OG von Florian Schiel


Prolog

Schon als kleiner Junge, mit zwölf, dreizehn Jahren, als ich die Science Fiction Bände unserer Leihbücherei buchstäblich am laufenden Meter verschlang, als grüner pubertierender Gimpel also, und seitdem bis heute, hat das Phänomen der Schwerelosigkeit mich in ihren Bann geschlagen. Wie durch das bloße Abhandensein von etwas, was uns nie wirklich als ein Vorhandenes bewusst wird, eine neue, radikal andere Qualität des Lebens hervorgerufen wird, also quasi das Nicht-Sein der Schwere ein anderes Sein hervorbringt, nämlich die Schwerelosigkeit, die fast all unsere gewohnten Maßstäbe und Lebensregeln auf den Kopf stellt, das schien und scheint mir - von wenigen löblichen Ausnahmen mal abgesehen - in der populären futurologischen Literatur sträflich vernachlässigt, in gewisser Weise sogar sacht unter den Teppich gekehrt. Grob gesagt, schneiden die meisten Erzähler das Thema erst gar nicht an, erklären es (durch Nicht-Beachtung) zur Banalität, so dass es dem Verlauf ihrer Geschichte letztendlich keinen Unterschied machen würde, spielte die Handlung nun im freien Raum oder auf einem Planeten mit gediegenem Schwerefeld. Andere erwähnen die Problematik nur peripher, als eine von vielen technischen Stilelementen der Ausschmückung. Bei diesen erweist sich dann das Problem als solches rein technisch gelöst, und die der Handlung nötige Schwere kann ganz einfach und in beliebigem Umfang künstlich erzeugt werden. (Eine erstaunliche Leistung übrigens, die - objektiv betrachtet - alles andere in den Schatten stellt, was sonst an technischen Errungenschaften in ebendiesen Geschichten präsentiert wird!)

Es bleiben natürlich die `löblichen Ausnahmen' wie Stanislav Lem (`Die Astronauten'), A.C. Clark (`2001') und sogar Herge (`Schritte auf dem Mond'), um nur einige wenige zu nennen. Aber auch diese, die das Problem zumindest von ihrer rein physikalischen Seite angehen, vermeiden es, die vielfältigen anderen Aspekte des Lebens zu beleuchten, als da sind Kultur, Sozialleben, Hygiene, Essen und Trinken, Sinne und Körperbeherrschung, Erotik, ja selbst so banale Dinge wie das Verrichten der Notdurft.

Man könnte mir entgegenhalten, dass diese Dinge für den Verlauf der Handlung in den meisten Fällen vollkommen unerheblich seien und daher von den Erzählern zu Recht unter den literarischen Teppich gekehrt würden. Philip Marlowe wurde auch niemals beim Betreten einer Herrentoilette beschrieben, es sei denn, diese Vorgehensweise ergab sich zwangsweise aus der jeweiligen Situation.

Ja, richtig - und auch wieder falsch. Wenn nämlich der Aspekt der Schwerelosigkeit, der meiner Meinung nach für den Helden oder die Heldin persönlich einer der entscheidensten beim Verlassen des planetaren Schwerefeldes darstellt, für die Handlung so untergeordnet ist, wozu dann die Handlung überhaupt in den Weltraum verlegen? Tatsächlich haben viele Erzähler (bewusst oder unbewusst?) dieser Argumentation Rechnung getragen und lassen ihre Geschichten erst gar nicht im Raum passieren (Frank Herbert und viele andere).

Wie dem auch sei, und um den Bogen zurückzuspannen zu meiner Einleitung - denn dies soll nur ein Prolog und Gründung der eigentlichen Geschichte sein -, es war schon immer mein gehegter Wunsch, das faszinierende Thema, so stümperhaft ich es eben vermag, in eine kleine Geschichte zu fassen.

Nun lag ich letzte Woche selbst in einer Art Schwerelosigkeit, für viele Stunden. Ein hartnäckiges, um nicht zu sagen heftiges Fieber mit den üblichen Begleiterscheinungen der kalten Jahreszeit hatte mich für ein paar Tage ans Bett gefesselt. Da lag ich nun also, nicht richtig schlafend, nicht richtig wachend, weil fiebrige Schachtelträume mein Bewusstsein umgaukelten und keinen Ausweg zuließen, und von Zeit zu Zeit und subjektiv gar über längere Abschnitte war mir so, als schwebte ich im bodenlosen Raum.

Wer kennt das nicht? Selbst im gesunden Einschlafen kann uns der träge gewordene Gleichgewichtssinn für Augenblicke täuschen, derart, dass man die sichere Unterlage zu vermissen und ins Bodenlose zu stürzen vermeint.

Es war alles in allem nicht das Unangenehmste an den fiebrigen Schachtelträumen und gab mir, als ich wieder klaren Sinnes war, den Anlass zu leichten Tagträumereien über das Thema, wie sie so oft den ersten Anlass und Auslöser für eine zu erzählende Geschichte bilden. Und ehe man sich's versah, war sie eben da, die Geschichte, und ich musste mich hinsetzen im leichten Fieber noch, und sie zu Papier bringen, damit zukünftig meine Träume von ihr in Ruhe gelassen würden.

Nun, das Ergebnis folgt sogleich, im Anschluss an diese, schon wieder viel zu ausschweifig gewordene Vorrede, die die meisten Flinkleser schon längst eifrig übersprungen haben werden (wenn ihnen nicht das Alarmwörtchen Erotik beim Schräglesen ins Unterbewusstsein geblinkt haben sollte).


OG

,,Da kommt sie!"

Das winzige Lichtfünkchen war allerdings erst kaum zu erkennen; nur infolge der Tatsache, dass es nicht gleichförmig und in gesitteter Ordnung mit dem funkelnden Hintergrund ging, war es überhaupt als Nichtstern aufzufassen.

