Es ist ein ganz normaler Morgen an einen ganz normalen Tag.
So könnte man die Situation beschreiben, wenn es noch jemanden auf der Erde
geben würde, der diesen Morgen bewußt wahrnehmen könnte. Aber
was hilft schon ein 'wenn und aber', wenn das Unheil erst einmal passiert ist.
Es gibt kein Lebewesen mit einem höheren IQ als 50 auf dem noch vor kurzer
Zeit von geschäftigen Leben wimmelnden Planeten.
Es ist wahrscheinlich unnütz diese Geschichte zu erzählen,
denn wer sollte sie außer meinen drei Gefährten oder mir selbst
noch lesen. Und es scheint wenig wahrscheinlich, daß sich noch einmal ein
Besucher in diesen unbedeutenden Seitenarm der Galaxie verirrt.
Aber vielleicht gibt es doch noch eine kleine Hoffnung, auch
wenn hier niemand viel darauf verwetten würde. Wie schon gesagt, ist unten
alles vernunftbegabte Leben erloschen. Mit unseren Teleskopen konnten wir das
ganze Drama mit einer ziemlich großen Aufl ösung beobachten. Den
Menschen auf der Erde war nicht einmal die Zeit geblieben sich gegenseitig zu
warnen oder zu beschuldigen. Es ging sehr schnell und das ist für Ebrahim
und Gerald ein Trost. Sie wissen, daß ihre Familien nicht lange leiden mußten.
Es ist wohl ein Schutzmechanismus des menschlichen Geistes, daß ab einem
gewissen Maß an Schrecken die Realität die Konturen verliert und man
in solchen Dingen Trost findet.
Wie auch immer, es hilft jetzt nichts mehr das Schicksal zu
bejammern, das sich die Menschheit selbst ausgesucht hat. Ach ja ich habe eben
von einen Funken Hoffnung gesprochen. Es wäre nach Paulus Meinung möglich,
daß doch eine ganze Anzahl von Menschen überlebt hat. Das wären
dann alle, die mit einer starken Lernbehinderung geboren wurden. Wie lange sie
in dieser sterbenden Welt durchhalten können, hängt von ihren
angeborenen Instinkten ab. Diese sind ebenfalls nach Paulus Meinung, bei den
geistig Zurückgebliebenen letztendlich von weniger Intellekt verdeckt. Wir
werden auf jedenfall solange nach Anzeichen für Überlebende suchen,
bis unsere Zeit gekommen ist und wir die letzte Wahl zwischen ersticken und
einem schnellen Freitod haben. Es läge schon ein ironischer Trost darin,
mit dem Wissen zu sterben, daß wir zwar nicht die letzten Menschen aber
die letzten mit der hochentwickelten Fähigkeit zu lernen sind.
Jetzt habe ich viel von der verbleibenden Zeit mit
eigentlich unwichtigen Gedankengängen vergeudet, obwohl ich eigentlich von
den Geschehnissen und nicht von Hoffnungen berichten wollte. Also fange ich am
besten ganz am Anfang an. Schon in diesem Anfang liegt die Ironie der ganzen
Geschichte.
Es war ein ebenso normaler Tag wie heute, als ein
Observatorium ein Objekt entdeckte, das sich auf der planetarischen Ebene der
Erde näherte. Das besondere daran war für alle, daß es dabei
abbremste und nach Überzeugung der Wissenschaftler letztendlich auf eine
Erdumlaufbahn einschwenken würde. Die Reaktionen darauf waren typisch
menschlich. Das ganze Spektrum von 'der Untergang steht bevor' bis hin zu 'der
Erlöser kommt'. Das es beides zusammen sein sollte, hatte allerdings
niemand gedacht. In der verbleibenen Zeit bis zum Eintreffen des Objektes
wurden viele Konferenzen abgehalten und viele Vorgehensweisen besprochen. Ein
Großteil der beteiligten Nationen wollte ohne Vorwarnung einen Angriff
starten, um jede mögliche Gefahr auszuschließen. Andere sprachen von
den Möglichkeiten, die die Besucher uns eröffnen könnten. In
hitzigen Diskussionen wurden alle zur Verfügung stehenden Vorgehensweisen
besprochen. Man einigte sich schließlich darauf, alle Streitkräfte in
Bereitschaft zu versetzen und gleichzeitig den Besuchern ein freundliches
'Hallo' entgegen zu bringen.
