Von den höheren Formen von Markus Pristovsek


Verdammt! Aber sie würde nicht aufgeben; auch wenn es jetzt schon mehr als 19 Jahre her war, seit sie auf zwei wackligen Beinen durch das Leben gestelzt war. Diese Zeit war nur schwache Erinnerung; eigentlich konnte sie sich überhaupt nicht mehr daran erinnern. Aber sie wusste noch, wie sie neben dem Karren stand. Der Zauberer hatte sie damals, als die Räuber sie überfallen hatten, von dem Kutschbock gehoben, weg von dem Toten, an den sie sich geklammert hatte. Er hatte sie dann auf das Pferd gesetzt, und dann, ja dann hatte sich alles zu bewegen angefangen und hustend war sie dann mit Tier verbunden worden. Der Hass auf ihren seitherigen Dienstherrn -- den Zauberer, der ihren Körper so verzerrt hatte, war noch frisch und unverbraucht.

Ohne zu erkennen zu geben, dass sie den Zauberer längst vor der Tür bemerkt hatte, und mit unschuldiger Mine nahm sie die nächsten Bücher aus dem Regal und ließ ein Mäusenest auf den Boden fallen. Davon gab es hier wahrlich genug. Dann legte sie die Bücher wieder in das Regal, vertauschte bei Zweien ihre Reihenfolge und eines stellte sie auf den Kopf -- aber eigentlich musste der Zauberer doch längst bemerkt haben, dass sie die Runen besser zu lesen vermochte als sein fauler und doch eher schwachsinniger Lehrling. Der ließ meistens einige Bücher in seinem Zimmer offen herumliegen, Zeit genug für ein kurzes Studium, während sie etwas aufräumte.

Sie hob das alte Mäusenest auf, und sah sich dann wie überrascht um. «Oh, Meister, verzeiht. Aber ich fand Mäusespuren.»

Der Zauberer winkte nur mit der Hand. «Geh, bereite das Mittag!»

Sie nickte, dann machte sie kehrt. Ihre magisch gehärteten und mit einer Schicht ewigen Leders überzogenen Hufe machten auf den Dielen kein Geräusch. Weder Tür noch Meister berührend, schob sie sich in den engen Korridor. Ja, Tier, wie sie ihren Pferdeunterleib nannte, Tier war fest in ihrem Griff. Was ihren Hass gegen es nicht milderte. Falls er je nachließ, brauchte sie sich nur an die Szene erinnern, als der Zauberer sie mit dieser weißen Stute verschmolz. Er hatte sie geraubt, nicht wirklich gerettet, von der Bande. Und seit diesem Tag suchte sie die Formel, die ihr das angetan hatte, um sich von Tier zu befreien und wieder Menschen zu sein.

Und dann ärgerte sie am meisten, dass sie immer noch ,,He, du da!" war. Andererseits war das vielleicht auch gut, denn namenlose Dinge ließen sich leichter verändern.

Ohne große Mühe machte sich aus einem alten Weißkohl einen Kaninchenbraten. Früher, früher musste sie jagen, da hätte es viel länger gedauert. Und Grünkohl bekam Tier auch viel besser als echter Hase. So hing sie jetzt den Bogen und Köcher nur noch zur Tarnung um, wenn sie statt dessen etwas Grünzeug sammelte und vor allem Bücher studierte. Doch bisher vergebens, aber sie hatte einen Verdacht, wo der Zauberer das wichtige Buch aufbewahrte. Er hatte eine Kammer oberhalb der Bibliothek, dort wo die mächtigsten Bücher, die der Zauberer besaß, in einem mit Silber ausgeschlagenen Bleischrank aufbewahrt wurden: Feuer und Magiefest. Und da der Raum auch nur über eine Leiter zu betreten war, leider für sie unerreichbar.

Sie schob den Braten in den kalten Ofen. Wütend trabte sie in den Hof; eigentlich wollte sie Feuerholz holen, doch dann änderte sie ihren Entschluss, wurde schneller und galoppierte dann den Weg in den Wald entlang. Haar und Schweif wehten hinterher, sie lachte und genoss die Freiheit und den Wind im Gesicht. Sie galoppierte noch etwas, bis sie keuchend stehen blieb.

Langsam schritt sie wieder zurück. Zur Übung ließ sie eine kahle Erle Blätter treiben. Wirklich nur Narren konnten behaupten, eine Frau können nie die echte Zauberei verstehen. Kurz vor dem Hof des Zauberers überkam sie noch ein dringendes Bedürfnis und sie ging an den Wegrand. Dann sammelte sie noch etwas Reisig, um den Ausflug zu begründen und ging in die Küche.

Es war ihr unbegreiflich, dass ihr Einsatz von Magie noch nicht entdeckt worden war. Jeder Zauber hinterließ Spuren, die Realität protestierte auf ihre Weise. Es war wie ein unhörbar tiefer Ton, an der Grenze zu einem Luftzug. Wenn man wusste, worauf man achten musste, dann konnte man jeden Einsatz von Magie in der Nähe auf diese Art spüren.

Und ihr Meister beherrschte es, nicht nur wegen seiner neidischen Kollegen. (Die Besuche eines anderen Zauberers waren mehr wie stumme Kämpfe hinter einer freundlichen Fassade gewesen. Jeder lauerte auf eine Blöße des Anderen.) Sie hatte mehrmals erlebt, wenn er sich über einen halben Zauber des dummen Lehrlings aufgeregt hatte, der gerade vorüberwehte.

Trotzdem wurde sie nicht zu unvorsichtig. Vielleicht hatte der Meister bisher ihre Magie als Übungen des Lehrlings missinterpretiert. Dieser verdorbenen Sohn eines reichen Grafen (wohl mehr reich als wirklich von Adel) hatte war mit einem Übermaß an Dünkel gesegnet aber ohne Grips, zumindest darin war sie mit dem Meister einer Meinung. Es war wohl zur Hälfte seines Vaters wegen, warum er noch nicht fortgejagt worden war. Die andere Hälfte entzog sich aber ihrer Logik.

