Und wieder zurück ...von '*'   *'** (= Markus Pristovsek)


,,Im Grunde genommen wollten wir den Kosmos gar nicht erobern,
nur die Erde bis an seine Grenzen erweitern.
Niemand hat sich wirklich für fremde Welten interessiert.
Was wir gesucht haben war ein Spiegel."
Solaris, S. Lem


Sie waren auf Erkundungsfahrt. Sie wollten den Sagittarusarm verlassen und hatten die Weite zwischen diesem und dem nächsten Arm fast überschritten, als alles begann. Fangor fand den Kontrollraum leer vor. «Idioten!», murmelte er.

Da plärrte das Funkgerät los: «Hallo Fangor, endlich aufgewacht? Dann sieh dir mal Loch 3 an! Das Mistding hat Probleme mit der Kühlung und schon zweimal hatte ich Spikes in der Ladungsüberwachung. Du weißt ja, wie ich diese Weltraumausstiege mag, also rein in die Klamotten, und jetzt stehe ich vor der Antriebssektion, und die Anzeige sagt, das Ding ist immer noch heiß. Was sagen denn die Anzeigen bei dir?»

Einen Moment musste Fangor überlegen, in welchem Untermenü nun die Kühlung war. «Es sieht gar nicht so gut aus. Mein Monitor sagt mir, Pumpen A & B sind ausgefallen. Strahlung ist aber Ok, unter 120 Giga-Becqerel. Es, warte mal, Gregar, ich muss vier noch checken.»

«Ok, ich warte auf Freigabe.»

«Vier wird noch in Standby gefahren. Noch zwei Minuten, sagt der Computer.» Fangor legte sich zurück und betrachtete mal wieder den Panoramabildschirm. Jeweils ein Viertel war mit einer Außenansicht, den ehemals weißen Rumpf entlang, dem Blick aus Gregars Helmkamera, einer Kursprojektion und dem Blick nach vorn in die Sterne belegt. Endlich kündigte ein donnerder Akkord den Standby von 4 an. «III und IV sind herunter, hast Freigabe»

Die Minuten verstrichen. Gregar starrte immer noch auf den Zähler an der Tür.

«He Gregar, schläfst du?»

«Drei hat immer noch keine Rückmeldung für den Gegencheck gegeben. Weiß der Geier, vielleicht spielen die Subsysteme gerade eine Schachpartie. Ich werde»

In diesem Moment erschütterte eine Explosion das Schiff. Es wurde völlig dunkel im Kontrollraum, erst zehn Sekunden später kamen die Systeme und das Licht wieder. Diverse Alarme schallten. Er sah sich die Fehlermeldungen an. Das Schwarze Miniloch von Reaktor drei war aus der Ruhelage geraten und hatte dabei den halben Block drei anihiliert. Dann hatte es die halbe Mittelsektion in den Raum befördert, dazu die Wasserstofftanks 7-14 beschädigt. «Gregar, bitte melden! Gregar! Scheiße, melde dich!»

Antje kam angerannt. «Was ist passiert?»

«Loch drei wurde instabil, ohne Vorwarnung. Gregar wollte die Pumpen ansehen. Ich kriege keine Verbindung mehr.»

«Scheiße» Sie setzte sich an den Computer. «Wir müssen sofort bremsen, zumindest bis der Treibstoff aus den lecken Tanks aufgebraucht ist. Dann haben wir etwas Zeit. Für Gregar können wir nichts mehr tun. Los, geh in den Sarg, ich komm gleich. Janus soll drinnen bleiben, mach schon!»

«Aber vier ist herunter. Du hast kein positives Loch mehr um zu kompensieren. Bis vier herauf ist musst du schon etwas warten.»

«Solange werden es die Elektronenkanonen noch machen. Vielleicht kann man ja etwas die Ladung reduzieren. Ist ein bisschen risikoreich.»

«Wahnsinn ist das!»

«Wir sind eh schon tot! Kann also das Ganze nur schneller machen. Aber jetzt weg mit dir!»

Er rannte den Gang entlang und bereitete die Särge, wie die Tiefschlafbetten genannt wurden, für den längstmöglichen Zeitraum vor. Dabei dachte er ständig an Gregar, deren Überreste, falls noch vorhanden, durch das All taumelnd würden. Der Gedanke würgte ihn, und so wandte er sich der Checkliste zu. Langsam hackte er Position um Position ab. Er war fertig und lag auf in dem Sarg, der Deckel aber noch offen, als Antje kam.

«Ok, alle anderen Reaktoren sind noch Ok. Eins und zwei werden 60% bremsen, vier darf nur 110% die restlichen 10 % können die Elektronenkanonen schaffen. Mehr war nicht drin bei vier, wer weiß, wie kaputt die Struktur ist. Außerdem habe ich G4 Sonnen gesucht, wobei wir mit zwei Swing-Bys abbremsen können. Wird schon schiefgehen. Nacht.»

«Nacht» Der Deckel knallte zu. Inzwischen liefen die Reaktoren wieder hoch und lieferten soviel Schub wie sie konnten. Sie drohten, mit nahezu Lichtgeschwindigkeit ewig durchs All zu rasen, denn wenn sie den Wasserstoff entweichen ließen, konnten sie weder abbremsen noch ihren Kurs ändern, noch hätten sie dann lange Energie gehabt.

 

Der erste Blick beim Erwachen galt der Uhr. Sie hatten fast anderthalb Jahre in den Särgen in künstlichem Koma verbracht, bevor der Computer sie wieder wecken ließ. Es warm heiß und es stank im Schiff. Scheinbar waren selbst die Lebenserhaltungssysteme erst seit kurzem wieder in Betrieb.

Sie gingen als erstes auf die Brücke. Dort galt ihr erster Blick der Geschwindigkeit: knapp 600 km/s, sie könnte eine Landung schaffen. Der zweite Blick ging an die Planeten in dem System, das sie anflogen. Sie hatten echtes Glück, ein Planet davon war ohne Raumanzug bewohnbar. Sie machten alles für eine Atmosphärenlandung mit dem Shuttle fertig, das war seine Aufgabe. Soviel Wasserstoff, wie er konnte, pumpte er in die Shuttletanks: Das Shuttle war viel leichter, mit der gleichen Masse könnte man es stärker abbremsen. Zumindest wenn die Triebwerke den gleichen Wirkungsgrad hätten, aber es waren stabile atmosphärentaugliche elektrothermische Triebwerke: n<3. W"hrend er die Systeme durchging, um noch Reparaturen in letzter Minute zu machen, h"rte er Janus hinter sich durch die Schr"nke whlen und alles fr das šberleben nicht unbedingt notwendige von Bord zu schaffen. W"hrend er dem wirbelnden Stab auf dem Schirm zu sah, als der Computer die Tr"gheitssensoren hochfuhr und teste, lieá er sich auf Schirm zwei ihre Position zeigen: Es war deprimierend zu wissen, dass sie gut 60 Lichtjahre von der n"chsten Basis entfernt waren. Immerhin, ihre Kindeskinder k"nnten ,,gerettet" werden, falls man ihre Notsignale aufgefangen hatte und naja ...

Der Stab stoppte und er wendete sich wieder naheliegenderen Problemen zu. Das wichtigste war: Würde der Treibstoff reichen, um auf eine Geschwindigkeit zu bremsen, mit der sie in eine Planetenatmosphäre eintreten konnten, ohne zu verglühen? Mehr als fünfzig Kilometer pro Sekunde sollten sie auf keinen Fall haben, wenn sie es schaffen wollten.

Antje rationierte jetzt sogar das Wasser, obwohl dies nicht viel bringen würde. Viel zu gierig waren die Triebwerke, die jetzt kaum mehr Wasserstoff zur Zerstrahlung hatten. Hätte es etwas genutzt, dann hätte sich einer von ihnen geopfert. Aber die 75 Liter Wasser eines Menschen würden fast nichts bringen; wenn man überhaupt einen Effekt feststellen könnte.

«Hallo Leute, ab jetzt läuft ein Countdown: Encounter am Planeten II in T-15h 54m. Kriegst du bis dahin das Shuttle hin?»

«Noch zehn Minuten, dann weiß ich es. Sieht aber gut aus.»

Verdammt, da waren sie nun anderthalb Jahre durch das All gerast und nun hatten sie nur 16 Stunden Zeit, sich für das Leben auf einem Planeten vorzubereiten. Aber es war die einzige Möglichkeit gewesen, sie mussten einfach mit 5 g bremsen, bis die kaputten Tanks leer waren; und danach mussten sie weiter bremsen, damit sie dieses System erreichen konnten. Im traumlosen Pseudokoma wurde man kaum älter, dachte nicht einmal mehr richtig. Aber man ertrug bis 8 g und verbrauchte so gut wie keinen Sauerstoff.

Sie sparten, wo sie konnten, nur das Notlicht brannte, fast alle System waren abgestellt, kein Fernradar, keine Meteoritenschirme, nicht einmal die Luftumwälzung war noch in Betrieb. Wo nicht unbedingt gebraucht, wurde die Kühlflüssigkeit abgenommen. Und seit drei Stunden liefen die ersten notwendigen Systeme ohne Kühlung.

Das Shuttle war Ok, flugtüchtig. Klar, gerne hätte er noch ein Jahr dran gearbeitet, schließlich war eine Landung ja noch gar nicht vorgesehen, aber es würde schon gehen. Also half er Janus, die nicht unbedingt nötigen Sachen von Bord zu schaffen. Ganz von Bord. Die Zeit verging wie im Fluge.

Bei T-8h waren die Tanks so leer, das sich Wasserstoffblasen bildete. Der Schub wurde ungleichmäßiger. Schließlich bei T-3h war an Arbeiten nicht mehr zu denken und bei T-2h 30m konnte man nur noch angeschnallt in einem Sitz mit aktiver Dämpfung überleben, der Schub schwankte zwischen 0,2 und 3g. Sie trugen alle Raumanzüge, denn diesen Belastungen waren weit über jeglicher Spezifikation, das eine oder andere Bullauge und manche Schotten waren einfach ins All geflogen. Diese Hölle dauerte bis kurz vor T-2h, dann wurden die Stöße schwächer. Ihr Delta-v betrug unter 75 km/s, es könnte immer noch klappen. Jetzt wurde die Reaktorkühlungen I, II und IV abgestellt und in die Triebwerke gepumpt. Die restlichen zwei völlig intakten Reaktoren waren inzwischen auf 161% Die Elektronenkanone hatte auch schon ihren Geist aufgegeben, sie luden sich nun unweigerlich positiv auf.

Mit einem dumpfen Knall verabschiedete sich auch Reaktor IV. Auf dem letzten funktionierendem Kontrollmonitor sah man auf einer Außenkamera die Triebwerkssektion in einem unheilvollen Rot glühen, nur die tiefe Scharte, wo sich ehemals Reaktor III und IV befanden hatten, war ein tiefschwarzes Loch. Nun war alles, was irgendwie getan werden konnte, getan. Ihr Delta-v war jetzt im kritischen Bereich, aber sie würden in die Atmosphäre eintreten.

Nun es hieß warten, vielleicht würde Janus sogar beten. Er selber saß im Shuttle und machte fortwährend Systemchecks. Soeben hatten sie den wirklich allerletzten Wasserstoff verbraucht. Sie waren schwerelos. Alle Systeme gingen jetzt über Notstrom.

Knackend meldete sich Antje über Funk. «Los, alles klar im Shuttle? Ich komme. Computer, dies ist für das Logbuch: Kapitän Antje Gribaldi verlässt das havarierte Sternenschiff DSS Kirilow» Sie sprach den Namen überdeutlich und schwieg dann. Er schluckte und dachte in diesem Moment an Gregar. Würden sie heute ihm nachfolgen, nur eben jetzt, anderthalb Jahre, oder subjektiver, zwei Tage später? «um mit dem Shuttle eine Landung auf dem zweiten Planeten des System bei dem Stern SSS394709 bei den Koordinaten alpha=178, beta=4, Theta=37 am 22.4.2710 GMT 7h12min. Ich nehme eine Kopie des Logbuches an mich. Nottelemetrie läuft. Ende der Aufzeichnung.»

Zehn Minuten später saß sie neben ihm im Cockpit des Shuttles. «Keiner die Zahnbürste vergessen?», versuchte er zu scherzen. Niemand lachte. Das Klacken der Klammern war fast unhörbar.

Langsam erhöhte er den Bremsschub. Schneller und schneller zog das Wrack der Kirilow vorbei. Von den Jahrzehnten im Weltraum war die Hülle erodiert, grau und braun und von Mikrometeoriten vernarbt. Als die Antriebssektion vorbeiflog konnten sie zum ersten Mal den Schaden richtig sehen. Es war ein Wunder, dass die Kirilow überhaupt noch in einem Stück war, es sah aus als hätte ein gigantischer Weltraumhai ein Stück herausgebissen. Die Antriebe waren noch immer heiß, weißglühend, selbst auf dieser großen Entfernung waren sie zu grell, um direkt hineinzusehen, und die Dosimeter piepten warnend, die Abklingradioaktivität drang selbst durch die Shuttlehülle.

Die Kirilow würde sich gerade noch von diesem Stern losreißen können und dann weiter in den Raum zwischen den Sternen treiben, mit einer absolut winzigen Chance, dass irgendjemand sie eines Tages finden würde. Grob geschätzt müssten noch mindestens 4 Millionen Jahre vergehen, bis das Schiff wieder in den von Menschen besiedelten Bereich käme. Immerhin würden sich bis dahin die Schwarzen Minilöcher des Antriebes nach Hawking zerstrahlt haben und ungefährlich sein. «Vielleicht wird sie ja von Alians gefunden, die daraufhin die interstellare Weltraumfahrt entwickeln», scherzte Antje. Er grinste kurz.

Nun begann der Höllenritt zur Oberfläche: Seine Aufgabe, er war der beste Shuttlepilot von ihnen. Diesmal würde er seine ganze Erfahrung brauchen, sie waren viel zu schnell, um in einem Mal in die Atmosphäre bis zum Boden zu tauchen. Sie würden einmal abprallen und dann landen müssen. Dabei würden sie aber mindestens 65 Kilometersekunden verlieren müssen, sonst würden sie wieder den Planeten verlassen. Im nächsten Jahr einen Sonnenumlauf später hätten sie dann die nächste Chance ...

75 Kilometersekunden wären auf der Erde oder auf einem gut bekannten Planeten eine große Herausforderung gewesen. Wenn er zuverlässige Daten über Planetenmasse und Atmosphärendichte hätte, vielleicht könnte man drei oder sogar noch mehr Sprünge machen. Aber die Unsicherheiten waren zu groß, und mit jedem Sprung würden sie sich potenzieren. Blieben zwei Sprünge. Tief eintauchen und schön flach herauskommen. In einer Geschwindigkeit, die fünffachen über dem üblichen Wert lag. Fünfzehn Kilometersekunden über der Spezifikation; andere hatte es schon geschafft und schlecht war er nicht. Nur wie hatte das Shuttle diese Abbremstortur überstanden?

Immerhin meinten die Monitore, alles wäre funktionsfähig. Sie hatten sich planmäßig getrennt und sie ließen das Wrack im All zurück und versuchten ihr Glück auf diesem einzigen möglicherweise bewohnbaren Planeten des Systems. Vom All sah er durchaus einladend aus: Er war grün und hatte Wolken, das hatten vielleicht gerade ein Zehntel aller Systeme. Er hatte genug Sauerstoff und keine nennenswerten Mengen giftiger Gase, soweit sie das aus der Entfernung feststellen konnten. Eine 1 % und sie hatten Glück gehabt. Bis jetzt.

 

Noch 74 Sekunden bis zum letzten Zwischenbahnmanöver. «Festhalten, los geht's. Es war nett mit euch.» Sie lagen gut auf Kurs. Er feuerte fast neunzig Prozent des Treibstoffs, nun waren sie leichter. So schnell würden sie ja wohl auch nicht vom Planeten starten wollen.

Langsam trieben auf den Planeten zu. Zum ersten Mal konnten sie Einzelheiten erkennen. Der Planet war grünlich türkis. Es waren keine richtigen Ozeane zu sehen, nur kleinere Binnenmeere. Er ließ den Computer aufzeichen, schließlich brauchten sie ja einen Landepunkt. Sie würden wohl nördlich des Äquators landen, denn im Süden tobte ein Wirbelsturm. Mehr konnte man wirklich noch nicht feststellen.

Mit der Zeit wurde der türkise Ball größer und größer, bis er das Bildfeld ganz ausfüllte. Sie näherten sich schräg von der Sonne, 22° gegen die hiesige Ekliptik geneigt, so dass sie nur ganz wenig der Nachtseite sahen. Sie passierten einen Strahlungsgürtel, es gab also ein Magnetfeld. Mehr noch, es gab sogar Hinweise auf Ozon. Die erste Atmosphärenanalyse kam von dem umgebauten primitiven Stektrometer. 31 % Sauerstoff, 60 % Stickstoff, je 3 % Argon und Krypton, 1 % CO2 und Spurenelemente. Ein leichter Sauerstoffrausch -- das wäre auch ganz nett.

Bei T+17min hatten sie draußen die 10-5 Pascal überschritten, die willkürliche Grenze für eine Atmosphäre, nach § 7 der UPAC von 2231. Und fast unmerklich langsam wurde der Andruck wurde spürbar, bis fünf Minuten später sie langsam in die Sessel gedrückt wurden. Fast ein 1,5 g. Und er stieg noch.

2,79 g. Irgendwo krachte etwas zu Boden. Sein Bildschirm zeigte ihm keine neuen Schäden. Die Träger begannen zu ächzen. Ihre Geschwindigkeit für dieses Manöver war unverschämt hoch. Die Flügelkanten schmolzen langsam. Dazu reichte ein Blick aus dem Fenster, um dies festzustellen. Aber sie hatten die tiefsten Punkt durchschritten, stiegen wieder. Donnerten mit Mach 80 durch die Atmosphäre: aber immer noch viel zu schnell. Wenn sie mit dieser Geschwindigkeit wieder auftauchen würden, dann würden sie den Planeten verlieren. Gewaltsam drückte er das Shuttle tiefer herunter. Es gehorchte ihm immer noch willig, auch wenn die Hälfte der Systeme im roten Bereich lagen.

Das Shuttle leuchtete grellrot, zwischen 700 und 4500 Kelvin hatte die Struktur. Sie mussten sehr tief tauchen, die Atmosphäre war recht dünn, nicht mehr als 50 kPa auf Normalnull. Nichts mit Sauerstoffrausch, aber zum Überleben sollte es reichen. Langsam ließ er das Shuttle wieder steigen.

Nun wurde der Andruck wieder schwächer. Der Flügel leuchtete nur noch dunkelrot. Sie stiegen weit über die Atmosphäre. Als sie aus der Atmosphäre kamen, waren sie unter 12 Kilometersekunden, es reichte gerade für einen neuen Eintritt. Ein weiter Orbit um den Planeten, 36 Stunden um einen Landeplatz zu finden, die Systeme zur Ruhe kommen zu lassen und sich auf die Landung vorzubereiten.

«Irgendwelche besonderen Schäden?», fragte er laut. Dabei hätten die anderen ihm solche bestimmt sofort gemeldet.

«Antennenanlage ausgefallen!», meinte Janus.

«Tja, dann werden wir wohl ohne offizielle Landeerlaubnis niedergehen.»

«Fahrwerk zugeschmolzen, habe ich auch noch.»

«Du hattest doch nie ernsthaft mit einer Landebahn gerechnet? Wir finden schon einen See oder Fluss.» Antjes Optimismus war unerschöpflich.

Immerhin machte es die Wahl eines Landeplatzes einfacher, nur ein einziges der Gewässer, die sie beim Anflug entdeckt hatten, lag in einer möglichen Landeposition. Immerhin, mit einem Ziel konnte er den Computer eine Idealflugbahn ausknobeln lassen. Der Resttreibstoff ging in das Korrekturmanöver, sie hatten noch etwas mehr als 100 m/s übrig. Verdammt viel Glück hatten sie gehabt.

«Nur eine Seite der Kühlrippen lässt sich ausfahren.»

«Janus, bei dir geht auch alles kaputt. Lächele die Technik an. Noch was? Nein, dann ist nicht alles verloren, zweiter Eintritt in 36 Stunden. Macht wer Essen?»

Langsam begann die Wärme durch die Superisolierung zu drängen. Es wurde unangenehm. Nach fünf Stunden war alles getan. Sie würden zum Zeitpunkt des Wiedereintritts Tageslicht haben. Mehr konnten sie nicht tun. Also schliefen sie in ihren Raumanzügen bei ungewohnter Schwerelosigkeit.

Nicht dass er lange oder gut schlief: Er musste an die Elektronik denken, die Shuttleelektronik: Die Raumanzüge würden auch noch in sprudelndem Fritierfett noch funktionieren. Aber gefährdeter war die Elektronik: Die Temperatur im Schiff betrug zur Zeit 315 Kelvin. Kritisch wurde es für die Halbleiter und optomagnetischen Speicher um 350, bei 400 Kelvin wäre für die meisten wirklich Schluss. Es könnte heißer werden beim zweiten Mal, zumal sie nur die halbe Kühlleistung hatten. Schließlich nahm er eine Schlaftablette.

Noch 2 Stunden. Immer noch feilte er an der Landesimulation. Eins machte ihm noch zu schaffen: Worauf setzte er das Shuttle wirklich auf? Und wenn es so heiß war, bildete sich vielleicht ein Luftkissen aus Wasserdampf, wenn sie aufsetzten? Dann würden sie sehr sehr weit gleiten. Andererseits könnten sie leicht schräg aufkommen und sofort unterschneiden und an Ort und Stelle versinken. Und die Atmosphäre war dünner, sie mussten schneller anfliegen, was alles noxh schwieriger machte. Schleudersitze wären schön gewesen, waren aber leider nicht eingebaut. Vielleicht hätten auch Fallschirme Probleme in dieser Atmosphäre, aber dies war eine akademische Frage, sie hatten eh keine.

Ihren Kurs hatte er so berechnet, dass sie auf den See zusteuern und am Ufer entlang ihren Landeanflug machen würden; falls sie sofort untergängen, könnten sie es mit etwas Glück zum Ufer schaffen. Doch wenn dieser See voll mit niedrigen Gewächsen war? Oder das einladend blaue Wasser Schwefelsäure war? Oder gar ein nahezu kochender Kratersee? Oder ein Benzinsee? In einer Stunde würden sie mehr wissen.

Ein letztes Mal überprüfte er das Programm, schloss die Sicherheitsgurte. Der Andruck steigerte sich langsamer als beim ersten Mal. Die Tragflächen blieben dunkelrot, während vor dem Fenster der orangerote Schleier dichter wurde. Die Scheiben waren ziemlich matt von dem ersten Eintritt und nun fast undurchsichtig.

Kurz danach gab es einen großen Knall und das Shuttle hing schräg. Reflexartig ging er auf manuell und versuchte, es wieder aufzurichten. Nur zögerlich kam es.

Antje meldete sich. «Apu II ausgefallen. Rest meldete nichts. Hat die ganze Hydraulik in Mitleidenschaft gezogen. Hast nur noch die Druckreserve. Ungefähr 7 Megapascal.»

Auch Janus hatte eine Hiobsbotschaft: «Hitzeisolierung Hecksektion ist weggeflogen. Vielleicht verlierst du das Seitenruder.»

Er fluchte nicht einmal. Fieberhaft versuchte er, einen neuen Kurs zu improvisieren. Vorsichtig steuerte er einen großen Kreis um den See. So konnte sie mit kleinen Nachkorrekturen immer in der Nähe bleiben. Das Seitenruder flog in 12000 Meter endgültig weg. Sie waren nun viel zu kopflastig, nur mit Mühe war das Shuttle zu halten. Die Sekunden verstrichen.

Sie waren endlich unterschall. Noch eine Minute. Die Innentemperatur betrug 362 Kelvin. Auf der Oberfläche dieses Planeten würde Wasser schon kochen. Doch der Zentralcomputer ging noch, nur sein eigener Bildschirm war ausgefallen. Wo man doch durch diese verdammten Fenster kaum mehr etwas sah! Als er seitlich blickte, glaubte er für einen Moment, eine Burg zu sehen, so wie er von der Erde kannte. Er zwinkerte, und sie war weg.

Sie waren nun am Ende des Sees. Noch zehn Kilometer hatten sie. Vorsichtig musste er sich an den maximalen Anstellwinkel antasten, hier half kein Computer. Denn er durfte ihm nicht zu nahe kommen, der Druck in der Hydraulik war für rasche Korrekturen zu wenig. Langsam senkte er wieder die Nase, während sie in 50 Meter Höhe dahinrasten und ganz am Ende gab er vollen Anstellwinkel und feuerte die Wiedereintrittsdüsen am Bug. Ungewöhnlich, riskant, aber wie sollten sie sonst vor dem Ende des Sees aufsetzen?

Der Ruck war heftig. Das Shuttle wurde herumgeschleudert, tauchte leicht ein und überschlug sich. Er fluchte undeutlich, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

 

Kühle Luft strich über sein Gesicht. Neben seinem Bett piepte etwas regelmäßig und sehr hoch. Seine Augen waren verbunden. Immer mehr spürte er von seinem Körper. Doch bewegen konnte er sich nicht.

«Willkommen. Du Fangor.» Es war eine sanfte Stimme, aber sie war eindeutig synthetisch und hatte einen seltsamen Akzent.

«Du allein, Kameraden tot. Schlaf!»

Langsam erinnerte er sich an den Höllenritt zur Oberfläche. Er hatte wohl Glück gehabt, nur wo war er jetzt? So schnell konnte unmöglich ein Rettungsschiff dagewesen sein. War vielleicht ein anderes Expeditionsteam hier? Doch sein Bewusstsein zog sich lieber in eine wohlige Dunkelheit zurück.

 

«Chalio Ffan'chgrorr.» Diesmal war es kein Computer, der sprach. Er merkte erst jetzt, dass er die ganze Zeit wach war.

«Ich ercherltn. 'ir Tlanlirr. Antler tlots. Tlu ffertlerts. Ich namr Tlija.»

Nicht einmal das er den Sinn der Worte verstanden hätte, er hatte nur die Laute registriert. Er wollte auch etwas sagen, doch immer noch war er betäubt. Nicht einmal sein Gesicht gehorchte seinem Willen. Auch sein Körper war betäubt, er spürte allein das bloße Vorhandensein. Nur sein Geist arbeitete schwach, es war wie Schweben. Wieder schwand sein Bewusstsein.

