Columbus' Erben

von Markus Pristovsek

Die See wird allen neue Hoffnung bringen,
so wie der Schlaf die Träume, daheim.
Christoph Columbus


Es war still, nur selten hörte man Taue an Rahen oder Stagen schlagen. Natürlich war da das stete Gurgeln des Meeres, aber auch nur gedämpft, es war ja fast keine Dünung. Bretteben lag die See, die Sterne der mondlosen Nacht spiegelten sich in Wasser. Die Spur einer Sternschnuppe war im Wasser zu entdecken. Es war warm.

Der erste Offizier gähnte herzhaft. «Eine schöne Nacht heute, was?» Dann hob er wieder den Sextanten peilte den letzten bekannten Stern, tief im Norden -- die letzte gesicherte Position, denn auf die Daten, die sie mit Hilfe der Sonne gewannen, war wenig Verlass, allzu ungenau war der Chronometer, zu ungenau die Tabellen.

 
Ein Knacken ließ den Ingenieur vom Computerspiel aufsehen, doch die Anzeigen blieben stumm. Nach einer weiteren halben Stunde, wandte er sich wieder von Spiel ab, warf einen Blick durch die zwei Peilvorichtungen. Es war zu einfach, weder Canoptus noch Antares noch Sirius oder die Sonne hatten sich einen Deut bewegt.

Dann suchte er nahe der Sonne nach dem Halleyschen Kometen. Seit Urzeiten kreiste dieser Schneeball in der endlosen Nacht, erwachte alle acht Jahrzehnte zu neuem Leben. Auch diesmal bot er eine wundervollen Anblick, besser, als ihn jeder Beobachter von der Erde haben könnte.

Schließlich schob er noch seine Dosimeterkarte in den Computer. Wie erwartet hatte er die Standarddosis abbekommen. Der Reaktor war immer noch Ok, die Sonne hatte keine Ausbrüche, keine Flares.

 
Seit Tagen segelten sie längs einer riesigen Riffkante. Dann und wann waren Vögel zu sehen, Land konnte also nicht mehr allzu weit sein. Doch dem Riff galt die ganze Aufmerksamkeit. Denn ein Fehler wäre tödlich. Sie mussten zu jeder Sekunde bereit sein, um zu wenden und gegen einen drehenden Wind zu kreuzen. Und es konnte noch den schlimmsten aller Rufe des Ausgucks geben: «Riff voraus!»

Dann müssten sie versuchen, gegen Wind und Wellen aus dieser Falle herauszukommen. Keine schönen Aussichten, einmal hatten sie mit viel Glück eine Durchfahrt gefunden, doch diesmal waren die Voraussetzungen schlechter. Vor allem der stete Wind mit 6-8 Beaufort und der zu hohe Seegang ließen böses befürchten. Aber sie mussten auch bald Land finden, denn die Schiffe mussten dringend überholt werden.

 
Mitten in der Nacht weckte ihn der Radioaktivitätsalarm. Müde setze er sich auf und wankte in den verdammt engen Bunker. Dort starrte er in sechs andere müde Gesichter. Nur der Kapitän war hellwach und in Uniform. Hinter ihm gähnte wer langandauernd. «Nun spannen sie uns nicht auf die Folter.»

Bedeutsam lächelte der Kapitän, es war jedoch auch ohne Probleme als Grinsen misszuverstehen. Dann begann er zu sprechen, immer noch deutlich betont: «Diesmal liebe Kameraden, diesmal handelt es sich um den Ernstfall. Eine Flare hat eine Aktivität 77 % über NN erzeugt. Dauert etwa zwei Stunden.»

«Scheiße!», fluchte jemand im Hintergrund.

Jeder suchte sich eine halbwegs bequeme Ecke in dem fast kahlem Raum. Grauer Stahl waren die Wände, die einzige Auflockerung war ein Computerterminal. Einige sahen dem Kapitän am Computerpult zu, wie er das Schiff von hier inspizierte und steuerte. Aber die Radioktivität war vor allem für sie gefährlich, nicht für das Schiff.