Pete hielt seinen mageren Körper locker gestreckt. Die linke Hand ruhte entspannt auf dem Tastenfeld des Wartungsmonitors. Nicht dass er sich richtig daran festhielt. Die Hand lag dort nur als typische Geste eines Technikers in Null-Gravitation, um ein etwaiges Driften des Körpers, wie es immer vorkommt, zu unterbinden. Genauso `hielt' er selbst sich an der gegenüberliegenden Wand fest, von wo aus er Pete und den Monitor beobachtete: ein völlig entspanntes, unbewusstes Aufliegen der linken Hand an der kühlen Wand. Man konnte TechnOs oft schon daran erkennen, dass sie ständig mit zarter Geste ihren linken Arm irgendwohin lagerten, ohne richtig zuzugreifen. Zu Beginn hatte ihn das amüsiert; dann hatte er versucht, es bei sich selbst zu unterdrücken, weil ihn der Automatismus ärgerte; als es ihm selbst in Fleisch und Blut übergegangen war, achtete er nicht mehr darauf. Er holte die `Buddel' aus der Seitentasche seines Overalls und drückte ganz vorsichtig eine einzelne gläserne Kugel aus der Kapilarspitze. Sie schwebte in halber Armeslänge vor seinem Gesicht, vielleicht zwei Zentimeter im Durchmesser, goldgelb funkelnd im nüchternen Licht des Hauptachsenschachtes, wabbernd, pulsend und schwingend, als sei sie aus lebendigen Gold, ein magischer Halbedelstein. Er bewunderte sie, atmete genussvoll das würzige Aroma des Malt Whisky ein. Während er die kleine Kugel irischen Brots betrachtete, sinnierte er, was für ein unerhörter Luxus und verbotenes Laster das doch war. Der edle Whisky selber war nur einen Bruchteil der Beförderungskosten wert. Und der Genuss alkoholischer Getränke, auf der ganzen Station nicht gerne gesehen, aber auch nicht zu unterdrücken, war hier, im Null-Gravitations-Bereich, ein absolutes KO-Kriterium. Wenn sie erwischt würden ... Er lächelte und sog wieder den Duft des irischen Brotes ein. Der Gedanke erhöhte den Genuss, wie er auch schon durch die Schwerelosigkeit erhöht wurde, um ein Weiteres. Er näherte, den Atem anhaltend, ganz vorsichtig seine Lippen der goldenen Kugel, drückte ihr einen zarten Kuss auf, und ließ sie blitzartig verschwinden.

Velum, Zunge und Epiglottis taten ihre geübte Pflicht, sorgten für seine Sicherheit. Zuverlässig schützten sie den Nasenraum, den Eingang zur empfindlichen Lunge vor den ätzenden Aerosol im Mundraum. Der Kitzel der Erstickungsgefahr begleitete den weiteren Genuss, bis dann der goldene, wärmende Saft, sicher partioniert von der Peristaltik der Speiseröhre übernommen und angenehm brennend den unteren Regionen zugeführt wurde.

Jeder Schluck 26 Dollar. Ungefähr. Manchmal auch weniger, wenn es einem Kollegen gelang, die Kontrollen zu täuschen. Reich wurde hier oben niemand, trotz enormer Zulagen und guten Gehalts. Es sei denn, er war der Askese verflichtet.

Er war kein Asket und hatte auch nicht vor, es zu werden.

Pete reckte lässig den Arm und blickte auf die Uhr. ,,Planmäßig sollte sie um 1034 andocken."

Der Monitor mit der mächtigen blau schimmernden Kugeloberfläche wurde teilweise von Petes verkehrtem Hinterkopf verdeckt. Relativ zu ihm gesehen hing sein Kollege kopfunter im schwach erhellten Hauptachsenschacht. Aber Oben und Unten gab es hier nicht. Im Null- Gravitations-Bereich der Station wäre dies eine eher hinderliche Konvention. Sogar die Wartungsmonitore zeigten, um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, die Statusinformationen in vierfacher Kopie, quasi als Unterschriftenrahmen, zu allen vier Seiten des quadratischen Bildes. Wie jeder TechnO, hatte er sich schon lange daran gewöhnt, Schrift in jeder nur denklichen Orientierung zu lesen. Selbst die Bedienung der Tastatur war reine Gewöhnungssache. Irgendwann war man es einfach leid, sich immer erst in die `richtige' Position zu manövrieren. Im Null-Gravitations-Bereich ist jede Position `richtig'.

Er gähnte vernehmbar und fühlte sich verpflichtet, dies durch eine Bemerkung abzurunden: ,,Hast du die Passagierliste schon gesehen?"

Pete hackerte. Das bläuliche Außenbild verschwand, und Statusmeldungen des Systems flimmerten schwarz auf grau über das kleine Display.

Er schloss die Augen. Genaugenommen verstießen sie bereits gegen irgendwelche Vorschriften des technischen Dienstes, wenn sie die Wartungsmonitoren für Aussenbeobachtungen missbrauchten. Er wusste nicht mehr, gegen welche Vorschrift. Anfangs war er überrascht und besorgt gewesen, wie leicht man sich in höhere Prioritäten des Systems einhacken konnte. Im Prinzip funktionierte hier alles nur noch auf Vertrauensbasis. Jeder Techniker an Bord hätte mühelos die ganze Station stillegen können - wenn er es gewollt hätte. Natürlich war es ganz unmöglich, ein so komplexes System ohne Hintertürchen zu bauen. Aber dass es so leicht war, hatte ihn überrascht und bedenklich gestimmt. Allerdings nur zu Anfang. Er schloss die Augen und liess sich treiben, konzentrierte sich ganz auf den Gleichgewichtssinn. Manchmal bildete er sich ein, dass er die minimale Zentrifugalkraft spüren konnte, die sogar hier in der Hauptachse vorherrschen musste. Natürlich war das ganz unmöglich. Aber er wusste, dass die Masse seines Körpers ganz unendlich sanft in Richtung der Schachtwand gedrückt wurde. Wenn er es schaffte, ganz ohne Impuls zum Stehen zu kommen, würde nach ein paar Stunden die kühle Aluminiumwand zart wie ein Insektenflügel seine Schulter berühren.