Sie würzte den konventionell gebackenen Braten kräftig. Es war nach ihrem Geschmack; außerdem tendierten magische Speisen nach ihren ursprünglichen Materialien zu schmecken und das überdeckte sie so. Hmm, es duftete lecker. Also schepperte sie mit dem Topfdeckel.

Jan, der Lehrling, jener dickliche blasse Sprössling des Fürsten von Dippelsberg, war praktisch sofort da. Ein verdorbener halbfertige Zauber wehte ihm voran, gefolgt von seinem nicht minder abstoßenden Körpergeruch. (Sie schien hier wirklich die einzige zu sein, die sich öfter als einmal im Monat wusch.) Sie drehte sich zum Herd und rümpfte ihre Nase.

«Es riecht wieder so lecker!», rief er aus. «Wenn ich fertig bin, dann werde ich dich auslösen, und du wirst mit Silberschellen verziert in unserem Schloss dienen!»

Eher bekommt der Mond Kinder, dachte sie. Er versuchte es jedes Mal, obwohl sie ihn weniger als ignorierte.

Der Zauberer ging gemächlich zu Tisch. Auch wenn er manchmal eher schäbige Sachen anhatte, so war er viel kultivierter als sein adliger Lehrling. «Hört zu!», rief er.

Sie schluckte. Zögernd drehte sie sich um, trat zum Zauberer an den Tisch. «Ja?»

«Ich werde eine Expedition machen, in ein Gebiet ohne Magie, zusammen mit Jan. Ich werde dich nicht mitnehmen, denn schließlich bist du ein anmutiges aber doch magisches Geschöpf, und ohne Magie weiß nicht einmal ich, was mit dir passieren wird. Aber ich brauche auch deine Hilfe zur Vorbereitung. Jan, du wirst dich nach dem Essen in die Stadt begeben und zwei Pferde, stabile Sättel und Satteltaschen besorgen. Außerdem Seile und du wirst beim Sattler einige Dinge nach diesem Brief hier anfertigen lassen!»

Jan sah den Zauberer entsetzt an. «Meister, ich»

«Eine Woche wandern in magieloser Wildnis. Da ist nichts Gefährliches außer einem kalten selbst gekochten Mittag. Und was glaubst du, wie die Geschichte bei den Frauen ankommen wird. Oder willst du zu deinem Vater zurück?»

Jan machte mehrmals den Mund auf und zu, bekam aber keinen Ton heraus. Sie vermutete einen kleinen gemeinen Zauber und lächelte schadenfroh.

«Iss, und sie gibt dir gleich noch Proviant und Geld. Und den Flugzauber bitte, es eilt. Ich weiß nicht, wie lange die Konstellationen noch stabil sind!» Er stand auf. «Es war ein vorzügliches Mahl. Komm!»

Verwirrt folgte sie dem Zauberer.

«Diesem dummen Lehrling wird eine Woche ohne Luxus und Zauberei gut tun; vielleicht studiert er dann konzentrierter. Aber auch ich muss lernen.» Abrupt blieb er stehen. «Ich muss schnell wieder reiten lernen.»

Sie wich erschreckt zurück.

«Komm, du hast dann eine Woche ganz allein, dann kannst du tun, was immer du magst. Sobald Jan los ist, treffen wir uns im Hof. Nun geh, kümmere dich um Jans Proviant!»

Eine gute Stunde später war Jan in einem ziemlich unruhigen Flug nach Süden verschwunden, nur noch die flatterhafte Magie war noch zu spüren. Es war -- wie immer -- eine erbärmliche Vorstellung des Lehrlings.

Der Zauber stand neben ihr und tätschelte Tiers linke vordere Flanke. «Weißt du, das letzte Mal, als ich wirklich geritten bin, war ich vierzehn. Das war auf dem Weg zu meinem ersten Lehrer, vor fast einem Jahrhundert.» Dann sah er zum Himmel: «Aber ich glaube, meine Zauberei war nie so schlecht wie die von Jan.» Er seufzte, dann hob er etwas vom Boden auf: «Hier ist ein Sattel. Den werde ich jetzt festschnallen.»

Sie drehte den Oberkörper und sah interessiert zu. Der Sattel war ein merkwürdiges Gewicht auf Tier. Nur mit Mühe blieb sie ruhig, als der Zauberer den Riemen ganz fest zog und mehrmals am Sattel ruckte. Dann band er ihr zwei Lederriemen um die rechte und linke Schulter.

«Das sind die Zügel. Wenn ich rechts ziehe, gehst du nach rechts, ziehe ich links, gehst du nach links. Ziehe ich beide, bleibst du stehen, lasse ich locker, wirst du schneller. Hast du verstanden?»

Sie nickte.

«Aber warum sprechen sie nicht einfach zu den Pferden?», fragte sie.

«Gute Frage.» Er lächelte. «Ein Jammer, dass du kein Mann bist. Also: Ich weiß nicht, ob ich dort noch die Sprache der Pferde kann. Und ob die Pferde mich dort verstehen. Besser so. Halt still!» Und so schwang er sich hinauf. Nur mit Mühe blieb sie stehen, es war ein ganz schönes Gewicht.

«Meister, äh»

«Ich weiß, ich bin schwer. Aber still jetzt, bitte tu so, als wärest du ein stummes Pferd. Nein, besser -- entschuldige!» Und jetzt sprach der Zauberer plötzlich nur noch unverständliche Worte. Und er ließ die Riemen, äh Zügel locker, also ging sie brav los.

Es war wohl für sie beide nicht so einfach. Der Zauberer fluchte öfters, manchmal so laut und unvermittelt, dass sie erschreckt, einem Reflex aus der Burg folgend, zur Seite trat und der Zauberer nur noch lauter fluchte. Außerdem beließ er es nicht mit manchmal recht brutalen Rucken an den Zügeln, dann haute er ihr auf die Hinterflanke. Dann wieder sollte sie laufen, schneller und schneller. Schließlich hatte sie genug; sie war doch kein Tier, auch wenn es der Zauberer so wollte. Wütend drehte sie sich um und ging in schnellem Trab unbeirrt zur Burg zurück. Egal, wie der Zauberer hinter ihr auch fluchte und an den Zügel zerrte. Am Hauklotz blieb sie schließlich keuchend stehen. Der Zauberer zeterte immer noch, doch mittlerweile nahm sie es kaum mehr wahr.

