichtigung eines ultra-geheimen militärischen Forschungslabors. Wie und warum man gerade auf sie gekommen war -- das entzog sich ihrer Kenntnis. Aber das war egal. Jetzt saß sie nur eine Reihe hinter dem Präsidenten in einem Hubschrauber, der im rasanten Tiefflug über gelbe Hügel knatterte.

Da wurden sie in den Sitz gedrückt. Sie sah sich ängstlich um, doch alle anderen blieben gelassen. Also entspannte sie sich auch. Nur wenige Sekunden später gab es einen sanften Stoß: Sie waren gelandet.

Wie in Trance folgte sie dem Präsidententross. Knatternd hob der Hubschrauber ab und sie standen mitten im staubigen Nirgendwo.

«Nun machen sie schon, Jenkins!», knurrte der Präsident.

Jenkis W. Howard, der berühmte General und jetzige Präsidentenberater sprach leise in sein Handy -- oder vielleicht auch ein Funkgerät, so genau konnte sie das nicht erkennen. Dann lief er los, doch schon hundert Meter später standen sie an einer kleinen Treppe in den Boden, dick mit Sand bedeckt. Sie endete an einer Stahltür. General Howard trat an ein Tastenfeld an der Tür und gab einen Code ein.

Dann trat er zur Seite und der Präsident tippte einen weiteren Code ein. Gott, war das aufregend, genau, wie im Kino. Dann drehte der Präsident sich zu ihr. «Miss Hayworth, Proktokoll: 24.11. 10 Uhr 13. Zugang freigegeben.»

Sofort hob sie ihr Klemmbrett (welch ein Anachronismus) und notierte gehorsam. Es war mehr ein Ritual, schließlich filmte ein anderer Mitarbeiter alles mit einer Videokamera. Dann schwang endlich die Tür auf, sehr, sehr langsam. Es war eine Tür, wie sie zu einem Atombunker oder dem Tresorraum von Fort Knox gehörte. Donnerd widerhallte es mehrmals, als die Tür an den Anschlag schlug. Dann gingen innen Lichter an und Warnleuchten begannen zu rotieren. Mit einem mulmigen Gefühl folgte sie dem Rest.

Es war ein enger Gang, hundert Meter, dann waren sie an einem Fahrstuhl. Über dem Fahrstuhl gab es drei Leuchtschilder, ein grünes, Sicherer Zustand, ein gelbes, Zone 1+2 kontaminiert, (bis Zone fünf gingen die Ziffern) und ein rotes Schild: Einhüllung gebrochen! Auf den Fahrstuhltüren war ein fast zwei Meter hohes Biohazard-Zeichen angebracht. Irgendwie beruhigte sie das wieder, schienen sich die Erbauer dieser Anlage doch eher an einem Hollywoodstreifen orientiert zu haben, sie bekam so eine Art Freizeitpark/Abenteuerspielplatz-Gefühl. Und schließlich war auch der Präsident anwesend, da konnte doch nichts schiefgehen.

Endlich kam der Fahrstuhl. Auch hier waren die Türen wieder zehn Zentimeter Stahl. Dafür war er sehr geräumig, fünf mal drei Meter. «Achtung: Sie betreten einen teilkontaminierten Bereich. Bitte geben sie die Freigabe ein!», forderte eine Ansage. Wieder gaben Howard und Präsident Codesequenzen ein. Endlich fuhr der Fahrstuhl langsam los.

Jenny konnte sich nicht erinnern, je so lange mit einem Fahrstuhl gefahren zu sein. Es waren fast vier Minuten, wie ihre Uhr verriet, doch es kam ihr eher wie Stunden vor. «Sie befinden sich in Zone [Pause] vier. Zone [Pause] 2 oder kleiner erfordert Schutzkleidung Klasse 1.»