Er lächelte mit geschlossenen Augen. Pete klapperte leise mit den Tasten.

Null-Gravitation. Die vollkommene körperliche Entspannung. Auch nach sechs Jahren genoss er immer noch jede freie Minute, die ihm hier oben vergönnt war. Mühelos konnte er vergessen, dass er einen Körper mit Masse und Trägheit besaß. Was blieb, waren die Gedanken. Reine Gedanken, die sich mit der Zeit auf einen einzigen kristallklaren Gedanken zusammenzogen. Er war nur noch dieser Gedanke.

Natürlich musste man aufpassen. Die Arbeitszeiten hier oben wurden streng kontrolliert. Einer der Gründe, warum die Kandidaten für diesen Beruf so rigoros aussortiert wurden, war die Suchtgefahr. Er hatte es erlebt, dass Kollegen von einem Tag auf den anderen auf die Oberfläche abgeschoben wurden.

Pete gab ein belustigtes Glucksen von sich: ,,Sie haben tatsächlich die Priorität der Passagierlisten angehoben."

Er warf einen trägen Blick hinüber auf den Schirm. Dort häuften sich Fehlermeldungen. Eine knappe Statusmeldung informierte den Benutzer, dass ein weiterer erfolgloser Versuch, in die nächsthöhere Priorität einzuloggen, als feindlicher gesinnter Einbruch der Admin gemeldet werden würde. Pete drehte den Kopf und grinste ihn an. Er lächelte und zuckte mit den Schultern.

Pete war noch nicht so lange auf TRU-3 wie er. Erst dreieinhalb Jahre. Aber Pete war ein Naturtalent. Inversionsfaktor von minus drei Komma vier. Perzeptive Fähigkeiten schon fast so gut wie er selber. Er war sich sicher, dass Pete ihn in den nächsten Jahren überrunden würde. Er dachte an den Morgen vor zwei Jahren, als er das erste Mal seine grauen Schläfen entdeckt hatte, und musste wieder lächeln. Mit seiner linken Hand gab er einen winzigen, genau dosierten Impuls auf die silberne Wand und schwebte hinüber zur Wartungskonsole. Mit drei Befehlen holte er wieder das Außenbild auf das mattgraue Display. Die Fähre war jetzt kein Pünktchen mehr. Sogar auf dem schlechten Wartungsmonitor konnte man ihre langgestreckte Form mit den Heckflossen erkennen.

Die monatliche Ankunft der Fähre war immer etwas Besonderes. Natürlich dockten auch andere Schiffe auf TRU-3 an. Ständig. Aber das waren meistens Frachter mit langweiliger Ladung, die für die Lastfähren gelöscht wurde. Die Passagierschiffe für den interplanetaren Raum legten schon lange nicht mehr bei TRU-3 an. Hatten sie nicht nötig. Die flogen schon seit einer Generation direkt von Oberfläche zu Oberfläche.

Die monatliche Fähre brachte nicht nur die üblichen Versorgungsgüter, sondern vor allem Menschen. Rückkehrer vom Heimaturlaub, neue Kollegen, ab und zu auch ein paar Touristen. Die Außenkamera zeigte jetzt die zylinderförmige Hülle der Station von ihren nördlichen Ende aus. Die Eigendrehung der Station wurde elektronisch kompensiert, so dass der Fixsternhimmel im Hintergrund unbeweglich verharrte, während die lange silberne Zigarre sich langsam um ihre Längsachse drehte. Die Fähre näherte sich tangential dem rotierenden Zylinder.

Er musste immer an den altertümlichen Phonographen Thomas Edisons denken, wenn er ein Schiff beim Andocken beobachtete. Unendlich langsam näherte sich der zugespitzte Bug der Fähre dem glänzenden Zylinder, der zudem wegen der vielen Andockringe aus dieser Perspektive aussah, als hätte er Tonrillen. Ohne sich dessen bewusst zu werden, durchging er im Geiste die einzelnen Phasen des Anflugprogramms: Zuerst würde sich der Andockschlitten, Caddy genannt, auf seiner Magnetschiene in Bewegung setzen und sich per Laserabtaster mit der anfliegenden Fähre synchronisieren. Dann würden starke Magnetfelder die Fähre in die Klammern ziehen und mit dem flink dahingleitenden Caddy verbinden. Noch immer `stand' die Fähre bewegungslos, wie die Phonographennadel auf dem sich drehenden Edisonzylinder. Unwillkürlich hielt er den Kopf schief, in der abstrusen Erwartung, dass in diesem kritischen Moment der Anflugphase plötzlich eine kratzig-scheppernde Melodie des vorigen Jahrhunderts durch die Hülle der Station dröhnen würde.

Jetzt ließ der Pilot die Steuerborddüsen spielen, und die Fähre, auf ihrem Caddy festgekrallt, beschleunigte, um sich der langsamen Karussellgeschwindigkeit von TRU-3 anzupassen. Noch ein paar Sekunden und der Caddy flanschte an seiner Ladeluke an. Die monatliche Fähre hatte angedockt.

Flüchtig ließ er seinen Blick über die Systemmeldungen der Astrostatik gleiten. Die Unwucht der Station hatte sich um siebeneinhalb Zentimeter erhöht - ein Zeichen, dass die Fähre nur schwach geladen hatte.

,,Rampe 10", sagte er und blickte Pete über die Schulter an. ,,Gehen wir hinunter?"