 

«Chalio Ffangror. 'ier Blanert Artlirra, Tlablirr. 'ir Tlirr. Tlu tse'en. 'ir blau Tsimmer. Ich, tsmmai Mmertser grots. Ich Tlirr. Tlu Mrernts. Tlu ru'ich!»

Etwas an der Seite wurde gefummelt. Die Binde flog zur Seite. Reflexartig schlossen sich die Augen bei der Helligkeit. Vorsichtig öffnete er sie wieder. Langsam wurde der Blick klarer, doch tränten die Augen. Er sah nur verschwommen eine grünblaue Decke. Sehr, sehr langsam arbeitete sich der Sinn der Worte bis in das Großhirn vor.

«'ir blin ich.» Ein massiger Kopf schob sich in das Blickfeld. Zum Glück war er immer noch betäubt, sonst hätte er bestimmt irgendetwas gemacht. Am ehesten erinnerte ihn die Form an ein Raubtier, eine Raubkatze. Die schmale Grenze zur Ohnmacht überschritt sein Körper mühelos, folgte eilig dem Bewusstsein.

 

Er atmete. Er hatte nie gemerkt, dass er vorher gar nicht geatmet hatte. Endlich würde der Traum vorbei sein. Er öffnete die Augen und sah an die hellblaue Zimmerdecke. Er hob den Kopf. Eine ganze Menge schlafender Muskeln wachte protestierend auf. Nur wenige Zentimeter hob er sich.

Ein Vorhang wurde beiseite gerissen und dahinter stand -- die Gestalt aus dem vorigen Traum! Kraftlos fiel sein Kopf wieder zurück. «Wo bin ich?», murmelte er. Nur ein undefinierbares Zischen entwich seinem Mund. Er spürte, wie ihm irgendetwas aus dem Mund genommen wurde.

«noo 'in ch?», fragte er schon deutlich vernehmbarer.

«Chalio Ffangror. Tlu tsrechen! Guts.»

Er krächzte nur mehrmals. Die Worte kamen verstümmelt. Endlich konnte er ein verständliches Wort formen. «Wo bin ich?»

«Tlanlirr. Tlu blalt guts. Tlu Mrernts. Ich Tlirr.»

Er spürte eine Hand auf seinem Gesicht. Sein Kopf wurde hochgehoben und so gedreht, dass er die Gestalt sehen musste. Er schloss die Augen und stöhnte. Was für ein Wahnsinn!

 

Zum ersten Mal träumte er. Als er aufwachte tat ihm sein ganzer Körper weh; aber immerhin spürte er ihn wieder richtig. Als er die Augen aufschlug und die hellblaue Zimmerdecke sah, da wusste er, dass er auch heute wieder dieser fremden Gestalt begegnen würde. Hatte da jemand illegal Tiersklaven gemacht? Wie damals von H.G. Wells in Moreaus Insel beschrieben? Seltsam, dass er sich ausgerechnet daran erinnern konnte. Egal, er lebte.

Die Gestalt betrat wieder das Zimmer. «Chalio Ffangror. Choitl' tranirrn. Cherb'n Armm.»

Warum auch nicht. Er versuchte es wirklich. Er bekam ihn nicht ganz hoch, konnte ihn nur ein kleines Stück überhaupt heben.

«Guts. Gnochen gaputs, Blein gaputs. Tlu 'ier Aminotsäurren. Tlirr tsechs. Chaut gaputs, Chauts neu. 'ier» Erstaunlich, dass sie überhaupt so gut mit diesem Maul sprechen konnte. Die Tlirr, wie sie sich nannte, holte einen Spiegel.

Die Decke wurde zurückgeschlagen. Er lag also dort, dachte er, wie ein Toter. Sein rechtes Bein und der linke Arm war in Bandagen und er war noch an ziemlich viele Leitungen und Schläuche angeschlossen. Ansonsten sah er aus, wie es sich gehörte. Nunja, seine Haut war noch rosa und er hatte eine Glatze.

«Wann g't besser?», presste er hervor.

«Mrogrn tlu stern. Ich nichts blertsoibln»

Wahnsinn «Die anderen? Janus und Antje»

«Antlern tlots, Tlu blertser. Mrogrn»

Und er war allein. Mühsam drehte er sich auf die Seite. Vorsichtig schob er den Arm auf Augenhöhe. Überall junge rosa Haut, wie bei einem Baby, aber nicht eine Narbe. Sie mussten die allerneusten technischen und medizinischen Ausrüstungen hier haben. Nur die Bemerkung mit den sechs Aminosäuren verstand er einfach nicht. Er hatte damit einfach unverschämt viel Glück gehabt. Aber Antje und Janus, er dachte an sie. Warum hatten sie es nicht geschafft?

Langsam und vorsichtig und ziemlich systematisch probierte er alle Gelenke, wenn er es konnte, zu bewegen. Sein neues Bein konnte er nach vorne überdehnen, die Retter hatten wohl den Anschlag bei der Kniescheibe vergessen. Dafür allerdings ging es kaum nach hinten. Er freute sich wie ein Kind.

Schon bald tat ihm alles weh und er war geschafft. Glücklich schlief er ein. Zweimal wachte er von seinen Träumen auf, ohne sich hinterher an irgendetwas zu erinnern.

 

«Chalio Ffangror.»

Sofort war er wach. «Guten Morgen, Tlirr. Bist du Ärztin?»

Tlirr machte eine merkwürdige Geste. «Ich Tlirr, 'ir ali Tlirr. Tlu Mrernts, ain Mrernts. Ich Tlirr, namm Tlija. Tlu Mrernts, namm Ffangror. Ich matsitsin. Tlu guts.»

Was sagte sie da? «Nur Tlirr hier? Keine Menschen hier?»

«Trr. ffitl Tlirr, untl Mrernts namm Ffangor.»

Er musterte sie. Sie hatte gelbweißes Fell und trug eine weiße Hose. Als sie sich zu den Geräten beugte, sah er wie kräftig sie wohl war. Ihr Kopf war wirklich raubkatzenartig und an der Hand hatte sie gestutzte Krallen. Ihr Schwanz bestand fast nur aus Haaren, wie ein Pferdeschwanz.

Immer noch hatte er Zweifel, ob er sie richtig verstand. «Seit wann seit ihr hier. Wie alt Planet mit Tlirr, Welt?»

«3000 Tjarr 'ir Tlirr. Mrernts 'ir ain Tjarr.»

Das war Wahnsinn. Er war durchgeknallt. 3000 Jahre sollten schon Tlirr hier leben? Und er war der einzige Mensch hier? Nein, das konnte nicht sein.

«Ich will den Chef sprechen. Deinen Meister.»

«Cheff? Maitser? Nichts 'issn.» Sie ging heraus und war zwei Minuten später wieder da. «Ich Cheff», sagte sie nur.

«Scheiße», murmelte er fast unhörbar.

Sie wollte seinen Kopf heben. Doch er schaffte es, ihre Hand zur Seite zu drängen. Sie gab nach. So bald sie sich ihm näherte, versuchte er sie abzuwehren. Natürlich war er zu schwach dazu.

«Nichts chtlerbln, Ffangrorrrr!», sagte sie. Doch lieber hielt er die Luft an, bis ihm schwarz vor Augen wurde.

 

Als er das nächste Mal die Augen öffnete lief an der Decke ein Film. Man sah Tlirrgestalten, wie sie alle möglichen Dinge taten, jagten, einen Pflug zogen, eine Maschine reparierten. Dazu gab es wohl den Orginalton, eine Art Zischen und fauchen, wenig Vokale. Fasziniert sah er zu. Willkommen bei den Alians, dachte er sarkastisch, bevor er das als wahr erkannte. Er war von Alians gerettet worden! Jetzt musste er nur noch zu Erde zurück und er würde alle Ehrenpreise der Galaxie erhalten. Hoffentlich kannten sie Raumfahrt. Aber bei diesem Stand der Medizin war das nicht ausgeschlossen. Na gut, würde er also kooperieren.

«Hallo, ein wunderschöner Morgen», begrüßte er die oder den Tlirr-Alian. «Mir geht es gut.»

Die Tlirr, Tlija hieß sie, sah ihn an. Obwohl dieses fremde Gesicht keine Grimassen ziehen konnte, erkannte Fangor doch, dass sie nicht verstanden hatte. «Hallo Tlija. Ich gut.»

«Chalio Ffangor. Ich» Die Ohren bewegten sich vor und zurück. «Chrrir», sagte sie schließlich und stellte den Projektor ab.

«Tlirr haben Raumschiffe? Shuttles? Wie unser Schiff? Tlirr in All?»

«Trr -- Ja. Tlirr-Chutl Alt. 'aimats 'aits.»

Er atmete erleichtert aus. Richtige Raumfahrt. Was hatte er für ein Glück gehabt. «Andere Menschen. Nicht aus Shuttle hier?»

«Alits Tlirr. Nichts mrernts. Alits Tlarr, nichts Mrernts. Mrents choitl 'ir!»

Hieß wohl nein. Egal, das würde sich bestimmt klären lassen. «Du Tlirr Frau? Ich Mensch Mann.»

«Tlu Mrernts Mmann. Ich Tlirr Ffrrauch.» Es war beinah lustig, wie sie sich fast das Maul verrenkte und sich mühte, die ,,falschen" Laute auszusprechen.

«Trainieren wir heute?»

«Guts» Sie beugte sich über sein Bett und legte ein paar Schläuche zur Seite. Mindestens zehn Stück. Er schluckte, doch er spürte nichts davon, wahrscheinlich war er noch immer leicht betäubt. Außerdem wurde die Bandage vom rechten Bein und dem linken Arm abgenommen. Nur der Fuß blieb bandagiert. Er sah mit erschrecken, dass er keine normale Hand mehr hatte. Sein linker Arm endete in vier Fingern mit Krallen, wie bei Tlija.

Er stammelte: «Was, äh, Tlija, was ist damit?»

«Chants krabluts. Ffuts krabluts. Tlu tlern'n guts.»

Sie hob seine neue Krallenhand hoch, so dass er sie sehen konnte. Dann bewegte sie einen seiner Finger. Erschreckt, angeekelt und gleichzeitig doch fasziniert sah und spürte er es. Da verstand er endlich, und bewegte vorsichtig einen Finger. Es funktionierte. Sie zeigte ihm eine Handstellung und er sollte sie nachmachen.

Schließlich machte sie eine Art Faust, in dem sie alle Finger nach innen winkelte. Irgendwie muss er dabei Krallen ausgefahren haben. Sie bohrten sich in die Hand, er schrie auf, konnte die Finger nicht lösen. Dunkles Blut, grün-braun, rann seinen Arm herunter. Es wurde wieder dunkel.

 

«Challo Ffangor, cheute stehn.» Entweder hatte er sich an die Aussprache gewöhnt, oder Tlija war viel besser geworden. Auch wenn sie das H immer noch mehr hustete aus wirklich sprach.

«Hallo Tlija.»

«Chier Chants, chier.»

Er hob die Hand zu der ihren. Dann die andere, neue Alianhand. Auch sie gehorchte. Dann verließen ihn wieder die Kräfte.

«Tlu ste'en. Chier.»

«Ehrlich gesagt, ich fürchte nicht.»

Doch auf sie gestützt, brachte er eine Runde zuwege. Sie zeigte ihn die hiesige Toilette, ein Loch im Boden in einer kleinen Kammer. Türen gab es wohl keine, überall hingen dafür lichtblaue Vorhänge.

Sie setzte ihn aufrecht ins Bett. «Tlija, ihr habt bei meinem rechten Bein die Kniescheibe vergessen. Siehst du.» Er zeigte, was er meinte.

Sie überlegte. «Tlu Tlirr Chants, tlu Tlirr Blain. Chauts noi, ffilt noi. Tlu krabluts, langr krabluts, ffilt krabluts. Ffilt Tsaits tlu Fibits. Tlu erstn!»

Sie holte aus einem Fach neben seinem Bett einen Topf hervor. Folgsam schluckte er die Löffel mit dem brauen Brei. Er schmeckte metallisch und süßlich, bestimmt war eine Menge Traubenzucker oder so etwas ähnliches dabei. Unerbittlich wurde er gefüttert, den ganzen Topf. Er hoffte bloß, eine solche Menge im Magen zu behalten. Danach durfte er sich wieder hinlegen. Erschöpft schlief er ein.

 

Endlich konnte er sich richtig bewegen. Er musste auf Klo, also stand er vorsichtig auf und lief bis zur nächsten Wand. Dort verschnaufte er und arbeitete sich dann langsam weiter vor. Doch je mehr er sich anstrengte, desto kräftiger fühlte er sich. Auf der Toilette konnte er sogar freihändig stehen. Nur das Bein machte ihm zu schaffen, es war genau andersherum wie sein linkes, er musste wie ein Vogel staksen. Der neue, noch einbandagierte Fuß tat weh.

Zurück zum Bett ging er geradewegs durch das Zimmer. Aber im Bett spürte er, wie ihn die Kräfte und das Gleichgewicht rasch wieder verließen. Mühsam griff er zu der neben dem Bett stehenden Mahlzeit. Sogar ein Löffel lag bereit. Sie war immer noch warm, vielleicht hatte der Topf eine Heizung? Egal, er war hungrig und verschlang sie.

Neben dem Topf lagen auch einige gebundene Blätter. Sie hatten einen Titel in seiner Schrift und einen Menge Zeichen, die ihn an das Kyrillische mit Arabisch gekreuzt erinnerten. Er las: WÖRTERBUCH MENSCH --- TLIRR. Er lächelte. Irgendwann würde er den Irrtum richtig stellen müssen.

Er suchte nach dem Wort MENSCH. Das Gegenstück in Tlirr war Gekritzel, fünf Zeichen. Doch das half ihm nicht weiter. Auf der letzten Seite waren beide Alphabete gegenübergestellt. Mensch wurde also mr-er-n-ts-ch geschrieben.

Gefesselt suchte er weitere Worte. Doch natürlich waren nahezu alle Wörter völlig anders. Nur Mond hieß mr-o-n-ts. «Hallo, Fangor.»

Er sah überrascht auf. «Hallo, Tlija»

«Tlu tlern'n. Hier tlu tlern.» Sie legte einen Stapel Bücher, Papier und kleine Röhren, die wohl Stifte waren, neben das Bett.

«Woher kennst du meine Sprache so gut?»

«Ich tlesn ffon Chutl. Tlu» Sie zeigte ihre acht Finger, dann noch mal und noch mal, acht mal. «tlebln. Hier tlu tsachn.»

 

Nach einer Woche ging es ihm schon viel besser. Er war von allen Apparaten abgeklemmt worden und er konnte durchaus eine halbe Stunde freihändig stehen. Auch mit Tlija unterhielt er sich schon flüssiger in einem Basic/Tlirr Mischmasch. Sie lehnte in seinem Zimmer an der gegenüberliegenden Wand.

«Tlija, erzähle alles nach der Landung.»

«'ir na'er Tser. Tsern irr. Grern, irr na'er. Grern in Chiff. Fforn Chiff untl Tser fftlach. Antler untsern, in Tser. Cheits 'ir gronntl nichts chnerlt gern. Tlu tlerbln.»

«Und der Rest war tot? Lag in dem heißen Wasser? Ertrunken?»

Tlija überlegte lange. «Ja. Tlu hier. Jertsts Tloir jerchblernts

Was auch immer das hieß. Sie begann den Fuß auszuwickeln. Hatte er sich an das komische Kniegelenk gewöhnt, so kam als nächstes noch eine vierzehige Klaue dazu. Sie erinnerte ein wenig an einen Vogelfuß, und auch wenn er jede fingerartige Zehe einzeln bewegen konnte, so stellte sich kaum ein Besitzgefühl ein. Nach der Hand war er etwas vorbereitet, es war nur ein kleinerer Schock. Es reichte immerhin noch für ein «Scheiße auch ... »

Die nächsten Tage waren voll ausgefüllt mit Bewegungs- und Sprachtraining. Zum Glück war ihre Sprache weit einfacher als die menschlichen Sprachen, die er kannte. Sie kannten nur Zukunft und Vergangenheit. Geschah etwas in diesem Moment, also Gegenwart, so wurde dies durch das Wort gerade, tl-i-ts ausgedrückt. Und Konjunktiv war einfach die Zukunftsform mit dem Wort vielleicht, ts-rr-o-n davor. Die Arbeit bestand eigentlich nur im Vokabellernen und in der richtigen Aussprache. Die Betonung war wichtig und er konnte die drei verschiedenen ,,rr" Knurrlaute kaum unterscheiden, geschweige denn richtig aussprechen.

Er erholte sich erstaunlich schnell. Bald konnte er schon stundenlang das Bett verlassen und sich vor der Schreibunterlage und der Computerkonsole hinhocken. Stühle waren bei den Tlirr unbekannt, sie fläzten sich irgendwie auf den Boden, lehnten sich zur Not an ihre nach hinten abgewinkelten Beine. Nur machte ihm die ungleiche Anordnung seiner Beine zu schaffen. Während sein menschliches Bein nach vorne abgewinkelt werden wollte, musste das Tlirrbein nach hinten abgewinkelt werden. Wie sollte er da bequem sitzen?

Am ganzen Körper juckte es, während ein helles Fell langsam dichter wurde. Am Kopf hatten sie für sein Haar extra langwachsendes Fell im dunkelsten Gelb genommen, das sie hatten. Als er sich kämmte, die Haare waren widerspenstig, da sah er selber, dass seine Augen nun Schlitze als Pupillen hatten. Sie waren türkis. Sowieso war erstaunlich, wie gut sein Körper mit dem fremden Gewebe zurechtkam. Oder, wenn er recht nachdachte, wie der fremde Körper mit den wenigen menschlichen Versatzstücken fertig wurde.

 

Heute war der achtzehnte Tag, seit er das erste Mal das Bett verlassen hatte. (Ein Tag war auf diesem Planeten ca. 21 menschliche Stunden lang. Doch wurden hier in sieben Komma zwei Tlirrstunden für die gleiche Zeit gerechnet.) Die Acht war bei den Tlirr, was bei den Menschen die Zehn war, mehr noch, die Woche hatte acht Tage, der Tag acht Stunden (auf ihrer Heimatwelt). Alle ihre Zahlen waren im Oktalsystem. Tlija kam wieder mit neuen Sachen. Mit ihr kamen noch vier weitere Tlirr hinein. Er begrüßte sie in ihrer Sprache. «Hallo»

«Hallo, Fangor. Heute wirst du das Krankenhaus verlassen. Viele haben geholfen, dich zu retten. Ich will sie dir vorstellen.» Sie sprach Tlirr, langsam und betont. Dann sprach sie wieder in seiner Sprache.

«'ir Tlro. 'rr grommblutsr blrogrammirrn. Tsaron Grn machts. Tlijats Analutsin untl Strachi. Tjits ali.»

Er sprach Tlirr: «Ich bin erfreut über die, äh, Arbeit.»

«Wir werden nun weiter an der Sprache und den Aufzeichnungen arbeiten. Du kannst tun, was du willst.»

Schweigen entstand. Die vier anderen verließen das Zimmer mit gesenkten Ohren, einen Gruß knurrend, was wohl Verlegenheit bedeutete.

Endlich, nach eine ganzen Weile sprach Tlija wieder: «Ich habe hier deine Sachen mit. Es ist eine blaue Hose des Raumfahrers. Wenn mal wieder ein Schiff landet, dann kannst du mit bis zur nächsten Station. Und du hast dann genug Fell, um den Oberkörper freizulassen, wie es sich gehört.»

Genug Fell? Er hatte sich wirklich rasch an diesen Wahnsinn gewöhnt. «Wohin ich jetzt gehen?»

Sie lachte. Für einen Menschen sah es bedrohlich aus, er hatte beim ersten Mal, als er sie so sah, Angst bekommen, denn die Ohren waren zurückgelegt und die Augen geweitet. «Nicht sehr weit. Hier in der Festung ist eine Art Universität. Dort bleibst du. Du lehrst uns über Menschen. Du kannst mit jedem Schiff gehen, das hier landet. Wir sind hier aber ziemlich außerhalb, es wird wohl lange dauern, bis einmal eines kommt.»

 

Die Sonne weckte ihm auf dem Lager auf dem Fußboden.

Er sah aus dem Fenster. Es könnte fast auf der Erde sein, die Pflanzen waren grün und die Luft feuchtwarm, der Himmel blau, leise rauschte der Wind. Nur Vögel fehlten hier. Und selbst der Sonnenaufgang war mindestens so eindrucksvoll, wie er ihn von der Erde in Erinnerung hatte.

Dann er nahm er die Dusche. Etwas, was ihm gut gefiel: Eine warme Dusche täglich. Die Tlirr waren nämlich extrem geruchsempfindlich. Ihr Schweiß roch am ehesten nach Zitrone, was er anfangs angenehm empfand. Doch bald hatte er sich angepasst und konnte nicht mehr viel an dem Geruch finden, zumal er selber ein wenig danach roch.

Er schüttelte sein Fell und ließ sich trocken fönen. Nun kam der weniger angenehme Teil: Er musste sein Fell gründlich kämmen, einmal hatte er es nicht gemacht, und schon am nächsten Abend war es derartig verfilzt, dass er nur noch mit Mühe und Schmerzen durchkam. Er würde sich aber auch daran gewöhnen.

Genauso, wir er sich an sein seltsam fremdes Bein und den Fuß gewöhnt hatte. Die Länge war exakt bemessen, doch es bewegten sich völlig andere Muskeln und die Schrittlänge war etwas größer. Aber das Unterbewusstsein hatte es schneller akzeptiert. Jetzt konnte ein Uneingeweihter keine Unregelmäßigkeiten in seinem Gang entdecken, außer dass er das rechte Bein nach vorne abknickte. Und auch die fremde Hand konnte er ohne Nachzudenken benutzen, die Krallen konnte er ein- und ausfahren, wenn er versuchte, den nicht mehr existierenden kleinen Finger zu bewegen.

Seit zwei Wochen (16 Tagen) erkundete er den Campus hier, der eigentlich nur aus der Festung bestand, die gar nicht so sehr davon unterschied, wie er sich eine menschliche alte Festung vorstellte und einmal eine auf der Erde gesehen hatte.

Heute würde er seine Studenten kennenlernen. Er würde eine Vorlesung in einer Sprache halten, die er selber erst seit drei Wochen kannte. Trotzdem freute er sich. Sorgfältig kämmte er sich ein zweites Mal. Dann zog er seine bessere blaue Hose an und band sich ein purpurnes Halstuch um, wie es für einen Lehrer hier Brauch war.

Pünktlich war er in dem Raum. Genauer gesagt, stand er wie die anderen vor einem zu kleinem Raum. «Hallo, ich bin Fangor.» Mindestens zwanzig Augenpaare waren auf ihn gerichtet. «Es ist gerade erste, wir gehen hinaus!», radebrechte er und ging voran.

Draußen war es noch angenehm, nicht zu heiß. «Ich heiße Fangor und komme von der Erde. Ich bin ziemlich Mensch. Geboren war vor 41 Jahren. Bin ich richtig?»

Sofort nickte einige, aber er konnte die verkniffene Heiterkeit aus der Ohrenstellung erkennen. Er lächelte, was sofort zu entsetzten Ausrufen führte, denn die Tlirr konnten ja ihr Gesicht kaum bewegen, sie hatten keine solchen Muskeln. Ohren drückten ihre Gefühle aus.

«Merkmale machen mich Mensch. Fragt mich.»

Und was für Fragen kamen! Die Hälfte war schlicht verrückt. Wieso sollte er Gedanken lesen oder zwei Stunden die Luft anhalten können? Manche Fragen verstand er überhaupt nicht, ihm fehlten einfach die Worte.

Mehrere fragten nach Helden. Dort gab es keine Ähnlichkeit, am nächsten kamen dem noch die Religionen. Da er überdies Atheist war, referierte er schlecht über die wenigen Religionen, die er kannte. Doch auch auf diesem Gebiet kannte er einfach zuwenig Vokabeln, dies hinderte ihn überall an einem tieferen Einstieg, die Hälfte der Zeit blätterte er im Wörterbuch. Es war erstaunlich, wie schwierig das Erklären gerade der alltäglichsten Dinge war.

«Warst du in einer Krgra?», fragte jemand. Die Tlirr kannten etwas ähnliches wie die Einehe, sie nannten es Krgra. Wenn ein Tlirr einen Ohrring trug, einen Kraligra, dann war dies Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Krgra (das Wort bedeutete ursprünglich Rudel). Jede Krgra hatte ein anderes eindeutiges Symbol. Eine Krgra konnte zwar theoretisch aus mehr als zwei Tlirr bestehen, das kam aber selten vor. Und eine Krgra bedeutete lebenslang für den anderen da sein -- auch wenn man gar nicht mehr zusammen lebte, sozusagen ein Treuschwur. Er versuchte mit seinen Kenntnissen der Tlirrgesellschaft das menschliche Konzept zu übersetzen.

Die nächste Frage schnitt den weiten Kreis der Sexualität an. Nur die konkrete Ausführung beim Sex war durch völlig unterschiedlichen Organe anders. Hier führten seine schlechten Sprachkenntnisse (und die fehlenden Kenntnisse, wie die Tlirr Sex praktizierten) zu ziemlich vielen Unverständlichkeiten und Missverständnissen, so dass sie sich bald alle lachend auf dem Boden wälzten.

Am nächsten Tag waren nur noch so viele da, dass sie in den ursprünglichen vorgesehenen Raum gehen konnten. Dort zeigte er dann Aufzeichnungen aus dem Raumschiff (warum hatten sie eigentlich ausgerechnet diese Videos an Bord des Shuttles gehabt ... ) und übersetzte und kommentierte sie.

 

Wieder waren zwei Wochen um. Seine Haare am Kopf mussten das erste Mal geschnitten werden (Das würde ein echter Tlirr nie zulassen). Und sein Körperfell war jetzt gelbweiß und weich und dicht. Körperlich war er jetzt völlig geheilt. Und nur sein Kopf, der fehlende Schwanz, seine menschliche Hand und sein Bein unterschieden ihn äußerlich von einem Tli"rraumfahrer. Er war in der Universität hervorragend integriert, fand er, nur die Sprache war sein Handikap.