Erst als sie unsanft an den Schultern gerüttelt wurde, hörte sie wieder zu. «Heh, ich sagte, du hast es gut gemacht. Danke.» Er rieb sich den Hintern. «Wenn es dir leichter fällt, dann kann ich dich etwas kräftiger machen, obwohl es deine Proportionen wohl verschlechtern würde.»

«Nein, bitte nicht.» Sie schüttelte den Kopf.

«Wie du willst. Bis Jan zurückkommt werden wir das morgens und abends wiederholen.»

Sie zuckte mit den Schultern, die daran hängenden Ersatzzügel schlugen matt gegen Tier. Mehr Protest war kaum möglich. Immerhin sah auch er ein, dass mehr Muskeln an Tier wirklich nicht passen würden. <Tier, was hat er bloß mit uns gemacht>, seufzte sie. Aber Tier antwortete schon lange nicht mehr, nur kurz nach der Verschmelzung hatte es Tier wirklich noch gegeben.

«Meister, eine Sache noch. Wo liegt denn das magielose Gebiet, damit ich nicht plötzlich hineingerate?»

Der Zauberer drehte sich noch mal um und lachte kurz. «Keine Sorge; es ist eine fremde Welt. Ich muss dazu einen Durchgang beschwören. Bis heute abend.» Er drehte sich wieder zum Eingang. Der Sattel verschwand von Tier.

Geschafft ging sie zum Brunnen und holte etwas Wasser hoch. Nach zwei Eimer kalten Wassers sah die Welt schon ganz anders aus. Mit etwas Stroh rieb sie sich trocken, dann sah sie nach den Hühnern. Die waren gut versorgt, also holte sie Pfeil und Bogen, denn sie würde jagen gehen müssen: eingepöckelter magischer Hase, der sich im magielosen Gebiet in Grünkohl verwandelte, würde sie wohl endgültig enttarnen. Hätte sie etwas mehr Zeit gehabt, wäre das kein Problem gewesen: Nach vier Wochen oder so würde sich das tote Hasenfleisch eh nicht mehr erinnern, das es einmal inmitten anderer Kohlköpfe die Sonne anbetete.

Aber insgeheim frohlockte sie: Eine ganze Woche oder mehr in der Bibliothek für sich. Da sollte sich doch was finden lassen. Sie begann sich auszumalen, wie es war, eine Frau zu sein, eine Menschenfrau. Doch leider fehlte ihr da ein entscheidendes Stück Wissen, schließlich war sie seit ihrem dritten Lebensjahr auf Tier und sie wusste nicht, wie eine Frau aussah. Denn Frauen hatten den Zauberer noch nie besucht und Jan sprach immer nur vage von ihnen.

Der hatte vermutlich keine Ahnung. Sie war jedenfalls genug in der Natur gewesen, um eine Vorstellung zu entwickeln, wie man Kinder bekam und was Weibchen von Männchen unterschied. Aber wenn sie von Zeit zu Zeit die Lust überkam, dann stellte sie sich eine schweren kräftigen breitschultrigen Scharzhaarigen vor; und Tier forderte untenrum einen andalusischen Hengst. Gemeinsam galoppierten sie dann durch den Wald. Dann ertappte sie sich, und versuchte sich schnell vorzustellen, wie sie als Frau nebenherlief. Doch so war sie immer zu langsam und ihr Recke entschwand. Reichlich frustrierend.

Einmal, als ein anderer Zauberer sie besuchen kam, so ritt dieser auf einem solchen Hengst -- nur Hengst. Der Zauberer hatte ihr die Zügel in die Hand gedrückt, und «habt euren Spaß» gerufen, ihr zugezwinkert und gelacht. Der Hengst war nervös und in ihrer Nähe deutlich erregt und auch sie fühlte sich merkwürdig. Aber soweit war sie nicht gesunken, also sperrte sie ihn in seine Box und wusch ihn (und sich) kalt ab.

Ein Geräusch holte sie aus den Gedanken. Dort, ein älterer Hirsch war aus seinem Tagesdämmer erwacht. Schnell hatte sie einen Pfeil auf der Sehne und schoss. Treffer. Die Verfolgung begann. Es war mühsamer, und sie war müde vom Ritt. Doch es gelangen ihr noch zwei Schüsse, und der Hirsch ging in die Knie. Sie zog das Messer aus ihrem Gürtel und erlöste ihn. Dann hob sie ihn auf Tiers Rücken. Der Hirsch war mehr als doppelt so schwer wie der Zauberer, zu schwer. Sie fluchte und webte dann kurz einen leichten Levitationszauber auf den Hirsch. Jetzt war es nur noch so schwer wie der Sattel. Aber er würde bald wieder schwerer werden, denn sie hatte den Zauber im Hirsch verankert; und Tote waren schlechte Anker.

So schnell es ging lief sie zur Burg zurück. Sie hatte sich wohl verschätzt, denn endlich am Waldrand war sie nahe am Zusammenbruch. Sie warf den Kadaver auf den Boden im Schuppen, streckte sich erst einmal. Dann begann sie ihn auszunehmen und nebenbei das Räucherfeuer zu entzünden. Müde, wie sie war, nutze sie Magie für Feuer und Licht, achtete aber noch darauf, dass das Fleisch selbst ohne bearbeitet wurde.

«Ich hatte schon lange den Verdacht.»

Sie fuhr herum. Der Zauberer stand hinter ihr und hatte wohl schon länger zugesehen. Wütend warf sie ihm irgendeinen Spruch entgegen. Es war ihr Huffestiger. Er wirkte, der Zauberer ging zu Boden, die Schuhe platzten und seine Beine endeten in schillernd schwarzen Hufen. Doch nur Momente später setzten unglaubliche Kopfschmerzen ein, sie wand sich wiehernd auf dem Boden.

Der Zauberer kam auf allen Vieren zu ihr gekrochen. «Sag schon du Biest, wie hast du das gemacht? Du kannst mich doch gar nicht verändern, du kennst nicht meinen Namen; ja und du hast doch keinen. Wie gefällt dir der neue Kopf? Wenn ich dich jetzt taufe, ist er permanent.»

