Pays Perdu et la licorne von Markus Pristovsek


Ich hatte mich mit den Anderen für Montag abends am Alten Posthaus bei Thervay verabredet, da ich nach Frankreich trampen wollte. Wie das Glück es wollte, war jedoch im ersten Auto (ein kleinerer Opel), der mich mitnahm, ein älteres Ehepaar auf dem Weg nach Marseille, und so war ich nun schon am Samstag Mittag in Pesmes, der größten Stadt im Pays Perdu: Verlorenes Land, jener dünnbesiedelten und armen Region an der Grenze der Departement Jura, France-Cômpte und Haute Saône, durch die sich das Flüssschen Ognon windet.

Es war drei Uhr, die Läden in Pesmes öffneten jetzt noch einmal für zwei Stunden; der nächste dieser gigantischen Hypermarchée war weit weg in Dôle. Immerhin gab es hier einen winzigen Kramwarenladen, wo ich meine Vorräte bis Montag Mittag auffrischen konnte. Zur Route Departemental 115 stieg ich einen kleinen Steg in der hinteren Festungsbresche herunter, denn Pesmes sah von außen immer noch wie eine trutzige Festung aus, genauso wie schon vor 300 Jahren als die letzten Anbauten gemacht worden waren. Ohja, zur Zeit der Burgunder war Pesmes eine stolze Stadt gewesen. Erst Ludwig der 13. hatte sie erobert, und so wehte die blaue Fahne mit den drei Lilien der Burgunder trutzig über den alten Gemäuern.

Die Bewohner dieses Städtchen würden es zu Recht heruntergekommen nennen. Trotzdem war es eher malerisch, zumindest jetzt im Sommer. Nicht ohne Grund verdreifachte sich im Sommer die Zahl der Bewohner des verlorenen Landes, Künstler zumeist aus den Städten hatten hier ein Landhäuschen.

Der (oder die) Ognon wand sich direkt an der Stadtmauer entlang. Er war so sauber, das man bedenkenlos baden konnte. Aber mein Ziel war noch ein gutes Stück entfernt, und so streckte ich meinen Daumen aus, um schnell die fünf Kilometer nach Ouhans, der nächsten Ortschaft zu kommen, von wo ich zu den Einsiedlerhöhlen im Forêt de Serre wollte. Der nächste Wagen war ein uralter Renault-Kastenwagen. Natürlich hielt er an und nahm mich mit. Laut knatternd setzte sich das uralte Gefährt in Bewegung; am Steuer ein Bauer, wie man ihn sich französischer kaum vorstellen konnte: Schon etwas älter, faltig, schwarzes abgewetztes Barett, kariertes Hemd, dunkle Hosen.

Routiniert beschleunigte der Bauer sein Gefährt auf 50, was angesichts der fehlenden Türen schon ziemlich flott war. Brüllend fragte er mich, was ich so mache und wo ich hinwollte und so. Genauso laut antwortete ich in meinem Französisch. «Ah, l'ermitage!» Der Alte fing an, leiser und schneller zu reden, so dass ich nichts mehr mitbekam.

In rasender Fahrt durchquerten wir die siebzehn Häuser von Ouhans. Auf meine beschiedenen Frage, warum er nicht anhielte, erklärte er mir, dass er mich direkt zu dem Anfang des Wanderweges bringen würde. Zehn Minuten später rasselte der Wagen eine kleine Straße hoch, bis wir zu einem Friedhof kamen. Dort konnte Jean-Louis wenden. Er erklärte mir den Weg den Hügel hinauf und dann nach hundert Metern im Forêt links. Dann nahm er ein Pain, etwas Käse und eine Flasche Rotwein aus dem Korb, der neben dem Lenkrad stand und drückte sie mir in die Hand, wünschte mir viel Glück und fuhr wieder los; nicht ohne mir etwas Unverständliches hinterher zu rufen, einen dieser verschnörkelten französischen Grüße.

An der Quelle beim Friedhof füllte ich erst einmal die Trinkflasche. Dann wurde noch einmal alles richtig verstaut. Ach wie gut hatte alles bisher geklappt; und dazu dieses wunderschöne Wetter, blauer Himmel mit ein paar verlorenen Schäfchenwolken.