Der Offizier versuchte wieder einzuschlafen, doch in dem engen Raum schaffte es die Klimaanlage nicht so recht, erst wurde es heiß und dann stanken acht Leute vor sich hin. Schließlich fand er doch noch Schlaf.

 
Heute war ein erfreulicher Tag, sie hatten eine Art Thunfische gefangen, viele wurden eingepöckelt, aber der Kapitän gab für die Offiziere ein Festmal. Außerdem wurde genügend Tran für die Lampen gewonnen, endlich wieder vernünftiges Licht im Schiff.

Er kramte in seiner Truhe nach der Ausgehuniform. Dann sah er sich in seiner Kajüte um. Es sah genauso aus, wie es der Kapitän wollte, ohne Frage. Er würde nur noch mal kurz an Deck gehen.

Auf dem Weg dorthin, kam er an der Rückseite der Kombüse vorbei, durch die Ritzen gelangte der Geruch von gebratenem Fisch auch an seine abgestumpfte Nase. An Deck dagegen stank es, Seevögel waren mittlerweile in Scharen gekommen, um die über Bord gehenden Innereien zu erhaschen. Wo war bloß ihr Nistplatz, ihr Land?

Dann schlug man acht Glasen und er begab sich eilends zur Kapitänskajüte.

 
Langsam zeichnete sich ihr Ziel ab, es war deutlich als Planet zu erkennen, auch bewegte es sich deutlich. Vielleicht würde es sogar mit der Pflanzenzucht in den Gewächshäusern klappen. Endlich neue Pflanzen, dieser Salat ging auch dem geduldigsten Menschen auf den Nerv. Ewig Salat zu allem.

Natürlich gibt es auch andere Sachen, z.B. Eier von der Erde, Brot aus mitgenommem Mehl. Salat war aber ideal für den Anbau in ihrer beschränkte Kapsel. Er wächst schnell, produziert viel Sauerstoff und ist genügsam (d.h. er wuchs in einer Nährlösung aus ihren Exkrementen).

Außerdem ging ihm das Schiff immer mehr auf dem Nerv, er kannte jeden Winkel zur genüge. Und in jeder Ecke war ein Besatzungsmitglied. Man ging sich früher oder später unvermeidlich auf den Geist.

 
Rauh knarrten die ausgefransten Tampen auf dem reichlich gemarterten Schiff, das langsam der schützenden Bucht entgegenschaukelte. Der Mond stand schon tief im Osten, nur die spärlich besetzte Wache war an Deck. Der Wind war völlig eingeschlafen. So würden sie noch einen Tag brauchen, bis sie endlich dort waren.

Als er an Deck kam, war gerade eine leise Brise aufgekommen, ideal, nicht zu schnell, um nicht mehr loten zu können, aber gerade so schnell, wie es gefahrlos ging. Langsam gingen die Glasen um und die Küste kam greifbar nahe.

Er blieb an Deck, obwohl seine Wache um war. Jetzt begann das Ankermanöver und danach gab es für alle ein fürstliches Frühstück. Dann sprach der Kapitän zu der Besatzung: «Dies ist die gesuchte südliche Terra Incognita. Wir werden sie jetzt für England in Besitz werden.»

Er stieg in ein Beiboot, die Offiziere durften mit ihm kommen, mussten aber rudern. Am Strand stieg er als Erster aus und rammte den Union Jack in den Sand. Er sah sich um und sprach dann: «Diese fruchtbare Bucht werde ich Botany Bay nennen.» Und die Offiziere feuerten Salut in die Luft.

 
Es begann wie erwartet: ein leichtes Rauschen das immer stärker wurde, aber ingesamt leiser als in der Heimat. Dann öffneten sich die Fallschirme. Die Abbremsung war schwach, aber alle bereiteten sich auf den Schub der Landeraketen vor. Und dann donnerten sie los, einer nach dem anderen wurde ohnmächtig. Dann wurde auch ihm schwarz vor Augen, aber er spürte noch den Landestoß.

Bald waren sie alle wieder wach und sahen durch die Luken die Sonne über den roten Dünen des Mars aufgehen.


Zurück zum Inhaltsverzeichnis oder zur Homepage.