Sie versuchte eine trotzige Antwort, doch es kam nur ein Wiehern. Sie fasste ich an den Kopf -- passend zu Tier hatte sie nun Pferdekopf.

«Ich kann dich ganz zum Pferd machen, wenn du schweigst», lachte er sardonisch.

Sie versuchte einen anderen Zauber, doch vergeblich ohne Sprache. Sie spürte, wie ihre Arme verschwanden, sich in den Oberkörper zurückzogen. Sie versuchte, zu schreien, etwas zu sagen, irgendwas. Aber nur Wiehern und Schnauben kam heraus. Und ohne Hände und Stimme konnte sie keine Zauber mehr wirken. Sie erschlaffte und sah ihn groß an.

«Wenn ich den Zauber aufheben, dann hebst du deinen auf?» sagte der Zauberer schließlich.

Sie nickte schwach. Dann hatte sie wieder Kopf und Arme. Sie suchte nach dem Huffestigerzauber, wo hatte sie ihn nur verankert? Ach, der Kochlöffel. Er verschwand.

Der Zauberer stöhnte kurz, als sich die Hufe zurückbildeten. «Was immer du also nächstes wirken willst: Tu es nicht. Du wirst verlieren. Ich mache seit fast einem Jahrhundert Zauberduelle. Als Warnung.»

Sie fühlte ein Prickeln am Kopf, dann als zöge man an ihren Ohren. Ihre Hand verriet: Das war tatsächlich der Fall gewesen, sie hatte nun Pferdeohren.

«Weiß du, warum ich dir nie einen Namen gegeben hatte? Namenlose Diener können nicht zaubern.»

Müdigkeit hatte ihr Adrenalin verdrängt. «Man kann den Zauber in den Dingen selbst verankern», erwiderte sie schwach. Sie levitierte einen großen Knochen in ließ ihn in die Suppe fliegen. Dann spie sie aus. «Ich bin froh, dass es endlich vorbei ist. Was machen sie nun mit mir?»

«Wer hat es dir beigebracht? Jan wohl nicht.»

«Niemand. Ein Bisschen habe ich aus Jans Unterlagen geholt.» Schnell kratzte sie eine Rune in den dreckigen Boden. Der Zauberer erbleichte. «Diese wird Sian-Emm gesprochen und ist wohl ihr Name.» Dann lachte sie plötzlich. «Sian-Emm, machen sie aus mir wieder eine Frau!»

Der Zauberer zitterte unentschlossen. Dann ging ein Ruck durch ihn. «Sehr gut. Manche meiner Kollegen sind nur halb so gut.»

Sie sackte zusammen. Sie hatte alles in den Spruch gelegt, was sie hatte und kannte. Ihre Kraft reichte nicht einmal mehr, um noch aufrecht zu stehen. Sie knickte vorne ein, stützte sich auf die Hände und hechelte schwach. Da knickten auch Tiers Hinterhufe ein und schließlich lag sie flach auf dem blutigen Boden und begann zu schluchzen. «Na los, vollendet euer Werk, vernichtet die Frau und machst ein richtiges Tier aus mir!» Schwach schlug sie sich in den Pferdeunterleib und stöhnte bei jedem Treffer.

«Warum sollte ich? Sei froh, das du bist, was du bist, denn ich glaube nicht, dass eine Frau je soviel Zauber wirken könnte. Warum hast-»

«Ich will nicht Tier haben! Nur deshalb habe ich die ganze Zauberei geübt!» Ihr letzten Geheimnis beraubt, erschlaffte sie. Sie schluchzte, dass ihr ganzer Körper zitterte.

Der Zauberer beugte sich zu ihr und hielt ihre Hand fest. «Nur deswegen hast du die Zauberbücher studiert?»

Schwach nickte sie.

«Du hast eine ehrliche Antwort verdient. Es gibt nur eine Möglichkeit, dich zu einem Mensch zu machen, denn du bist ein neues Wesen geworden mit der Zeit. Du musst den Körper mit einem Menschen tauschen. Nimm Jans Körper, dann unterrichte ich dich und»

«Nein, nicht einmal Jan.»

Der Zauberer schüttelte den Kopf. «Was ist so schlimm an Jan? Du könntest ja seinen Körper verbessern. Und Du hättest einen Namen.»

«Niemand verdient Tier», flüsterte sie. «Dann einen anderen Weg! Ihr habt mich verschmolzen, trennt mich!»

«Das geht nicht mehr. Die Stute wäre längst gestorben und auch du wärst eine ganz Andere. Nein, dein Körper erinnert sich nicht mehr. Es ist wie bei den Steinen der Burg: Sie sind lange genug verzaubert gewesen, dass sie nun selbst glauben, sie sind immer schon eine Burg gewesen. Dort wieder eine Felswand zu errichten, würde neue Magie erfordern.»

«Aber es gibt doch das große Buch der Formen.»

Der Zauberer erbleichte zum zweiten Mal. «Du hast nicht darin gelesen», stellte er fest und entspannte sich etwas. «Nicht einmal ich habe es mehr als ein einziges Mal getan; als es um Leben und Tod ging. Einmal zum Kampf -- es hätte mich fast die Existenz gekostet. Nein, das ist rohe Magie, die kann kein Zauberer wirklich beherrschen.»

«Bitte!», hauchte sie.

Der Zauberer strich über das dreckige und mit Hirschblut besudelte Fell von Tier. «Nein. Das Buch ist gegen die Natur. Es war ein Fehler damals, und selbst heute, siebzig Jahre danach, habe ich noch Angst. Aber denk darüber nach, mit Jan zu tauschen. Du wärst dann mein Lehrling. Zumindest für einige Zeit, während Jan dann die Küche schrubbt.»

«Danke, aber ich muss ablehnen. Nicht mal mit Jan.»

Der Zauberer seufzte und zuckte dann mit den Achseln. «Schade, du würdest dir und mir einen Dienst erweisen. Ich respektiere deine Einstellung; verstehen tue ich sie nicht. Vielleicht bin ich zu lange Zauberer, oder zu sehr Mann, als das ich sie verstehen könnte.» Dann stand er auf und ging hinaus.