,,Wozu?" meinte Pete lässig und griff wieder in die Tasten. ,,Wir können uns die Burschen ja erstmal von hier aus anschauen ... "

Er betrachtete nachdenklich Petes säuberlich ausrasierten Nacken unter dem militärisch kurzen Haaransatz. In letzter Zeit hatte Pete eine merkwürdige Scheu entwickelt, `hinunter' zu gehen. Mit Vorliebe hielt er sich im einsamen Null-Gravitations-Bereich der Achse auf. Er zuckte mit den Schultern und konzentrierte sich wieder auf den Schirm. Pete hatte den normalen überwachungskanal der Bordsicherheit angezapft, und das Bild zeigte den Laderaum in Rampe 10. Die ersten Passagiere verließen bereits die Schleuse. Fast alle in Zivil, das genormte Handgepäck, den Buddy, in der linken, die Autorisierungsmarke in der rechten Hand.

,,Schau an", murmelte er verhalten, ,,Godavsky ist schon wieder zurück. Und ich dachte, der kommt erst im nächsten Monat ... "

Der blonde vierschrötige Mann im Techniker-Overall schaute sich suchend um, blickte dann direkt in die Kamera und machte rasch eine unauffällige obszöne Geste mit der freien Hand. Sie mussten beide grinsen.

,,Dieses verdammte Arschloch", knurrte Pete bewundernd. ,,He! Schau mal! Der ist ja schnuckelig ... "

Petes Ausruf bezog sich auf einen jungen Sergeant mit Kommunikationsabzeichen auf der grünen Ausgehuniform. Groß, fast schon zu groß für den planetarischen Dienst, strohblond und blauäugig. Genau das richtige für Pete.

Er kniff die Augen zusammen. ,,Vergiss es, Pete!"

,,Aber wieso? Der ist doch neu hier, nie gesehen ... "

,,Er hat 'nen Ring an der rechten Hand ... "

Pete starrte auf den Schirm. Die Passagiere bildeten jetzt eine lockere Schlange vor dem Kontrollschalter. ,,Du hast recht", meinte Pete resigniert. ,,Verdammt! Ich dachte, dass sie inzwischen keine Verheirateten mehr herauflassen. Warum müssen immer alle Männer, auf die ich stehe, heterosexuell veranlagt sein ... "

Er betrachtete Pete träge aus den Augenwinkeln und dachte sich seinen Teil. Eine junge Frau verließ die Luftschleuse, und er neigte sich näher zum Display. Sie war jung, sicher nicht älter als 28, braune glatte schulterlange Haare, helle Augen unbestimmter Farbe, wahrscheinlich graublau. Im Haar trug sie eine altmodische Schmuckbrille. Gekleidet war sie in die unauffällig-graue Uniform der Sicherheit, die ihre wohlgeformte Figur dermaßen betonte, dass es bestimmt gegen irgendwelche Vorschriften verstieß.

,,Bis später", rief er und stieß sich ab.

,,Du wirst dich doch nicht mit einer Sicherheitsmieze einlassen!" schrie Pete ihm spöttisch hinterher. Er gab keine Antwort.

Zwei Minuten später betrat er das D-Deck und lief nach Süden zur Andocksektion. Er hatte Glück; genau im richtigen Moment verließ sie die Rampe, in der linken Hand ihr Gepäck, in der rechten ein Bündel Formulare. Sie war noch viel hübscher, als er auf dem Monitor hatte erkennen können. Die vorbeigehenden Männer warfen ihr verstohlene Blicke zu. Sie stellte ihren Buddy ab und blickte sich suchend um.

Er ging ruhig auf sie zu und sagte: ,,Hallo! Willkommen auf TRU-3. Wie war dein Flug?"

Sie blickte überrascht auf, dann huschte ein Anflug eines Lächelns über ihr frisches Gesicht, das sie sofort wieder unterdrückte. ,,Kennen wir uns?" fragte sie streng.

,,Nein", sagte er einfach. ,,Ich heiße Haliday, abgekürzt Hal."

Wieder musste sie sich ein Lächeln verbeißen. Sie ließ ihren Blick - ihre Augen waren übrigens tatsächlich graublau - über seinen mitgenommenen Techniker-Overall gleiten. Er ließ die Visitation gelassen über sich ergehen. Er war sich bewusst, dass er keinen Idealtypus verkörperte. Aber sein schlanker Körper war immer noch durchtrainiert und wohlproportioniert. Der dunkelbraune widerborstige Haarschopf mit den grauen Schläfen war drei Zentimeter länger, als die Vorschriften es zuließen. Zahlreiche kleine Lachfältchen umrahmten die sanften blauen Augen, und zusammen mit seinem verhaltenen Lächeln gaben sie seinem Gesicht etwas, das zugleich vertrauensvoll-kameradschaftlich als auch wissend-erfahren erschien.

,,Man hat mich ja bereits vorgewarnt", sagte sie in spöttischem Tonfall, aber nicht unfreundlich. ,,Dass es allerdings so schnell gehen würde ... Ich nehme an, dass sollte eine Anmache sein, Hal?"

,,Wenn du damit meinst, dass ich dich gerne kennenlernen würde, ja, genau das sollte es sein", sagte er freundlich und lächelte.

Sie blickte ihn verwirrt an. ,,äh ... duzen sich alle hier auf der Station?"

,,Nein", gab er bereitwillig Auskunft, ,,nur die unteren Dienstgrade und die Zivilisten. Höhere Dienstgrade möchten im Allgemeinen mit Sir angesprochen werden."

,,Aha." Sie schaute sich einen Moment hilfesuchend um; dann senkte sie die Augen und lächelte zum ersten Mal richtig. Er fand, dass es ihr entschieden besser stand, als der dienstlich strenge Blick. ,,Aha", wiederholte sie belustigt. ,,Also, was hattest du dir denn vorgestellt, Hal?"

