Wölfe und anderes friedvolles Getier von Markus Pristovsek


Die historische Pressekonferenz war eher langweilig. Kaum jemand konnte die Arbeit würdigen, zudem sprach dort ein Außenseiter. Hätte er nicht einen spektakulären Selbstversuch angekündigt, wäre wahrscheinlich gar keiner gekommen.

Gähnend überprüfte er zum zehnten Mal die Funktionsfähigkeit des Diktiergerätes. Endlich ging es los. Ein kleiner Mann in weißem Kittel stellte sich vor. Sein Name war, wie er schon wußte, Dr. habil. Shneid.

,,Die Testreihe war ein überragender Erfolg. Leider haben es die Beamten des Ministeriums nicht eingesehen. Das Verteidigungsministerium hält meine Arbeit für eine Bedrohung und die Ethikkommission wirft mir unerlaubte Forschung zu. Deswegen habe ich sie zu dieser Zusammenkunft eingeladen.

Sie haben meine Protokolle gesehen, sie haben selbst die Versuchstiere gesehen. Haben sie ihren Urteilen von wilden Hunden entsprochen?

Meine Ansicht, daß Friedfertigkeit zu einem großen Teil von den Genen bestimmt ist, sehen sie damit bestätigt. Und ich habe einen Virus entwickelt, der diese Sequenz bei Humanoiden aktiviert und einige neue Sequenzen dazu einfügt.

Da wir keine Affen als Versuchtiere haben, nun zu dem Teil, der sie wohl hergelockt hat. Ich werde mir jetzt eine nicht vermehrungsfähige Version dieses Virus in die Blutbahn spritzen. Danach könne sie mir dann ihre Fragen stellen."


Sheila wußte wie viele bescheid, sogar sehr gut, sie saß ja an der Quelle. Doch auch sie verdrängte es. Speziell wenn sie Führungen durch das anatomische Institut des Fachbereichs Genetik machen mußte. Sie haßte diese Führungen, die dummen Fragen und diejenigen, die nicht einmal das geringste Maß an Verstehen und Allgemeinbildung erkennen ließen. Damit war sie wahrscheinlich schon am Rande der Norm.

Heute jedoch war eine Führung von Ministern angesagt. Es waren zwar nur der Minister für Postwesen und der Fachminister für Wissenschaft und Gesundheit angesagt, letzterer ließ aber auf hohe Bildung hoffen.

Zum Glück sollten sie morgens kommen, so war der Rest des Tages noch für vernünftige Arbeit übrig. Also begab sie sich zum Eingang. Kurz darauf fuhr draußen ein Wagen vor, doch nur einer stieg aus.

,,Hallo, ich bin der Postminister."

Sie hatte den Postminister bisher nie richtig gesehen. Er war blond und groß, aber sein likes Ohr war irgendwie verstümmelt. Im großen und ganzen könnte er ganz sympathisch sein.

,,Hallo, mein Name ist Sheila, Herr Minister."

,,Sagen sie, Fangor zu mir. Denn ich stehe auf diesem Gebiet bestimmt nicht über ihnen. Hat der Fachminister angerufen?"

,,Nein."

,,Dann kommt er nicht mehr. Er sagte zu mir, er käme nur, wenn sie einen positiven Bescheid von ihm hätten. Also fangen sie an."

Langsam gingen sie zum Fahrstuhl.

,,Wieviel wissen sie? Wissen sie, was Gene sind?"

,,Träger der Erbinformationen, bestehen aus der DNA, die wiederum hauptsächlich aus vier Basen bestehen, oder so ähnlich."

,,Richtig. Wenn man die Informationen kennt, dann kann man sie ändern. Das ist jedoch nicht so einfach, es ist eine immense Menge. Allein hundert Basenpaare ergeben rund 2*1060 Möglichkeiten zur Kombination. Das ist eine Zahl mit sechzig Nullen."

,,Aber wenn man die Stelle kennt, wie wirkt man darauf ein?"

,,Da gibt es viele Möglichkeiten, man kann sich ein Eiweiß bauen, was die DNA an der richtigen Stelle aufschneidet und man dann ein neues Stück einfügt und die DNA wieder zusammenschweißt. Das Problem ist, daß man dann eine fürchterlich hohe Fehlerquote hat. Von tausend Manipulationen haben vielleicht zwei Erfolg."

Sie stiegen in den Fahrstuhl.

,,Deswegen nimmt man die Methode nicht?"