Sie lag noch länger weinend da. Schließlich war alles aus ihr entwichen, und sie stand mühsam wieder auf. Das eingetrocknete Hirschblut riss an ihrem Fell. Wütend beschwor sie einen warmen Wasserfall. Bald war sie wieder einigermaßen sauber. Und der Hirsch musste immer noch zerlegt und konserviert werden, denn sonst wäre er umsonst gestorben. Ein Frevel. Immerhin konnte sie jetzt ungehemmt Magie benutzten.

So arbeitete sie die ganze Nacht durch, bis es draußen schon wieder hell war. Zum Umfallen müde und von der Sonne geblendet trat sie vor den Räucherschuppen. Da kam gerade der Zauberer und hinter ihm schwebte der Sattel. Das hatte gerade noch gefehlt!

«Warum quälen sie mich! Reiten sie doch einen Fuchs als Pferd!», rief sie ihm wütend entgegen.

«Du bist heute ein echtes Biest, was?»

Erst jetzt spürte sie wieder bewusst das Ziehen am Kopf, wenn sich ihre neuen Pferdeohren nach dem Geräuschen drehten, was ihre Wut noch steigerte. «Ich habe bis eben den Hirsch eingepöckelt, getrocknet, geräuchert und Wurst gekocht. Die ganze Nacht durch. Bitte, sucht euch wen anderes.» Hundemüde, aber entschlossen die Hände an die Vorderflanken gepresst und mit dem Vorderhuf scharrend, stand sie da.

Wie ein Raubtier, dachte der Zauberer «Du bist niedlich, wenn du wütend bist. Aber wehe, ich erwische dich in der Bibliothek, wenn ich zurückkomme.»

Doch sie legte sich auf dem sonnigen Vorhof auf den weichen Rasen und war fast sofort eingeschlafen.

 
«He, aufwachen!»

«Hnn?» Dann war sie wach. Sie wurde sonst nie geweckt, sie war morgens die Erste, vom Hahnenschrei oder der aufgehenden Sonne geweckt. Reflexartig stand sie auf, gähnte herzhaft und streckte sich. Dann rieb sie sich noch mal den Schlaf aus den Augen. «Hallo?»

«Wo bin ich?», fragte die Stimme des Zauberers erneut.

«Dort!», sagte sie und zeigte auf einen kleineren Sitzstein.

«Wie hast du das gemacht?», fragte der nun sichtbar werdende Zauberer.

«Na, die Magie wehte von dort. Sie spüren sie doch auch.»

Er nickte. «Willst du mich tragen? Es ist nicht weit. Dort will ich deine Magie testen.»

Sie zuckte mit den Achseln und ging in die Knie. Das war eh Tiers Problem. «Steigen sie auf!» Der Zauberer kletterte auf Tiers Rücken und sie ging langsam los.

«Kennst du die Lichtung an den Felsen Richtung Sonnenaufgang? Dorthin müssen wir.»

Sie nickte. Gemütlich schritt sie dahin. «Eine Frage spukt mir schon länger im Kopf herum. Ihr sagt, das magielose Gebiet wäre auf einer anderen Welt, und ihr müsst einen Durchgang beschwören. Dann verstehe ich aber nicht, wie ihr ohne Magie von dort wieder zurückkommen wollt.»

«Das ist sehr einfach. Ich kann ihn nicht von dort beschwören, also muss ich ihn von hier beschwören. Du kennst sicher Zauber, die nur bei bestimmten Sonnenstand oder einer bestimmten Mondphase wirken. So einen muss ich mit dem Zauber für den Durchgang kombinieren. Das würde ich sogar so ähnlich machen, wie du deinen Zauber verankerst, denn die Magie darf sich nicht zu schnell aufbrauchen.»

«Ich habe mich nie getraut, solche Zaubernester zu bauen», murmelte sie. «Meister, lehrt mich die Beschwörung! Dann kann ich den Durchgang auch beschwören, wenn der Zauber versagen sollte oder aufgebraucht ist.»

«Erst einmal will ich dein Können sehen. Ah, da vorne ist sie ja schon. Dort hast du genügend Fels, um alle deine Zauber zu verankern.» Er schwang sich herab. «Ok, wir werden dich von einfach zu schwer in den einzelnen Disziplinen testen. Fangen wir an, zuerst die Namen.»

Und so ging es lange und länger. Sie aßen schnell ein magisches Mittag, und erst als die Sonne am Untergehen war, hob der Zauberer die Hand. «Du hast mich über alle Maßen überrascht. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass man soviel nur aus Büchern lernen kann.»

«Nun, ich habe auch euch und Jan zugesehen.»

«Es ist trotzdem unglaublich. Ich würde dich sofort als Lehrling annehmen, wenn du ein Mann wärst. Verdammt, ich würde dich sogar als männlichen Zentaur annehmen. Was ist, du bist Namenlos. Soll ich deinem Pferdekörper die Männlichkeit geben und dich dann taufen, so dass du ein natürliches männliches Wesen bist?»

Sie wurde rot. «Herr Zauberer, Meister, ich, ich ... ich weiß es nicht.» Stammelte sie. «Wenn ihr von der Expedition zurückkommt, dann werde ich mich entschieden haben.»

Der Zauberer nickte. «Richtig, als Zentaurin kannst du ja nicht mit. Wer weiß, was passiert? Im schlimmsten Fall löst du dich einfach auf.»

«Zeigt ihr mit trotzdem den Durchgangszauber?»

Der Zauberer sah zur tiefstehenden Sonne. «Falsche Zeit für diese Welt. Und hier fehlen ein paar wichtige Dinge. Wir machen das nach dem Abendbrot im Keller. Komm, lass mich wieder aufsitzen.»

Obwohl sie nur wenig geschlafen hatten und seit dem Mittag Zauberformal aufgesagt und gewirkt hatte, stürmte sie froh dahin, dass der Zauberer sich fest an ihre Schultern klammern musste. Der Zauberer hatte sie akzeptiert, sie musste ihre Magie nicht mehr verstecken. Und sie bekam sogar den Durchgangszauber gezeigt. Und vielleicht würde sie sogar einen Namen bekommen. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie ihre Weiblichkeit aufgeben wollte -- war dies doch die einzige Identität, die sie bisher besaß.