,,Ich zeige dir jetzt dein Quartier. Später hole ich dich ab, wir gehen zusammen thailändisch essen und verbringen zusammen den Abend. Wenn du Lust hast, auch die Nacht."

Sie starrte ihn ungläubig an. ,,Sind Sie ... bist du immer so direkt?"

,,Nein. Ich versuche nur, die Wahrheit zu sagen", erklärte er.

Sie musste lachen. ,,Irgendwie gefällt mir das. Ich meine ... ich heiße übrigens Joy. Joy Edwards." Sie holte tief Luft. ,,Also, ich finde das ja ganz nett von dir, aber ich weiß ja noch nicht mal, wo ich wohne, und ob ich noch irgendwelche Formalitäten erledigen muss und ... "

,,Es ist jetzt erst 1100 Uhr", sagte er sanft, ,,wir haben noch viel Zeit bis zum Abendessen. Darf ich ... ?" Er nahm ihren Buddy, und sie gingen zusammen in Richtung der Mannschaftsquartiere der nördlichen Sektion, während er ihr die wichtigsten örtlichkeiten der Station erklärte.

,,Was macht du hier auf TRU-3?" fragte sie nach einer Weile und betrachtete seinen neutralen Techniker-Overall. ,,Ich bin TechnO", sagte er.

,,Oh. Null-Gravitation und so? Hast du einen Dienstgrad?"

Er schüttelte den Kopf. ,,Ich bin Zivilist. Der einzige hier oben."

,,Der einzige Zivilist auf der ganzen Station?"

Er lächelte. ,,Nein. Der einzige Zivilist unter den TechnOs ... "

,,Ich dachte immer, alle TechnOs müssen verpflichtet sein", sagte sie nachdenklich.

,,Das stimmt auch normalerweise. Bei mir haben sie eine Ausnahme gemacht."

Sie fragte nicht weiter, aber er konnte sehen, wie sie das Thema für später vormerkte. Ein schwaches Lächeln umspielte seinen Mund. Zwei Mädchen in der grünen Uniform der Kommunikationsoffiziere kamen ihnen entgegen.

,,Hallo, OG!" grüßten sie, ein wenig zu enthusiastisch. Sie sprachen es Ouh Dschi aus. Er grüßte freundlich zurück. ,,Wann sieht man dich denn endlich mal wieder in der B-Kontrolle?" fragte die Blonde mit kokettem Lächeln.

,,Sobald eure Klimaanlage wieder ausfällt", antwortete er ruhig.

,,Na! Das lässt sich arrangieren!" meinte das andere Mädchen, eine kleine Asiatin mit hohen Wangenknochen und wunderschönen mandelförmig geschnittenen Augen. Beide prusteten los und liefen kichernd weiter.

,,OG?" fragte Joy misstrauisch, als sie außer Hörweite waren.

,,Nur ein Spitzname", erklärte er.

Sie stiegen auf die Außenebene hinunter und standen kurz danach vor Joys Quartier. Er blickte auf die Uhr. ,,Sagen wir, um halb acht?"

,,Ok. Muss man sich hier ... ich meine, was die Kleidung angeht?" fragte sie ein wenig unsicher.

Er lächelte beruhigend. ,,Wir sind ziemlich leger hier oben. Da die meisten nur zehn Kilo Gepäckerlaubnis haben, wirst du kaum jemanden im Abendkleid zu sehen bekommen."

,,Gut. Also um halb acht dann."

 
Zum Abendessen trug sie dieselbe enganliegende graue Uniform. Sie hatte lediglich ihr Haar zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammengerafft, so dass der zierliche Nacken noch mehr betont wurde. Und mit den Augen hatte sie auch irgendwas gemacht, was nur Frauen wissen dürfen. Jedenfalls strahlten sie noch verlockender als am Vormittag.

Der Abend wurde ein voller Erfolg. Er hatte sie von Anfang an genau richtig eingeschätzt. Ihre Wellenlängen stimmten fast schon zu gut überein. Ihre Unterhaltung bestand nur noch aus einem funkelnden Pingpongball, der zwischen ihren Geistern sein Spiel machte. Beim Kaffee schafften sie es bereits, sich ungezwungen über eine Minute lang lächelnd in die Augen zu schauen, ohne dass einer verlegen-ertappt seinen Blick abwenden musste.

Nach dem Essen standen sie auf dem nüchternen Flur der A-Sektion, wo schon die Lichter gedimmt waren, um der künstlichen Bordzeit wenigstens einen Schein von natürlichem Tagesrhythmus zu geben, und schauten sich erwartungsvoll an.

,,Und zum Nachtisch ... ", sagte sie lächelnd und blickte ihn mit glänzenden Augen an.

,,Zum Nachtisch gehen wir fliegen", sagte er und nahm sie bei der Hand.

,,Fliegen?" sagte sie ernüchtert. ,,Was meinst du mit Fliegen ... ?"

,,Hast du in deiner Ausbildung auch Null-Gravitation gehabt?" fragte er zurück.

,,Natürlich. Das gehört zur Grundausbildung. Nur im Wasser allerdings. Aber ... "

,,Welchen Inversionsfaktor hast du?"

Sie blieb stehen und zwang ihn mit der Hand, sich ihr zuzuwenden. ,,Hör zu, Hal! Du weißt genauso gut wie ich, dass die Null-Gravitation absoluter Sperrbereich ist. Ich werde auf gar keinen Fall ... "

Er lächelte. ,,Wir gehen nicht in die Null. Da würdest du gar nicht hineinkommen. Ich um diese Zeit übrigens auch nicht. Es sei denn, es wäre ein Notfall. Also, was für einen Faktor hast du?"

,,Minus eins Komma acht", gab sie Auskunft, ,,und du?"