Wieder liefen sie einen Gang entlang. Es ging um mehrere Ecken, durch zwei Schleusen. Jenny hatte längst die Orientierung verloren und hätte sich nicht gewundert, wenn sie in einem Metroschacht in Seattle aufgetaucht wären. Dann standen sie in einem Raum mit einer riesigen Glasscheibe. Auf der anderen Seite war ein Raum mit Teppich und Holztäfelung zu sehen. Doch als sie näher an die Glasscheibe heranging sah sie erst, dass die Scheibe vielleicht 30 Zentimeter dick war. Es war ein bisschen, als sähe man in ein Aquarium.

«Na los, Jenkins, es hat lange genug bis hier gedauert, wo sind nun die Leute?»

Jenkins trat gehorsam an einen Klingelknopf. Daneben war eine Wechselsprechanlage. Er schaltete sie ein.

Da öffnete sich die Tür am anderen Ende hinter der Glasscheibe. Es war eine ganz gewöhnliche Holztür, doch das interessierte sie eigentlich nicht mehr, denn heraus trat ein -- sie hatte soetwas noch nie gesehen. Es war ein Mensch, sogar drei Menschen, die dort den Raum betraten. Andererseits waren es auch keine Menschen. Von ungefähr der Hüfte abwärts waren es Pferde.

«Herr Präsident, herzlich willkommen bei Projekt C.»

Sie starrte fassungslos auf die Pferdemenschen hinter der Scheibe. Dann sah sie einmal kurz zum Präsidenten, doch auch der rang um Fassung. «Jenkins, zum Teufel, was soll das!», rief er.

General Howard schüttelte auch nur den Kopf. «Ich weiß es nicht. Ich habe ihnen alles erzählt.»

«Wenn ich wieder zurück bin, werden ein paar Köpfe rollen, Ich»

«Äh, Herr Präsident?» Der mit dem weißen Fell hinter der Scheibe hatte gesprochen. Sofort schwiegen sie alle vor der Scheibe. «Äh, ich werde ihnen ganz kurz alles erzählen. Also, vor neun Jahren gab es in der Biotechnikfirma Horse Genetic, HG Inc., einen Unfall. Damals gab es dreihundertsiebzehn Tote und zwei Überlebende -- meine Wenigkeit, Eric, und hier Katy.» Er legte die Hand auf die Schwarzefellige rechts neben sich. «Das Gelände wurde großflächig verseucht, zusammen mit dem Virus, der uns zu diesen, diesen»

«Zentauren», warf die braunefellig ein.

«Diesen Zentauren gemacht hat. Bei den Aufräumungs- und Sterilisierungsmaßnahmen gab noch drei weitere Tote und eine weitere Zentaurin, Ferris, hier. Dieses Virus war unglaublich ansteckend, von 320 Männer habe nur ich, überlebt, allerdings alle drei Frauen. Eine von uns, Kerstin, hat Selbstmord gemacht. Wir sind also zu dritt.»

«Überlebt ist genau das richtige Wort.» Ferris hatte das Wort ergriffen. «Die Welt ist damals haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschlittert. Seitdem leben wir hier, in höchster Isolation. Wir haben zwei Impfseren entwickelt, die uns vielleicht nicht mehr ansteckend machen. Aber wir haben nie gewagt, ihren Erfolg wirklich zu testen.»

Alle schwiegen eine ganze Weile.

«Ok, Jenkins, ich habe keine Bedenken das Projekt C fortzuführen.»

«Äh, Herr Präsident, ich habe einen Vorschlag.», meldete sich einer der Zentauren.

Der Präsident machte ein überraschtes Gesicht. «So, ich höre?»

«Wenn eines der beiden Seren wirkt, dann kann man das Projekt sofort einstellen.»

«Und wenn nicht?»

«Dann müssen hier eben fünf Zentauren leben statt drei, dass macht es auch nicht teurer.»

«Hmm» Der Präsident dachte nach.

«Aber das hieße das Menschenversuche!», rief jemand aus dem Tross.

Die Zentauren hinter der Scheibe nickten. Eric ergriff wieder das Wort: «Aber wenn es eh ein Todeskandidat wären, dann ist es sicher immer noch humaner, als eine einfache Hinrichtung. Und es wäre ein großer Dienst an der Menschheit.»