Das Abendbrot nahm sie kaum wahr, so erpicht war sie, den Durchgangszauber zu sehen. Gespannt beobachtete sie jede Geste des Meisters. Dann war es soweit, er sprach die entscheidenden drei Worte, und mit einem dumpfen Zischen flackerte ein blaugrüner, fast mannshoher Kreis knapp über dem Boden: der Durchgang. An den Rändern knisterte und knackte die Realität in kleinen Funken.

Den Plan, den sie seit der Ankündigung von dem magielosen Gebiet hatte, jetzt war der Moment für ihn gekommen. Sie holte tief Luft, versuchte alle Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen, denn vielleicht war es ihr letzter Atemzug; vielleicht aber würde sie dort drüben ohne Magie wieder getrennt von Tier sein. Dann nahm sie Anlauf und sprang durch den Durchgang, bevor der Zauberer sie stoppen oder den Durchgang zusammenfallen lassen konnte.

Es begann im selben Moment zu schmerzen, als würde man zugleich in alle Richtungen gezerrt werden. Dann wurde sie brutal zusammengepresst und plötzlich wurde es wieder hell. Da kam auch schon der Erdboden. Ziemlich unsanft kam sie auf und blieb erst einmal stöhnend liegen. Hinter ihr schloss sich der Durchgang wieder mit einem gedämpften Donnergrollen.

Sie spürte und hörte, wie an ihrem Körper die Funken sprühten. Besonders viele Funken knatterten um ihre magisch gehärteten Hufe und Tiers Fell stand ab. Es prasselte und knatterte und nur langsam ließ es nach. Bunte Flecken tanzten vor ihren Augen, sie wusste einen Moment lang nicht mehr, was Realität war, und was nur ihrem Kopf entsprang.

Doch gleich darauf war alles vorbei, Vögel begannen wieder zu singen. Als den Kopf hob, da rumorte es in ihr und sie übergab sich. Immerhin, sie lebte. Mit alter Routine stand sie auf: Es war also ihr Körper. Nein, es war immer noch Tier und sie. Und hier war Tier ein bisschen massiver, und die schönen schwarzen Hufe waren nur gräulich. Und natürlich waren die frischen Pferdeohren weg. Sie schüttelte sich. Es fühlte sich anders an, aber nur wenig. War das wirklich alles?

Dann sah sie sich um. Es war ein Waldstück, und es war wohl früher Morgen, der Himmel war schon hell. Gleich neben der Lichtung, wo sie gelandet war, ging ein Weg. Sie versuchte probeweise einen Zauber, aber nicht geschah. Das war also wirklich das magielose Gebiet. Na gut, der Durchgang hatte nicht ausgereicht, also Plan B.

Vorsichtig lief sie los. Nun, jetzt spürte sie jedes Steinchen unter ihren Hufen. Ja, manche piekten unangenehm, und sie musste anhalten, um sie rauszunehmen. Ärgerlich. Aber nicht zu ändern, denn bevor der Magier sie holen käme (und das würde er bestimmt tun) musste sie noch was erledigen.

Doch das Glück war mit ihr. Nicht einmal zehn Minuten später sah sie die Zelte. Dort, auf einer Waldlichtung lagerten viele Leute, in schreiend bunten Zelte und merkwürdigen Wagen. Ein seltsamer Geruch hing in der Luft. Wenn sie daran dachte, wieviel Leute hier lebten, bekam sie Angst, denn mehr als vier hatte sie noch nie gleichzeitig erlebt. Und vielleicht gab es hier auch Frauen, obwohl das nicht so wichtig war.

Wichtiger war, dass so früh am Morgen noch niemand zu sehen war. Vorsichtig setzte sie über den hohen Zaun. Uff, das war ganz schön knapp gewesen. Und laut, aber es schien niemand ihren Hufschlag gehört zu haben.

Irgendwo musste doch schon jemand wach sein! So leise sie konnte lief sie durch die verwirrende Anordnung, duckte sich bei jedem lauten Geräusch. Da, ein Mann kam aus einem der Zelten, ziemlich verschlafen, aber noch recht jung, vielleicht zwanzig. Er trug sehr merkwürdige Sachen. Aber sie konnte es sich kaum leisten wählerisch zu sein, und er war klein genug, also folgte sie ihm. Der Mann ging hinter einen der ganz dich am Zaun stehenden Wagen, wohl um zu pinkeln. Sie schlich ganz dicht heran, und wartete, dass er fertig wurde.

Als der Mann um die Wagenecke kam, blieb er verblüfft stehen. Auf den Moment hatte sie gewartet, sie hob ihn hoch und legt ihre andere Hand auf seinen Mund. Dann lief sie schnell zur Schranke gleich nebenan, die sie vorhin gesehen hatte und setzte recht souverän darüber hinweg und war schon wieder auf dem Weg zu Lichtung. Erst jetzt schien der Mann so richtig zu begreifen, wie ihm geschah und versuchte zu beißen und strampelte. Sie nahm die Hand von seinem Mund und hielt ihn an ausgestreckten Armen vor sich. Er schrie erst kurz irgendwas Unverständliches, dann wimmerte er leise und flehend, und drehte sich immer wieder zu ihr um.

Ihr Timing war nahezu perfekt: Sie war gerade wieder einigermaßen zu Atem gekommen, als ein neuer Durchgang aufflammte. Sofort war sie hindurch und stieß mit dem Magier zusammen. Gut, ihr Entführungsopfer stieß mit dem Magier zusammen.

«Was hast du gemacht, schwachsinnige Zentaurin?», brüllte der Magier. «Und was soll der-»

«Halt.» Schnell wob sie einen Betäubungszauber, und ihr Opfer erstarrte. «Er soll Tier kriegen. Und dann schicken wir ihn gleich wieder zurück, dann hat sich der Zauber nicht verfestigt, und keiner hat mehr Tier.»