Auch eine vage Vorstellung, wie ein Raumschiff der Tlirr zu fliegen war, hatte er schon, denn er hatte einen Kurs über Raumfahrt genommen. Einmal saß er für zehn Minuten am Simulator, doch als er allein zwei Minuten für die vollständige Entzifferung des Bildschirmes gebraucht hatte, sah er ein, dass es dafür noch zu früh war.

Als er heute den Raum zu seiner Vorlesung betrat, schnappten ihn sich seine Studenten und trugen ihn durch die Festung, vor die Tore und warfen ihn in eine wunderschöne gelbe Schlammpfütze. «Damit dein Fell schön gelb bleibt!», riefen sie zwischen ihren Lachen.

Dann halfen sie ihm wieder heraus und gingen mit ihm zu nächsten Dusche. Damit war er getauft, wie ihm erklärt wurde. Jeder neue Dozent müsste das erleben, dann erst hätte er einen Titel, erst dann hieß war man r-o-ts-a-n. Es war eine Ehre für ihn.

Am Abend wurde gefeiert, es war der Tag des ersten Raumfluges, vor genau 9125 (oder oktal 21640) Tlirrjahren. Es wurde in einem Saal der Festung im Keller veranstaltet. Er wurde nur mit Öllampen beleuchtet. Alle Augen waren geweitet.

Es wurde getanzt und vier Musiker spielten populäre Tänze. Es gab n-a-n, ein für Tlirr berauschendes Getränk -- für ihn wirkungslos. Es gab guten Tee und einen seltenen Fruchtsaft, es gab einen Nusspudding und kleine knusprige Eichhörnchen. Und natürlich die normalen Gerichte und das hiesige Grundnahrungsmittel, eine Art Teigfladen mit verschieden Füllungen.

Gebrochen radebrechte er mit vielen in einem Kreis und beteiligte sich an einfachen Tänzen, auch wenn dazu seine Koordination eigentlich noch zu schlecht war; außerdem wurden ständig wechselnde Rhythmen verwendet. So stand er mindestens so oft auf fremden Klauen, wie sein Fuß von ihnen geritzt wurde.

Die Melodie stand meist im krassen Gegensatz zu den komplizierten Rhythmen. Höchstens zwei Instrumente, meist eine Art Panflöten, spielten langsam ändernde Töne, nur von kurzen Trillern unterbrochen. Schön gefühlvoll waren die Flöten, es klang jedenfalls tragend und traurig oder tänzelnd und fröhlich.

Pünktlich zur Mitternacht erhob sich jemand. Er erkannte die Dekanin. Schnell war Stille. «Unter uns ist wieder jemand ein Jahr klüger geworden. Und er ist außerdem ab heute unser rotsan Fangor.» Er wurde rot, als alle zustimmend heulten. Sie hatten seinen Geburtstag herausgefunden und ihn umgerechnet. Er wusste gar nicht, dass sie Geburtstage feierten.

Am nächsten Morgen war ein Feiertag. Heute wollte er die Ruhe nutzen und in aller Frühe schwimmen gehen. Im See waren keine Spuren vom Shuttle mehr zu sehen, nur das Ufer an der Stelle war niedergewalzt von den Bergungsfahrzeugen; dort standen auch zwei Gedenksteine, wo sie in der Nacht seiner Entlassung Antje und Janus begraben hatte.

Er schüttelte die düsteren Gedanken ab: Trauer ist gut, aber das Leben geht weiter, muss weitergehen. Er zog die Hose aus und stürzte sich in die Fluten. Mit dem Fell war es ein seltsames Gefühl. Es zog einen etwas ins Wasser. Bald war ihm ziemlich kalt. Er hatte sich so an das Fell gewöhnt, dass er vergessen hatte, wie kühl es doch ohne ein solches am Morgen war.

Als er am Ufer war, standen bestimmt dreißig Tlirr dort. «Wollt ihr auch äh» Tatsächlich fehlte ihm das Wort für schwimmen. Vielleicht kannten sie auch es nicht, denn sie sahen teils belustigt, teils schockiert aus.

«Ist diese Handlung ungewöhnlich für einen Tlirr?»

Die Zunächststehende senkte den Blick sehr tief, was ein deutliches Ja war. Schnell trocknete er sich provisorisch ab und nahm in seinem Zimmer eine warme Dusche. Trotz alledem hatte ihm das Schwimmen Spaß gemacht.

Ganz folgenlos blieb der Badeausflug nicht. Am nächsten Tag wollten gleich fünf Tlirr schwimmen lernen. Er setzte einen Termin dafür an. Wieder hatte er mehr Arbeit, selbst am achten Tag kamen Studenten an.

 

Rotsan Fangor war nun schon acht Wochen an der Universität. Mittlerweile sprach er die Tlirrsprache fließend, wenn auch mit starkem Akzent. Den ersten Lehrgang in Bürgerrechten hatte er erfolgreich abgeschlossen. Und seine Studenten bescheinigten ihm eine interessante Veranstaltung (allerdings nicht zuletzt wegen der vielen Missverständnisse).

Gerade verließ er den Raum seiner Vorlesung, als ein Bote kam. Er reichte ihm einen verschlossenen Umschlag. In ihm war eine Art Kreditkarte, sonst nichts. Die Karte war völlig weiß. Da er nicht wusste, was er mit ihr anfangen sollte, ging er zu Tlija herüber. Sie war zum Glück gerade da.

«Hallo Kr Tlija.»

«Hallo rotsan Fangor.» Sie konterte damit seine sehr förmliche Anrede.

«Ich habe diese Karte bekommen.»

Sie richtete die Ohren auf. «Das ist früh, jemand muss sich mächtig bemüht haben. Diese Karte garantiert dir deine Bürgerrechte in dem ganzen von uns besiedelten Bereich. Komm mit.»

Sie gingen in einen Nachbarraum. «Dies ist ein Identifikator. Damit kann man die Identität eines Eigentümers mit dem Besitzer der Karte überprüfen. Allerdings ist deine Karte wahrscheinlich noch auf niemanden eingerichtet. Steck sie hinein!»

Er tat wie geheißen. Eine ganze Zeit lang passierte nicht. Dann forderte der Automat eine Blutprobe, eine Gewebeprobe, seinen Handabdruck (mit Pfoten und Fell wäre ein Fingerabdruck auch nicht sinnvoll) und seinen Netzhauthintergrund ab. Nun dauerte es noch viel länger, also aßen sie Mittag.

Als sie zurückkamen war die Identifikation fertig. Zuletzt musste er noch eine Stimmprobe abgeben. Seine Identität war jetzt wirklich auf der Karte. Sein Name war dort zu lesen und er selber war dort als Hologramm zu sehen. «Wozu ist das gut?»

«Es gibt viele Möglichkeiten. Die Wichtigste ist die eindeutige Identifizierung. Außerdem kann auf der Karte noch jede Menge anderer Information reversibel gespeichert werden. Ab heute sammelst du Gutpunkte. Das ist nützlich, wenn du woanders hinkommst. Ab heute bist du vollwertiger Tlirr.»

«Ich bin zutiefst in eurer Schuld.»

Sie lachte. «Schön gesagt, aber mit jedem Gutpunkt bist du es weniger. Was glaubst du, wie du unser Leben auf diesem öden Planeten hier in Schwung gebracht hast? Und es war der erste Kontakt mit Menschen. Dieser Planet wird in unserer Geschichte einen besseren Platz als jetzt erhalten.»

«Wieso besser? Ich hatte noch keinen Geschichtskurs, erzähl mir davon.»

«Vor etwa 3000 Jahren stürzte eine Siedlercrew hier ab. Dieser Planet scheint das ja irgendwie anzuziehen.» Sie lachten. «Naja, zweihundert überlebten und gründeten zwei Siedlungen. Beiden ging es ziemlich schlecht, denn sie hatten keinerlei Unterstützung durch weitere Schiffe, weil ihr Flug nicht dort endete, wo er sollte. Es war eurem Absturz gar nicht unähnlich.

Jedenfalls rutschten die beiden Siedlungen auf ein ziemlich tiefes Niveau. Und es entwickelte sich eine starke Konkurrenz. Nach 500 Jahren kam es zur Auseinandersetzung mit Waffen. Ich werde wohl noch weiter ausholen, damit du die Bedeutung verstehst. Es gab bisher zwei Kriege mit Waffen, beide führten fast zur vollständigen Vernichtung der Tlirr. Waffen wurden geächtet, Krieg oder Mord, das ist schlimmer, als Wahnsinn.»

Er nickte heftig, denn entweder schwiegen die Tlirr bei solchen Worten, oder sie sprachen sehr lange und ausfürhlich darüber. Ihn interessierte im Moment aber mehr die Geschichte des Planeten. «Ich habe das bereits im Bürgerrechtskurs gehört.»

«Äh, gut. Ja, also zu etwa der selben Zeit fand man ein Trümmerstück, das langsam durch das All trieb. Man identifizierte das Schiffsteil und ungefähr den Ort, wo es herkam. Und man schickte eine Expedition aus. Da jedoch das Gebiet recht weitläufig war, brauchten sie recht lange für ihre Suche.

Inzwischen wetteiferten die beiden Siedlungen und ihre Ableger um die Vorherrschaft hier. Diese Zitadelle wurde gebaut. Sie beherrschte das Hochplateau. Und etwa vierhunderttausend Schritt von hier ist das Gegenstück, beide durch lange Erfahrung recht ähnlich geworden. Das war die Situation, als die Expedition eintraf. Sie schlichtete natürlich Frieden. Es war der einzige Fall, dass eine Kolonie fast 1000 Jahre ohne Kontakt war. Und es führte dazu, dass zum ersten Mal seit 3500 Jahren wieder Zitadellen gebaut wurden und zum dritten Krieg seit dem Bestehen der Zivilisation.»

«Weswegen gibt es dann kaum Tourismus?»

«Wir liegen hier doch auch zu weit ab für interplanetaren Tourismus. Im Mittel alle zwei Jahre ein Schiff, du weißt doch ... »

«Meine Bürgerrechte möchte ich feiern, hast du morgen Zeit?»

 

Er hatte alle eingeladen, die er als seine Freunde betrachtete. Vier sollten also kommen: Tlija und Tlijats aus dem medizinischen Institut und Trojan und Tronts, letztere zwei Studenten. Außerdem hatte er für Tee und Essen gesorgt. Sein kleines Zimmer hatte er aufgeräumt; doch dann erschien es zu kahl. Er hatte noch eine Stunde, dies zu ändern.

Nach kurzem Zögern ging er noch einmal hinaus. Zwar war die Achse des Planeten nur leicht geneigt, und deshalb war auch die Jahreszeiten auch nur schwach ausgeprägt; doch sie waren recht weit nördlich und deshalb machte es durchaus Sinn, diesen Jahresabschnitt Spätherbst zu nennen. (Die Tlirr kannten natürlich acht Jahreszeiten oder Monate. Er übersetzte sie mit Frühwinter, Spätwinter, Frühfrühling, Spätfrühling, usw.). Leider gab es auf diesem Planeten nur wenige Laubpflanzen, so dass sich die Bäume im Herbst nicht rot färbten. Aber das Schilfgras am Seeufer wurde braun, eine Art Wollbüschelpflanze blühte und er fand etwas rotes Farnkraut neben dem türkisen. All die Fundstücke klebte er mit einer Art Knete an die Wände, an jede Wand einen Strauch.

Kaum war er fertig, trat Tronts ein. Die Krgra Tronts, denn sie waren zu zweit. Und sie hatten noch eine Freundin mitgebracht. Er hatte sie noch nicht einmal richtig begrüßt, da stand schon Tlija im Raum, zusammen mit Tlijats und ihrem Freund. Zusammen mit Trojan und ihren zwei Freunden waren sie zu zehnt. Die Namen hatte er schnell wieder durcheinandergebracht. Zum Glück hatten alle trotz seiner Beteuerung, für Essen zu sorgen, noch etwas mitgebracht.

Irgendwann zog ihn Tlija beiseite: «Dieses Grünzeug an den Wänden, ist das menschlich?»

Er zuckte mit den Schultern. «Das wird bestimmt demnächst jemand imitieren.» Dann lachten sie wieder.

Es war ein lustiger Abend. Als es Mitternacht wurde, gingen sie alle gemeinsam hinaus. Dann sollte er auf allen Vieren wie einen Raubkatze durch das Unterholz schleichen und Tiere füttern (statt sie zu jagen) -- zum Zeichen, das ein nun ein zivilisierter Tlirr war. (Auch wenn er bestimmt nie Tiere gejagt hätte.) Als sie sahen, wie er sich mit den ungleichen Beinen mühte, da hatten sie Einsicht, und hießen ihn wieder aufzustehen. Jetzt bekam er die Geschenke, die sie irgendwoher geholt hatten. Von Tlija, Tlijats und Freund bekam er ein Parfum; Trojan und seine zwei Freundinnen schenkte ihm einen kleinen selbstgeschmückten Jagddolch, und von der Krgra Tronts mit Freundin und bekam er einen Umhängebeutel, das Tlirrgegenstück zu einem Rucksack. Er war tief gerührt.

 

Sieben Wochen darauf hatte er die Prüfung als Navigator für Tlirrgebiet bestanden. Witzigerweise war eine Frage genau dieselbe, wie bei seiner letzten Navigationsprüfung, was je nach Blickwinkel nur die Einfallslosigkeit der Prüfer oder die Universalität der Mathematik betonte. Jetzt durfte er sogar in seinem alten Job arbeiten, wenn ein Schiff kam. Äußerlich wurde dies durch das Bild des Andromedanebels auf dem linken Hosenbein demonstriert.

Am nächsten Tag erfuhr er, dass ein Schiff im Anflug war. In fünf Tagen würde hier ein Shuttle landen. Jetzt musste er sich entscheiden: Sollte er hier bleiben, immerhin hatte er sich gut eingelebt. Oder sollte er zu seiner alten Heimat, der Erde zurückfliegen?

Schließlich entschied er sich zu gehen. Es fiel ihm zwar nicht leicht, aber er war und blieb doch ein Mensch. Und so gab es manchen freundlichen Abschiedsgruß, man wünschte rotsan Fangor alles Gute.

Eine zweite Tlirr würde mit dem Shuttle zum Schiff fliegen. Sie war jedoch rotsan für Shuttlewartung und schon recht alt. Er würde der Jüngste und Unerfahrenste an Bord sein.

Das Shuttle war startbereit auf dem Raumhafen. Bis heute war es ihm ein Rätsel, warum sie den Raumhafen damals übersehen konnten. Und warum die Tlirr sie nicht im Radar gesehen hatten. Wären sie hier gelandet, Antje und Janus, wer weiß ...

Das Innere des Shuttles kam ihm vertraut vor: Kein Wunder, hatte er doch ausdauernd an der Simulatorkonsole gearbeitet. Vermutlich hätte er selber starten können. Doch er hielt sich dezent im Hintergrund, während Tslinja an den Kontrollen zu schaffen machte.

Sie war recht klein, aber hatte ein kräftiges, dunkelgelbes Fell. Sie hatten ihn wie einen Gleichgestellten begrüßt, aber das war unter den Tlirr eh nichts besonderes.

Der Shuttlestart war genauso wie auch auf der Erde oder einem x-beliebigen anderen Planeten. Die Gesetzte der Physik sind ja auch überall die gleichen. Doch auf das Schiff war er gespannt. Das Grundprinzip war zwar ähnlich, doch es wurde völlig anders realisiert, es war wesentlich wirkungsvoller. Und es war ein ziemlich großes Schiff, hauptsächlich sollte es solche Außenposten wie den, den er nun verließ, versorgen.

Es war wirklich groß, viel größer als jedes menschliche Schiff, von dem er wusste. Die Größe der filigranen Gitterstrukturen der Tanks und der Triebwerkaufhängung mussten insgesamt gut 5 Kilometer betragen, auch wenn man sich im All leicht verschätzte.

Das Ankoppeln des Shuttles meisterte Tslinja lehrbuchgerecht. Klackend schloss sich der Andockstutzen, durch den man zu Schiff gelangte, ohne das auch nur das kleinste Rucken zu spüren war. Ein paar Minuten mussten sie warten, bis die Temperatur und der Luftdruck sich stabilisiert hatten und alles geprüft war. Während dieser Zeit wurde das Shuttle deaktiviert.

Endlich schwang die Luke auf. Dicht hinter Tslinja zog er sich durch die eisigen fünfzehn Meter Tunnel zum Schiff. Hinter der zweiten Luke waren fünf Tlirr zu ihrer Begrüßung.

«Hallo, Mensch rotsan Fangor und Kr rotsan Tslinja. Ich bin Kr Tjess. Dies ist Tlitsa, Tsali, Trotsli und Tlirjro. Es gibt keine ständig festen Aufgaben. Kommt, wie starten sofort.»

Nicht viel anders hätte er einen Neuen auf dem alten Schiff begrüßt. Er fühlte sich dadurch gleich zu Hause. Er prägte sich die Gestalten ein: Tjess mit der eindrucksvollen roten Mähne und gut 2 Meter groß; Tlitsa war klein und hatte schon graue Strähnen in ihrem Pelz. Ihre Hose war mit so vielen Abzeichen besetzt, dass einige davon auf dem rechten Hosenbein angebracht werden mussten. Tsali dagegen war blutjung, gerade so alt, wie seine Studenten waren. Sie hatte ein Fell in kräftigen Gelb und nur zwei Abzeichen zierten ihre Hose. Trotsli war ebenfalls recht alt; er war der einzige Mann, er selber zählte ja nicht. Tlirjro hatte schließlich eine Besonderheit, einen weißen Flecken Fell auf ihrer Stirn und an ihren Pfotenhänden. Es war die einzige Zeichnung im Fell, die er je gesehen hatte.

«Ich würde gerne als Navigator anfangen.»

«Sehr gut. Komm!»

Dann hangelte er schwebend den anderen hinterher. Die Brücke war ganz in der Nähe. Jeder legte sich auf eine Bank. Doch es blieb tatsächlich der Platz an den Navigationsinstrumenten frei. Er begann zu schwitzen. Sollte er gleich zu Anfang diese vertrauensvolle Aufgabe erledigen? Auf einem Menschenschiff wäre dies die letzte Aufgabe für ein neues Mitglied gewesen; noch war er ein Alian. Aber schließlich war er dafür ausgebildet worden.

«Welcher Kurs soll berechnet werden?»

«System RGRLI 1730:6647. Schub bis beta=4 und Angabe der Reserven. Bitte einen Vektor sofort.»

Eilig hackte er auf der Tastatur herum. Doch bis der Computer den Vektor fertig hatte, dauerte es zwei Minuten.

«Vektor ist eingegeben.»

Statt einer Antwort begann die Startwarnung: ,,Achtung, Schub." durch das Schiff zu hallen, während ganz sanft die Beschleunigung einsetzte. Seine Berechnungen liefen weiter.

«Rechnung jetzt fertig.»

«Ich prüfe.»

Er sah sich nun mit Unbehagen die Werte genauer an. Was stand da? Sie würden mit umgerechnet rund 7,5 beschleunigen, ein Jahr lang? Das dürfte ein mörderischer Flug werden, wenn dies stimmte.

«Werte scheinen korrekt.»

Langsam wurde der Andruck immer stärker. Wollten sie etwa schon jetzt 7,5 erreichen? «Bis wie hoch beschleunigen wir jetzt?»

«Bis 2,4. Wenn wir uns hinlegen bis 22 maximal.»

Unerbittlich wuchs die Kraft, die ihn in den Sessel drückte. 2,4 war das vierfache der Beschleunigung des Planeten, den sie nun hinter sich ließen. Bei 1,7 wurde ihm schwarz vor Augen. Gleich nahm der Andruck ab. Tlitsa stand neben ihm.

«Du warst zu lange auf dem Planeten. Komm ich führe dich in den K-Raum.»

Er hatte zum ersten Mal in der Universität davon erfahren. Es war eine sehr stabile Kammer, die mit einem Edelgas-Sauerstoff-Gemisch unter hohem Druck gefüllt war. Zum einen wurde so die harte Strahlung absorbiert und zum anderen konnte man so 22 ohne größere Schwierigkeiten bei Bewusstsein ertragen.

Der Nachteil war, dass man diesen Kompensationsraum nur über eine Schleuse mit langen Aufenthaltszeiten betreten und verlassen konnte. Deswegen war hier alles zum Leben vorhanden. Es gab hier Duschen, eine Essnische, drei Kommandopulte, zehn Tiefschlafbetten und die zehn Schränke.

Nachdem er die Schleuse verlassen hatte, fühlte er sich sehr leicht, fast schwerelos. Denn die Luft war bei diesem Druck fast so dicht wie Wasser. In den siebenten Schrank, er war leer, packte er das kleine Bündel, was er am Gürtel trug. Es war erstaunlich, wenn er daran dachte, dass alle Schiffe so ähnlich ausgestattet waren, so standardisiert. Menschliche Schiffe waren fast immer Einzelstücke, man brauchte für den Bau eines Schiffes ja auch mindestens zehn Jahre.

 

Schnell war er in der Raumfahrtroutine wieder drinnen. Und jetzt, wenn das Schiff einmal auf Kurs war und beschleunigte, da waren sie ziemlich überflüssig, selten musste etwas repariert werden. Und in der freien Zeit lernte er weiter Tlirr und ergänzte sein schwaches Bürgerrechtswissen. Außerdem versuchte er sich an der Tlirrliteratur. Doch auch mit seiner zerfledderten Kladde als provisorischem Wörterbuch blieben viele Wendungen unklar, er musste er sich viel erklären lassen. Aber für die Navigation und von der Umgangssprache kannte er genug. Und so hatte er, als sie nach einem Jahr Eigenzeit ankamen, kaum mehr einen Akzent, und gerade die Flüche gingen ihm glatt von der Zunge.

Ein Jahr ist viel Zeit, die Tlirr waren auf neue Spiele geradezu versessen. Poker war für sie ungeeignet, denn sie konnten nicht lügen und versuchten es nicht einmal, sie schwiegen dann lieber einfach; das wollte er kaum ändern. Schach dagegen hat nichts mit Zufall zu tun, auch ist es kein Spiel für einen Moment. Die Tlirr waren fasziniert.

Sie kannten ein ähnliches Spiel, am ehesten ähnelte es Dame. Doch Schach war variantenreicher. Er bemühte sich redlich, nicht nur die Regeln, sondern auch die Kniffe beizubringen. Alles, was er wusste, schrieb er auf. Das übte Tlirr ungemein.

Sie spielten viel Schach. Allerdings würden die offiziellen Regeln erst in ein paar Jahren von Tlanlirr als Auszug aus dem Bordrechner des alten Shuttles kommen. Er arbeitete auch an einer Tlirrversion der Figuren, doch es war schwierig. Die Tlirr hatten nie eine richtige Kriegskunst besessen, die Kriege wurden fast vollständig totgeschwiegen und an die Zeit, als sie noch in Rudeln jagten, wollten sie nicht unbedingt erinnert werden. Also nahm er die Helden zu Hilfe.

Seine Zuordnung war vielleicht eigenwillig, aber dem Geist der Figuren entsprechend. Aus dem König wurde die Kr. Ohne sie ist des Rudel, die Krgra führerlos. Dazu kam an ihrer Seite der Kraligr, jener geheimnisvollen Gestalt mit tiefer Einsicht. Für die Läufer war klar, da kam nur Tlinn in Frage; ein Spaßmacher und das Tlirrwort für Lachen. Reittiere waren unbekannt, also nahm er für die Springer einen Assasinen, morden aus der Deckung heraus: Tlorr. Die Türme blieben Türme. Bauern gab es kaum, also wurden ganz normale Tlirr daraus. Im Großen und Ganzen gefiel es ihm, vielleicht war es zu martialisch geraten.

In einem Jahr hat man viel Zeit und anders als auf den Menschenschiffen mit den Zwang, während des Fluges fast die ganze Zeit zu schlafen, war auf den Tlirrschiffen durchaus normales Leben möglich. Tlitsa und Trotsli gehörten zusammen; Tsali war ihre Tochter, wie er erfuhr. Daher konnten auch Raumfahrerfamilien existieren; dies war auf den menschlichen Schiffen nahezu unmöglich. Erstens gab es wenige weibliche Raumfahrer, nur in Langstreckenteams wie ihrem. Und selbst eine Reise nach alpha -Centauri und zurück dauerte knapp elf Jahre Realzeit, nach zwei Flügen war also die/der Heimgebliebene schon begraben. Und Familien nur so zur Klimaverbesserung mitzunehmen, war an den Kosten gescheitert.

 

Sie waren im Zielsystem, mit viel zu hoher Geschwindigkeit, wenn er an die Anflugprozeduren zur Erde dachte. Aber die Einweisung war wesentlich besser. Sie bekamen bald nach dem Einflug die Lage aller großen Körper übermittelt. Ihr Bordcomputer berechnete einen Kurs durch dieses Chaos von Planeten, Monden, Asteroiden und Schiffen.

Und bis kurz vor der Station würde der Computer steuern. Und für die letzten Meter war er als der Navigator zuständig. Keine Aufgabe, auf die er sich freute. Immerhin eine wahre Herausforderung.

«Hier ist die 77516r-s. Bitte um Liegeplatz an Station zum Laden.»

«77516r-s. 67-72 sind frei.»

Obwohl ihr Schiff nach menschlichen Maßstäben außerordentlich groß war, so war die Station daneben einfach gigantisch. Sie hatte gut 150 Kilometer Durchmesser.

Vorsichtig steuerte er ihr Schiff an Shuttles und anderen Schiffen vorbei. Ganz langsam näherte er sich der freien Sektion. Sie legten mit einem ziemlichen Stoß an. Kr Tjess drehte sich um.

«Fangor, du wirst die Reparatur überwachen.»

Der Rest verließ die Brücke. Kr Tjess blieb sitzen. «Am Simulator hatte es besser funktioniert. Du solltest üben, damit du einmal deine Schuld abtragen kannst. Aber wenn du den Schaden behoben hast, kannst du gehen. Der Computer wird dir sagen, was auszutauschen ist.»

Er machte sich sofort an die Arbeit. Es dauerte über drei Tage bis alles wieder einwandfrei funktionierte. Er war stolz, alles ohne Hilfe der anderen geschafft zu haben. Er schuldete niemanden mehr etwas und er bekam so das Abzeichen des ersten erfolgreichen Fluges. Sie feierten es natürlich. Danach verabschiedete er sich von allen auf dem Schiff und trat er auf die Station.