Der Weg den Berg hoch brachte mich ganz schön ins Schwitzen. Noch dazu spürte ich wieder die Tragriemen, kurz ich war ganz schön aus der Übung. Es war schon Acht, als ich endlich an der Einsiedlerhöhle war. Es waren zwei kleine übereinanderliegende Höhlen, jede vielleicht vier mal drei Meter groß; fast wie ein zweistöckiges Haus. Kaum fünfzig Meter weiter plätscherte eine kleine Quelle aus einem Eisenrohr.

Ich machte es mir in der oberen Höhle bequem; diese hatte eine Art Brüstung, wie ein Sims und daneben stand ein kleiner Felsklotz. Mit einem darübergelegten Schafsfell wurde ein bequemer Stuhl daraus. Während auf dem kleinen Spirituskocher das Wasser für den Tee langsam warm wurde, genoss ich den wunderschönen Blick auf den Sonnenuntergang. Ich holte mein Liederbuch und die Flöte heraus und übte im schwindenden Tageslicht.

«Âllo?»

Überrascht drehte ich mich um. Die leise und feine Stimme gehörte einem Mädchen am Eingang zur Höhle. «Vous avez jouer la flûte trop joli, je doit la suivre.» Sie haben zu schön Flöte gespielt, ich musste ihr einfach folgen.

Es dauerte einen Moment, bis ich einfach «Entres!» Komm herein, antwortete.

Schüchtern trat sie ein. Jetzt im Kerzenlicht sah sie nicht mehr so jung aus, aber auch nicht alt. Sie trug einen schmutzigen Pullover und kurze Hosen. Sie war barfuß. Im Gegensatz zu ihren abgetragenen Sache war sie selbst sauber; ihre schneeweißen Haare leuchteten fast in dem Dämmerlicht, und sie waren hinter dem Kopf zusammen gebunden. Sie war bleich, vielleicht lag es am Licht. Von der Kerze und dem Kocher hielt sie fast ängstlich Abstand.

«Ich bin Markus.», sagte ich, jenen Satz den man bei fast jeder Fremdsprache als Erstes lernt. Sie schwieg. «Wie heißt du?»

Sie machte zwei Ansätze. Schließlich flüsterte sie: «C'est à vous de choisir simplement le nom juste.» Wählen sie einfach den richtigen Namen aus!

Nach einer halben Minute nachdenken hatte ich endlich die umständliche Formulierung verstanden. Aus dem Bauch heraus antwortete ich: «Alors, je t'appelles Jeanne d'étoile.» Jeanne, Johanna von den Sternen nannte ich sie also. Und ich bat sie, mich nicht mehr zu siezen.

Noch leiser als eben dankte sie mir. Sie verbeugte sich. Dabei sah ich ganz kurz einen Reflex wie von einem Stirnreif. Doch als ich etwas näher rückte, wich sie sofort zurück.

«Allez, jouez s'il vous plaît!», bitte spiele doch, hauchte sie.

Also griff ich wieder zur Flöte. Kaum hatte ich die ersten Takte angefangen, da begann sie zu singen. Singen war das falsche Wort, so als bezeichnete man die Mona Lisa als nette Visage. Sie sang keinesfalls Französisch; was mich jedoch vielmehr beunruhigte, war die Vielstimmigkeit. Sie klang wie ein ganzer Chor. Schließlich musste ich die Flöte absetzen, sie klang einfach nur schrill dazu.

Sofort verstummte auch sie. «Allez, jouez encore!» Los, weiterspielen.

Bestimmt eine Stunde habe ich alles gespielt, was ich überhaupt konnte. Doch dann musste ich wirklich aufhören, denn ich bin eigentlich ein sehr mäßiger Spieler und sabbere zuviel. Die Flöte war einfach zu feucht geworden, die tiefen Töne waren nur noch schrill.

«Jouez encore, s'il vous plaît. Il faut que vous jouer.» Bitte spiele weiter, du musst weiterspielen, flehte sie leise.

«Ich kann wirklich nicht mehr.» Ich blies ein tiefes d, oder zumindest hätte es eines werden können, wäre die Flöte nicht so nass. «Eine halbe Stunde Pause, bitte. Willst du etwas essen?»