«Hmm» Der Zauberer sah inne sie lächend an. «Das könnte gehen. Du willst mit dem da tauschen?»

«Nein!», rief sie entsetzt. «Nein, auch will eine Frau sein, eine Frau, wie ich sie heute auch wäre. Und ich werde euch weiter dienen, das verspreche ich.»

«Hmm, eine Frau. Dann wird er ein Hengst, warum nicht. Aber vielleicht wird es den armen Kerl auch den Verstand kosten. Versuchen wir's, der Durchgang sollte jetzt noch mehr als einen Stunde offen bleiben. Immerhin wollte ich dich ja zurückholen. Geh dort in die Ecke!»

Sie stellte sich gehorsam in die Ecke und gegenüber stand das Entführungsopfer starr in einem Erstarrungszauber. Dann ging alles recht schnell. Der Zauberer hatte mehrere Tücher geholte, entlang derer die Körper fließen und sich verformen sollten. Dann begann er, und sie fühlte, wie sie wegschmolz. Ihr ganzer Körper verschob und verformte sich. Verbissen kämpfte sie darum, so still wie irgend möglich zu stehen. Schließlich fiel sie vornüber, drehte sich dann auf den Rücken und jubelte. Da war nichts mehr, Tier war weg.

Aufstehen klappte nicht. Schließlich stellte sie sich vor, nur auf den Hinterbeinen zu balancieren. Sie torkelte rückwärts, bis sie an die Wand gelehnt stand. «Warum kann ich nicht stehen?», fragte sie empört.

«Menschen müssen das erst lernen», zuckte der Zauberer mit den Achseln. «Kannst du noch zaubern?»

Sie sah erst zu Zauberer, dann zu dem kurzzeitigen Zentaur. Gar nicht so schlecht. Und tatsächlich ein männlicher Zentaur. Aber ein bisschen schwächlich sah er aus, und schwarz würde im besser stehen. Mit einer Geste und zwei Sprüchen gingen die Pferde- und Menschenschultern gleich noch mal einen Handbreit auseinander und das Fell wurde Pechschwarz. Da sah sie, dass sie aus ihm den Zentaur ihrer feuchten Träume gemacht hatte. Schnell fügte sie noch einen regenbogenfarbigen magisches Schillern hinzu. «Zaubern geht so gut wie eh und je», rief sie.

«Dann werden wir das arme Opfer mal zurückschicken», murmelte der Zauberer.

«Was kann ihm denn passieren?»

Der Zauberer zuckte mit den Schultern. «Das hängt von dem magielosen Gebiet ab. Außerdem bleibt ja ein Teil von ihm hier.» Noch ein Schulterzucken. «Vielleicht findet Tier einen neue Heimat, vielleicht schafft es nur sein Oberkörper ... Er wird sich jedenfalls an nichts erinnern.»

Eine Geste, und der Zentauer setzte sich mit seltsam eckigen Schritten in Bewegung, auf den Durchgang zu. Dann verschwand er Funken sprühend.

«Können wir nachsehen?», fragte sie.

Der Magier griff wortlos nach einem Kupferrohr mit Okular auf einem Dreibein, das er halb in den Kreis schob. Dann zog er sie von der Wand und stütze sie. Erst jetzt merkte sie, dass sie nun einen Kopf kleiner war.

Endlich war sie vor dem Rohr. Sie sah in das Okular. Ein Zentaur lag dort am Boden, und die Funken sprühten gewalttätig in alle Richtungen, auch am Oberkörper. Immer wieder liefen Krämpfe durch die Gestalt und schließlich begannen die schrillen Fellfarben zu verblassen und die Funken wurden weniger. Aber noch immer lag da ein gut ausehender Zentaurhengst.

«Meister, so ganz klappt es nicht!»

Er spähte wieder kurz ins Okular. «Hmm, er scheint den Unterleib nicht so recht loszuwerden. Vielleicht, weil zwar die Kombination magisch ist, aber die Trennung ihn umbringen würde. Oder weil er sein Körper noch gar nicth weiß, dass er einen neuen Unterleib hat. Außerdem warst du ja nicht mehr magisch, nach neunzehn Jahren. Hmm, diese Durchgänge sind sowieso eine ziemlich neue Entdeckung. Oh, er kommt zu sich.» Damit trat der Meister zur Seite. «Nein, ich glaube ich verstehe! Nicht das magielose Gebiet verändert, sondern der Durchgang. Jeder bekommt die Gestalt, an die er sich erinnert.»

Sie sah wieder zum Zauberer. «Ich hätte einfach ganz fest an einen Menschen denken müssen?»

Der Zauberer zuckte mit den Achseln. «Vielleicht. Wie ich schon sagte, von den Durchgängen habe ich auch erst vor kurzem erfahren.»

Mit tippelnden Schritten und immer um ihr Gleichgewicht ringend zog sie sich wieder vor Okular. Der Mann dort drüben stützte sich auf, schüttelte den Kopf. Dann drehte er sich um und sah ungläubig an sich herab. Immer wieder prüfte er mit Kneifen die Echtheit von Tier. Sie hielt den Atem an, das einige letzte Funken seinen Oberkörper entlang nach oben liefen. Doch er veränderte sich nicht, schüttelte nur kurz den Kopf. Dann versuchte er, seinen Oberkörper herauszuziehen, aus wäre Tier nur eine Hülle. Sie hielt den Atem an. Doch natürlich gelang es ihm nicht.

Einen Moment lang saß er einfach nur da. Dann schloss er die Augen, wippte nach vorne, oder vielleicht war das sogar eine Instinktreaktion von Tier, jedenfalls stand er so auf allen Vieren. Er schüttelte sich kurz und sah sich um.

Die ganze Zeit hatte sie unbewusst die richtigen Muskeln dazu bewegt -- wenn sie sie noch gehabt hätte. Nur mit Mühe konnte sie ein Einknicken verhindern. Der neue Menschenkörper war wirklich ziemlich schwächlich und wacklig. Sie beruhigte sich wieder und spähte weiter durchs Okular.