«Wohl eher dem Etat der Vereinigten Staaten», hörte Jenny jemanden neben sich murmeln.

«Und alle Frauen haben überlebt!», fügte Ferris hinzu. «Schicken sie uns zwei weibliche Todeskandidatinnen und sie sind das Projekt los.»

«Und wir dürfen wieder die Sonne sehen», flüsterte die Zentaurin Katy.

Oh Gott, erst jetzt ging Jenny die ganze Katastrophe für die drei Zentauren auf. Sie sah zum Präsidenten, alle sahen zu ihm. Doch der schüttelte den Kopf. «Es gibt nicht viele Frauen, die zum Tode verurteilt werden. Außerdem bin ich stets ein Kämpfer gegen die Todesstrafe gewesen. Nein, es tut mir Leid, vielleicht der nächste Prösident, aber ich sehe keinen Weg»

«Ich melde mich freiwillig!», rief Jenny.

Alle drehten sich zu ihr. Oh Gott, warum war sie nur so impulsiv. Sie wurde ganz klein unter den Blicken der vielen wichtigen Leute. Da meldete sich eine zweite Stimme: «Ich mich auch!» Da brach kurzer Tumult los. Schließlich hatten sich fünf von ihnen freiwillig gemeldet.

Wieder schüttelte der Präsident den Kopf. «Ich weiß nicht, ob ich das genehmigen kann. Wie groß ist das Risiko?» Er sah die Zentauren durchdringend an.

Eric hob die Schultern. «Wir wissen es nicht genau. Bei Ratten hatten beide Seren Erfolg.»

«Nein!», rief plötzlich Katy, die schwarzfellige. «Tut es nicht! In zwanzig Jahren sind wir vermutlich eh tot, dann ist das alles erledigt. Keine Sache auf der Welt ist es wert, plötzlich auf vier Hufen stehen zu müssen.»

«Nein!» Katy hatte plötzlich ihren Mut gefunden. «Ich bin eine, ihr seid zu dritt. Diese Gleichung geht immer auf!»

Wieder brach Stimmengewirr los.

Der Präsident legte seine Hand auf Jennys Schulter und drehte sie zu sich. «Du bist jung. Hast du dir das reichlich überlegt?»

«Herr Präsident, hier sind drei Unschuldige zu lebenslanger Isolationshaft verurteilt.»

Der Präsident nickte. «Es ist ein großer Dienst für die drei Zentauren und für das Land. Aber es ist völlig freiwillig. Niemand wird dich auch nur schräg ansehen, wenn du zurücktrittst. Es gibt bestimmt noch weibliche totkranke Freiwillige.»

«Sie sind aber nicht hier.» Jenny war wild entschlosssen. «Und ich fürchte, wenn nicht jetzt, dann wird nie etwas passieren.»

«Na gut», sagte der Präsident. «Ihr habt sie gehört. Bereitet alles vor für den Test!»

Die Zentauren verließen den Raum. Jenny ging mit dem Präsidenten, General Howard und der zweiten Freiwilligen zu einer Schleuse. Noch einmal sah der Präsident sie ernst an. «Es ist die letzte Möglichkeit, noch einmal zurückzutreten. Schon jetzt hat deine Tapferkeit einen Orden verdient.»

Doch Jenny schüttelte den Kopf.

«Bedenke, vielleicht musst du hier unten bis an das Ende deiner Tage leben.»

«Herr Präsident, ich vertraue den Zentauren.» Sie holte tief Luft. «Ich, äh, möchte sie um etwas bitten. Wenn das Serum Erfolg hat, dann verstecken sie die Zentauren nicht irgendwo. Bringen sie sie an die Öffentlichkeit, so dass sie dann ganz normal leben können. Es war schließlich nur ein Unfall.»