«Je ne sais pas, si j'ai faim.» Ich weiß nicht, ob ich Hunger habe, war ihre seltsame Antwort.

«Du bist eingeladen!» Ich holte den kleinen Teppich heraus und breitete auf ihm das Pain, den Käse aus, holte den Bambustrinkbecher heraus. Sie sah interessiert zu, fast als sähe sie das alles zum ersten Mal. Außerdem holte ich ein sauberes T-Shirt und eine kurze Jeans heraus. «Los, ziehe sie dir an. Die Sachen werden wir morgen waschen.»

Sie wich wieder ängstlich zurück.

«Hier nimm schon. Ich werde nicht hinsehen.» Ich legte sie ihr hin und drehte mich demonstrativ um.

Keine halbe Minute später war sie fertig. «Ce sont des vêtements vraiment nobles, ils sont doux comme une fourrure.» Das sind ja edele Sache, sie sind ja so weich wie ein Fell!

Ich drehte mich wieder um. Meine Sachen passten ihr besser als ihre alten. «Du kannst sie behalten, wenn du willst. Morgen werden wir deine Sachen reinigen.»

Wir schwiegen uns wieder an. Sie schien auf etwas zu warten. Also brach ich etwas von dem Pain ab und belegte es mit Käse und reichte es ihr hin: «Guten Appetit!»

Doch sie verharrte abwartend wie ein Tier, dem man zu nahe gekommen ist. Also legte ich ihr das Stück hin. Doch erst als ich etwas abbiss, fing auch sie zu essen an. Sie nahm sehr kleine Bissen. Von Zeit zu Zeit lächelte sie still. Mit dem Essen erwachte mein Hunger, es war die erste richtige Mahlzeit seit dem Frühstück, das auch schon gut 12 Stunden her war. Dazu füllte ich einen Becher mit dem Rotwein von Jean-Louis. Wirklich lecker. Sie nippte neugierig, verzog aber sofort den Mund und hustete.

Es war seltsam: Wenn ich mich vorbeugte, dann wich sie zurück, wenn ich eine Hand nach dem Pain ausstreckte, dann wich die ihre zurück, als handelte sie wohl instinktiv. Nie war weniger als ein halber Meter Abstand zwischen uns. Ihre Scheu ließ mich meine Bewegung als Störung empfinden. Sie schien es gleichermaßen zu spüren.

Im Gegensatz zu dem Wein trank sie den mittlerweile fast kalten Tee sehr gern. Also setzte ich einen zweiten Topf auf. «Willst du etwas singen? Bitte, du singst so schön!» fragte ich, während ich die Esssachen unter ihren neugierigen Blicken einräume.

Statt zu antworten fingt sich ganz leise an. Zuerst hatte ich es gar nicht gemerkt, es klang eher wie das Rauschen des Windes in dem Wald unter uns oder wie das leise Sprudeln der Quelle nebenan. Dann wurde es lauter und schließlich disharmonischer, dann brach sie ab.

«Was ist?» schrie ich, denn sie hatte zum Schluss so laut gesungen.

«C'est l'aujourd'hui.» Das ist das Heute. Ich hatte sie nicht verstanden, denke ich, an diesem Abend. «Et c'est quelque l'année?» Welches Jahr haben wir denn?, fragte sie plötzlich.

Welches Jahr? Eine seltsame Frage, welcher Wochentag, vielleicht sogar welcher Monat, ok. Aber welches Jahr. «1998» antwortete ich wahrheitsgemäß.

Ich war immer noch verwirrt. «Wie alt bist du denn?», fragte ich. «Du musst doch wissen, wieviele Winter du erlebt hast!» Dann erst fiel mir ja ein, dass es sehr gut möglich war, dass eine halbwilde Waise hier in den Wäldern nicht zählen kann. Aber wieso hatte sie dann nach dem Jahr gefragt?

«On ne sait pas.», sagte sie. Man weiß es nicht. Dann wurde sie plötzlich traurig. «Alors, continuez à jouer. La musique, c'est plus forte que les siècles.» Spiel, Musik ist stärker als die Zeit!