 

Hinter dem Dockingtunnel begann eine hohe, weite Halle. Sie war bestimmt hundert Meter hoch. Und alle ungenutzten Flächen hatte man bepflanzt. Ein ungewohnter Anblick den Lastenkran überwuchert zu sehen. Der Funktion tat es wohl keinen Abbruch, auch wenn alles auf den ersten Blick nach fortgeschrittenem Zerfall aussah.

Das Licht war hellviolett aber nicht grell. Die Pflanzen hatten den üblichen Türkiston, aber es gab auch rote und noch andersfarbige Gewächse. Es war wie auf einem Planeten. Die Wände waren in einen schwachen Gelb gehalten, mit giftgrünen Aufschriften, die die Position oder den nächsten Aufzug verrieten. (Tlirr hatten natürlich ein etwas anderes Farbempfinden dafür.)

Auf einer Einschienenbahn war eine Menge Frachtverkehr. Sonst war niemand zu sehen. Also folgte er den Hinweisen zu den Fahrstühlen. Dort fuhr er in das allgemeine Deck 111, wenn er auch nicht wusste, was dies nun genau bedeutete.

Der Fahrstuhl war recht klein, erst recht für Tlirr. Vielleicht hatte er einen falschen erwischt, denn dieser brachte ihm eine Schuld gegenüber der Station ein. Nach 0.1 Stunde stand er auf Deck 111. Hier tobte das Leben. Vorsichtig trat er hinaus, wurde vom Strom mitgerissen. Es gab Tlirr in allen Altersstufen durcheinander. An der einen Seite des Decks war eine Art Ladenstraße. Dort sah er Restaurant, Spielhäuser und mehr. Auf der anderen Seite lag eine riesige Fensterreihe. Alles war sauber und neu gemalt.

Erstaunlicherweise sahen ihn die meisten Tlirr nur aus den Augenwinkeln an und gingen weiter. Kein Auflauf, gar nichts! So würde es bei den Menschen wohl kaum abgehen, wenn der erste Tlirr auf einer Station erscheinen würde, da war er sich sicher. Genau so unauffällig wie sie, musterte er die Tlirr. Obwohl sie Fell besaßen, unterschieden sie sich untereinander viel weniger als die Menschen. Auf dem Planeten dachte er noch, dies käme durch die gemeinsamen Vorfahren. Doch auch hier war waren sie alle hellgelb ohne Zeichnung und hatten diese tiefvioletten Augen.

Endlich sah er eine Informationstafel. Die Nummer der Verwaltung kopierte er auf die Karte und suchte ein Terminal. Ein Gesicht erschien. Er konnte nicht sagen, ob es echt oder nur Computer war. Jedenfalls war es unbeeindruckt von ihm.

« Krr. Ich bin Fangor und suche Arbeit.»

« Krr. Karte?»

Er schob sie nochmals hinein.

«Besondere Wünsche?»

«Ich suche ein Schiff in den tsroirr Sektor.»

«Übermorgen geht eines. Keine weiteren Schiffe zu erwarten.»

«Ich brauche eine Unterkunft.»

«Deck 702--3377 ist frei. Langes ehrbares Leben.»

Das Bild erlosch. Er suchte einen Transport in die Dreiersektion, aber scheinbar gab es auf 111 keine. Es war ein weiter Fußmarsch, aber er wollte sparen.

Die 702. Ebene war mit dem Lift knapp eine achtel Stunde. Die Ebene lag an der Innenseite des Torus. Er ging einen nur schwach beleuchteten Gang entlang. Hier war keine Schmuck, graue Metallplatten bildeten die Wände; nicht einmal Farben gab es hier, sah man von gelb-grüner Tlirrmalerei ab, die meist auch nur Geschmiere war. An manchen Stellen rann Wasser die Wand herunter. Einige der Lichtplatten flackerten oder glommen nur noch.

Vor dem Schott 3370-3377 blieb er stehen. Es war ein Gemeinschaftszimmer, fast wie auf dem Schiff. Die Schränke waren sogar dieselbe Bauart. Er packte seine wenigen Sachen in einen Schrank ohne Aufschrift und änderte den Code auf seine Karte. Name und Bild erschienen im Schloss.

«Hallo»

Er drehte sich um. In der dunklen hinteren Ecke saß jemand. Doch als er sich umdrehte, kam die Gestalt überrascht näher. Sie war groß und kräftig. Aber sie musste jung sein, sie hatte auch nur drei Abzeichen auf der Hose, eines mehr als er selber. Allerdings war ihr Fell schneeweiß, was eigentlich ein Zeichen für hohes Alter war. Auch hatte sie eine Verletzung am linken Ohr, es hing wie ein Schlaffohr herunter. Kurz, er wusste sie nicht recht einzuschätzen.

«Krr», dazu rituelles Zurückweichen seinerseits. «Ich bin ' '' (=rotsan Fangor).»

«Krr rotsan.» Sie hielt einen Moment inne, bevor sie weiterging. «Ich bin '' (=Tjagra). Wer bist du?»

«Ich war rotsan für Menschenkunde, denn ich bin ein Mensch.»

Sie war bei ihm und blieb stehen. Gegenseitig musterten sie sich. «Du bist ein Alian?»

«Ich fühle mich zwar nicht mehr so, trotzdem bin ich einer. Man sieht man es doch.»

Es entstand eine lange Pause. Es war ein beleidigender Satz. Er suchte nach einer passenden Fortsetzung. «Krr, Tjagra. Ich habe noch nicht gegessen. Wo gibt es hier etwas?»

«Komm, Fangor»

Dann folgte er ihr durch Korridore und Rampen nach unten. Er wusste gar nicht, dass es Rampen zwischen den Ebenen gab, eine Alternative zum Fahrstuhlfahren, das ihm eine Schuld gegenüber der Station einbrachte. Hier sah man viele junge Tlirr und endlich nicht nur Leute, die aussahen, als gingen sie gerade aus. Frachtschlepper mühten sich vorbei.

In der 670. Ebene schritt Tjagra zielsicher auf ein Lokal zu. Niemand hier hatte mehr als vier Abzeichen, höchsten die Nan-Flaschen. Es war selbst für Tlirr ziemlich dunkel. An der Seitenwand war ein großer Holoschirm und tauchte den Raum in ein schummeriges flackerndes Licht. In solchen Gaststätten hatte man immer das Gefühl, als könnte man hier jeden Killer anheuern und alle illegalen Drogen dieser Welt zum Vorzugspreis erwerben.

Der Vorteil solcher Etablissement war, dass man selbst als Alian kaum bemerkt wurde; und da er die Tlirr halbwegs zu kennen glaubte, erwartete er, dass sie vor Neugier sterben würden. Doch sie saßen ruhig in ihrer Ecke, anders als auf Tlanlirr, und tranken Nan. Er hatte sich mittlerweile leidlich an das ranzig schmeckende Getränk gewöhnt. Aber ein Tee wäre ihm lieber gewesen.

Tjagra saß ihm gegenüber auf dem Teppich. Wahrscheinlich dachte sie nach, was sie als erstes fragen sollte. Wenn Tlirr unsicher sind, dann schwiegen sie gerne. Es war ein Zeichen der Reife, wie lange dieses Schweigen dauerte. Man konnte so keine Unhöflichkeiten äußern. Andererseits ist es zermürbend, wenn man lange Zeit immer nur mit den selben Gesichter geredet hatte und nach Abwechslung hungrig war. Bevor Tjagra endlich den ersten Satz formulierte, hielt er es nicht mehr aus.

«Tjagra, was machst du hier?»

«Ich bin.» Das war eine äußerst direkte Zurückweisung. Doch nach kurzer Zeit konnte sie fragen, ohne ihr Gesicht zu verlieren: «Du bist Alian. Wieso bist du denn allein hier?»

Jetzt drehten sich die Ohren auch auf anderen Köpfen in ihre Richtung. Zwei standen auf und fragten höflich, ob sie sich dazu setzen konnten. Es war genug Platz an ihrem Teppich. «Naja, es gab einen Unfall. Eigentlich sehe ich anders aus.» Erwartungsvoll schwiegen die anderen. Noch jemand war dazugestoßen. «Wir waren vier, auf Forschungsmission den lokalen Arm entlang. Richtung Tsitlaj-Sektor. Wir hatten einen Unfall. Loch drei war instabil geworden, meine Freundin kam dabei um. Und wir hatten viel Treibstoff verloren, mussten unsere Geschwindigkeit mittels Swingby abbremsen. Die Richtung konnten wir nur eingeschränkt bestimmen. Wir wählten als Ziel das System mit der höchsten Wahrscheinlichkeit für einen Sauerstoffplaneten und hatten Glück. Ich hatte Glück. Der Rest starb bei der Landung. Drei Freunde.»

Es hatte sich ein Kreis um ihn gebildet. Als er sich bewegte und eine bequeme Ecke suchte, folgten ihm die Blicke. In solchen Momenten musste er sich immer Grimassen verkneifen, die sein Publikum auf effektvolle Art erschreckt hätte. Doch die Pause hatte wieder Schweigen zur Folge. Es war ihm gar nicht so unangenehm. Oft hatte er die Geschichte erzählt, doch würde er wohl zeitlebens an Antje, Janus und Gregar denken.

«Du bist rotsan, aber warum trägst du kein Halstuch?» Er sah auf. Ein Tlirr mit grünen Hosen hatte gefragt. Diese Frage war ungewöhnlich. Understatement gehörte zu den Tlirr. Man trug nur soviel, wie man glaubte, tragen zu dürfen.

«Es ist im Schrank.»

«Und rotsan für was?»

«Für Menschenkunde. Dafür brauchte ich nichts wissen; ich war Mensch. Nichts worauf ich stolz wäre. Und jetzt fühle ich mich nicht mehr als Mensch. Ich bin zuwenig» Was zuwenig? Er wusste es selber nicht genau, also ließ er den Satz so stehen. «Ich bin Shuttlepilot und Navigator gewesen und habe es neu gelernt. Jetzt will ich zurück zur Heimatwelt. Meiner Heimatwelt.»

Der Tlirr mit den grünen Hosen stand wieder auf und ging. Selbst die Tlirr sahen ihm nach. Jetzt war es an ihm zu fragen: «Wer war das?»

«Sicherheit.» «Sorgt für Fairness.» «Kennst du keine Sicherheit?»

Zum ersten Mal erfuhr er etwas, was dem Militär gleichkam. «Doch, natürlich. Auf meiner Heimat gibt es mehr als zwei Prozent Beschäftigte im Sicherheitsbereich. Aber man muss uns zugute halten, dass unsere Zivilisation viel jünger ist. Und die Menschen haben keine Skrupel, falsch zu reden.»

Dazu zog er unbewusst eine bedauernde Grimasse. Bestürzung. Damit war er zu weit gegangen. Schockiert standen die meisten auf. Zwei saßen noch am Teppich, als er wieder aufsah. Es war Tjagra aus seinem Quartier und ein sehr alter Tlirr. «Aber wem vertraust du dann?», wollte der Alte wissen.

«Jedem, den ich einigermaßen zu kennen glaube. Allen, von denen ich abhängig bin. Die, die bezahlen. Den Intelligenten. Vielen.» Er zuckte mit den Achseln, eine Geste, die auch die Tlirr halbwegs verstanden.

«Ich stehe tief in deiner Schuld für diese Antwort.» Der Alte stand höflich auf.

«Wir sind ein wenig verwandt», sprach plötzlich Tjagra.

«Ich versuche zu verstehen, und höre dir zu.»

«Da gibt es wenig zu erzählen. Alter 33, Größe 2,20 Gewicht 0,75. 17 Jahre auf Schiffen mitgeflogen.»

«Siebzehn!» Er war überrascht. Tjagra war von seinem Gesichtsausdruck erschreckt, wusste nicht, was sie daraus machen sollte. Seine nächste Frage lag ihm schon auf der Zunge: «Wieso hast du nur drei Abzeichen. Verzeihung.»

«Ich habe schon gemerkt, dass du sehr direkt fragst.» Er sah, wie sie einen kurzen Moment rang. Dann flüsterte sie: «Ich habe noch neun weitere, aber nicht an dieser Hose.»

Er sah sie ehrfurchtsvoll an, doch sie wusste mit dem Gesicht immer noch nichts anzufangen, sie sah nur erschreckt(?), fasziniert(?), neugierig(?) zurück. «Ich habe zwar keine große Ahnung, aber zwölf erscheint mir viel für 33 Jahre.»

«Es gibt Tlirr, die mehr haben.»

Das war sicher richtig, aber nicht die Antwort, die er erwartet hatte. Waren hier alle Tlirr so ganz anders, also auf Tlanlirr, oder hatte er dort nur Narrenfreiheit genossen und die Tlirr dort hatten es ausgenutzt? Also würde er unhöflich wie ein Klotz sein, schließlich war er ein dummer Alian. Also fragte er weiter. «Komm erzähl, warum» Er suchte nach einer Entsprechung für schämen. «Warum trägst du sie nicht?»

«Ich finde, ich habe sie nicht verdient. Wir sind nach Krirrtsats geflogen. Unterwegs gab es eine Explosion. Ich war zu dem Zeitpunkt gerade auf dem Klo, was mir das Leben rettete, denn der K-Raum explodierte. Somit war ich die einzige Überlebende und hatte mir, als ich zwei Monate später ankam, die Abzeichen für Kr, erster Flug eines Kr, Shuttlepilot, Ausdauer und Pflicht sowie Verdienst eines Schiffes bekommen. Dabei wollte ich nur überleben.»

«Ich verstehe.» Er dachte an Antje, Janus und Gregar. «Und was wurde mit dem Schiff?»

«Repariert. Mir wurde es angeboten, aber ich habe abgelehnt und bin wie vorher weiter als Navigator geflogen. Ich habe nur die seitdem ehrlich erworbenen Abzeichen getragen. Und natürlich das weiße Fell.»

Da war mehr, das konnte er erahnen, doch Tjagra zuckte mit keinem Barthaar. So fragte er indirekt: «Wie lange ist das her?»

«Es war der vorletzte Flug, zwei Jahre. Dir ist etwas ähnliches passiert. Du hast vorhin ein wenig erzählt.»

Er erzählte mehr von dem Schiff. Er redete bestimmt eine Stunde. Die Fähigkeit zu gutem Zuhören ermunterte ihn immer wieder. «... und nachdem der Schaden beseitigt war, bin ich auf die Station gegangen, um ein Schiff Richtung Heimat zu finden.»

«Jagd es sich nicht schlecht, so weit von der Krgra

Es war eine ungewohnte Wendung. Er musste erst überlegen, bis ihm eine Bedeutung des speziellen Tlirrsatzes wieder einfiel: Bist du nicht einsam! «Seltsam, noch nie hat jemand das gefragt. Natürlich bin ich einsam, aber das wird mein Schicksal sein, denn ich bin nicht mehr ganz Mensch, aber weit davon entfernt Tlirr zu sein. Und ich werde nie Kinder bekommen können, dieser aus 4 und 6 Aminosäuren wild zusammengewürfelte Organismus ist mit niemanden kompatibel.» Er versuchte ein klägliches Lächeln, unterdrückte es sofort wieder, als sie zurück zuckte. «Noch dazu bin ich nach euren Maßstäben zumindest gewöhnungsbedürftigt.»

«Du bist schön.»

Jetzt musste er einfach lächelnd den Kopf schütteln. «Fremd bin ich. Du bist schön für eine Tlirr, kräftig und so.»

Sie fletschte die Zähne.

«Nein, nicht!» Sie hatte sich ihm genähert und wollte ihm gerade sanft in die Kehle beißen. «Das ist weich, dort ist die, äh Hauptschlagader. Es ist nett gedacht.»

Sie senkte den Kopf.

Er kraulte sie hinter den Ohren. «Ich habe die gute Absicht verstanden. Leider sind wir zu verschieden.»

«Was machen Menschen denn?»

Er nahm sie in die Arme und küsste sie auf den Mundwinkel. Unauffällig wischte er sich die Haare aus dem Mund.

«Du tust mir Leid. Ich werde dir helfen, ein Schiff zu finden.»

Er seufzte. «Du bist nett.»

«Komm»

Sie gingen zurück in ihre Unterkunft. Noch immer waren die anderen Betten und Schränke frei. «Schlaf mit mir.»

«Sieh mich an.» Er zog die Hose aus.

Sie schluckte einen Moment. «Dann leg dich neben mich, nimm mich in deine Arme.»

Und so hielt er sie und streichelte sie hinter dem Ohr und den Rücken herunter. Und sie erwiderte sein Streicheln.

Morgens wurde er von Tjagra geweckt, indem sie sanft mit ihrer Zunge über sein Gesicht fuhr. Er fuhr hoch. «Morgen du Schläfer. Du hast drei geschlagene Stunden geschlafen.»

Es war kein Traum gewesen. «Schön, dass du geblieben bist!» Tjagra schnappte nach seinem Ohr. Er ließ es geschehen, und wirklich, das brutale Raubtiergebiss schloss sich sachte. Es kitzelte, er musste lachen. Sie erstarrte. «Es kitzelt, ich lache nur.» Und als sie es gemerkt hatte machte sie weiter, bis er, unter Tränen lachend, «Genug!» rief. Eine Zeitlang sahen sie sich dann einfach nur an. Jeder beobachtete die kleinsten Regungen des anderen. Endlich nahm er sie in die Arme und küsste sie auf die Stirn. «Ich will dich begleiten, wo immer du hingehst.» Dann zog er sich an und sie gingen Frühstücken.

Tjagra zerriss mit ihrem Raubtiergebiss ein kleines halbrohes Tier, während er sich lieber an mrubl (einem Brei) hielt. Tjagra wischte sich gerade einen blaugrünen Blutstropfen aus der Schnauze. «Was für ein Geschlecht hast du eigentlich?»

Er stockte einen Moment. «Biologisch männlich. Und ich weiß, dass du weiblich bist.»

«Ja. Woher wusstest du so Bescheid, wo du streicheln solltest und ... ?»

«Hinter dem Ohr hat mir Tlinja erzählt. Aber wenn du es genau wissen willst, bitte nimm es mir nicht übel, aber wir hatte an Bord mehrere Tiere, darunter drei Katzen. Eine Katze ist etwa so groß und sieht ähnlich aus wie Tlirr, nur läuft sie auf allen Vieren und hat einen festen Schwanz. Es war nicht beleidigend gemeint.» Er biss sich für diese Antwort auf die Zunge. Sie schwiegen wieder lange.

«Ich würde gerne in dem tsroirr-Sektor. Dort ist die Heimat der Menschen am nächsten.»

Tjagra nickte. «Ich werde mal sehen, was es gibt. Wir treffen uns in einer Stunde auf 670--3340.»

Und er versuchte auch einen zärtlichen Ohrbiss, um sich so zu bedanken.

Sie ließ sich nichts anmerken, raunte ihm danach aber zu: «Du solltest noch etwas üben.»

 
670--3340 war eine sehr kleine Aussichtskanzel. Sie war schon dort, als er ankam, mit Blick hinaus. Ein dunkler Planet füllte fast das ganze Sichtfenster aus, nur am Rand sah man ein paar Sterne. Er zog den Vorhang hinter sich zu.

«Es gibt kein freies Schiff in diesen Sektor, es ist auch nur eines angekündigt. Aber eines fährt nach Steppe, wo wir beide mitkönnten. Von dort aus könnte es bessere Chancen geben.»

Er dachte kurz nach, ob er irgendetwas Wichtiges vergessen hatte. Steppe (oder Lirr in Tlirr) war die Heimwelt der Tlirr. Schließlich bemerkte er vorsichtig: «Es scheint nicht ganz auf dem Weg zur Erde zu liegen.»

Sie sah ihn groß an. «Natürlich nicht. Es kommt aber auf fünfzehn Jahre doch nicht an!»

«So nah ist sie?» Zweihundert Jahre war er schon von der Erde fort. Räumlich. Dennoch befiel ihn einen ungewisse Unruhe. Tjagra schwieg, zeigte mit keiner Regung, dass sie eine Antwort darauf geben wollte.

Irgendeine Feinheit musste er übersehen haben. Er fluchte in sich hinein: So konnte Kommunikation nicht funktionieren, wenn der andere immerzu schweigt. Auf Tlanlirr wurde er immer sofort gefragt; gut es war eine Forschungseinrichtung. War es ein Zeichen großer Reife, so viel zu schweigen? Oder hing es vom Planeten ab. Was sollte er sagen: «Vielleicht hast du recht.»

«Was sind schon fünfzig Jahre, wenn man dafür zehntausend Jahre Wissen gewinnen kann!» Sie machte eine kurze Pause. «Zumal es für uns nur 56 Wochen sind.»

Hätten sie das Wort ,,Bitte" gekannt, so hätte sie es bestimmt benutzt. Krampfhaft suchte er noch einer Erwiderung, als ihm ein Zitat von Tlatson einfiel, das Tlija immer gesagt hatte, wenn er mal wieder einen Rückschlag bei der Rehabilitation gegeben hatte: «Der Kampf ehrenhaft verloren, doch klarer nun der Weg zum Sieg.»

Sie drehte sich leicht überrascht zu ihm.

«Ich kenne nur wenig von Tlatson. Hat es eine unangebrachte Doppelbedeutung.»

«Nein.» Mehr konnte Tjagra nicht sagen. Sie war zwischen Erhabenheit und Lachen gefangen. Bald hatte sie wieder diesen seltsamen Ausdruck, ein Gemütszustand, den man nicht leicht in menschliche Begriffe fassen konnte. Nur bei ihr hatte er es je so deutlich gesehen, vielleicht war es etwas Privates. Es war jedenfalls Sammeln und Entspannung. Schließlich löste sie sich aus ihrer Starre. «Jedem ist gegeben zu sehen. Es kostet nur die Kraft, die Augen nicht zu schließen. Auch Tlatson»

Jenseits des Sichtfensters stieg am rechten Rand die blassblaue Sonne über den Rand des unter ihnen liegenden Planeten und tauchte ihr Abteil in grelles Licht. Die grauen Konturen an seiner Oberfläche gewannen an Schärfe. Viel Zeit verstrich.

Er dachte nach, doch beim besten Willen fiel ihm kein weiterer so pathetischer Satz ein. «Du bist anders, als alle, die ich bisher kennengelernt habe. Fremder je besser ich dich zu kennen glaube, je mehr ich mit dir rede.»

«Genauigkeit verschleiert zuviel. Ich bin auf Tlatsirr aufgewachsen.» Er wartete einen Moment, doch mehr wollte sie nicht sagen. Tlatsirr war ein religiöser Planet, man hatte dort Riten und Bräuche, tlirruntypisch. Mehr wusste er nicht.

Sie legte ihre Pfote auf seine Schulter und drehte sanft seinen Kopf zu ihr hin. Hob sein Kinn, so dass sie sich in die Augen sahen. Er sah in ihre geweiteten tiefvioletten Augen. Schließlich musste er zwinkern und sah zu Boden.

«Sagt dir Tlorr etwas? Ich bin ausgebildet worden zu töten. Ich habe getötet, viermal.» Sie kniete nieder, eine ungewöhnlich Haltung für die Tlirr. Sie leckte seine Hand. «Ich habe es nicht ausgehalten und bin geflohen. Seitdem flieht mein Friede vor mir.»

Er wusste nicht, was zu tun war. Könnte sie weinen, so hätte sie es jetzt getan. Er setzte sich neben sie, nahm sie in seine Arme und fuhr sachte ihre Rückenmähne herunter. Nie hätte er gedacht, dass sie sich so gehen lassen würde. Selten hatte er so intensive Gefühle erlebt, kaum bei Menschen, aber bestimmt nicht bei Tlirr, keinen so einen radikalen Wandel in kurzer Zeit.

Langsam begriff er endlich. Sie waren anders, sie beide. Beide ausgestoßen und fremd. Allein warum sie so fühlte, warum sie nach Steppe wollte, war ihm unklar. Doch jetzt war nicht der Moment, rational zu werden.

Fast eine Stunde saßen sie so. Nur beleuchtet vom grellen, fast unwirklichen Licht der gleißenden Sonne. Sogar sein menschliches Bein tat ihm weh. Irgendwann standen mühsam sie auf und humpelten heraus. Doch hatte sich zwischen ihnen ein tiefes Verstehen eingestellt. Bis zur Nacht verloren sie kein Wort mehr, teilten schweigend das Essen und gingen gemeinsam zu Bett.

Seltsame Träume suchten ihn diese Nacht heim. Tlirrträume von Steppen und warmen Blut, von Kampf und Macht. Doch sie verblassten und sein unruhiger Schlaf wurde tiefer.

Sein Erwachen war jäh, Tjagra kitzelte ihn am Ohr. Sie war richtig aufgekratzt, ganz anders als gestern. Sie hatte sich um ihren Abflug gekümmert, vorher würden sie nur noch ein kurzes Frühstück nehmen.

Arm in Arm gingen sie durch die Korridore, zu untersten Ebene, dort wo die Schiffe ankamen und abflogen. Jeder hatte sein Gepäck umgehangen.

 

Das Schiff, welches Tjagra ausgesucht hatte, war ein riesiges Universalschiff, es waren über zweihundert Passagiere an Bord, zusätzlich zu der Ladung. Ein freier Platz war bei der Passagierbetreuung, der andere war Shuttlewartung. Er konnte schlecht dort als Alian Passagiere betreuen, als betreute er die Shuttles. Sie trennten sich vorübergehend, hatten nicht einmal eine gemeinsame Kabine. Ihre Schichten waren entgegengesetzt, so dass sie nur selten einander sahen. Wenige Male hatten sie für sich Zeit, so viel war zu tun. Nur ein einziges Mal, am Morgen nach dem Halbstreckenfest hatten sie einen Tag frei.

Sie setzten sich in das Gras einer der Wiesen auf den Promenadendecks.

«Sieht so die Heimat aus?»

«Ich denke schon. Wir werden es bald genau wissen. Erzähl mal etwas von deiner Erde. Sag doch mal etwas in deinen Worten.»

«Welche, ich kann drei äh, Arten zu reden, ohne Tlirr?»

«Du meinst Dialekte?»

«Nein, eigentlich nicht. Der Heimatplanet der Menschen hat eine Menge Wasser. Dieses hat viele Entwicklungsgebiete getrennt, deswegen gibt es viele Entwicklungen zu reden, wir nennen sie Sprachen. Einige haben sich bis heute gehalten, es sind aber nur wenige, die ständig benutzt werden, meistens ist es Basic. Hi, what's up? Das heißt soviel, wie Hallo, wie geht es dir? Auf Fran würde man sagen: Salut, et bien?»