Und so wurden wir vier mit einen ganzen Haufen taktischen
Sprengköpfen im Gepäck zur Raumstation geschickt. Wir sollten Kontakt
aufnehmen und die Lage ausloten. Auch wenn niemand direkt darauf hinweisen
wollte, war uns der Sinn unserer Mission klar. Wir sollten als eine Art Puffer
zwischen dem Objekt und der Erde dienen. Wenn die Besucher feindlich gesonnen
sein sollten, würden wir die Auswirkungen zuerst spüren und der Erde
etwas Zeit verschaffen.
Was auch immer sich in diesem tiefschwarzen Ding befunden
hat, es schien uns nicht unfreundlich gesonnen zu sein. Darauf führten wir
zumindest die Tatsache zurück das wir den ersten Kontakt überlebten.
Im nachhinein wäre es wohl allen lieber gewesen, wenn es sich um ein
feindliches Schiff gehandelt hätte. Dann wären wir jetzt tot. Aber bei
einem Kampf hätte die Erde vielleicht eine Chance gehabt.
Aber so kam es, daß sich jemand oder etwas meldete und
allen Zuhörern auf der Welt per Transmitter mitteilte, daß es sich um
eine friedliche Erkundungsmission handele und man für die Menschen eine
gewaltige Menge unvorstellbaren Wissens als Geschenk mitbrachte. Die Freude und
Erleichterung war natürlich groß. Alle waren begeistert, daß
sich die Besucher die Mühe gemacht hatten, alle häufig gebrauchten
Sprachen zu lernen, um mit uns in Kontakt zu treten. Wenn man etwas länger
darüber nachgedacht hätte, wäre zu der Freude wahrscheinlich
noch Verblüffung gekommen. Denn die Besucher konnten nicht viel Zeit gehabt
haben, um aus irdischen Nachrichtensendungen und Filmen alle gebräuchlichen
Sprachen zu lernen. In der neu entstandenen Euphorie machte man sich aber um
solche Feinheiten keine Gedanken.
Alle waren begierig darauf, das Geschenk anzunehmen. Das
Schicksal nahm seinen Lauf, als eine ganz einfache Frage von den Besuchern
gestellt wurde. Die Antwort war ebenso einfach und leider auch fatal. Die
Menschheit wurde gefragt, ob sie lernen wolle. Wie nicht anders zu erwarten kam
eine Antwort, die es wirklich allen recht machen sollte: ,,Wir alle auf der
Erde, wollen alles lernen was ihr uns beibringen könnt!" Es ist wohl
ein klassisches Mißverständnis, daß das gegenseitige Verstehen
der Sprache allein eine sinnvolle Kommunikation möglich macht. Hier lag
der Fehler in einer offensichtlich völlig unterschiedlichen Beschaffenheit
der Evolution und Entwicklungsstufe von Menschen und Besuchern. Welcher Mensch
kann schon innerhalb von maximal vier Wochen alle einhundertvierzig großen Sprachen
lernen?
Da die Besucher zwar interessiert aber nicht fasziniert von
der Menschheit waren, schickten sie einen Satelliten auf die Umlaufbahn und
flogen sofort weiter. Und dieser Satellit entsprach genau der Antwort der
Menschen. Er brachte wirklich jedem lernfähigen Menschen auf der Erde
alles bei, was die Besucher in vielen Jahrtausenden gelernt hatten.
So kommt es, daß wir vier hier oben, die nicht
auf der Erde waren, wahrscheinlich die einzigen sind, die von dem akuten
Hirnversagen aufgrund völliger Reizüberflutung verschont blieben.