,,Doch, gerade bei Einzellern ist die sehr praktisch, es geht einfach und schnell. Aber bei mehrzelligen Organismen geht es nur, wenn man die Keimzellen manipuliert. Doch da können einzelnen DNA-Abschnitte, die man für unnütz hielt, eine neue Bedeutung bekommen. Das Ergebnis ist nicht vorherzusagen.

Nein, für lebende, mehrzellige Organismen benutzt man meist Viren. Wenn man ein Virus kennt, das sich in die DNA an die fragliche Stelle oder nahebei anlagert und seine DNA einbaut, um sich im Normalfall zu vermehren, dann kann man diese DNA durch neue ersetzen oder ergänzen. Wenn man Glück hat, dann weiß man sogar, wie man die Stelle der Anlagerung verändern kann."

,,Und was für Sicherheitmaßnahmen werden dabei getroffen?"

,,Das Virus ist so verändert, daß es den Körper oder das Organ, wo es aktiv werden soll nicht verlassen kann. Eigentlich sollte es sich gar nicht vermehren können."

,,Und was ist die Ursache für ...?"

,,Tja, hauptsächlich Unkenntnis in zweifacher Hinsicht. Erstmal erwies sich seine Grundannahme richtig. Doch seine Gensequenzen, also Genabschnitte, die die Friedfertigkeit enthalten sollten, enthielten noch jede Menge Müll. Darunter waren auch einige Sequenzen, die andere Sequnzen wiederum aktivieren.

Bei seinen Versuchstieren, es waren wilde Hunde aus Tierheimen, hatte dies kaum Auswirkungen. Das dort Intelligenzquotient sinken würde, war bei diesen Tieren nicht feststellbar."

Der Fahrstuhl war da. Sie gingen rechts lang, zum Seminarraum.

,,Der zweite Fehler war eine Verkettung ungünstiger Umstände. Shneid hatte sich schon unbeabsichtig und lange vor diesem Versuch mit einer ungefährlichen Version dieses Virus infiziert. Leider ergänzten sich die beiden Teile der Viren und das Ergebnis war einer vermehrungfähige, ansteckende Version."

,,Warum hat man dies nicht bemerkt?"

Der Raum hatte Fenster, sonst sah man Beton. Er war recht alt und so waren die Farben schon ausgeblichen. Sie suchte im Schrank nach dem üblichen Bild zu ihrem Text.

,,Es hat einige Zeit gedauert, zuerst lief ja alles gut. Die Menschen konnten nicht erkennen, daß sie schon infiziert waren. Und dann, nun ja, sehen sie sich ihn hier an. Das war ein Mensch vorher: Keinen Wolfskopf, kein Fell und auch keine Krallen."

Diesmal verfehlte das Bild seine Wirkung ziemlich.

,,Kenn ich. Als man dies bei mehreren feststellte, schloß man, daß das Virus so nicht ungefährlich war?"

,,Es war sehr ansteckend, wie man sieht. Und sie konnten sich die Probleme vorstellen, die das mit sich brachte. Denn in eine Wolfskopf paßt nur ein halb so großes Gehirn. Noch dazu gingen beim Schrumpfprozeß alle Informationen verloren, meistens jedenfalls.

Nur die gleichzeitig entstandene Friedfertigkeit rettete die Menschheit. Und gleichzeitig fordet sie ihren Preis. Kennen sie den Preis, den es heute noch fordert, Herr Minister?"

,,Worauf spielen sie an?"

,,Wissen sie, vorher konnten die Menschen essen, was sie wollten: Pflanzen und tote Tiere, roh oder gekocht. Und jetzt, sie wissen es wahrscheinlich nicht, kann unsere Biochemie nur Fleisch, also tote Tiere, noch dazu rohes Fleisch verzehren."

,,Ich weiß, man nimmt dazu tote Tiere."

,,Fragen sie den Minister für Friedfertigkeit danach, wo die weniger friedfertigen Menschen hinkommen! Sie sorgen für unserer Fleisch. Denn die Tiere werden getötet, wenn sie ein halbes Jahr alt sind. Durch Genmanipulaition sind es zwar nur mißgestaltete, dumme Fleischklöße, aber sie leben."

Endlich war auch den Minister mitgenommen. Er war weiß angelaufen und rang nach Fassung.

,,Man hat ihnen nichts erzählt? Es ist wahr."

,,Es ist so furchtbar, daß es wahr sein muß."

,,Sein sie froh. Es ist zu aller Menschen besten."

,,Sie haben recht. Froh seien Wölfe, Menschen und alle anderen friedfertigen Tiere."


Zurück zum Inhaltsverzeichnis oder zur Homepage.