Sie versuchte es zu imitieren. Es waren nur wenig Ähnlichkeiten zu hören. «Aber wieso drei verschiedene auf einem Planeten? Das scheint unsinnig.»

«In sechstausend Jahren werden wir vielleicht auch nur noch eine Sprache sprechen, allerdings wird es wohl kaum Tlirr sein.»

«Wieso?»

«Hörst du doch. Ich kann kaum die drei rr's auseinanderhalten, geschweige denn alle unterschiedlich aussprechen.»

«Du hast halt einen fremdartigen Dialekt, wie von einem Hinterwäldlerplaneten.»

«Und so verhalte ich mich auch.»

Sie fielen wieder lachend übereinander her.

 

Einmal schlug er im Computer Tlorr nach. Es war nicht nur der Name des Heldenmörders, es waren auch gefürchtete Tlirrkrieger, die einzigen, die so diszipliniert waren, dass sie im Kampf tödliche Waffen tragen durften. Wenn ein Tlorr tötete, dann musste er sich selber umbringen. Tlorrspezialgebiet war das lautlose Töten im Hintergrund. Er musste an den Ninja-Mythos denken. Das war Tjagra gewesen? Eine Abtrünnige, eine skrupellose Mörderin? Er konnte es nicht glauben, und er wollte es auch gar nicht.

Es gab viel zu tun und zu lernen, seine Bedenken verschwanden in Arbeit. Das Schiff war schnell und die Heimat nicht allzu weit. Als sie ankamen, waren die Shuttle in einem halbwegs guten Zustand. Die Shuttles hatten die Wartung bitter nötig und er hatte so mehr über die Tlirrtechnologie gelernt, als in der ganzen Zeit zuvor. Ein alter Tlirr war zusammen mit ihm an der Arbeit. Er wusste viel, aber er war hoffnungslos dem Nan verfallen, gerade eine halbe Stunde pro Tag war er nüchtern.

Er hatte sich weisungsgemäß von den Passagierdecks ferngehalten; es kostete ihn keine Mühe, denn er war müde genug. Nie mehr als zwei Stunden Schlaf am Stück und zuviel Arbeit: Er hatte gedacht, irgendwann würde er sich daran gewöhnen.

 

Die Heimat lag unter ihnen. Ein relativ großer Planet, grün-gelb, keine Meere. Die Landflächen hingen zusammen. Es gab drei kleine Monde. Um den Äquator gab es eine weite gelbe Steppenzone mit kleinen Waldabschnitten und einigen Binnenmeeren. Im Norden schloss sich dann eine Waldzone an und danach die kalten Pole.

Die Hauptstadt lag etwas nördlich vom Äquator, dorthin flog er täglich ein Shuttle. Leider war es meist Nacht oder später Abend, wenn er landete und schon vor Tagesanbruch mussten sie wieder starten, folgten dem Diktat des Schiffsorbits, der weit draußen lag. Auch flog er Passagiere, kurz ein Looping oder eine Rolle war einfach nicht erlaubt. Er überwachte nur die Automatik.

Nach vier Flügen war er endlich fertig. In diesem letzten Flug war auch Tjagra dabei und sie würden nicht zum Schiff zurückkehren. Da vorher ein gründlicher Check und die letzten Reparaturen gemacht werden mussten, waren sie einen Orbit später dran als sonst. Die Sonne erschien gerade über dem Planeten, strahlte ihr grelles Licht durch die Atmosphäre und ließ so an der Planetenseite eine gelbe Sichel entstehen.

Langsam tauchten sie ein. Der Vorgang war eigentlich Routine; andererseits war er ein immer wieder unerhörter Vorgang. Sie tauchten in eine fremde Welt ein, fremde Gerüchte, fremde Schemen, fremde Gebräuche -- so sah er es jedenfalls, es war immer wieder faszinierend, jedesmal. Dies war die Heimwelt der Tlirr. Sollte er etwas empfinden? An der Erde hatte er immer nur die gute Infrastruktur geschätzt, es war ihm gleich gewesen, ob dort die Wiege der Menschheit stand.

Tjagra dagegen zitterte vor Aufregung. Immer wieder erstaunte sie ihn aufs Neue. Eine große Verheißung musste von diesem Planeten für sie ausgehen, es musste in der Geschichte liegen. Nur war es nichts Offensichtliches. Vielleicht war es wie die Wallfahrt der Moslems nach Mekka? Das könnte es sein, er hatte diesen seltsamen Ausdruck bei manchen Tlirr gesehen, den er herunter geflogen hatte.

Es musste mit der Tlirrreligion zusammenhängen. Soweit er wusste, gab es zwei Teile: Das eine war ein Moralkodex, sehr rational. Die andere Seite waren die Helden, vielleicht ähnlich den alten Sagen in Europa vor der Christianisierung: Es gab die legendären Helden, weder gut noch böse. Erst nach der Entdeckung des Kodexes teilten sie sich, es kam zu Kämpfen. Schließlich siegte das Gute und verbannte das Böse in den Himmel, besser eine Art Walhalla. Denn auch sie hatten tapfer gekämpft. Wenn man so wollte, war es der christlichen Vergebung aller Sünden durch Jesus nicht unähnlich, im Ergebnis jedenfalls.

Allerdings hatte dieses System einen Haken: Es waren alte Geschichten, sie konnten nicht praktiziert werden. Der Kodex war Gesetz, mehr noch, er war das Höchste, das was die Tlirr zusammenhielt. Er hatte viel Zeit gebraucht, dies zu verstehen. Die Tlirr hatten, obwohl seit mehr als 10000 menschlichen Jahren zivilisiert waren, immer noch Angst, in den primitiven Zustand als Tiere zurückzufallen.

Es war ihm unverständlich. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass die ältesten Werkzeuge einer Tlirrkultur nur 1000 Jahre weiter zurückreichen. Die Tli"rrasse selber war viele Millionen Jahre alt. Raketenhaft waren sie also aus der Unwissenheit aufgestiegen -- eindrucksvoll und unerklärlich.

Auf den Planeten gab es Reservate, wohin man verwirrte und gewalttätige Tlirr abschob. Nicht um sie zu heilen, nein, dort durften sie genau wie Tiere leben -- oder wie Tlirr, nur hinaus durften sie nie mehr. Es war sehr schwierig, mehr darüber zu erfahren, da dies ein offenes Geheimnis war und niemand darüber sprach.

Vielleicht war dies der Grund, warum Tjagra so anders war: Sie durfte gewalttätig sein, zivilisiert und gewalttätig, war in gewisser Weise eine Heldenfigur. Auch wenn sie einer religiösen Splittergruppe angehörte, die Zurückgezogenheit und unauffällige Machtausübung zum besten Aller als ihre Ideale ansah. So konnten sie Religion praktizieren. Nur verstand er immer noch nicht, wieso Tjagra auf der Flucht sein sollte, ausgestoßen war: entweder hätte sie sich selber umgebracht oder wäre in einem Reservat gelandet oder sie hatte nicht wirklich getötet.

Sie waren aus dem Blackout heraus. Die Bodenkontrolle meldete sich wieder. Er antwortete routiniert. Sie hatten einen Ausweichvektor bekommen, ohne Gründe. Schnell programmierte er die neuen Zahlen ein. Sie würden den Zielpunkt ohne Probleme erreichen. «Werte Passagiere, wir müssen einen Ausweichlandepunkt anfliegen. Dort wartet dann ein Transport auf uns. Wenn ich mehr weiß, melde ich mich wieder.» Er schmunzelte bei dem Gedanken, auf welchen Hinterwäldler die Passagiere ihren Piloten wohl schätzen würden.

Langsam begannen die Farben dort unten auf dem Planeten Konturen zu gewinnen: Das Blau des Binnenmeeres am Terminator kräuselte sich leicht, der braune Fleck im Norden wurde eine Stadt. Das Gras der Steppe floss in Wellen über die Ebene. Vereinzelt sah er Herden dort ziehen. Keine Häuser und auch sonst nur wenige Spuren der Zivilisation. Eine Satellitenempfangsanlage stand sehr weit westlich und direkt unter ihnen waren eine Menge Windgeneratoren. Sonst war nichts zu sehen.

Die Triebwerke liefen auf Knopfdruck hoch. Noch fünf Minuten. Mit dem Computer ging er die Checkliste durch. Nichts Wichtiges, der Druck in der Bremsklappe Steuerbord stieg zu langsam und das Reservesystem der Kabinenlüftung hatte aufgrund voller Filter seinen Dienst quittiert. Damit musste er sich am Boden noch auseinandersetzen, dann würde er frei sein.

Sie waren immer noch mit anderthalbfacher Schallgeschwindigkeit unterwegs. Gerne wäre er einen Looping geflogen oder eine Rolle, es juckte ihn in den Fingern. Verdammte Computer! Mit seiner alten Crew hätte er es gemacht, auch mit einem Gleitflugshuttle, aber sie waren nicht mehr. Der Gedanke verdarb seine Stimmung sofort wieder, und er wurde ernst.

In dieser Stimmung legte er die beste Landung seit langer Zeit hin: Nicht der kleinste Ruck ging durch die Maschine. Sie kamen vor dem kleinen Terminal zu stehen. Noch während die Passagiere von Bord gingen, war das Shuttle auf Standby geschaltet und die Filter für das Reservesystem hervorgeholt. Nach einer guten Tlirrstunde war alles fertig, und er kroch aus dem engen Tunnel in der Gepäckabteilung heraus.

Er erschreckte sich, als er mit Tjagra zusammentraf, sie stand hinter ihm. «Endlich fertig?»

«Ich dachte du wartest draußen.» Er biss sachte in ihr Ohr.

Jemand knurrte leise im Eingang. «Ich will ja nicht stören, aber kann ich das Shuttle übernehmen?»

Er wurde rot. Damit konnte ein Tlirr wenig anfangen, unklar über das, was er sah, zog sich die neue Tlirrpilotin zurück. Lachend ging er auf sie zu. «Ich bin Fangor, ein Alian, Mensch. Wir können gleich den Check machen. Ein komisches Ding gibt es, aber das stört nicht.» Forsch ging er in das Cockpit.

Die neue Pilotin kam zögernd nach. «Ich bin Tjankra.»

Sachlich und ziemlich genau machten sie die Übergabe. Irgendetwas schien Tjankra zu beunruhigen. Tjagra ging nach einiger Zeit vor und holte schon mal ihr Gepäck. Nach und nach gingen sie die unwichtigen Dinge durch. Dann waren sie fertig, alles was er Tjankra hier zeigen konnte, hatten sie gesehen. Da nahm sie ihn beiseite: «Ist sie eine Tlorr?»

«Sie hatte es mir mal erzählt. Wieso?»

Sie sah ihn an, wieder mit einem undeutbaren Ausdruck. «Du weißt nichts über Tlorr?»

«Nur was im Lexikon steht.»

«Tlorr sind die einzigen Tlirr, die Waffen tragen. Die ganze Sicherheit besteht aus ihnen. Es ist eine eigenartige Mischung, sagt man: Einerseits nahe an der Vollendung und andererseits ... Was ich sagen wollte, Tlorr sind hier nicht willkommen. Auf dem ganzen Planeten gibt es keine Sicherheit, keine Waffen, nur echte Tlirr. Sie ist eine Beleidigung.»

Er verteidigte Tjagra. «Tjagra hat sich losgesagt. Sie trägt keine Waffe. Es war ihr ausdrücklicher Wunsch, hierher zu kommen. Hat der Planet dann eine besondere Bedeutung?»

Tjankra sah ihm tief in die Augen. «Wenn sie sich wirklich losgesagt hat, ja. Kurz gesagt gibt es auch eine Erzählung eines Tlorr, der sich lossagen wollte, nur seine Vergangenheit holte ihn immer wieder ein. Man fand ihn, wo er auch war. Wenn man einem Tlorr einen Auftrag gibt, so ist er verpflichtet, ihn auszuführen, sagt man jedenfalls. Er floh nach Jista, ganz im Norden. Niemand lebte dort. Seine Waffe hatte er vergraben und er lebte nur von der Jagd. Dennoch hatte er Angst, gefunden zu werden. Da bekam er die Erleuchtung und beschloss, nichts mehr zu sehen.»

Tjankra machte eine Pause. Scheinbar war dies alles. «Du meinst, sie will nach Norden?»

«Ja, wenn sie sich wirklich losgesagt hat. Ich will keinen Zwietracht stiften. Aber sei dir sicher! Sie war der Grund, weshalb ihr hier gelandet seid. Das Gerücht, eine Tlorr wäre an Bord, eilte euch voraus. Gute Jagd, dennoch.»

«Gute Jagd», antwortete er reflexartig. Verwirrt und nachdenklich verließ er das Shuttle. Er beschloss Tjagra endlich zur Rede zu stellen. Sie war anders als die meisten Tlirr, wenn er das merkte, dann konnte es jeder feststellen.

Einsam stand das Shuttle auf der Landepiste im Dämmerlicht eines einzigen Scheinwerfers. Eine Fahne superkalten Wasserstoffdampfes wehte aus einer Öffnung am Seitenruder. Irgendwie fühlte er sich noch immer mit ihm verbunden, hatte er doch fast ein halbes Jahr in Lüftungsschächten, Kabelbäumen und Triebwerkssektoren des Shuttles verbracht. Hellgelb und fast ohne Brandspuren stand es da. Er hörte die Apus auslaufen.

Wieder lag ein Abschnitt hinter ihm -- waren früher diese im Abstand von Jahren aufeinandergefolgt, kamen sie jetzt geradezu rasch. Jedesmal hatte er ein ungutes Gefühl, hier auf diesem fremden Planeten war es besonders stark. Er fand, er gehörte nicht hier her. Dieser Planet gehörte den Tlirr, ihnen allein. Es war ein Planet, der förmlich nach Tlirr roch.

Langsam schritt er über die Landebahn, während der Wind in seinem Fell spielte: Echter Wind, ein Luxus für einen Raumfahrer. Er war unzweifelhaft schön, der Planet, gerade in seiner Fremdheit. Über der braunen Steppe jenseits der Piste wölbte sich ein gelborangener Himmel. Vor ihm lag das Abfertigungsgebäude, klein und ebenfalls in dem Steppenbraun gehalten. Einschienenbahngleise begannen dort.

Drinnen war es etwas kühler. Niemand außer Tjagra stand in der Halle. Die Oberlichter ließen etwas Licht herein, sonst fand er es dunkel. Keine Anzeige regte sich, wäre es nicht so sauber hier gewesen, die Halle hätte stillgelegt sein können.

«Du hast lange gebraucht, der Rest ist schon weg. Wir werden hier übernachten müssen, morgen früh kommt die nächste Bahn.»

«Wo sollen wir schlafen?»

«Hast du noch nie im Freien geschlafen?»

«Nein, aber wenn du ... »

«Es ist schön. Komm.»

Sie verließen die Halle durch die Vordertür, stiegen vom Bahnsteig hinunter und folgten einem Trampelpfad. «Tjagra, äh, wie weit willst du? Ich bin nicht sehr gut zu Fuß.»

«Dann lauf doch auf allen Vieren, hier sieht es eh keiner. So.» Sie schmiss sich vornüber und lud ihre Tasche auf den Rücken und lief ein Stück. Als er nicht nachkam, lief sie zurück. «Was ist?»

«Ich bin nicht für so etwas gebaut. Außerdem habe ich einiges von der Verletzung übrig behalten, ich war ja immerhin fast tot.»

Sie stand wieder auf. «Nun, dann werden wir halt nicht so weit gehen.»

«Außerdem, bist du nicht hungrig? Es ist einen Tag her.»

«Wir sind noch zu nahe an der Piste, um zu jagen.» Sie sah seinen entsetzen Ausdruck. «Du hast noch nie gejagt?» Sie seufzte. «Nicht gerade das, was sich ein richtiger Tlirr nennen würde.»

«Und was bist du? Du warst Tlorr, sagst du, und du bist anders als alle Tlirr, die ich kannte.»

«So etwas erfordert eine längere Antwort. Gehen wir dort herüber.» Sie ging hundert Meter quer zum Trampelpfad in das mannshohe Gras. Gott, er würde sich hier sofort verirren. Dann legte sie zwei Decken aus und sie machten es sich darauf bequem. Sie drückte ihm eine Süßigkeit in die Hand. «Erst mal ein Riegel für dich. Ich bin dir wirklich eine Erklärung schuldig: Schon die Tatsache, dass du solange zu mir gehalten hast, ist mehr Vertrauen, als ich rechtfertigen könnte.

Ich war Tlorr. Die Explosion des Schiffes war mein Werk. Ich hätte sterben sollen. Ich überlebte leider mit dem Bewusstsein, vier Tlirr ermordet zu haben. Ich hatte versagt, die Ladung die vernichtet werden musste, konnte teilweise geborgen werden. Ich hätte Selbstmord begehen müssen. Es war mein erster Auftrag, wo der Tod mit einkalkuliert war. Seitdem fliehe ich, gezeichnet, wie ich bin.» Sie reckte sich.

Er verstand ihre Geste nicht. «Wie meinst du: gezeichnet?»

«Sieh genau hin! Die Tätowierung am Hals.»

Er sah genau hin, doch sah nichts. Vielleicht war sie in Infrarot gemacht, für ihn unsichtbar. «Ich she nichts. Egal, wie konntest du auf dem Schiff arbeiten?»

«Mit Farbe verdeckt. Hier ist es nicht mehr nötig, wir werden kaum jemanden begegnen.»

«Ich verstehe nicht. Extra wegen dem Gerücht, du wärst eine Tlorr, wurde das Shuttle umgeleitet.»

«Natürlich, ich habe darum gebeten. Weißt du, wir müssen nach Tsitsali, dort ist eine Siedlung von Abtrünnigen. Dort kann man diese Tätowierung vollständig entfernen.»

«Ich dachte, du willst nach Norden»

«Tsitali liegt ganz im Norden. Die Geschichte trieb die Abtrünnigen dort hin. Morgen kommt der tägliche Zug. Solange will ich den Planeten hier genießen. Fühlst du es nicht?»

«Mit jeder Faser spüre ich, ich bin falsch hier, dies ist die Welt der Tlirr. Nicht meine Welt. Wenn ich an die Tiere beim Anflug denke, bekomme ich Angst. Hier würde ich mich schnell verirren. Und der Gedanke an Jagd ekelt mich.»

Tjagra sah fast bestürzt aus. «Du bist fremder als ich, die Instinkte, spürst du nicht, wie sie erwachen?»

Er lächelte. «Wir sind auf der tierischen Ebene völlig verschieden. Ich suche höchstens Deckung. Der Urmensch hat nur mit Tricks seine Opfer bekommen. Du fährt dafür von Zeit zu Zeit die Krallen aus.» Sie sah bestürzt aus, als bemerkte sie es erst jetzt. Unbeirrt fuhr er fort: «Das ist egal, ich fühle mich bei dir sicher. Du wirst noch mehr Fremdheit erleben, wenn du mit mir kommst, um die Erde zu sehen.»

«Erzähle mir von deiner Erde!»

«Ich kenne nur wenig, sie ist sehr verschieden. Sie hat viel Wasser und der Himmel ist blau. Es gibt auch Steppen, aber der heutige Mensch stammt aus Waldgebieten. Es gibt viele Siedlungen, wo Menschen leben und das Essen stammt von speziell gezüchteten Pflanzen. So was ähnliches, wie der Grundstoff für die Teigfladen, nur viel differenzierter. Mehr weiß ich nicht, ich bin auf Virtak aufgewachsen.»

«Erzähl mir alles von dir.»

«Ich bin vor etwa 320 Jahren auf Virtak geboren worden, dem 2.1.2407. Real bin ich 100 Jahre alt, davon 54 im Tiefschlaf, effektiv also 26. Ausgebildet wurde ich von Jestnik Klinmann auf dem Schiff Titus auf dem Flug zur Erde. Dort habe ich eine Shuttleausbildung gemacht und wurde als bester dem Tiefraumteam zugeteilt.»

«Das ist deine Personalakte. Und du?»

«Ich? Ich bin zwei Jahre alt. Unempfindlich gegen Nan, allergisch gegen Trirrts. Ausbildung zum Shuttlepiloten und Navigation ein zweites Mal erfolgreich beendet. Bürger geworden, fremd, aber nicht mehr allein. Den Rest musst du schon selber herausfinden.»

 

Die Arzt musterte Tjagra lange. Dann zuckte er zur Zustimmung mit den Ohren und ging hinaus. Er folgte dem Arzt «Und?»

«Lieber würde ich dich genauer untersuchen. Es wird keine Probleme geben. In einer Woche wird es ihr wieder gut gehen.»

Er hatte die Probleme nie ganz verstanden. Wenn sie ihm neue Haut hatten wachsen lassen konnten, warum war es bei Tjagra nicht möglich? In medizinischen Slang hatten sie es ihm erklärt, das Alter sei wichtig. Auch würde wohl die tätowierte Stelle die Neubildung beeinflussen, wenn er es richtig verstanden hatte. Sie würden statt dessen Haut transplantieren. Für die menschliche Chirurgie simpel, doch die Tlirr sägten lieber ein Bein ab und ließen ein neues wachsen.

«Hast du schon einen neuen Namen für Tjagra?»

«Das ist doch illegal.» Er war geschockt. Wie sollte das gehen? Konnten die Tlirr doch lügen?

«Das ist auch unser Tun. Du kannst es ablehnen. Dann kann sie auch ihre Erinnerungen behalten.»

«Ihr wolltet ihr Gehirn waschen?»

«Sie hat ihre Zustimmung gegeben. Aber nur, wenn du einverstanden bist.»

«Nie.» Er rang nach weiteren Worten.

«Das dachte sie auch. Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Ein Kraligra für euch. Damit wäret ihr offiziell eine neue Person. Dies ist die zweite Alternative.»

Kraligra war so etwas ähnliches, wie ein Ehering, wenn er sich richtig erinnerte. Leider war er in mancher Beziehung immer noch unbedarft wie ein Kleinkind, aber ein Kraligra hieß auch Treue. Wenn sie es so wollten, besser als eine Gehirnwäsche. Allein dieser Gedanke ließ ihn frösteln. Wie konnte nur eine Gesellschaft ohne Lügen auf Gehirnwäsche kommen? Er schüttelte sich.

«Willst du nicht richtig Tlirr werden, richtig mit Tjagra schlafen?»

«Was? Ja, nein, ich meine, ich will zur Erde, obwohl» Verwirrt, ging er auf den Vorschlag ein, sich einen Tag Bedenkzeit zu nehmen. Er beschloss dann, auf das Angebot einzugehen: Ganz Tlirr von der Hüfte an abwärts. Man hatte ihm gesagt, es wäre aufwendig.

Tjagra war längst völlig erholt, ihre Operation war erfolgreich und stand an seinem Bett, als er das erste Mal aufwachte. Er war noch völlig betäubt und spürte nichts. Selbst seine Ohre waren fast taub. Er konnte nur liegen und zuhören, bis er wieder hinwegdämmerte.

Sie kam jeden Tag. Manchmal hatte er Träume von Wildwitterung und warmen Blut, doch bei diesen Gelegenheiten wachte er schweißgebadet auf. Je besser es ihm ging, desto mehr kamen die Träume. Er gewöhnte sich langsam daran. Nach sechs Tagen stand er erstmals auf. Noch etwas wackelig stolzierte er mit Tjagras Hilfe vor einen Spiegel. Sein Penis (der seit dem Unfall taub war) war verschwunden und sein menschliches Bein war jetzt genauso wie das andere, ein ziemlich kräftiger Tlirrhinterlauf. Selbst ein Schwanz wuchs ihm. Doch die ganze Region war noch immer taub.

Am achten Tag wachte er morgen mit einem Kribbeln am ganzen Leib auf. Es war wie ein unangenehmes Ziehen. Außerdem musste er aufs Klo. Vorsichtig stand er auf und hockte sich in den Klokreis. Man hatte ihm vorher noch einmal Aufklärungsunterricht gegeben. Vordere Öffnung war ausschließlich für Sex, hintere für den Rest. Es war sehr ungewohnt.

Danach zog er sich an. Man hatte neue Hosen für ihn gemacht, die neuen Beine waren kräftiger und auch etwas länger. Immer noch überraschte ihn die Anpassungsfähigkeit des Gehirns, er konnte schon jeden Zeh und jede Kralle einzeln bewegen -- das würde eine große Hilfe bei der Shuttlesteuerung werden. Selbst der kurze Schwanz gehorchte seinem Willen, obwohl die Menschheit schon vor zwei Millionen Jahren diesen verloren hatte.

An verschiedenen Stellen kniff er sich in die Waden und zog an dem noch schütteren Beinfell. Während er den Frühstücksbrei aß, trat der Arzt ein.

«Körperlich bist du geheilt. In zwei Wochen wird das Fell dicht sein und in zwei weiteren Wochen wirst du mit Tjagra richtig intim werden können. Kinder wirst du aber nicht zeugen können, dazu ist das Hormonsystem zu unterschiedlich. Tjagra wird dich in zwei Stunden abholen, dusche vorher noch einmal.» Ein Arzt eben. Doch dann fügte er noch hinzu: «Freundschaft wünsche ich euch.»

Tjagra war so gut gelaunt, dass man es sogar von weiten sehen konnte. Mit der Tätowierung war ihr eine ungeheure Last genommen worden. Bei der Gelegenheit war auch das Ohr korrigiert worden, das er jetzt zärtlich leckte. Sie nahm ihn in ihre Arme und knabberte an seinem Ohr. «Ich erinnerte mich an dich beim Aufwachen. Du willst mit mir leben?»

Ihre Krallen der rechten Pfote fuhren kitzelnd seinen Rücken hinunter. Er erwiderte die Geste unsicher, ebenfalls mit den Krallen seiner linken Tlirrhand.

«Komm mit, hier ist dein Gepäck!»

Sie schritt schnell aus. Aus einem Schrank nahm sie ihre Sachen. Er hätte gerne erfahren, was nun passieren würde. Sie nahmen die Einschienenbahn, fuhren fast einen halben Tag heraus und hielten dann im Nichts.

Sie gingen hinaus in die Steppe. Jetzt merkte er, wieviel Kraft in diesen neuen Beinen steckte. Es war zwar etwas unangenehm, aber der Arzt hatte hartes Training ausdrücklich befürwortet.