Sollten die Besucher irgendwann ihren Satelliten wieder abholen wollen, lesen
sie vielleicht diese Zeilen und werden dann in Zukunft etwas weniger großzügig
sein.
Nach den Anzeigen bleiben uns jetzt nur noch wenige Minuten und ich
glaube, daß ich auch alles wichtige gesagt habe. In ca. 10 Minuten wird
der Satellit am Horizon t auftauchen. Wenn unsere Waffen nicht versagen, hoffen
wir den vielleicht einzigen Überlebenden der menschlichen Rasse eine Chance
geben zu können.
Denn auch die langsam lernenden sollten inzwischen einiges
von dem Satelliten mitbekommen haben. Und diese Menschen sind jetzt die einzige
Hoffnung für die Zukunft der Menschheit. Allen anderen konnten wir nicht
helfen, weil für sie alles zu schnell ging.
Ich blicke noch einmal zu den Bildern von den Stätten
auf der Erde. An vielen Orten liegt die nun unkontrollierte Technik im
Todeskampf. Ganze Landschaften sind unter Rauch verschwunden. Das Inferno
breitet sich langsam aus und erfaßt jetzt Gebiete, die ich selbst schon
bereist habe. Das Meer erobert sich zurück, was ihm mühsam von
Menschenhand entrissen worden war. Den Höhepunkt dieser Zerstörung
sehe ich jetzt auf dem mittleren Bildschirm. Noch fünf Minuten bis ich die
Raketen zünden muß. Aber während ich dies schreibe, kann ich
den Blick nicht von dem Bildschirm lösen. Die gigantischen, nördlich
des Äquators liegenden Staudämme haben jetzt keine Energieversorgung
mehr. Sie können der Gewalt des Meeres nicht mehr widerstehen. Eine
unvorstellbare Wasserwand schiebt sich voran und begräbt riesige Gebiete.
Auf dem rechten Schirm sehe ich, wie meine Heimatstadt in der Explosion des
Kraftwerkes versinkt. Wenn es Gnade gibt und Menschen überlebt haben, wird
von dieser Katastrophe in den Legenden erzählt werden. Und es wird als
eine Strafe für die Überheblichkeit der Menschheit angesehen werden.
Mir bleiben jetzt nur noch zwei Minuten. Ich werde diese Aufzeichnungen in einer
Kapsel verstauen und mit der kleinen Sonde zum Mond schicken. Wenn wir die
Raketen gezündet haben, wird der letzte Sprengsatz unser Leben beenden
bevor wir sehen ob wir Erfolg haben oder nicht. Keiner von uns will diesen
Augenblick noch erleben. Und ohne Unterstützung von der Erde können
wir auch nicht zurückkehren und den Überlebenden helfen.
Wie sehr ich hoffe das diese Zeilen einmal gelesen werden,
kann ich nicht beschreiben. Aber sollte sich die Menschheit aus der Asche
erheben, so hoffe ich das sie nicht die gleichen qualvollen Stadien der
Entwicklung durchmachen muß, die unsere Geschichte gezeichnet haben. Wie
unnütz erscheinen die vergangenen Kriege. Die Konflikte um Land, Religion
und sogar die lächerlich anmutenden Kriege um die Vorherrschaft einzelner
Gruppen, die sich nur durch unwichtige Äußerlichkeiten unterschieden.
Nichts auf der Erde wird die Jahrtausende überstehen, um Zeugnis von
unserer Existenz abzulegen. Denn alle technisch hochentwickelten Zentren lagen
in den dem Meer abgewonnenen Gebieten, die jetzt unter den Wassermassen begraben
sind oder bald werden. So kann ich nur hoffen, daß in vielen Generationen die Sonde
gefunden wird.
Halei Berai, Heimatstadt Gomorra, Kommandant der Raumstation Sodom
Wissensdrang von Lars
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