Ich spielte mein bestes Stück, doch es klang leblos und dumpf, je schöner sie dazu sang, desto dumpfer und schwächer wurde die Flöte. «Ich kann nicht. Es klingt so schlecht. Willst du nicht mal?»

An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, dass die Flöte ein Geschenk zum 18 Geburtstag war und von einem Musiklehrer aus über fünfzig Exemplaren ausgewählt worden war. Sie hatte wirklich einen wunderschönen Klang. Das heißt gleichzeitig, dass ich sie selten verlieh. Davon konnte sie natürlich nichts wissen. Doch ehrfurchtsvoll nahm sie die Flöte und wog sie in der Hand.

«Elle est chaude», Sie ist warm, sagte sie schließlich. Dann setzte sie an und blies einen Ton. Ich wollte ihr die Griffe zeigen, doch sie hatte scheinbar bei mir sehr genau zugesehen. Auch das abgehackte Atmen, um die Töne zu trennen, beherrschte sie fast sofort. Nach zwei Minuten oder so begann sie richtig zu spielen, erst langsam und getragen, dann schneller. Nie wiederholte sich eine Sequenz, es war ähnlich dem Nachtigallengesang. Dann nahm sie die Flöte vom Mund. «Et maintenant, vous chantez.», Los singe!

«Ich kann nicht, ich weiß doch nicht was, und ... »

«Non, ne pensez pas, simplement chantez!» Nein, denke nicht, singe einfach.

Nun, ich bin wirklich kein guter Sänger. Und zu einem Stück, das ich nicht kenne, das keine Wiederholungen hat, nichts, dazu kann ich einfach nicht singen.

«Vous l'apprenez. Chantez et je vais vous accompagnez, allez!» Du wirst es schon lernen. Sing und ich werde dazu spielen! Fang an, sagte sie, diesmal schon fast normal laut.

Als ich immer noch zögernd, wieder holte sie, bittend, flehend und befehlend zugleich: «Vous devez, s'il vous plaît; minuit est déjà bien passé.» Du musst, Mitternacht ist doch schon lange vergangen.

«Es wird schlecht.» sagte ich, zuckte mit den Achseln und fing an. Wie Krieger im Zinnober, hieß das Lied. Sie begleitete mich auf der Flöte. Es war so schön, sie spielen zu hören, dass ich, nachdem das Lied zu Ende war, sofort ein nächstes begann. Was mir gerade in den Sinn kam, ich sang es, bis ich heiser war.

«Ich kann kaum mehr.» krächzte ich. «Mitternacht ist weit vorbei. Es wird schon wieder Morgen. Bist du nicht müde?»

Sie sah mich mit ihren großen dunklen Augen an. «Chantez, musique, c'est trop forte que le temps.» Musik ist stärker als die Zeit, wiederholte sie noch einmal.

«Ich bin nur ein Mensch. Ich muss auch mal schlafen.»

Sie überlegte einen Moment. Dann gab sie mir die Flöte. Sie war kalt und trocken, als hätte nur der leichte Nachtwind auf ihr geblasen. Dann sah sie mir in die Augen. «Nous chantions ensembles.» Wir werden gemeinsam singen.

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, streckte sie ihren rechten Arm aus und legte ihre Hand auf meine Schulter. Sie war federleicht. Dann beugte sie sich vor und streckte sich, bis ihre Stirn die meine berührte. Es prickelte, als ob sie geladen wäre, es klang, als ob ein Funken geknistert hätte. Dann lehnte sie sich zurück.

«Chantez, que vous voyiez. Ils ne peut pas vous écouter.» Singe was du siehst. Sie können dich nicht hören, sagte sie -- und ich bin mir nicht mehr sicher, ob es noch französisch war, das sie da sprach.

Als sie ganz ganz sacht zu singen begann, da erschienen Bilder vor meinen Augen. Bilder einer längst vergangenen Zeit, das fühlte ich gleich. Es war eine Wiese zu sehen, es musste die Wiese sein, mit langem grünblauen Gras und unendlich vielen Blumen. Ein dröhnender Duft lag über der Wiese. Dann kamen die Anderen ins Blickfeld. Es waren Einhörner, die hier auf dieser Wiese spielten. Dann sprang eines plötzlich los, und landete in einem Dschungel. Auch das war noch vor langer Zeit.