 

Sie waren zwei Tage unterwegs. Ihr Ziel war ein kleines Rundzelt. Es war aus Leder gebaut. Dort hingen aber keine Kadaver und Felle; statt dessen war eine Art Gemüsegarten zu sehen. Auf halber Höhe hing ein blaues Band mit silbernen Buchstaben. Sie waren merkwürdig geschnörkelt, teilweise unleserlich. In Filmen über Ureinwohner in Erdreservaten hatte er so etwas gesehen. Waren sie in einem Tlirrreservat?

Drinnen spendeten zwei Öllampen schwaches, gelbliches Licht. Überall hingen Felle, kein Leder, sehr ungewöhnlich für die Tlirr. Ein einziger Tlirr war im Zelt. Er sah auf und musterte sie lange. Dieser Tlirr musste sehr alt sein, denn sein Fell war schneeweiß und dünn, sein Gebiss abgenutzt. Und auch seine Gestalt zeugte von einem langen Leben. Er hatte noch nie einen so dürren alten Tlirr gesehen.

Tjagra redete leise mit dem Alten. Schon bald senkte er den Kopf. Jede der wenigen angedeuteten Bewegungen des Alten strahlte eine ungeheure Würde aus. Eine kurze Geste deutete an, sich hinzuhocken.

Der Alte rückte neben ihn, nahm seine Hand in seine Pfoten und schloss die Augen. Er roch den Alten, es war der Geruch von Verwesung und Rauch. Lange verharrte er reglos. Dann öffnete er sie wieder. «Ich werde tun, was ich kann. Sage mir ständig, was du fühlst.»

«Verwirrung»

Länger geschah nichts.

«Ein Kribbeln -- au, Schmerz -- Nichts -- Ein Kitzeln -- schön, äh, Wärme -- äh, sanfte Berührung, was ist das?»

«Warte noch etwas. Sage mir jetzt wirklich alles, was du spürst.»

«Wind und Blumenduft -- Gestank -- Reaktor III ... »

Lange Zeit tauchte ihn der Alte auf irgendeine seltsame Weise in dieses Wechselbad von aufgestöberten Erinnerungen, Gefühlen und Sinneswahrnehmungen. Dann lehnte er sich mit gebleckten Zähnen zurück, er lachte fast: «Es war ein hartes Stück Arbeit, aber das wird mein Meisterstück. Es wird ein besonderer Kraligra.»

Jetzt wurde ihm einiges klar. Tjagra hatte es eilig mit dem Kraligra. Es schien seltsam, ausgerechnet hier, weitab von der Zivilisation einen Kraligra zu holen. Auch verstand er die ganze Prozedur nicht. Er wusste, ein Kraligra wurde im Ohr getragen und kein Kraligra glich einem anderen.

Noch etwas benommen trat er aus dem Zelt. Draußen stand Tjagra. Die lila Sonne stand schon recht tief. Kaum hatte sie ihn bemerkt, ging sie in das Zelt. Doch während es ihm vorgekommen war, als hätte es Stunden gedauert (es hatte in der Tat über drei Stunden gedauert) war Tjagra schnell wieder draußen.

«Er will deine Hand studieren.»

Er trat ein und legte die flache rechte Hand mit den Gelenken nach oben vor den Alten. «Sie war früher ohne Fell.»

Der Alte studierte seine Hand genau. Er strich das Fell zur Seite und sah die Falten. Über eine halbe Stunde brachte er damit zu. Tjagra saß stumm daneben.

Unvermittelt sah der Alte auf. «Morgen mittag»

Jeder nickte tief dem anderen zu. Dann verließen sie das Zelt.

«Tjagra, wozu diente diese Untersuchung?»

«Zwei Dinge. Zum ersten sieht der Kraligr, ob wir uns länger vertragen würden. Und zum zweiten kannst du mit diesen Kraligra, die er anfertigen wird, deinen anderen Partner dich spüren lassen oder ihn spüren, wenn du willst.»

«Das klingt nach Telepathie.»

«Nein, soweit geht das nicht. Und die Kraligra funktionieren nur über kurze Distanzen, wenn sie funktionieren. Weißt du, viel daran ist uralter Aberglaube, ein Ritual, so alt wie unsere Erinnerungen. Er sollte die Krgra zusammenhalten. Sieh, ist es nicht wunderschön!» Ihre Arme strichen durch das Gras, als liebkose sie die Landschaft. Dann rannte sie zu einer nahen Anhöhe und warf sich hin. Langsam flogte er ihr.

Der kleine Hügel war nur mit fingerhohem Bewuchs bedeckt, so dass man einen guten Rundumblick hatte. Die Sonne war gerade untergegangen. Einige hellere Sterne wurden sichtbar. Nur wenige, im All sah man viel mehr. Sterne -- wie langweilig! Aber aus der Steppe stieg eine Art Rauch wie von gefrorener Luft hervor. Zwei Monde standen am Himmel und tauchten die Szenerie in ein gespenstisches bläuliches Licht.

Dann lief Tjagra weiter. Der Dunst verdichtete sich, als sie eine Senke durchquerten. Blind folgte er ihr. Plötzlich stürmte sie los. So schnell konnte er nicht folgen. Also blieb er stehen. Tjagra kam bald wieder zurück. Sie hatte drei noch warme hamsterähnliche Tiere in ihren Pfoten. «Komm, unser Abendbrot wartet!»

Sie gingen zur Anhöhe mit dem kleinen Gehölz zurück. Tjagra setzte sich hin. Der Boden war recht glatt und nicht zu feucht. Sie bot ihm einen Hamster an. Wacker aß er ihn, hungrig genug war er. Trotzdem kaute er lange herum, rohes Fleisch widersprach der menschlichen Natur. Das war auch etwas, was er wieder nicht verstand: Die Tlirr hatten Angst, wieder Tiere zu werden. Dann aber jagten sie mit bloßen Händen und aßen die Beute roh!

Wenn er aufsah, dann bot sich ein atemberaubender Anblick, genug um ihn das tote Tier in seinen Händen fast vergessen zu machen. Der Nebel war fast so hoch wie das Steppengras. Nur hier und da ragten Inseln aus dem Nebelmeer hervor. Am oder hinterm Horizont lagen einige Berge, sehr rund aber ohne Bewuchs. Monolith war wohl das richtig Wort. Unentschlossen ging der Nebel hierhin und dorthin. Von ihrer kleinen Anhöhe mit den seltsamen Nadelbäumen im Rücken floss Nebel in die Niederung. Langsam wurde ihm kalt und er kuschelte sich an Tjagra.

 

Tjagra weckte ihn. Alles tat ihm weh, er war müde, feucht und fror trotz Decke. Der Himmel war noch dunkel. Tjagra wollte noch etwas jagen. Ihm war es immer noch schleierhaft, wie die Tlirr mit zwei Stunden Schlaf auskamen. Müde reckte er sich und gähnte herzhaft. Dann legte er sich noch einmal kurz hin.

Tjagra rüttelte ihn wach. «Wo sind denn deine Instinkte? Du hast nicht einmal ein Auge geöffnet, dabei musst du mich doch gehört haben!»

Er blinzelte mühsam. Am Horizont zeichnete sich die Dämmerung ab. «Was, wie» Tjagra stand neben ihm. «Keine Instinkte, ich hab' doch geschlafen, nicht gewacht.»

Die Antwort verwirrte nun wieder Tjagra. Nun kannten sie sich fast ein halbes Jahr und nicht einmal etwas so einfaches wie Schlaf war für sie dasselbe.

Mit wenig Enthusiasmus aß er das Eichhörnchen, das Tjagra zum Frühstück gefangen hatte. Er war noch blutwarm. Er sah nicht so genau hin; viel schöner war der Sonnenaufgang. Man sah die Schattenlinie förmlich über die Steppe fliegen. Dann war es hell und endlich wurde es wärmer. Den Rest der Eichhörnchens gab er an Tjagra.

Bei zweiten Aufstehen ging es einigermaßen. Dennoch spürte er überall Druckstellen und ein Ziehen in den Gelenken. Kein Bad und keine Dusche weit und breit: Er konnte Tjagras Begeisterung nur schlecht nachvollziehen. Sein Fell war verfilzt und roch penetrant nach Orange. Von dem gestrigen Marsch hatte er Muskelkater, ganz abgesehen von den Druckstellen. Sein Kopf schmerzte.

Tjagra war dagegen so aufgekratzt, wie er sie noch nie erlebt hatte. Kaum waren die Knochen verbuddelt, da ging es auch schon wieder los. Zu allem Überfluss trat er auch noch auf einen Splitter. Er humpelte hinterher.

Erst als sie das Zelt erreichten, fiel es ihm ein: Heute würden sie die Kraligra erhalten. Er versuchte, sich etwas zu ordnen und ein besseres Gesicht zu machen, bevor sie zusammen eintraten.

Es gab erstaunlicherweise wenig Getragenes oder Feierliches. Sie legten sich beide zu Füßen des Alten. Und der knipste die Kraligra in ihre Ohren und wünschte ihnen Freundschaft, Glück und langes Leben. Der Schmerz war schnell vergangen.

Sie standen auf. Tjagra fauchten ihn an, und er versuchte, es zu erwidern. Dann traten sie wieder in das Licht vor dem Zelt.

«Lass mich den Kraligra genauer ansehen.»

Der Alte war wahrlich ein Künstler. Es war ihm unklar, wie der Kraligr ohne Feuer diese Kunstwerke in nur einer Nacht hatte machen können. Die Kraligra stellten seine Hand dar, wie sie früher einmal ausgesehen hatte. Aus rötlichem Metall, so groß wie sein Damennagel und unsichtbar, aber sicher befestigt, lag der Kraligra in ihrem Ohr.

Tjagra sah sich seinen an. «Spürst du mich?»

«Nein, es wird schon werden.» Und in Gedanken biss er in ihr Ohr.

Sie sah ihn an, er spürte fast ihre Angst, zu weit gegangen zu sein. «Ich habe nie gehört, dass es so stark ist.»

«Er war auch noch nie ein Mensch mit einem Tlirr verbunden. Genieße es doch, wir haben es aus Liebe getan.» Sie lächelte. Er spürte, wie sie sich entspannte. «Wir können ja zum Alten gehen und um Abhilfe bitten.»

Sie verneinte. «Er wusste, was er tat. Nein, er hat es so gedacht, also bleibt es so oder gar nicht.» Und sie erwiderte seinen Ohrbiss. Es war unglaublich, er musste an das Ohr fassen, um zu merken, dass es nur der Kraligra war.

«Jetzt sind wir eine Krgra, die Krgra Erde. Da wollen wir jetzt hin. Bringst du mir deine Sprache bei?»

«Klar, jederzeit. Sie ist aber schwieriger als Tlirr, ich denke, ich werde dir eher Basic beibringen. Zeit genug wird da sein, es sind fast 300 Lichtjahre von hier.»

«Ich zeige dir die Steppe und du mir die Erde? Und du musst jagen lernen, bitte, mir zuliebe.»

Er seufzte. Dann zogen sie los. Uralte Instinkte wiesen Tjagra die Richtung. An Sonnenstand und Magnetfeld orientierte sie sich, hatte sie gesagt. Doch er hatte keine Erfahrung mit Sonnen auf Planetenoberflächen und für Magnetfelder war er taub.

Er gewöhnte sich an das Nomadenleben und nach zwei Wochen hätte er vielleicht ohne Hilfe überleben können. Es war eine eigenartige Erfahrung, Wetter unmittelbar zu erleben. Seine Haut im Gesicht, da wo er kein Fell hatte, wurde rot, ein Strahlungsbrand von der hellen Sonne, also machte er sich ein Kopftuch.

Es war eine merkwürdige Art von Urlaub. Irgendwann aß er die Beute ohne zu würgen, wenn er sich viel Mühe gab, dann konnte er sie sogar riechen. Dennoch bevorzugte er normales Essen, gekocht, gebraten oder sonstwie. Tjagra lernte fleißig Basic, während sie Richtung Süden unterwegs waren.

Soviel Sport hatte er seit der Akademieausbildung nicht mehr gemacht. Er erlebte seinen ganzen Körper neu, den ganzen Dreck hatte er aus sich herausgepumpt. Zwar spürte er jeden Knochen im Leib, wenn sie endlich abends rasteten; doch es war eine besondere Art von Freiheit, so durch die Steppe zu ziehen -- fast als wäre man mit seinem eigenen Raumschiff unterwegs.

Als sie die Hügelkette vor der Hauptstadt erreichten, machte er ein Feuer. Endlich konnten sie das Essen braten. Er aß so freudig wie schon lange nicht mehr die verbrannten Stücke. «Ich verstehe zwei Dinge an den Tlirr einfach nicht: Warum haben die Tlirr soviel Angst, wieder zu Tieren zu werden? Und warum lebt ihr hier dann manchmal, so wie wir jetzt?»

«Die Tlirr leben hier schon seit rund 4 Millionen Jahren. Sie waren jedoch nur Raubtiere damals. Vor gut 22000 Jahren schlug ein Komet ein. Dabei wurden große Teile der nördlichen Steppe verbrannt, gleichzeitig wurde auf der Gegenseite vulkanische Aktivität erzeugt. Die Sonne wurde schwarz, es kamen 64 Jahre ohne Sonne. Fast die Hälfte alles Lebens starb damals. Nur 2000 Tlirr überlebten. Es waren Tlirr, die das Glück hatten, hier zu leben, in diesen Bergen. Sie haben sich in Höhlen zurückgezogen, das Feuer nutzbar gemacht, das war der Wendepunkt. Sie entdeckten sogar die Erzschmelze in dieser kurzen Zeit. Als sie wieder aus den Bergen hinaus konnten, waren sie anders geworden. Sie gründeten die Stadt, die Hauptstadt.»

«Aber warum jagt ihr dann noch? Ist es vielleicht eure Natur?»

«Es ist einfach herrlich, du bist praktisch jemand anderer. Du fühlst dich so kräftig, jede Bewegung geschieht fast bevor du sie befiehlst. Du kannst mich nicht verstehen.» Sie sah enttäuscht aus.

«Ihr seid immer noch Raubtiere und gleichzeitig Tlirr.»

«Was waren die Menschen einmal?»

«Eine Art Waldbewohner, sie haben gejagt und auch Früchte gegessen. Allesfresser und sie hatten auch genug Feinde. Irgendwann war das Klima stabil genug und in einer Region mit Selektionsdruck begannen Menschen mit Ackerbau. Das ist gut 130.000 Jahre, fast eine halbe Million Tlirrjahre her. Wir haben halt länger gebraucht.»

 

Sie kamen aus den Bergen direkt in die Hauptstadt. Für menschliche Verhältnisse war es eine armselige Stadt, selbst die meisten Stationen der Tlirr dürften größer sein. Sie bestand eigentlich aus zwei Städten, der modernen Stadt mit dem Raumhafen und der Stadt, der ältesten Siedlung der Tlirr. Seit sich die Tlirr aus dem Staub der Geschichte erhoben hatten, siedelten sie hier.

Viele Baustile waren in der alten Stadt zu sehen. Doch der Mangel an Holz und Steinen hatte den Bau der meisten Häuser diktiert: Sie bestanden aus getrocknetem Steppenboden mit Gras vermengt. Sie waren grau-braun wie die Steppe selber. Alle waren sie bewohnt. In vielen brannten offene Feuerstellen und der bissige Rauch von Steppengras lag in der Luft. Was jemand bewegen konnte, unter derart primitiven Umständen zu hausen, war ihm unverständlich.

Er genoss die Dusche am Raumhafen, endlich konnte er sein völlig verfilztes Fell wieder durchkämmen. dass die Tlirr in 22000 Jahren Zivilisation dagegen noch keine Abhilfe gefunden hatten ...

Danach suchte er einen Schneider und ließ sich eine neue Hose machen, die alte war in der Steppe völlig unbrauchbar geworden. Dazu ließ er für Tjagra und sich zwei Hemden anfertigen. Morgen würden sie fertig sein.

Nun war alles getan und er bummelte durch den Raumhafen. Ganze zwölf Shuttle starteten von hier an einem Tag. Also studierte er die Schiffslisten.

Nur ein einziges Schiff flog in dieser Woche in den tsroirr-Sektor. Aber es suchte noch Besatzung. Sofort schrieb er sie ein und wartete auf Antwort. Als auch nach einer Viertelstunde nichts kam, ging er weiter zum Personalbüro.

Es gab für Shuttlepiloten gleich zwei Aufträge. Die meisten Piloten wollten nur herunter, wenige wieder hinauf. Wenn sie zwei Flüge machten, dann könnten sie morgen früh auf der Station sein und sich dort persönlich für das Schiff bewerben. Er schrieb sie ein.

Es war eine gute Idee, denn Tjagra hatte nicht so viel Erfolg. Also schulterten sie ihre Reisesäcke und machten sich auf zum Shuttledock.

Die Shuttle waren in Ordnung. In einer Stunde musste Tjagra bereit sein, er hatte anderthalb Stunden. Es war knapp, doch pünktlich standen sie bereit. Es waren zwei Mannschaftstransporter voller Neulinge. Er sah ihre Aufregung, konnte sich immer noch an seine eigene erinnern. «Hallo, hier ist Fangor, euer Pilot. Ihr werdet von einem echten Alian geflogen. Wollt ihr ein bisschen Spaß? Dann schnallt euch an!»

Noch jubelten sie. Sie hatten Startfreigabe. 1/64tel gab er Vollschub, jetzt endlich war der Computer zufrieden. Er startete per Hand, nutzte die Piste bis zum letzten Meter aus, um das Shuttle hochzuziehen. 1/2 Mach. Schon in 2000 Meter waren sie Überschall, fast senkrecht ging er hoch. Er fühlte sich an seine alten Testflüge erinnert. Mach acht war erreicht und er drosselte. Heute würde er sein eigenes Programm fliegen. Die Freigabe für den angemeldeten Vektor kam über den Computer.

Er ging zu steil aus der Atmosphäre. Jetzt war Schwerelosigkeit. Nach 7/64 die zweite Zündung. Es würde sie eine halben Orbit früher an die Station bringen. Er verstand nicht, warum die Tlirr nicht längst diese Prozedur benutzten, sie hatten genug Treibstoff dazu.

Bei 23/64 war die Halbbahnkorretur fällig und dann fehlte nur noch das Bremsmanöver an der Station. Dort hatte man seinen unkonventionellen Anflug endlich bemerkt: «Shuttle 4-32, bestätige Vektor!»

«Sind auf Freigabe 7/55/61rr. Rendevouz bei 7:21», fügte er überflüssigerweise hinzu.

Die Station schwieg einen kurzen Moment. «Bucht 77 bei 7:21. Komm doch mal bei uns vorbei.»

Vielleicht gab es auch hier eine Art ,,kostenpflichtigen Anschiss" wie auf der Erde. Egal, es war gut, von Zeit zu Zeit aus der Routine auszubrechen.

Das Andocken funktionierte lehrbuchartig. Sanft klackten die Klammern und zogen das Shuttle heran. Einige der Neulinge waren sicher wieder froh, die Pseudogravitation der rotierenden Station zu spüren.

Sorgfältig legte er das Shuttle still und machte sich auf den Weg zur Flugleitung. Tjagra hatte an Bucht 31 an der egenüberliegenden Seite der Station festgemacht, hatten sich bei dem Schiff in den tsroirr-Sektor verabredet.

Die Flugleitung hatte ihm sogar einen Lift geschickt, ein ziemlich unnötiger Luxus. Dennoch stieg er ein, ihre Zeit war knapp, wenn sie das Schiff kriegen wollten, falls nicht ausgerechnet eine Warnung der Flugleitung vor diesem Wilden hier kam. Also setzte er sein nach Tlirrmaßstäben freundlichstes Gesicht auf.

Die Tür ging auf. Er war noch nie bei der Flugleitung einer Station gewesen. Irgendwie hatte er sich das anders vorgestellt. Es war ein ziemlich kleiner Raum, drei Tlirr saßen vor ihren Konsolen. Ein vierter stand am Fahrstuhl. Alle sahen sie ihn an.

Er salutierte: «Shuttle 4-32 meldet sich zum Bericht.»

Es hatte die erwartete Wirkung: Unsicherheit. Alles machten einen etwas ratlosen Eindruck. Schnell senkte sie wieder die Ohren und beugten sich über ihre Konsolen. Wacker nach Worten ringend stand noch die Leiterin, den Abzeichen zufolge, da.

«Ich bin Mensch rotsan Fangor und entschuldige mich hiermit für alle Probleme, die mein Anflug bereitet hatte.»

Da endlich erwachte sie. «Ich bin Jitra. Der Vektor war freigegeben, es war eine interessante Idee. Kein Grund sich zu entschuldigen.» Unsicher fügte sie hinzu: «Ich wollte wissen, wer hier mit neuen Ideen startet. Die meisten kommen hierher, um Vergangenheit zu finden.»

«Tja, das konnte nur ein Alian sein.»

«Ich hatte die Geschichte kurz gehört, mehr nicht. Hast du Lust, essen zu gehen?»

«Schon, aber muss mich um das Schiff in den tsroirr-Sektor kümmern. Meine Kraligra wartet auf mich.»

War sie wirklich enttäuscht? Sie hackte kurz auf ihrer Tastatur herum. «Die mrontsaen liegt in Bucht 61. Nimm den Fahrstuhl und viel Glück. Melde dich noch, wenn du Zeit haben solltest.»

«Gute Jagd» Die Fahrstuhltore schlossen sich.

Er kam fast gleichzeitig mit Tjagra an. Gemeinsam schritten sie auf die mrontsaen zu. Mondaufgang, ein sehr poetischer Name, er gefiel ihm spontan. An der Schleuse erkannte Tjagra einen Tlirr. «Tjinka»

Die Angesprochene drehte sich um. Da erkannte sie auch Tjagra und sie umarmten sich, wie es auch zwei alte Freunde auf der Erde getan hätte. Denn bei Raumfahrern ist ein Wiedersehen recht selten, denn während man ein Jahr bei nahezu Lichtgeschwindigkeit verbringt, vergehen viele, manchmal sogar hunderte von Jahren Realzeit.

«Tjagra! Ich habe von dem Unglück gehört. Und du bist jetzt Kr?»

«Nein, im Gegenteil, ich wollte mich dir als Navigator andienen, zusammen mit Fangor.»

Erst jetzt sah sie ihn richtig an. «Aber das ist»

«Kr Tjinka, ich bin Mensch Fangor, Tjagras Kraligra, Navigator, Shuttlepilot.»

Tjinka schwieg lange. «Also Tjagra, kannst du dich für deinen Kraligra verbürgen?»

«Das ist doch unüblich.»

Nun, wie eine Sache wollte er sich nciht behandeln lassen. «Ich verstehe mein Handwerk. Die Abzeichen habe ich mir ehrlich erworben», mischte er sich ein.

«Wo genau?»

«Auf der Universität von Tlanlirr, einem Versorgungsfrachtschiff und dem Passagierschiff Krtramirr

Tjinka überlegte etwas. «Ihr könnt gleich mithelfen, das Schiff wurde völlig umgestaltet und es sind noch etliche Instrumente anzupassen und nachzueichen. Leider sind keine Standardkontrollen vorhanden. Tjingra wird euch einführen. Wir sollen so schnell wie möglich los.»

Sie folgten Tjingra. Je länger sie im Schiff herumgeführt wurden, desto merkwürdiger kam ihm der Innenraum vor. Es war ein Kurierschiff, den ganzen Innenraum konnte man unter Druck setzen. Es war recht klein, insgesamt waren nur vier Kabinen vorhanden. Die Wohnräume befanden sich inmitten des Schiffes, umhüllt von flüssigem Wasserstoff als Treibstoff und Strahlenschutz. Es war eindeutig keine Tlirrstandardkonstruktion.

Dann machten sie sich an die Arbeit. Obwohl die Konsole wenig Ähnlichkeit mit den Standardkonsolen hatte, war sie doch ähnlich zu bedienen. Schnell hatte er sich eingefuchst, zumal menschliche Schiff wesentlich größere Unterschiede zueinander hatte.

Er arbeitet konzentriert. Endlich war er fertig, es waren genau vier Stunden vergangen, sagte die Uhr. Müde tastete sein Geist nach Tjagra. Doch sie war so nicht zu finden. Statt dessen suchte er das Klo auf und holte sich etwas zu essen. Dann ging er zur Schleuse, wo Tjinka und Tjingra arbeiteten.

«Fliegen wir heute noch?»

«Fangor. Äh ja, in vielleicht zwei Stunden. Bist du fertig?»

«Ja, ich habe auf unserem alten Schiff auch ständig Sensoren kalibriert.»

«Und wie weit ist Tjagra?»

«Weiß ich nicht, ah, da kommt sie gerade.»

«Hallo, kann man euch helfen?»

«Wir haben Probleme mit dem Schott. Der Schließkontakt hat keine Rückmeldung.»

«Wenn die Beschriftung Standard ist, versuche RR3ch.»

«Das war der erste Versuch. Fangor?»

«Bei unserem Schiff war in der ersten Nische die gesamte Schließelektrik. Ich werde mal sehen.»

Er sah den Gang entlang. Dort rechts war eine etwas andersfarbige Abdeckung. «Was ist hier hinter? Und hinter der dort drüben?»

«Sehen wir nach.» Sie lösten die beiden Deckel. Hinter dem einen war alles in Ordnung aber hinter dem zweiten waren ein paar Kabel abgequetscht worden. Schnell waren sie geflickt. Probeweise schlossen sie das Schott. Es kam keine Rückmeldung.

«Hat denn das äußere Schott Rückmeldung?»

«Sicher.»

«Dann überbrücken wir doch den inneren Mechanismus. Der ist eh redundant.»

«Aber Tjagra, das ist verboten?»

Sie wedelte nur mit den Ohren. Tjinka sah von einem zum Anderen. Schließlich stellte sie ihre Ohren auf. «Ok, wir suchen schon zwei Tage nach dem Fehler. Unterwegs werden wir weiter suchen. Zwei Stunden Pause, dann geht es los. Ihr habt dann die zweite Wache, also zieht ruhig noch einmal los.»

Er war ziemlich müde, doch dieses war die letzte Gelegenheit für die nächsten Wochen. Er rief die Stationsleitung an. Jitra war noch da und würde gerne mitkommen. Auf Deck 53/234 war das beste Restaurant, dort würden sie sich treffen. Schnell zogen sie sich um, und eine Viertelstunde später waren sie im Lokal.