Der dort drüben entdeckte wohl gerade den Durchgang. Souverän machte er ein paar Schritte (er konnte schon richtig laufen, im Gegensatz zu ihr). Da stand er vor dem Durchgang. Offensichtlich konnte er von dort aus auch das Rohr sehen, denn sein Kopf näherte sich dem Objektiv. Er versuchte wohl, hineinzusehen, aber scheinbar sah er nichts, denn er gab schnell wieder auf. Dann verschwand er seitlich aus dem Blickfeld.

«Sieh ihn dir zum letzten Mal an, gleich wird sich der Durchgang schließen, und vorher muss das Rohr komplett hier sein. Sonst geht es kaputt», ermahnte der Magier.

«Er ist gerade aus dem Blickfeld gegangen, Einen kleinen Moment noch!», rief sie. Sie schwenkte das Okular hektisch hin und her, sah ihn aber nicht. Also drehte sie vorsichtig das Messingrohr etwas zur Seite. Und noch mehr. Das war er! Aber er stand seitlich zum Durchgang und -- seine Hand griff das Objektiv und zog das gesamte Rohr mit Dreibein auf seine Seite.

Sie schrie entsetzt, doch es war schon zu spät. Ein Gutteil ihres Gewichtes hatte sie auf das Dreibein gelegt, und jetzt kippte sie nach vorne in den Kreis des Durchgangs hinein. Wie in Zeitlupe kam der schillernde Vorhang näher, wo die hiesige Realität aufhörte. Dann war sie drinnen, zuerst die Haare, doch dann folgte unweigerlich auch der Rest. <Sie durfte jetzt nicht an Tier denken>, ermahnte sie sich. Was sie natürlich erst recht an sich erinnerte, zumal mit dem anderen dort drüben. Knochen krachten in ihrem Körper. Dann kam die andere Seite. Souverän landete sie auf allen Vieren, federte und stand nach zwei Schritten, wieder in der alten Gestalt von Tier. Der Zauberer hatte richtig vermutet, der Durchgang selbst veränderte.

Da schloss sich der Durchgang wieder mit jenen unirdischen Geräusch. Sie sah sich noch einmal an. Da hörte sie andere Hufe. Sie hielt die Luft an. Dort stand der Andere, und immer noch war er Zentaur. Ja, ein wirklich atemberaubender Zentaur.

«Verstehst du mich?», fragte sie.

«Ja», antwortete er. «Ich weiß zwar nicht, welche Sprache das ist, aber ich verstehe dich. Was habt ihr mit mir gemacht?»

Sie zuckte mit den Achseln. «Du hättest hier in dieser magielosen Wüste Mensch werden sollen. Warum hast du an dem gezogen?» Sie zeigte auf das Rohr der magischen Instrumentes, dass mit einem halb abgetrennten Dreibein auf dieser Seite am Boden lag.

«Ich wollte nicht so enden!», und zeigte auf seinen Unterleib.

«Nein, ich auch nicht.« Sie seufzte. «Komm, ich glaube, du hast das Recht auf eine Geschichte.» Und sie begann von sich zu erzählen.

Dann erzählte er von sich. Auch wenn sie fast nichts verstand, sie fühlte sich immer mieser, jetzt hatte sie Tier schon einem Zweiten angetan. Sie begann zu schluchzen und lehnte sich auf seine Schultern.

«Alles, weil ich so selbstsüchtig war!», schluchzte sie.

«Nein, ich kann dich verstehen», versuchte er sie zu beruhigen.

«Ja, natürlich, jetzt erst recht. Ich bin so ein schreckliches Ekel.»

«Du hast dich doch bemüht. Das war ein Unfall. Und überhaupt» Seine Hand strich ihre Mähne abwärts.

«Und jetzt, das schwöre ich, werde ich bin an mein Lebensende auf Tier bleiben. So hässlich das auch ist.»

«Also hässlich bist zu bestimmt nicht», versuchte er es wieder.

«Doch, ich bin ja kein Mensch!» Und so ging es weiter.

Er streichelte ihre Mähne, schob ihre Tränen aus dem Gesicht. Irgendwann gelang es ihm auch, sie wieder lächeln zu lassen. Er küsste sie. «Wenn ich das richtig verstanden habe, dann wird der Zauberer dort wieder einen Durchgang öffnen, und du musst dich nur als Mensch vorstellen, und alles wird gut.»

«Du verstehst nicht!», rief sie. «Ich habe es ja versucht. Ich konnte es nicht. Ich konnte mich nicht als Mensch vorstellen. Und schon gar nicht, wenn ich an dich dachte. Ich habe aus dir die Gestalt meiner Träum» Sie hielt inne.

Er lachte. «So? Na, ich gebe zu, oberum bist du auch sehr hübsch geraten. Und das andere ist wohl Gewöhnungssache.» Er grinste sie an. «Sollen wir nicht unseren etwas Spaß haben, bevor sich der Durchgang wieder öffnet?»

Sie sah ihn überrascht an. «Du meinst das doch nicht ernst, oder?»

«Warum nicht? Ist sicher eine einmalige Erfahrung. Und wer weiß, wieviel Zeit»

«Kein Durchgang vorm Abend», lachte sie. «Du meinst es ernst? Dann musst du mich erst fangen!» Damit galoppierte sie los.

Er bäumte sich kurz auf, dann folgte er ihr.


Am Abend waren sie wieder auf der Lichtung, als der Durchgang erschien. Sie warteten, bis der Zauberer herauskam. Er war reichlich wütend, und schrie sie beide an. Nach einer Viertelstund aber war sein Zorn verraucht, und sie gingen gemeinsam durch den Kreis. Auf der anderen Seite erschien auch er wieder als Zentaur, denn er hatte sich unsterblich in sie verliebt.

Dort, in ihrer alten Heimat, lebten glücklich zusammen. Viele Leute kamen, um ihre Geschichten aus der magielosen Hölle zu hören, von donnernden Flugdrachen, Pferdelosen Wagen und Feuer ohne Flammen, die auch dem Meister bei einem seiner Ausflüge zum Verhängnis geworden waren. Und da ihrer beider Ursprung magisch war, lebten sie noch sehr lange glücklich in der Burge, dass diese nur noch Zentaurenfeste genannt wird. Und somit war sie ja auch schon immer eine.


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