,,Minus drei Komma eins. Das ist gut. Dann bist du immer `oben'." Er nahm sie wieder bei der Hand und sie gingen weiter. ,,Wusstest du, dass der Inversionsfaktor nicht konstant ist?" sagte er. ,,Er schwankt bei jedem Menschen ganz beträchtlich, abhängig von seinem physischen und psychischen Zustand. Deshalb müssen TechnOs mindestens minus zwei Komma fünf haben."

Sie schüttelte den Kopf. ,,Ich weiß nur noch, dass Menschen mit positivem Inversionsfaktor in der Schwerelosigkeit immer das Gefühl haben, auf dem Kopf zu stehen."

,,Das ist richtig", nickte er. ,,Und die mit negativem Faktor stehen immer aufrecht. So wie wir beide. Ganz schlimm ist es, wenn der Faktor nahe bei Null liegt. Solche Leute haben fast immer Raumkrankheit, weil das statische Gleichgewichtsorgan völlig außer Kontrolle gerät."

,,Woher kommt das eigentlich?"

,,Der Faktor? Weiß man noch nicht so genau. Es scheint zunächst mal einfach eine Art Rechenfehler im Gehirn zu sein, der normalerweise überhaupt keine Rolle spielt, weil die Schwerkraft ihn überdeckt. Sobald man aber im Null-Bereich ist, kommt er zum Tragen und spiegelt dem armen Kleinhirn eine Schwerkraft vor, wo gar keine ist. Deshalb denken die bedauernswerten Kerle mit positiven Faktor grundsätzlich, dass sie auf dem Kopf stehen ... "

,,Wo sind wir hier?" fragte sie unvermittelt. Sie waren in der A-Sektion ganz am südlichen Ende der Station angelangt. Auf der rechten Seite des Korridors waren in regelmäßigen Abständen verschlossene Türen mit Zugangskontrollen.

,,Das sind die Trimmscheiben", sagte er lächelnd und machte sich an einer der Kontrollen zu schaffen. ,,Und zwar im doppelten Sinne. Hier werden die Unwuchten der angedockten Schiffe austariert, und außerdem kann man sie zum Joggen verwenden."

Sie starrte ihn an, als ob er einen schlechten Witz gemacht hätte. ,,Zum Joggen? Willst du jetzt mit mir zum Joggen gehen!?"

Er hatte inzwischen eine der Türen geöffnet und hielt sie einladend auf. Dahinter führte eine steile Treppe nach oben. Das Mädchen in der grauen Uniform kletterte die Stufen hinauf und stand in einem schwach beleuchteten etwa drei Meter breiten Gang. Da es ein Quergang war, krümmte sich der helle Boden sichtbar nach oben. Der Gang hatte keine Decke.

Er stieg hinter ihr aus der öffnung in Boden und drückte auf eine Kontrolle an der rechten Wand. Die öffnung schloss sich mit einen leisen Seufzen.

,,Das", erklärte er, ,,ist eine unbenutzte Trimmscheibe. Wenn sie in Benutzung ist, werden in diesem Raum exzentrische Massen so plaziert, dass sie die Unwuchten der andockenden Schiffe ausgleichen, verstehst du?"

Sie nickte und legte den Kopf in den Nacken. Sie konnte mit ihren Augen dem Verlauf der gekrümmten Welt einmal ganz herum folgen.

,,Du weißt natürlich, dass die Station sich dreht, damit hier auf den unteren Decks eine künstliche Schwerkraft entsteht", fuhr er fort. ,,Je nach Deck beträgt sie zwischen 0,8 und 1,1 G, also der normalen Erdanziehungskraft. Hier oben ist sie ziemlich genau 0,9 G. Aber es ist eben keine normale Gravitation, sondern eine Zentrifugalkraft. Pass mal auf."

Er zog seinen rechten Schuh aus und warf ihn senkrecht in die Luft. Der Schuh beschrieb sofort eine sanfte Kurve und landete etwa 30 Meter von ihnen entfernt.

,,Hast du gesehen? Auf der Erde wäre der Schuh senkrecht hochgestiegen und wieder heruntergefallen. Hier wird er von der Corioliskraft abgelenkt." Er lief zu hinüber und zog sich den Schuh wieder an. ,,Aber", fuhr er fort, ,,wenn die Trimmscheibe nicht in Betrieb ist, wie jetzt, dann dürfen wir uns darin trimmen. Das heißt, vor allem Jogger kommen hierher."

Sie musste lachen. ,,Du meinst, die laufen hier immer im Kreis ... ich meine, im Looping herum?"

Er nickte lächelnd. ,,Wobei die Richtung nicht ganz egal ist. Wenn du in Drehrichtung der Station läufst, wirst du schwerer, und in der anderen Richtung leichter. Probier's mal."

,,Ehrlich?"

,,Klar. Nur ein paar Schritte."

Sie trabten ein paar Schritte. Zürst in die eine, dann in die andere Richtung. Er beobachtete sie gespannt, während er neben ihr herlief.

,,Es stimmt", sagte sie nachdenklich und blieb wieder stehen. ,,Aber das bedeutet ja, wenn ich so schnell laufe, wie die Station sich dreht ... "

,,Sechs Komma drei Meter pro Sekunde. Und genau das werden wir jetzt mal machen ... "

,,Was? Aber ... "

Er nahm sie fest bei der Hand und befahl: ,,Also. Anlauf nehmen so schnell du kannst. Ich zähle bis drei. Bei drei springst du so kräftig wie möglich nach vorne. Nicht nach oben, nach vorne, verstehst du? Wie beim Weitsprung. Alles klar? Los ... "

Sie rannten los, der Drehrichtung entgegen. Er zählte laut, sie sprangen.

Das Mädchen stieß einen schwachen Schrei aus und klammerte sich instinktiv mit beiden Händen am ihm fest. Sie segelten nur wenige Meter über dem rasch weggleitenden Boden dahin - und landeten nach beträchtlicher Strecke ziemlich unsanft auf der glücklicherweise gepolsterten Fläche, indem sie sich beide instinktiv abrollen ließen.