Man hatte dort aufwendig versucht, eine Lehmhütte zu imitieren. Selbst ein offenes Feuer brannte in einer Ecke. Auch Jitra war schon da. Sie saß in der Nähe des Feuers. Jitra hatte auch schon bestellt.

«Ich habe für euch ein Gringrr ausgewählt. Ich hoffe, es schmeckt euch.»

Der Gringrr war ein in Teig eingebackenes recht leckeres unidentifizierbares Tier. Erst nachher erfuhr er, dass es sich um eine Art Fledermaus gehandelt hatte.

Sie aßen länger schweigend, doch schließlich hielt es Jitra nicht mehr aus: «Warum siehst du so nach Tlirr aus. Ich dachte ein Alian sollte fremd aussehen?»

«Tja, zur Hälfte bin ich Tlirr. Aber recht hast du schon, auch sonst wäre ich recht ähnlich: Gleiche Größe, Sauerstoffatmer, ähnliche Schwerkraft, ähnliche Sinnesorgane. Vielleicht ist die Natur so einfallslos.»

«Vielleicht ist es Zufall, aber dies wäre eine unbefriedigende Erklärung. Erzähl mal, wie du hierhergefunden hast. Ich meine, den Unfall kannst du auslassen, dass steht in den ganzen Berichten. Dass du Kraligra bist, steht aber nirgendwo.»

«Ich werde mich kurz halten müssen.» Er zeigte ein ganz kurzes Lächeln. Dann erzählte er alles, ohne jedoch zu erwähnen, dass Tjagra Tlorr war. Fast anderthalb Stunden vergingen wie im Fluge.

«So, bevor du aufbrichst, haben wir noch etwas für dich.» Jitra kramte ihn ihren Taschen. «Hier das Abzeichen für dein preiswürdiges Manöver. Und ein Stationshologramm mit Widmung.»

Jetzt vermisste er wirklich das Wort: Danke. «Mir ist eine große Ehre erwiesen worden.»

«Ehrlicher Verdienst ist Ehre genug. Gute Jagd. Ich werde euch kaum wiedersehen.»

«Ich fürchte nicht. Gute Jagd, auch dir.»

Schnell gingen sie zum Schiff und dort zielstrebig ging er in seine Kabinen. Tjagra lag auf der Navigationsbank und Tjinka lag bei der Maschinenkontrolle. Er verfolgte den Start auf dem Monitor.

«Stationsleitung, hier ist mrontsaen. Freigabe 417 wird eingefordert.»

«Noch ein Sechszehntel, gerade läuft ein schwieriges Andockmanöver bei 63.»

Die Sechszehntel verstrichen. Schließlich meldete sich die Station. «Freigabe. Ihr habt ein vierundsechzigstel. Kursdaten übermittelt.»

«Empfangen und bestätigt. Rechnungen laufen.»

«Maschinen bis 10 % bereit. Druck zur Zeit 7 krits.»

«Ich habe Kontrolle.»

«Auf geht's, sicheren Boden»

Vorsichtig löste sich das Schiff von der Station und trieb langsam davon. Nach fünf Minuten begannen die Triebwerke Schub aufzubauen.

«Computer hat Kontrolle.» Noch eine Stunde und sie waren aus dem System heraus.

Er war kaum eingeschlafen, wie es ihm schien, da wurde er von Tjagra geweckt. Sie roch stark und ihr Pelz klebte an ihrer Haut.

«Es ist zwei durch, deine Wache beginnt. Wir sind bei 31.»

«Irgendwann werde ich mich auch diese kurzen Nächte gewöhnt haben.»

Jetzt merkte er, wie dick nun die Luft war. Geübt schwang er sich aus der Liege und sank wie in Zeitlupe auf den Fußboden. Langsam arbeitete er sich zur Dusche vor, die Luft war jetzt fast so dicht, das er schwimmen musste.

Die Dusche war angenehm, nur war sein Fell wieder arg verfilzt, in 9000 Jahren hätten die Menschen für so etwas bestimmt Abhilfe geschaffen (die Erfindung von Shampoo war schließlich auch nur 10000 Jahre nach der ersten Hochkultur erfolgt). Geduscht und gekämmt holte er sich zwei Teigfladen und ging auf die Brücke. Niemand war da. Erst überprüfte er alle Systeme, pfiff plötzlich, als er ihre Beschleunigung sah: 114. Das würde jedes Menschenschiff sofort zerfetzen. Aber es war alles in Ordnung, und so lehnte er sich an die Wand und schrieb weiter an dem Wörterbuch der Tlirrsprache.

Bald wurde ihm langweilig und er beschloss, Schachfiguren anzufertigen, um nicht nur Computerschach spielen zu müssen. Dazu benutzte er einen Modellierer. Man gab die Gestalt am Computer ein und zwei Minuten später kam das gewünschte Teil heraus. (Die Schachfiguren waren aber eine glatte Unterforderung für dieses Gerät.)

Die alten Figuren gefielen ihm nicht mehr so recht. Also bastelte er an neuen herum. Dann speicherte er die Daten auf seiner Karte und ließ die Regeln wieder einmal ausdrucken. Das Schachspiel sah edel aus, denn er hatte allen Figuren und dem Brett eine Holztextur zugewiesen. Und es fühlte sich wie echtes Holz an. Mit dem Brett setzte er sich auf die Brücke. Noch immer war alles auch ohne sein Zutun bestens am Laufen.

Als erstes kam Tjingra auf die Brücke. Er sah sein Schachspiel. «Was ist das?»

«Ein Menschenspiel. Es heißt Schach. Komm, ich erkläre dir die Regeln.»

Und natürlich konnte er nicht einem Spiel widerstehen. Die Tlirr spielten gerne, was sollte man während langer Raumreisen sonst zur Entspannung tun? Und so spielte sie zwei Partien, während Tjingra langsam die Grundbegriffe lernte.

Während dem zweiten Spiel kam Tjinka dazu. Auch sie wollte eine Partie spielen. Dann überließ er Tjinka und Tjingra das Brett und ging zu ihrer Kabine, da er spürte, wie Tjagra wach wurde. Im Geiste biss er sanft in ihr Ohr, während er die Kammer betrat.

Tjagra lag noch auf der Liege, einen genießerischen Blick in ihrem Gesicht. «Mach es noch einmal.»

Er tat es. Er spürte, wie sie genoss. «Es ist kaum zu glauben, dass die Kraligra so gut funktionieren, so intensiv sind. Kannst du meine Gedanken lesen?»

«Nein, kannst du mich fühlen?»

«Ich fühle, wenn du bei mir bist. Na komm.» Sie fauchte lachend auf ihre Art.

Er legte sich zu ihr. Ihr Pelz verströmte den Duft der Nacht, ein Geruch, den er nicht so unangenehm empfand, leicht fruchtig, wie Zitronen. Er nahm sie in seinen Arm und sie biss ihm zärtlich ins Ohr. Auch er versuchte es wieder, doch in der Realität, so spürte er, war er wesentlich schlechter, als wenn er es im Geiste ausführte. Plötzlich spürte er, wie sich in ihm etwas regte. Auch Tjagra merkte es.

Er hatte nicht mit vielen Menschen geschlafen, lange hatte er niemanden mehr geliebt wie jetzt Tjagra. Es war ein seltsames Gefühl. Es war mindestens genauso gut; eigentlich war es besser.

 

Am Abend hatten alle an Bord eine Partie Schach gespielt. Nur er hatte keine Lust, mehr als eine Partie zu spielen, jedenfalls nicht solange wie kein einigermaßen ebenbürtiger Gegner da war. Lieber spielte er ihre Spiele, und es gab derer viele.

Tjinka war sehr nett. Eigentlich musste er sie ja Kr Tjinka anreden, aber bei einem so kleinen Schiff war es sinnlos, zumindest wenn keine Außenstehenden dabei waren. Nett, wie sie war, versteckte sie ihre Unsicherheiten nicht, denn es war auch ihr erster Flug als Kr.

Außerdem arbeiteten sie natürlich an dem verflixten Schließkontakt. Doch diese Arbeit würde sie wohl den ganzen Flug beschäftigen, denn sie kamen keinen Schritt weiter.

Gern hörte er auch alte Tlirrlegenden. Und was sich in 9137 (im Achtersystem der Tlirr waren es rund 21661) Jahren interstellarer Raumfahr auf verschiedenen Planeten angesammelt hatte, reichte zusammen leicht für ein Jahrhundert, um alles auch nur einmal zu hören. Und im Austausch gab es menschliche Sagen, Legenden und Geschichten. Aber am meisten interessierte die Tlirr natürlich das Alltagsleben. Manches kam ihm jetzt schon fast so seltsam wie den Tlirr vor.

Sehr fasziniert waren die Tlirr von der Erfindung der Tür. Die Idee, jemanden auszusperren, so meinten sie, war wohl die Ursache der alten Kriege. Aber da auch die Tlirr Kriege gehabt hatten, glaubte er nicht an diese Erklärung.

Und so gingen die Tage dahin, jeden Morgen weckte er Tjagra und abends umgekehrt und dann lagen sie lange beieinander. Jeden Tag freute er sich darauf, ihre Liebe war noch immer frisch.

Ein besonderes Ereignis war nahezu ein Jahr nach dem Abflug zu vermelden, als sie schon wieder bremsten: Der Kontakt von Schott war endlich wieder angeschlossen. Im Schach war er von jedem schon einmal geschlagen worden. Tatsächlich war Tjingra besser als er.

Sie traten in das Zielsystem ein. Hier war wenig los, es war eine kleine Station, denn der Sektor lag ziemlich am Rand der Armes, nur wenige Sterne lagen jenseits. Und dort, hinter der Leere zwischen den Spiralarmen, lag die Erde.

Der Anflug an die Station war einfach, der einzige Verkehr waren sie. Sofort begannen sie, Medikamente und Samen zu verladen, an einen anderen Kuriertransporter, der sie in ein nahegelegenes System brachte. Die dortige Kolonie hatte ökologische Probleme bekommen und deshalb Hilfe angefordert. Immerhin hatte der Hilferuf siebenundzwanzig Jahre gebraucht und sie noch mal siebenundzwanzig. Sehr kurzfristig konnten sie also nicht helfen. Aber noch war es nicht zu schlimmeren Problemen gekommen, wie sie erfuhren, ihre Samen und die Bakterienkulturen würden rechtzeitig ankommen.

Tjinka und Tjingra würde von hier zurückfliegen, also verabschiedeten sie sich hier von ihr. Es wäre großer Zufall, wenn sie sie noch einmal wiedersehen würden, denn für die Strecke, die er und Tjagra jetzt befahren wollten, würden sie über hundert Jahre brauchen.

 

Er bummelte über die Ladenstraße. Tjagra hatte im Stationsverzeichnis einen bekannten Namen gefunden und wollte vorbeischauen. Wenn sie Erfolg hätte, wollte sie sich wieder melden. Da erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Es gab hier eine Art Werkstatt, wo er Schachfiguren aus echtem Holz anfertigen lassen konnte. Sofort fragte er. Sie würden nach zwei Stunden fertig sein. Denn die Kunststoffbretter hatte er Tjingra geschenkt.

Doch Tjagra hatte keinen Erfolg, dafür aber eine Idee. Mit Halstuch und ihren besten Sachen setzten sie sich an die Promenade und bauten das Schachspiel zwischen ihnen auf. Sie begannen ein Spiel. Kurz darauf setzte sich ein Tlirr zu ihnen, wie üblich schwieg er. Doch ihr Angebot zum Spiel nahm der Tlirr an. Wie alle Tlirr konnte auch dieser keinem Spiel widerstehen.

Sein Gegner war gut, doch ohne eine Ahnung von Eröffnung und den Werten von Figuren hatte er keine Chance. Aber nach dem zweiten Spiel war seine Überlegenheit schon stark geschwunden; sein Gegner musste ein wirklich guter Spieler sein, ein Naturtalent.

Er spielte mehrere Spiele. Bald war er das erste Mal matt. Jetzt hörte er auf zu kommentieren und musste lange nachdenken. Tjagra war inzwischen ihrer Wege gegangen, doch längst war das Spiel schwierig, fast Arbeit.

Tjagra kam nach einiger Zeit zurück. Sie hatte ebenfalls ein Schachbrett anfertigen lassen, aber nach ihren Entwürfen und aus schwarzem und roten Metall. Es war fast zu schade zum Spielen, er bewunderte es ehrlich. Dann forderte sie auch einen Gegner auf, sie herauszufordern.

Sie spielten vier Stunden, den ganzen Tag. Was ihn an den Schachspielen mit den Tlirr faszinierte war, dass sie eigentlich nicht von Spielen mit Menschen zu unterscheiden waren. Lange Zeit schwiegen auch die immer neuen Zuschauern, dann ein Zug und kurzes Gemurmel, eine Frage. So wurde wohl auch auf Turnieren gespielt. Dann war wieder Stille.

Die Denkpausen wurden so lang, dass er am Abend noch eine Schachuhr in Auftrag gab. Genau eine Tlirrstunde sollte sie laufen (wenn er sich richtig erinnerte), was die Sache stark vereinfachte. Dann ging er schnurstracks zur Unterkunft. Müde wie er war, schlief er sofort ein. Er hätte nie gedacht, dass Schach so anstrengend sein konnte.

Am nächsten Tag gingen sie wieder mit den Brettern zum Lokal. Außer Schach war wohl in den nächsten zwei Jahren nichts zu tun, wie es schien. Aber in zwei Jahren würde ein Forschungsschiff ankommen, was zur Erde fliegen wollte, so sagten die Gerüchte. Langsam gingen die Tage vorbei, die Geschichte vom Menschen Fangor auf dem Weg zur Erde machte die Runde. Dies konnte ihnen nur recht sein, Tjagra hatte es so geplant.

Nach zweieinhalb Wochen hatte fast jeder ein Spiel mit ihnen gemacht, wie es schien. Sie saßen gerade beim Frühstück, als eine alte Kr auf sie zukam, die Hosen voller Abzeichen.

«Ich bin Tjanana. Du bist der Fremde rotsan mit dem neuen Spiel?»

«Krr. Ich bin Fangor. Du meinst sicher das Schachspiel.»

«Fangor, genau dieses. Ich habe kaum gedockt, da kam es von der Station. Ich würde es gerne lernen.»

«Soll ich für dich ein Brett anfertigen lassen? Historisch, aus Holz oder Metall?»

«Ganz wie du willst.»

Sie reichte ihm ein persönliches Terminal. Vorsichtig steckte er Tjagras Karte herein, während er das teure und kunstvoll verzierte Stück Technik betrachtete. Man musste sehr lange auf ein solches Terminal warten, das ließ auf das Alter seines Gegenübers schließen.

«Kommt heute Abend, ich lade euch ein, seid meine Gäste. Bucht 7-1.»

«Kr Tjanana, es wird mir eine Ehre sein.»

Sie ging. Vielleicht war dies ihre Chance zur Erde zu kommen. Ein Spiel konnte viel bedeuten.

 

Heute vormittag spielten sie kein Schach. Statt dessen hatte Tjagra einen Job als Shuttlepilot. Es war nur ein kurzer Frachtflug zum Mond des Planeten, den sie umkreisten. Eine automatische Messstation musste ersetzt werden. Doch es war eine angenehme Abwechslung.

Er hatte sich fein gemacht, extra noch einmal vorher geduscht und eine frische Hose angezogen. Dann ging hinunter in die Andockebene. Sie war zwar nicht ganz so groß, wie auf den anderen Stationen, aber immer noch riesig nach menschlichen Maßstäben. In Bucht 7 bestand die Vegetation aus einer Steppenlandschaft.

Er schlenderte zu Bucht 7-2. In einer an drei Seiten durch Büsche begrenzten Ecke gegenüber Bucht 7-1 saßen zwölf Tlirr und aßen. Am Rand lagen mehrere Schachbretter nach Tjagras Design. Als er näherkam, sprang die alte Kr auf und stellte sie vor: «Dies ist meine Crew auf dem Schiff Säbelläufer. Dies ist rotsan Fangor er wird uns heute in das Schachspiel einweihen.»

Er hielt einen langen Vortrag über Schach. <Rotsan Fangor hatte wieder etwas zum Dozieren gefunden.>, dachte er bei sich. Und während er die Feinheiten von Eröffnung, Spielzügen, Fesselungen, Gabeln, Zentrumsfelder, Patt und was sonst noch alles erläuterte, hing das Publikum an seinen Lippen. Danach spielte er eine Simultanpartie gegen alle. Nun waren Einzelspiele dran. Gegen Mitternacht war er fertig. Aber man hatte sich für morgen halb drei verabredet.

Am Quartier traf er auf Tjagra, sie war erst vor ein paar Sechzehntel eingetroffen. Für alles außer dem obligatorischen Ohrbiss waren sie zu müde.

Sie hielten jetzt täglich einen Vortrag über Schach. Auch Tjagra hatte so das Halstuch einer Rotsan gewonnen. Aber das wichtigste für alle waren die Spiele. Langsam wurde er des Schachs überdrüssig. Dafür begeisterten sich die Tlirr mehr und mehr dafür. In der Station wurde sogar ein Schachraum eingerichtet, mit in sanftem dunkelblau gehaltenen Wänden und mit einer gesprenkelten Decke, wie von entfernten Sternen, fast als säße man in einer mondlosen Nacht im Freien. Dazu ein paar Kreationen in schwarz/weißen Karos.

Er wurde zu einer Schachautorität. Dabei war er immer ein sehr mäßiger -- um nicht zu sagen schlechter -- Spieler gewesen, keine vier Eröffnungen kannte er, er war oft zu vorschnell. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass er immer häufiger geschlagen wurde. Gerade hatte er wieder einmal eine schnelle Niederlage mit einem Kr im Ruhestand.

«Deine Kraligra spielt wesentlich besser.»

«Ich war immer ein mäßiger Spieler. Und du bist sehr gut.»

«Nicht Kriege, sondern den Frieden muss man erringen.»

Fangor lachte, was immer noch ein paar erschreckte. Der Alte blieb ruhig. «Tlatson, nehme ich an.»

Der Alte nickte. «Woher kommt es, dass du, ein Alian hier bist? Und wieso kennst du Tlatson?»

«Ich erzähle die Geschichte oft. Aber wenn du interessiert bist, kann ich sie gerne noch mal erzählen. Ich habe auch ein paar Bilder dabei. Wie wäre es, wenn wir uns dort drüben hinsetzen würden.»

Der Alte ging voraus. Einige Zuschauer folgten. Obwohl er fast einen Monat dort war, war er für die meisten einfach nur selbstverständlich. Er erzählte eine Kurzform der Ereignisse und projizierte einige Bilder von seiner Karte. Schließlich war er fertig.

«Ihr sucht ein Schiff zu deiner Heimat. Es gibt hier ein außer Dienst gestelltes Schiff, die airlis. Sie sollte für den Innersystemdiest umgerüstet werden. Da wir hier jedoch mehr Schiffe als Kr haben, ist es im noch im Orginalzustand. Ich bin früher damit geflogen. Wenn man ein bisschen Arbeit hineinsteckt, kann man damit auch den Sprung wagen, die Maschinen haben erst rund hundert Jahre Eigenzeit seit der letzten Überholung hinter sich.»

«Und die Station braucht es nicht?»

«So wie es aussieht, wird es eher verschrottet als umgebaut. Also würde man es euch wohl überlassen. Aber ich fürchte, ihr müsstet noch einen Kr finden, denn die Leitung will mehr Kompetenz als die Kenntnis der 62-Züge-Regel sehen.»

«Tjagra hat das Kr Abzeichen, aber kein Schiff, deswegen trägt sie es nicht. Ist ebenfalls eine längere Geschichte. Die muss sie aber selber erzählen.»

«Dann sollte sie sich in Schale werfen und einmal bei Nummer 12/45 vorbeischauen. Ich werde auch ein gutes Wort für euch einlegen. Wenn ich nicht so alt wäre, würde ich gerne selber mitfliegen.»

Tjagra freute sich mit ihm, eigentlich freuten sie sich gemeinsam über die Kraligra.

 

Am nächsten Morgen legte Tjagra ihre Kr--Hose an und ging zu dem angegeben Büro. Man versprach, die ganze Sache wohlwollend zu prüfen. Am Nachmittag bekamen sie dann die Zustimmung geschickt, zusammen mit dem Passwort für die Systeme.

Auch der alte Kr war dabei. Er führte sie in die veralteten System ein und erzählte ihnen von seinen Reisen mit der airlis (in etwa Freudenfeuer). Auch zeigte er ihnen alle Fehler und demontierten Systeme. Es versprach zwar viel Arbeit, aber die airlis war immer noch raumtüchtig, obwohl sie schon 7712 Jahre alt war. Der Rumpf stammte noch aus den Anfängen der interstellaren Raumfahrt.

Die nächsten Wochen waren mit Arbeit von morgens bis abends angefüllt. Noch dazu musste das Schiff auf den Flug in den Menschenraum vorbereitet werden, alle Anzeigen sollten auch menschliche Einheiten anzeigen. Ein Kopplungsadapter nach menschlichen Normen musste ebenfalls zusätzlich montiert werden. Das war ein wirklich heikler Punkt, da so etwas war natürlich nicht leicht zu bekommen war und die Aufzeichnungen aus dem kaputten Shuttle waren nur unvollständig.

Die Übergabe des alten Schiffes sprach sich schnell herum. Einige schüttelten den Kopf, aber viele junge Tlirr waren fasziniert und meldeten sich zur Arbeit. Da die airlis klein war, konnten sie nur zwei nehmen. Sie hießen Tjrots und Tjali und hatten fast soviel Abzeichen wie Tjagra, obwohl sie jünger waren.

Tjagra bestand darauf, dass er den Flug als Kr führen würde. Und damit er ja nicht in Versuchung kam, die Verantwortung auf sie abzuwälzen, nannte sie ihn vor Tjrots und Tjali immer Kr Fangor. Ihn ärgerte es, aber so war er schnell als Kr akzeptiert, obwohl er eigentlich noch immer nichts geleistet hatte, das dies rechtfertigen konnte, wie er fand.

Endlich kam der Zeitpunkt, als sie fertig waren. Die Tanks waren voll, die Laderäume ebenfalls. Und so lösten sie sich langsam von der Station, um aus fremden Weltraum mit einem Schiff die Erde anzusteuern, wo seit seinem Abflug über zweihundert Jahre vergangen waren.

Planmäßig, wenn auch langsamer, da die K-Kammer keinen so hohen Druck mehr aushielt, beschleunigten sie. Nur selten war eine Reparatur nötig. Er hatte viel mehr Ärger mit den alten Systemen befürchtet.

 

Dann kam der Tag, wo sie in den Einflussbereich der Erdsonne kamen, noch zwei Lichtjahre entfernt, aber sie bremsten schon wieder. Sieben Jahre waren sie ihrer Funknachricht an die Erde hinterher, das hieß, seit sechs Jahren wusste man auf der Erde Bescheid, wenn alles geklappt hatte. Die Wahrscheinlichkeit dafür war aber gering, warum sollte man in ihrer Richtung lauschen.

Sie konnten dagegen schon Sendungen der Erde empfangen, auch wenn sie nur kurze Stücke sahen, denn bei ihrer Geschwindigkeit dauerte ein einstündiger Film zwei Minuten, also musste der Computer alles umrechnen. Ihn interessierten besonders die Nachrichten.

Auf den ersten Blick hatte sich nicht zuviel geändert. Man hatte, was seinerzeit nur diskutiert und als unrealisierbare Utopie angesehen wurde, alle Planeten im Menschenraum einer Föderation unterstellt. Neue Siedlungen waren zwar unabhängig, musste jedoch mindestens den Gesetzen der Föderation genügen. Die Regierungsform war eine etwas andere dadurch. Es war ihm egal, es ging ihm nichts mehr an.

Schließlich hatten sie die Plutobahn gekreuzt, jetzt musste er wieder auf die alte Art navigieren, wie er es vor Urzeiten gelernt hatte. Als er hier das letzte Mal angeflogen war, gab es nicht den Tlirrluxus von Funkboje und Tiefenraumradar, den er auch bei diesem Anflug sehr vermisste. Aber ihren Radardaten nach war hier nichts los.

Sie bremsten immer noch mit 15g. Bei dem Tempo wären sie in rund vier Stunden oder knapp 13 menschlichen Stunden bei der Erde.

Als man Erde und Mond deutlich unterscheiden konnte, schon innerhalb der Marsbahn, begannen sie ihrerseits mit Sendungen. «Hallo Erde, hier Raumschiff airlis im Anflug auf Erde. Wir kommen aus den Raum der Tlirr im unter Kr rotsan Fangor Joroslow, ehemals Raumschiff Kirilow, verschollen seit dem 22.4.2710. Bitte bestätigen!»

«Wir empfangen euch. Bitte Namen und Position wiederholen.»

Er lächelte. Empfang von einer Blechdose, das wäre bei den Tlirr nie passiert. «Hallo Computer. Dies ist die Airlis von Fangor Joroslow, ehemals DSS Kirilow, verschollen seit dem 22.4.2710.»

«Bestätige vorläufige Identifizierung von Joroslow. Stimmprobe negativ. In den Registern steht nichts über das Schiff. Unbekannte Worte Tlirr, Kr, rotsan, airlis. Warnung: Sie sind zu schnell. Wiederholen alphanumerisch, bitte!»

«Ok. Airlis, unter Kr rotsan Fangor Joroslow. Wörter folgen: Tlirr: humanoide Alianrasse, eigene Raumfahrt, Kultur, Sprache. Kr: Tlirrwort für Kapitän. rotsan: Tlirrname für Lehrer. Airlits: A-i-r-li-ts, Tlirrname anfliegendes Schiffes.»

«Hallo Airlits, bitte weitere Angaben. Wir haben hier Alarmstufe zwei.»

«Braucht man jetzt schon Stufe zwei um einen Menschen an das Mikro zu bekommen? Also, falls es nicht herüberkam, hier ist das Raumschiff Airlits, was etwa soviel wie Freudenfeuer heißt. Zur Zeit verzögern wir mit etwa 13,8 g und gehen in zehn Minuten auf 2 g herunter. Die geschätzte Ankunftszeit ist in siebzehn Minuten. Unser Startorbit lag etwa bei alpha=16° und delta=44°, Entfernung 22pc. Wir nehmen bezug auf eine Mitteilung die vor knapp 8 Jahren eingetroffen sein müsste und unter dem Namen der DSS Kirilow abgesendet wurde.»