Ich war jetzt ein Dinosaurier, der friedlich am Ufer Pflanzen kaute, da sah ich das Einhorn auftauchen. Es tauchte plötzlich zwischen den Bäumen auf, drehte sich um und sprang gegen einen dünnen Baum. Der Baum zitterte nur leicht, doch das Einhorn sank bewusstlos zusammen. Sofort beugte ich mich über das Einhorn, leckte ihm vorsichtig das Gesicht, etwas das gut gemeint war, aber etwas das ich nie hätte tun dürfen, wie die Musik mir sagte. Denn nun würden die anderen es verstoßen müssen, so waren die Regeln seit Anbeginn. Erst wenn das letzte Einhorn die Weide verloren hätte, durfte es und mit ihm die anderen Verstoßenen zurück.

Wieder veränderte sich die Melodie und damit das Bild. Ich war ein Asteriod, der pfeifend auf die Erde stürzte, sie zum Erbeben brachte, es Nacht werden ließ, die ewige Nacht für die Dinosaurier.

Endlich wurde es wieder heller. Ich war ein Eichhörnchen, das auf einem Ast in der wärmenden Morgensonne lag. Dann hörte ich wieder federleichten Hufschlag, und das Einhorn zog vorbei. Auch zeitlich.

Wieder geschah ein großer Sprung. Ich war ein Affenmensch. Mein Rudel hungerte. Da sah ich entfernt ein Rudel Gazellen. Ich ,,sagte" es den Anderen. Leise brachen wir auf. Da tauchte das Einhorn auf, sprang durch uns hindurch. Jemand hatte mit seinem Speer ausgeholt. Der Affenmensch, der ich war, war dazwischen gefahren. Wütend durchbohrte mich der Speerwerfer.

Immer mehr Menschenbilder kommen. Nach dem ersten Mord kommt nun das erste Lied, das erste Brot, das erste Haus, das erste Boot, das erste Eisen, der erste richtige Krieg. Immer ist ein Einhorn Beobachter. Dichter und dichter sind die Bilder gedrängt, lauter und lauter wird unser Gesang. Schließlich ist nur noch ein Akkord zu hören. Er klingt ein wenig wie meine Flöte, doch auch er erzählt eine Geschichte, die Geschichte des Abend. Dann hörte sie abrupt auf, während ich unbewusst noch etwas weiter sang, undeutliche und unscharfe aber schöne Traumbilder.

Lange schwiegen wir, während im Osten der Himmel hell wurde und die Morgendämmerung die Sterne verblassen ließ. «Du bist ein Einhorn?», sang ich. Doch die Phrase verklang ohne Antwort. Dann nahm sie ihren Arm vom meiner Schulter. Mir wurde kalt.

«Vous m'avez faire heureuse cette nuit.» Du hast mich heute glücklich gemacht. Dann stand sie auf. «Adieu», Lebewohl.

«Bitte, bleib noch etwas. Bitte, lass uns noch etwas singen, spiel noch etwas Flöte. Nur ein bisschen.»

«C'est maintenant à vous de continuer cette chansons. Je doit partir. Adieu.» Du kannst noch langen weitersingen. Ich muss gehen, Adieu. Und sie sang den letzten Ton ihres Liedes, drehte ihn förmlich zwischen ihren Lippen. «Pour toi, n'oublier pas: Musique c'est plus fort que le temps!» Und dann rannte sie fort, mit leichten Schritten und unheimlich schnell. Als sie nur noch ein Schatten zwischen den Bäumen war, hielt sie plötzlich an. Sie zog meine Sachen aus, winkte mir noch einmal zu. Dann lief sie auf allen Vieren davon.

Und dann endlich begriff ich: Sie hat mir nur ihren Namen gesagt. Und der letzte Ton, das war mein Name, jetzt auch ein Teil ihres Liedes.


Als wir dann zwei Tage später die Mittagsandacht in der alten Abtei der Kapuziner am Ognon mitmachten, da hörte ich, wie das Echo der Gesänge der Mönche die Geschichte des Gemäuers erzählte. Ganz leise fügte ich ihm meinen Ton hinzu und merkte, wie mein Ton schon anders geworden war.


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