,,Das war nichts", sagte er lakonisch und half ihr auf die Beine. ,,Zu schnell."

,,Aha", keuchte sie wütend, ,,das war also nichts! Na, ich danke! Das Nichts reicht mir schon! Ich habe mir unseren gemeinsamen Abend eigentlich anders vorgestellt!"

Er blickte bekümmert in ihr zorniges Gesicht. ,,Tut mir leid. Es klappt nicht immer gleich beim ersten Mal. Aber, glaub' mir, es lohnt sich. Komm, wir probieren es noch einmal ... "

Aber sie entzog ihm heftig ihre Hand und fauchte: ,,Und dann breche ich mir noch ernsthaft was! Finger weg!"

Er überlegte und betrachtete ihre zarte Figur. ,,Vielleicht ist es besser, wenn ich dich trage. Du wiegst bestimmt nicht mehr als fünfzig Kilo, stimmt's?"

Ohne ihre Antwort abzuwarten, packte er das schlanke Mädchen, nahm sie auf beide Arme und rannte los, ohne auf ihren heftigen Protest zu achten. In seinem Gehirn spielten die alten vielerprobten Programme. Sein Kleinhirn `wusste' genau um die Richtung und die Stärke des erforderlichen Impulses. Viele Hunderte Male hatte er es erprobt. Genau im richtigen Moment gab sein Gehirn den entscheidenden Befehl an sein Sprungbein. Er riss den Oberkörper zusammen mit der süßen Last ein wenig nach hinten, gerade soviel, um das Drehmoment des kräftigen Absprungs zu kompensieren. Er sprang. Sie erhoben sich in die Luft und von einem Moment zum nächsten schien sich die Welt zu verwandeln. Da war kein ins Unendliche führender Looping-Gang mehr. Kein fester Joggingpfad der ewigen Wiederkehr.

Sie schwebten scheinbar ganz gemächlich im Inneren eines riesigen Karussells, das sie emsig umkreiste. Sie klammerte sich an seinen Hals und schaute - hinauf? hinunter? Ihre Protestschreie waren verstummt. Drehten sie sich? Drehte die Welt sich um sie? Sie wusste es nicht. Er wusste es. Er fühlte es. Mit geschlossenen Augen - damit ihn das trügerische Kreisen des ewigen Joggingpfades nicht narrte - spürte er in den Raum. Seine Gleichgewichtsorgane, die winzigen Kristalle auf ihren geleeartigen Betten, die strömende und langsam zur Ruhe kommende Lymphe im Innenohr, die sachte Trägheit in der süßen Last, die er immer noch mit beiden Armen hielt.

Sie bewegten sich. Sie drehten sich. Das war nicht wichtig. Aber die translaterale Bewegung, die würde sie binnen kurzen wieder auf die kreisende Karussellwand werfen.

Er öffnete die Augen und schaute unscharfen Blicks auf die drehende Welt. Langsam, um sie nicht zu ängstigen, ließ er ihre Beine los und schlang dafür seinen linken Arm desto fester um ihre schlanke Taille. Sie beachtete es nicht, starrte immer noch mit aufgerissenen Augen in die hypnotisch kreisende Welt.

,,Alles in Ordnung?" murmelte er an ihrem Ohr.

,,Ich hab' Angst", flüsterte sie, ohne den Blick abzuwenden.

,,Kein Grund dafür", sagte er gedämpft, wie man in einer Kirche spricht.

Er zog sich den rechten Schuh aus und wartete. Sie würden etwa zehn Meter vom Zentrum vorbeikommen. Er war stolz, dass sie fast genau in der Mitte der nur drei Meter breiten Scheibe dahinschwebten. Das bedeutete, dass er trotz zusätzlicher Last die Absprungkraft ohne seitliche Scherkräfte appliziert hatte. Eine schwierige übung. Wieder liefen in seinem Gehirn die altbewährten Programme. Mit einer blitzschnellen Bewegung - mehr aus dem Handgelenk als aus der Schulter - schleuderte er den Schuh in die richtige Richtung. Seine feinen Sinnesorgane meldeten Erfolg. Sie schwebten jetzt genau ins Zentrum des gigantischen Karussells. Er nahm seinen zweiten Schuh und berechnete den nötigen Impuls um sie beide im Zentrum zu stoppen.

Inzwischen hatte sie sich vom ersten Schock erholt und beobachtete ihn aufmerksam.

,,Was tust du? Willst du etwa hier ... hier oben bleiben?"

Er nickte lächelnd und schleuderte den Schuh. Fast. Nun ja, den kleinen Restimpuls konnte er zur Not mit seinem Jackett ausgleichen.

,,Entspann' dich", sagte er fröhlich. ,,Du bist jetzt das erste Mal so richtig im Null G."

Jetzt erst bemerkte sie, dass sie sich immer noch an ihn klammerte, als gelte es, einen rasanten Absturz in die kreisende Welt zu verhindern. Zögernd löste sie ihren festen Griff und strich sich eine der vielen Haarsträhnen aus dem Blickfeld, die nun infolge fehlender Schwerkraft vorwitzig um ihren Kopf schwebten.

,,Was ... " begann sie wieder. Aber seine lächelnden Augen ließen sie verstummen. Sie schloss ihre Augen, und ihre suchenden Lippen fanden sich im ersten langen Kuss. Seine schmalen zärtlichen Hände strichen über die enganliegende Uniform, die ihr so gut stand, und begehrten Einlass. Rasch hatte er den durch einen Magnetsaum verdeckten Reißverschluss entdeckt. Ihre schwachen Proteste erstickte er schnell mit einem neuen zärtlichen Kuss.