Der Präsident sah sie ernst an. «Du hast Recht, sie haben es verdient. So wahr mir Gott helfe. Und ich freue mich, dir demnächst einen Orden zu verleihen, mögest du dann auf zwei Beinen mir gegenübertreten.»

«Herr Präsident.»

«Ja?»

«Sie sind wirklich ein guter Präsident. Ich bereue keinen Tag, den ich bisher für sie gearbeitet habe.»

«Nana, es wird schon gut gehen!»

Dann tippte der Präsident die letzte Codeziffer ein. Über der Schleuse begann eine Warnlampe zu rotieren. Eine Ansage begann: «Achtung: Sie betreten Zone 3. Schutzkleidung und autonomes Atemgerät ist vorgeschrieben.»

Jenny trat in die Schleuse und schloss die Tür hinter sich. Dann tippte sie die Codesequenz ein, die sie vom Präsidenten bekommen hatte. Ihre Schritte hallten in den leeren Gängen lange wider, bis sie vor einer weiteren Schleuse stand. Dort blinkte ärgerlich ein rotes Biohazard-Zeichen. Sie tippte die Codesequenz ein. Wieder begann eine Warnansage. Die angesagte Minute verstrich, dann öffnete sich die erste Tür. Ein Alarm plärrte hinter ihr los. Schnell schloss sie die Tür und gab die letzten Ziffern ein. Durch das Fenster hinter ihr sah sie, wie der Raum, den sie eben durchquert hatte, von Flammen rötlich erhellt wurde.

Dann öffnete sich zischend die letzte Tür und Eric stand vor ihr. «Willkommen, ich bin Eric Sanders.»

«Jenny Hayworth. Wo sind die anderen?»

«Ich habe mir Serum eins gespritzt. Wir werden jetzt einfach mal drei Tage in einem isolierten Raum verbringen.»

«Und dann?»

«Wenn es nicht gewirkt hat, spritzen wir uns alle Serum zwei und warten auf die nächste Freiwillige.» Er sah betrübt. «Und wenn das nicht wirkt, dann wollen wir uns umbringen.» Dann richtete er sich wieder auf. «Kopf hoch, schließlich hatten wir ja neun Jahre Zeit um es zu entwickeln.»

 

Jenny hatte sich zurechtgemacht. Immerhin bekam man nur ganz selten im Leben einen Orden. Neben ihr stand Sybille, die zweite Freiwillige von damals. Sie trat unruhig von einen Fuß auf den anderen. «Bereust du es als erste gegangen zu sein?», raunte sie Jenny zu.

Jenny lächelte nur und beugte sich zu ihr. «Nein», flüsterte sie.

Der Präsident stand auf: «Ich ruft Jenny Hayworth.» Es wurde mucksmäuschenstill. Selbst auf dem dicken Teppichboden hörte man Jenny noch deutlich ihre Hufe aufsetzen. Stolz, mit Bändern um die weißen Fesseln und im Schweif stolzierte sie auf den Präsidenten zu. Vor ihm stehend überragte sie ihn fast um einen halben Kopf.

«Jenny Hayworth, wenige haben sich in Friedenszeiten so für ihr Land und seine Bürger mit Haut und Haaren eingesetzt wie Sie. Niemanden brauche ich wohl die Geschichte zu erzählen, wie ihr selbstloser Einsatz die drei armen Zentauren von der lebenslangen Isolation befreite und, das muss man doch wirklich zugeben, unsere Welt wieder etwas bunter gemacht haben -- ob mit oder gegen unseren Willen. Jennifer Hayworth, Sie sehen vielleicht nicht völlig menschlich aus; dennoch innen sind Sie mehr Mensch als viele in diesem Raum. Diese Verdienste werde ich jetzt mit der höchsten Auszeichnung ehren, die dieses Land zu bieten hat: Den Verdinstorden am goldblauen Bande.»

Jenny beugte sich vor, während der Präsident ihr den Orden umhängte. «Übrigens, ich bin schwanger», flüsterte sie ihm zu.

Nie wurde geklärt, warum dem Präsidenten zuerst der Orden entglitten war.


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