«Moment mal.» Es war Funkstille für einige Minuten.

«Hallo Airlits. Nur ein paar verstümmelte Fetzen sind angekommen. Darunter aber dreimal etwas, was Airlits gewesen sein könnte. Ihr seid unidentifiziert. Deshalb werdet ihr der äußersten Station zugewiesen. Ich gebe ab.»

«Hallo Airlits hier ist NF-Terminal. Bitte Angaben zu Schiff und Besatzung.»

«Für Anflugsanweisung. Manöver bis 13 g. Kopplungsadapter nach Norm 2601/33 Variante s. Schiffslänge 161m. Gewicht ungefähr 753t. Baujahr 1170 vor Christus.»

«1170 vor der Zeitrechnung?»

«Bestätigt. Besatzung: Kr Fangor Joroslow, Kapitän. Tjagra Joroslow, erster Offizier, meine Kraligra, Tjrots und Tjali Besatzung, außer mir alle Tlirr.»

Wieder war einige Sekunden Funkstille. «Bitte Angaben wiederholen!»

«Besatzung: Kapitän Fangor Joroslow, Rasse: Mensch. Tjagra Joroslow, erster Offizier, Tjrots und Tjali Besatzung, Angehörige der Tlirr, sternfahrende Rasse. So ich buchstabieren?»

Der Computer folgte stramm der Standartprozedur: «Wie sind die Nachnamen der Besatzung?»

«Was soll das? Ich will einen Mensch!» Er sah in die Runde. So richtig konnten sie seiner schnellen Rede nicht folgen. Er fasste kurz zusammen. Die Funkstille dauerte noch länger. Endlich antwortet ein Mensch.

«Es sind Alians an Bord und sie sind mit einem Alian verheiratet? Und äh ... » Man hörte im Hintergrund eine heftige Diskussion.

«Stop, stop! Ok, drei Alians. Die Tlirr haben keine Nachnamen. Tjagra ist meine Kraligra, was mit Heirat zu vergleichen ist. Wir können ein paar Fernsehbilder herüber schicken. Ach ja, es sind keine Waffen an Bord, ich berufe mich auf den Artikel 17 der Charta der Föderation, Kontaktaufnahme mit einer neuen Siedlung, unter den wir fallen, denke ich. Ok, Bilder kommen, sobald wir einen Anflugvektor haben.»

Die Daten kamen. Im Austausch schickten sie Bilder. Nun war bestimmt zehn Sekunden lang nichts zu hören, als dann ein wildes Durcheinander auf allen Frequenzen losbrach. Unbeeindruckt fuhren sie mit dem Anflug fort und gingen planmäßig von 14 g auf 2 g herunter.

Der Anflug ging nach Handbuch, richtig ordentlich. Die Manöverkapazitäten wurden nie ausgenützt, wahrscheinlich konnte ihnen der Stationscomputer gar keinen Kommandos mit so hoher g-Zahl geben. Schon eine Stunde später hingen sie an der Station fest und dekomprimierten. Auf den Kanälen war immer noch Chaos. Sie beschlossen zu warten.

Nach ziemlich langer Zeit hatte sich das Durcheinander beruhigt und sie wurden aufgefordert, ihr Schiff zu verlassen. Doch er wollte nicht, dass alle das Schiff verließen, nur Tjagra sollte mitkommen. Sie zogen sich die extra für den ersten Besuch angefertigten Hemden an. Tjagra fand das lustig, das Hemd stand ihr fast besser als ihm.

Es dauerte lange, bis der Dockingtunnel freigegeben wurde. Wahrscheinlich war in der Zwischenzeit Militär auf die Station gebracht worden. Dennoch kletterte er keineswegs besorgt den Tunnel hinauf, folgte unbekümmert Tjagra, die einfach nur neugierig war, keineswegs so misstrauisch, wie es die Menschen auf der anderen Seite wohl waren.

Die Mechanismen an der Schleuse waren noch immer dieselben. Hinter dem zweiten Schleusentor war das Empfangskomitee. Zuerst wurde er und Tjagra von zwei Soldaten mit allen erlaubten und wahrscheinlich auch einigen verbotenen Methoden durchleuchtet. Immerhin gab das Dosimeter keinen Alarm. Die ganze Zeit überlegte er, wann er zum letzten Mal eine Handfeuerwaffe gesehen hatte. Es fiel ihm nicht mehr ein.

Bei der ganzen Prozedur sahen in fünfzig Meter Entfernung zwanzig Leute zu. Leider hatte sich das Design der Uniformen geändert, so dass er die Leute nicht zuordnen konnte.

Endlich waren die Soldaten fertig und zogen sich etwas zurück. Dafür kam der Rest des Komitees. «Wir begrüßen sie im Namen der Föderation. Ich bin Fred Kerr, Sprecher des Föderationsrates.»

«Wir begrüßen sie ebenfalls. Darf ich vorstellen, meine Kraligra Tjagra und ich bin Kr rotsan Fangror Joroslow.» Die Tlirrworte gingen ihm besser als das alte Basic von der Zunge. Sogar seinen eigenen Namen sprache ein wie ein Tlirr aus.

«Ihre Gefährtin ist Botschafterin?»

«Was bin ich?», fragte Tjagra. Die Menschen schwiegen betreten.

Er antwortete für seine Kraligra. «Nein, es gibt keine richtige Regierung, jedes System ist ziemlich unabhängig. Wir sind ein einfaches Handelsschiff.»

Die Delegierten steckten die Köpfe zusammen und berieten lange, was zu tun wäre. Gerne hätte man sich wohl vertagt, doch gehörte die Existenz von Alian zu den Problemen, die sich nicht vertagen ließen. Gerne hätte man wenigstens ein Mitglied der Regierung gehabt, das man vorführen konnte. Doch leider passten sie in keine der Standardprozeduren.

Endlich hatten sie eine Entscheidung gefällt. Sie durften sich frei auf der Station bewegen, doch sie durften keinesfalls auf die Erde hinab, noch mit ihrem Schiff ablegen, was eh nicht so bald in ihrer Absicht lag, zumindest nicht, solange sie keinen Treibstoff bekamen.

Dann erkundeten Tjagra und er die Station. Es war wenig los, wahrscheinlich hatte man alle Schiffe umgeleitet. Sein Anhänger, das Gegenstück zu den Karten der Tlirr, war immer noch gültig. Sein Gehalt war ihm darauf ausgezahlt worden, es gab noch Geld. Er war dadurch ziemlich reich.

Sie gingen in den Schnellimbiss, da er Hunger hatte. Wenn man hier das Licht etwas gedämpft und statt grellem Gelb und Rot, eher Blau und Grün verwendet hätte, dann könnte dieser Imbiss ebenso um eine hinterwäldlerische Tlirrwelt kreisen.

Aber natürlich waren hier alles fremdartig-kahle Gesichter: Er musste sich erst wieder an den Anblick von Menschen gewöhnen. Und so starrten sie sich gegenseitig an, Menschen und sie.

Leise flüsterten sie sich an einem der Tische etwas zu. Doch den scharfen Ohren Tjagras entging es nicht, und so antwortete sie schlagfertig: «Und was macht ihr gegen eure fehlenden Haare?»

Erst sahen die Menschen bestürzt aus, dann lachten sie alle. Und so setzten sie sich an einen Tisch. Es waren alles junge Raumfahrer, gerade wie er vor zweihundert Jahren, fertig oder kurz vor dem Abschluss. Wie wenig änderten sich doch die Bräuche der Menschen, selbst oder gerade durch die Raumfahrt hatte sich fast gar nichts geändert.

Mit ihrem Witz hatte Tjagra genau das Richtige getan und so war es nicht weiter hinderlich, dass Tjagra mehr wie eine dressierte Raubkatze auf Beinen aussah, wie er sich vergegenwärtigten musste. Immerhin war der leichte Zitronengeruch wesentlich angenehmer als der menschliche Schweißgeruch.

Insofern war es natürlich nicht verwunderlich, dass sie irgendwann nach ihrem Parfum gefragt wurde, worauf sie sich entschuldigte, dass sie schon länger nicht geduscht hatte. Er vermittelte.

Inzwischen aßen sie ihre Hamburger. Sie schmeckten zwar nicht sonderlich, aber immerhin wurde ihnen davon nicht schlecht; scheinbar hatten sie sogar einen gewissen Nährwert für Tjagra.

Dann war es Zeit für die Behörden. Tjagra wollte unbedingt mit, also gingen sie zu zweit. Es gab hier zwölf Ebenen, es wäre eine winzige Tlirrstation gewesen. Sie kamen an den ersten Fahrstuhl. Er schob seinen alten Anhänger hinein.

«Willkommen Joroslow. Ihre Karte ist teilweise defekt. Bitte beheben lassen. Sie haben eine vorläufige Freigabe von 24 Stunden. Ihr Konto weist 421 857 Credit auf.»

«Zur Stationsleitung bitte.»

Die Türen schlossen sich und der Lift glitt langsam nach oben. Er bremste und hielt mit einem kleinen Ruck. Lautlos versanken die Türen in der Wand. Hinter der Tür stand ein Wächter die Waffe im Anschlag. Sie rührte sich nicht.

Er entzifferte die Türschilder. So fand er bald die Registratur. Die Tür war zu. Er klopfte an der Nachbartür.

«Herein»

«Guten Tag, Ich wollte mein Schiff registrieren lassen, aber nebenan ist niemand.»

«Ok, mache ich gleich, setz-» In diesem Moment hatte der Beamte den Kopf gehoben. «Ich werde mich sofort darum kümmern. Was ist dieses Wesen, äh»

«Ich bin Tjagra Joroslow.»

Der Beamte schnappte nach Luft. Dann nahm er einen Schluck Wasser und atmete tief durch. «Entschuldigen sie mich bitte.» Er verließ hastig den Raum.

Tjagra sah ihn fragend an. «Der kommt gleich wieder», antwortete er ihr. Und tatsächlich war er zwei Minuten später wieder da.

«Ok, alles geklärt.» Sein Gesicht strafte ihn Lügen. Denn setzte er sich tapfer an die Konsole. Der Computer begann mit den Fragen.

«Name und Typ?»

«Airlits, Typ kritsgrali.»

Der Beamte schüttelte den Kopf und musste die dem Computer unverständlichen Angaben eintippen. Sie hatten extra für diese Prozedur einen Ausdruck der technischen Daten des Schiffes in SI-Einheiten geholt. Dennoch musste sie passen, als sie nach dem Fabrikationsort der Schiffshülle gefragt wurden. Desgleichen konnten sie nicht die Kapazität ihrer Wassertanks in gewünschter Genauigkeit angeben. Das größte Hindernis war aber das Baujahr, da die Software keine negativen Zahl als gültige Jahreszahlen annahm. Immerhin hatten sie nach gut fünf Stunden eine vorläufiges Schiffszertifikat, mehr als er sich erhofft hatte.

Schnell ging er noch zur Anmeldung, um eine vorläufige Id für Tjagra zu bekommen. Der Beamte dort war wohl schon vorbereitet. Trotz einigen fehlenden Angaben war der Papierkrieg bald beendet und Tjagra hatte ihre eigene Id.

Nach einer Stärkung ging es weiter. Sie suchten das Zollbüro. Nein, es gab keine Zölle auf Hosen. Dafür müssten sie aber auf die 3D-Fernseher 50 % Zoll des Einkaufspreises zahlen. Nun gingen die Probleme los, denn sie hatte ja nichts gezahlt, als sie bei den Tlirr losfuhren, somit waren die Sachen wertlos. Sie diskutierten. Tjagra wurde langweilig, sie gähnte. Ihr Raubtiergebiss ließ den Zollbeamten verstummen. «Ok, tausend Kredits und dann will ich sie hier nicht mehr sehen.»

Sie gingen. Im Flur konnte Fangor endlich loslachen und hätte sich dort fast auf dem Fußboden gelegt. Danach gingen die noch schnell, nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, zum Handelsposten, um ihre Waren loszuwerden.

Für jede Sache, die er anbot, wurde ihm der dreifache Preise genannt, den er verlangen wollte. So waren sie sich schnell einig. Dann gingen sie wieder auf das Schiff, um Tjrots und Tjali abzulösen. Die beiden freuten sich auf die Station. Dann legte sie sich sofort hin. Doch nach fünfeinhalb Menschenstunden war auch er wach, den Tlirrrhythmus hatte er nun endlich im Blut.

Nach einer Dusche und einem richtigen Frühstück, er wusste gar nicht mehr, wie schlecht menschliches Essen war, begannen sie mit dem Entladen. Tjagra, die wie üblich schon länger wach war, hatte alles vorbereitet.

Viel war es eh nicht, einhundert Hosen der Tlirr, zehn 3D-Fernseher jeder mit 7000 Filmen auf Speicherchips. Hundert Wörterbücher Basic-Tlirr mit Grammatik, von ihm selbst erstellt.

Kaum waren sie fertig, als Tjrots und Tjali zurückkamen, sogar die Id hatten sie schon. Ihren Gesichtern nach hatten sie viel Spaß gehabt. Er atmete auf, es war alles leichter gegangen, als er befürchtet hatte. Aber noch wussten nur knapp dreihundert Leute hier auf der Station von ihrer Existenz und bevor es auf der Erde und in der restlichen Föderation verbreitet werden würde, wollte er lieber wieder auf dem Rückweg sein. Die lange Abwesenheit hatte die Erde in seinen Gedanken ein wenig vergoldet. Nächstemal würden sie eben herunterfahren.

Mit einem Elektrokarren brachten sie alles dem Kontor wie verabredet vorbei. Er legte die Sachen sofort in den Tresor und schloss ab. Dann buchte er den vereinbarten Betrag auf ihr Konto.

Als nächstes kümmerte er sich um den Treibstoff. Es war recht einfach, denn: «Egal, sollte aber nicht viel zähflüssiger als Wasser sein, sonst geht soviel für die Heizung drauf. Normstutzen für die Befüllung ist vorhanden.»

Gegen Abend hatten sie genug Treibstoff für den Rückflug. Jetzt könnten sie jederzeit zurückfliegen. Zur Feier des Tages gingen sie alle gemeinsam in das Feinschmeckerrestaurant, wo gewöhnlich nur die Kapitäne aßen. Er kramte in seinen Erinnerungen und bestellte schließlich gebackenen Fisch. Denn dies war etwas, was für die Tlirr schlichtweg unbekannt war, was sie vermutlich aber trotzdem essen konnten.

Erst als die Fische kamen, fiel ihm ein, was für ein Fauxpas das war; Katzen, die Fisch essen, damit wurden wieder etliche Klischees bestätigt. Noch dazu musste er erklären, wie man vorsichtig den Fisch ausnahm. Es war lustig, diese alten Erinnerungen hervorzukramen.

Mit mäßigem Geschick versuchten die Tlirr mit ihren Händen das unbekannte Besteck so zu handhaben, dass sich Gräten und Fisch trennten. Aber auch seine eigenen Erfolge auf diesem Gebiet ließen nach so langer Zeit zu wünschen übrig.

Dafür schmeckte der Fisch. Er war wirklich vorzüglich. Also würden sie wohl ein paar Fische exportieren. Er gab im Restaurant eine Runde aus, um mit den restlichen Gästen in das Gespräch zu kommen. Tische wurden zusammengerückt.

Schließlich waren sie zu zehnt. Kapitän Willner und seine Frau und die Kapitäne Fester, Yeres, Hu Saya und der erste Offizier Tarkek. Es wurde ein langer Abend. Er konnte endlich wieder Wein trinken etwas, das mehr Wirkung als Nan zeigte. Witzigerweise wirkte der Alkohol, wenn auch schwächer, bei den Tlirr -- ihnen wurde speiübel. Ansonsten genossen sie trotzdem den Abend.

Die Kopfschmerzen am nächsten Morgen waren unangenehm, aber nicht zu ändern. Langsamer als sonst kamen sie auf die Beine. Heute wollten sie die Airlits wieder beladen.

Sie hatten lange an der Ladung gefeilt. Sie wollten: Bilder von allem, Filme über alles, zwei oder drei echte Bücher, jede Menge Literatur und Hosen in den Größen, die so benötigt wurden. Und natürlich Schachbücher und -programme, der Artikel, von dem er sich am meisten versprach. Und Bilder von Kartenspielen und einige fernöstliche Spiele, Klassiker halt.

Er schickte Tjali zusammen mit Tjagra einkaufen. Er hatte ihnen zwar erklärt, worauf es ankam, war aber nicht sehr überrascht, als er sah, das sie zweimal übers Ohr gehauen worden waren. Immerhin hieß das, dass man sie akzeptiert hatte. Die Sachen wurden bald geliefert und wurden verstaut. Nun hieß es warten, was die Politiker entscheiden würden, ob und wann sie weg durften.

Dann aßen sie etwas und Tjagra und er zogen sich zurück, während Tjrots und Tjali den Lagerraum aufräumten. Tjali weckte ihn. Jemand war an der Schleuse. Er machte sich nicht die Mühe, ein Hemd anzuziehen und so waren die drei Menschen, die dort warteten, leicht erschreckt. «Ich bin Kr rotsan Fangor. Was gibt es?»

«Wir, äh, Sir, wollen anheuern. Sie suchen doch?»

Nun, so deutlich hatte er das nicht gesagt. Aber er würde bestimmt den einen oder anderen Mensch mitnehmen, den MEnschen und den Tlirr zum Besten. «Schön. Wo habt ihr gearbeitet?»

Der Erste, der antwortete, war kaum jünger als er. «Ich habe auf der An Hei San gearbeitet. Ich war Navigator. Zwei Fahrten nach alpha und Sirius. Mein Name ist Yu Ho, Sir»

Der Zweite musste gerade erst volljährig sein. «Ich bin Tirkan. Ich habe bisher nur auf dem ausrangierten Sternenschiff Wind von Afrika gearbeitet.»

Die Letzte war älter als er, mindestens zehn Jahre älter. «Ich bin Jasmin. Ich habe vier Flüge zu alpha auf der Anatol hinter mir. Sir» Mit der Anatol hatte er einen kurzen Ausbildungsflug gemacht. Es war das dienstälteste Menschenschiff, das noch das Sonnensystem verließ.

«Ok, Tirkan und Jasmin kommt mit mir. Tut mir Leid Yu Ho, aber die An Hei San ist ein Kriegsschiff. Ich mag solche Schiffe nicht. Kommt hinein.»

Yu Ho trat zurück während die beiden anderen mit ihm in die Schleusenkammer kamen. Die Schleuse schloss sich. Sie standen im dämmrigen und kalten Korridor.

«Drei Sachen:

Wenn ihr etwas nicht wisst oder unsicher seid, dann fragt! Ich gebe euch von Anfang an wichtige Aufgaben, aber ich will sie sicher erledigt sehen, also fragt. Ich bin Kr Fangor. Das Schiff heißt Airlits. Tjrots und Tjali heißen die beiden Tlirr. Meine Kraligra heißt Tjagra, sie hat die meiste Erfahrung. Ihr könnt uns am Anfang an den Abzeichen unterscheiden: Tjagra hat am meisten, dann Tjrots, dann Tjali.

Ach ja, auf diesem Schiff wird nicht gelogen oder Ausflüchte gesucht. Sagt, wenn ihr keine Lust habt, etwas zu tun, jemand anders wird es dann tun. Die Tlirr kennen keine Ausflüchte, das ist gut so. Ihr werdet nicht damit anfangen!

Leider kann ich euch kein Geld zahlen, denn die Tlirr kennen keins. Aber von meinem Geld könnt ihr etwas abhaben, wenn ihr etwas braucht. Ok?»

Nicken. Nun, auch er hätte zu so etwas nie Nein sagen können. «Tirkan, der Name wird den Tlirr gefallen. Leider müsst ihr Tlirr lernen; aber es ist einfach und bestimmt von Vorteil. Hier ist ein Wörterbuch. Tjali wird euch in eure Kabinen bringen.»

 

Jetzt hieß es warten. Er hatte alles Notwendige erledigt, jetzt sollte die Station normalerweise ihre Freigabe erteilen. Doch sie wurde unter Ausnutzung aller Fristen immer weiter herausgeschoben.

Dann kam ein Angebot. Wenn sie ihr Schiff tauschen würden, könnten sie los, wann immer sie wollten. Sie diskutierten lange. Schließlich willigten sie ein, aber verlangten Umbauten. Es sollte eine Kompensationskammer und Tlirradapter und -kompatible Computer eingebaut werden.

Zwei Monate später war das andere Schiff fertig zur Besichtigung. Etliche Feinheiten fehlten, was in den nächsten zwei Monaten behoben wurde. Schließlich waren alle Systeme getestet, die Unterlagen überspielt, die Tanks und Laderäume voll. Sie waren fertig zum Abflug.

Doch Tjali und Tjrots wollten auf dem alten Schiff bleiben. Dort würden sie die Chefs sein, und während das Schiff in den nächsten zwei Jahren zerlegt und wieder zusammengebaut wurde, würden sie die Arbeiten leiten. Inzwischen würde vielleicht auch das Forschungsschiff eintreffen, von dem immer auf der Tlirrstation geredet wurde.

Er hatte dennoch ein ungutes Gefühl, sie zurückzulassen. Aber natürlich respektierte er ihre Entscheidung. Sie umarmten sich ein letztes Mal. Der Abschied fiel ihm schwer, denn bisher hatte er für sie die Verantwortung, und er traute dem Frieden hier immer noch nicht.

 
Nur zwei Stunden später waren sie startbereit. Sie saßen alle in der Druckkammer und warteten auf die Freigabe. Tirkan saß mit nacktem Oberkörper da und fror. Aber er wollte sich partout nichts anziehen.

Dann bekamen sie die Startfreigabe. Vorsichtig lösten sie sich und verschwanden dann mit 7g wieder aus dem Sonnensystem. Das Schiff war zwar ungewohnt, aber größer und viel moderner als der alte Tlirrfrachter. Sie hatten eine große Ladung.

Leider waren die menschlichen Triebwerke nicht so gut und so brauchten sie über ein Jahr länger zurück zu den Tlirr, seiner alten neuen Heimat.



«Was wollen sie hier wirklich?», war er vom Vorsitzenden der Föderation gefragt worden.

«'   '   ''   *   '

(Tjro rotsgra tjira rron jrgra -- Handel treiben bis mir mein Fell ausgeht.)

 


Anhang


Ein kurzer Exkurs in die Tlirrsprache

Zuerst ein Blick auf das Alphabet der Tlirr mit der menschlichen Transskription gegenüber gestellt. Dabei sind Laute in Klammern ungebräuchlich:

Buchstabe Transskription
(mod. Fangor Joroslow)
Aussprache
weich mittel (+') hart (+*)
Knurrlaute
,',* r (' und ~ Attribute) rh r rr
Vokale
a a ar er(är)
i i ier irr
o o ohr orr
u u uhr urr
Konsonanten
j j tj (tjr)
k ch gr kr
l li bl tl
m mm mr (mrr)
s ts st tr
Sonderkonsonanten (nur ohne Attribute)
f ff
n n(nn)

Zu beachten ist bei der Schreibung folgendes:

Ein 'r' wird nur am Beginn eines Wortes ausgeschreiben, im Wort markiert es den Beginn einer neuen Silbe.

Die Sonderkonsonanten sind aus einem zweiten Dialekt von den 2013 besiegten Stämmen nördlich des Gebirges auf Steppe übernommen worden und selten; speziell das 'f' wird außer in Namen fast nie verwendet.

Die Attributzeichen ' oder * gibt es in sehr unterschiedlichen Arten; oft, gerade bei handgeschriebenen Texten, unterscheiden sie sich gar nicht. Sehr beliebt ist es, das * als einen einfachen Punkt zu schreiben.

 

Das Zahlensystem der Tlirr

Dann noch eine Bemerkung zu den auftauchenden Zahlen: Da die Tlirr je vier Finger pro Hand haben, benutzen sie ein Oktalsystem, also 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 10, 11, 12, ... 77, 100, 101, ... usw.

Dezimal Oktal
10 12
100 144
1000 1750
10000 23420
Million 3641100
    
Oktal Dezimal
10 8
100 64
1000 512
10000 4096
Million 262144
 

Die Tlirrzeit & Geschichte

Eine Tlirrstunde sind 2 Stunden 55 Minuten, ein Tlirrtag 23 Stunden 20 Minuten. Somit dauert eine Tlirrwoche 7d 18h 40m. Ein Tlirrjahr hat 45 Tlirrwochen, somit sind 45 Menschenjahre 46 Tlirrjahre.

(Als fixes Datum wurde das Kennenlernen mit Tjagra genommen. Das war im Jahr 2727 der Menschen bzw. 9139 der Tlirr).

Ereignis Tlirrdatum (oktal) Tlirrdatum (dezimal) Menschliches Datum
Das erste Feuer auf Steppe 0 0 6213 v. Chr.
Die ersten Tlirr-Schriftzeichen 1577 895 5337 v. Chr.
Der einzige Kampf (mit dem Stämmen
nördlich des Gebirges)
2011-2013 1033-1035 5132-5130 v. Chr.
Erster Raumflug der Tlirr 10613 4491 1820 v. Chr.
Besiedelung von Artlirra 13572 6012 232 v. Chr.
Christi Geburt 14320 6352 0
,,Landung" von Fangor 21654 9132 2710
 

Kurzes Lexikon der Tlirr

Lirr (*)
Steppe; Heimatwelt der Tlirr

Kr (*)
Rudelführer, Ehrentitel, wie Sir. Weiblichen Ursprunges

Krr (*)
Gruß

Krgra (*')
ehemals für Rudel, heute Ehe

Kraligr (*'')
Eine Art Priester und Berater

Kraligra (*'')
Ohrring, der eine Krga anzeigt. Jeder K. ist einmalig für eine Krgra

Mrernts ('*)
Mensch auf Tlirr

Mronts (')
Mond

Nan ()
Berauschendes Getränk (eine Zutat ist Blut, deswegen schmeckt es für Menschen ranzig)

Rotsan (')
Lehrer, Gelehrter

Tlinn (*)
Clown

Tlirr (**)

Tlorr (**)
Assassinen; einzige Tlirr mit Waffen. Der Kodex der Tlorr fordert Selbstmord nach einem Mord.


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