Seine Hände strichen sanft über ihre kleinen festen Brüste mit den steil aufgerichteten Knospen. Sie erschauerte keuchend und wand sich in seiner leichten Umarmung, so dass er nunmehr ihren zarten Rücken, den zwei kleine Muttermale zierten, küssen und gleichzeitig die hohlgeformten Hände von hinten um ihren stolzen Busen spannen konnte. Sie reckte sich wohlig und drehte sich wieder nach ihm um. Ihre fliegenden Finger begannen an seinem Hemd zu fingern.

Als er ihr vorsichtig unter zahlreichen Liebkosungen die Hosen abstreifte, mussten beide plötzlich lachen. Denn beinahe hätte er, weil er infolge einer Verhakung ihrer Kleider zu kämpfen hatte, sie losgelassen, und sie wären auseinandergeschwebt.

Beide waren sie nun ganz nackt und schwebten wie schöne heidnische Götter in der Mitte der kreisenden Welt, für die sie längst keine Augen mehr hatten. Sie schlang ihre feingemeißelten Arme um seinen Hals und zauste das widerborstige Haar. Er koste ihren elfengleichen Hals und schob sie langsam nach oben, wenn man von einem Oben in so einer Situation noch gut reden könnte, während er nacheinander ihre Brüste, den flachen Bauch und ihre Schenkel küsste. Links neben ihrer Scham befand sich das winzige grüne Unbedenklichkeitsmal, das auch er in ähnlicher Form an gleicher Stelle trug. Auch das Mal küsste er und den Ansatz ihrer kleinen Spalte, während seine Hände zart über ihre festen Pobacken streichelten. Sie war vollkommen haarlos, wie er selber.

Das Mädchen, die Augen beobachtend gesenkt, hielt ihn immer noch am Haar gefasst und öffnete ihm zögernd ihre langen Nymphenbeine. Er umgriff sie fester und fühlte ganz schwach, wie die Erwartung in ihrem schlanken Körper zitterte. Ein Zucken durchfuhr sie, und zitterndes Keuchen entrang ihrer gepressten Kehle, als er ihr Paradiesgärtlein das erstemal liebkoste. Bevor er aber weiter vordringen konnte, dorthin, wo bereits ein Liebeströpfchen glitzerte, riss sie ihn unvermittelte an den Haaren empor und keuchte: ,,Nein ... ich will dich richtig ... gleich ... jetzt ... oh ... "

Der Rest ging unter im wilden Liebeskampf und Lustgespiel, das so uralt und gleichzeitig wieder so ganz neu ist, und das sie noch nie in solcher Glückseligkeit schwebend erfahren hatte.

Viel später öffnete sie erschöpft die Augensterne. Die Welt hatte sich wiederum verändert. Sie schwebten engumschlungen ganz im Zentrum der runden Welt. Und die Karussellwelt, sie drehte sich nicht mehr!

Seine Hände strichen in langsamen zarten Bewegungen über ihren ganzen Rücken, vom Nacken, wo es sie schauerte, über die verborgenen Schulterblätter in die geschwungene Nieren- und Steißgrube hinab und wieder hinauf auf die gewölbten festen Backen, wo sie einen Moment verhielten, ganz zart knetend und kosend, bevor sie wieder auf die Reise gingen.

,,Sie dreht sich nicht mehr", flüsterte sie an seinem Ohr.

Er brummte leise zur Antwort und öffnete seinerseits die Augen. Ein Satellitenschwarm von Kleidern umschwebte sie gespensterhaft aufgebauscht.

Er gab ihr einen Kuss und sagte: ,,Doch, sie dreht sich schon noch. Nur wir drehen jetzt mit. Das macht der Luftwiderstand. Wenn man länger in der Achse bleibt, passiert das immer."

Sie schaute ihn an. Er sah an ihrem Blick, dass er nicht zu fragen brauchte. Aber sie wartete darauf. ,,Hat es dir gefallen?"

Sie nickte lächelnd und schmiegte sich wieder an seine Brust. ,,Lästig ist nur, dass der ... der Glibber hier überall herumfliegt. Du machst das natürlich nicht zum ersten Mal", stellte sie sachlich fest, ,,Nein, sag nichts. Das ist mir auch egal. Es war einfach ... schön." Sie lachte leise.

,,Was ist so lustig?" fragte er.

,,OG", sagte sie. ,,Jetzt wird mir alles klar. Null G. Können das noch andere Männer hier auf der Station?"

,,Ich weiß nicht. Ich spreche mit niemandem darüber."

,,Er spricht mit niemandem darüber!" Sie schaute ihm spöttisch ins Gesicht. ,,Und was meinst du, was deine ... deine, du weißt schon, machen?" Sie schmiegte sich wieder an ihn. ,,Eigentlich sollte man sich überhaupt nicht mit dir einlassen", erklärte sie schmollend. ,,Morgen holst du dir wahrscheinlich wieder eine andere hier herauf. Die warten doch nur darauf; man sieht's ihnen doch an."

Er gab keine Antwort, sondern begann wieder zu streicheln.

,,Schuft", murmelte sie genießerisch.

Ein paar Minuten später riss sie die Augen auf. ,,He, Moment mal! Wie kommen wir denn hier wieder runter? Ich meine ... "

,,Wenn man im Null G festhängt", sagte er ruhig, ,,gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder man wirft irgendetwas oder bläst kräftig in die entgegengesetzte Richtung, wo man hin will ... "

,,Bläst?"

,,Ja, aber das funktioniert nicht besonders gut. Es dauert ewig. Besser man wirft seinen Schuh oder Schlüsselbund."

Sie schaute ihn ratlos an. ,,Ja, aber ... wir haben doch gar nichts mehr ... ich meine, alle unsere Kleider sind längst außer Reichweite ... "

,,Wir haben uns", lächelte er und gab ihr einen kräftigen Stoss.


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